Drei Dinge wusste ich mit absoluter und wirklich völlig endgültiger Sicherheit.
Erstens: Tobi, Kurt und Dieter waren nicht wie die anderen Jungs. Sie waren Wesen aus einer geheimnisvollen, verborgenen Welt
Zweitens: Sie waren alle bis über beide Ohren in mich verknallt und würden absolut alles tun, um mein Herz zu erobern.
Drittens: Tobi war ein Zombie, Dieter ein Skelett und Kurt eine Mumie und alle drei waren zum Brechen hässlich!
Alles begann damit, dass meine Mutter mich raus warf, weil sie mein ständiges Genöle nicht mehr ertragen konnte. Ich hatte mich zu oft über Heinz, ihren neuen Stecher, beschwert, der mir jedes Mal an den Arsch fasste, wenn ich an ihm vorbei ging. Daher wurde ich also zu meinem Vater in das stinkende Versagernest geschickt, in dem ich als Kind gelebt hatte, bevor meine Eltern erkannten, dass ihre Ehe nichts als ein Haufen Scheiße war.
Ich habe meiner Mutter nie Übel genommen, dass sie meinen Vater verlassen hatte. Mit dem verblödeten Säufer, hätte ich es auch nicht lange ausgehalten. Wobei man fairerweise sagen muss, dass mein Vater mit meiner Mutter, dieser fetten, hysterischen Kuh auch nicht gerade das große Los gezogen hatte. Wie auch immer, jetzt war ich wieder bei dem alten Gammler und musste das Beste draus machen. Mir war es eigentlich eh egal, weil mir immer alles egal ist. Das Leben ist scheiße, ihr wisst schon. Von der neuen Schule erwarte ich nicht all zu viel. Ich bin nicht sehr beliebt, weil ich so schön bin und so eine bezaubernde Stimme habe. Ich glaube rückblickenden half es auch nicht gerade, dass ich immer in hautengen schwarzen Klamotten mit Rüschen rumrannte, aber ich hatte diese geilen Vampirbücher gelesen und war voll auf dem romantischen Gothictrip.
Auf jeden Fall wunderte es mich daher natürlich nicht wirklich, dass ich in der neuen Schule das Gesprächsthema Nummer eins war. Die Mädchen lachten sich halb scheckig als sie mich sahen und die Jungs schienen kurz vor einem Brechreiz zu sein. Ich weiß auch nicht, warum, ich hatte an diesem Tag doch mein bauchfreies Top und keinen BH an.
Ihr müsst wissen das ich Riesentitten habe, damit Punkte ich eigentlich immer.
Der Weg zum Klassensaal war ein Spießrutenlauf und ich gab mir alle Mühe nicht zu hören, was die Leute so riefen, was gar nicht so leicht ist, wenn dir jemand
„Hey du fette Schlampe, glaubst du, du bist ein Vampir, oder was", ins Ohr brüllt.
Da erst merkte ich, dass ich meine Plastikreißzähne noch im Mund hatte, die ich immer zum Schlafen anziehe, weil ich hoffe, dass dies irgendwelche geilen Supermonster anlockt. Bis jetzt hat es leider noch nicht geklappt.
Jedenfalls war ich schon ein wenig von der Atmosphäre in der neuen Schule angenervt, als ich in die Klasse kam und diesen entsetzlichen Gestank roch. Erst dachte ich, jemand hätte in die Ecke geschissen, aber dann merkte ich, dass der Geruch von einem Jungen in der letzten Reihe herrührte. Er war ziemlich klein, hatte ein seltsam graufahles Gesicht und so hervorstechende Augen. Einige seiner Haare waren ihm ausgefallen und auf seiner Stirn klaffte eine große eitrige Narbe. Nicht so eine niedliche Harry Potter-Narbe, sondern eher so eine Planet der Affennarbe. Ihr wisst schon so eine, die Leute haben, denen man das Gehirn rausgeschnitten hat. Um ihn herum surrten etliche Fliegen und aus seinem linken Ohr wuchs irgendein seltsamer Schimmelpilz. Er war, ohne Frage, ein mysteriöser Junge und er starrte mich von dem Augenblick, da ich den Raum betrat, an. Es war als ziehe er mich mit seinen gelblichen Augen aus und ich konnte einen seltsamen, undefinierbaren Hunger in seinen Pupillen aufblitzen sehen. Ich war wie hypnotisiert von der unglaublichen Hässlichkeit dieses Kerls.
„Miss Schwein, sie sitzen neben Tobi Faul", sagte der Lehrer und zeigte auf den Platz neben dem grusligen Jungen. Ich wollte protestieren, aber ich brachte kein Wort heraus, der Gestank vernebelte mein Gehirn. Ich war darüber hinaus genug damit beschäftig mein Müsli nicht über das Lehrerpult zu kotzen. Mich meines Schicksals ergebend, schlurfte ich nach hinten, rückte meinen Stuhl so weit an die Kante des Doppeltisches, wie nur möglich und hielt mir die ganze Stunde lang die Nase zu.
Tobi starrte mich unentwegt an und ich glaube er starrte vor allem auf meine Möpse, aber sicher weiß ich es nicht, weil ich mir ja Mühe gab, seine Existenz zu verleugnen.
Irgendwann forderte der Lehrer uns auf Gruppenarbeit zu machen und das führte zum nächsten Problem.
„Kann ich in dein Buch schauen", fragte ich Tobi so höflich, wie es der Brechreitz erlaubte.
„Uharrarauarau", war die eloquente Antwort. Eine seltsame Mischung aus Stöhnen und Grunzen und dabei spukte er gelbe Galle.
„Wie bitte?" fragte ich entnervt und wischte mir seine Spucke von der Backe.
„ Uharahauarahua.. gerne… uahaha" brachte er mit viel Mühe hervor und ich lächelte gequält.
Der Rest der Stunde war ein einziger Alptraum. Tobi rückte immer näher und näher, damit ich besser ins Buch schauen konnte und ständig glotzte er zu mir rüber und lächelte mich mit fauligen Zähnen an. Wenn er den Mund öffnete war der Gestank am aller schlimmsten. Dann hatte man das Gefühl seine Nase in ein Arschloch zu halten.
Irgendwann fing er dann auch noch an, mich beim Blättern der Seiten ausversehen zu berühren. Seine Finger waren klein und dick und irgendwie schleimig und außerdem unnatürlich kalt. Es verursachte mir Gänsehaut, wenn sein klebriger Daumen über meinen Handrücken fuhr und wenn ich dann aufschaute, zwinkerte er mir anzüglich zu und leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Die Zunge, das war auch so eine Sache. Ich habe ja keine Vorurteile aber ein Typen, der eine grüne schwammartige Zunge mit Warzen , auf denen noch einmal Warzen wachsen hat, kann nicht ganz normal sein. Spätesten jetzt wurde mir langsam klar, dass mit Tobi irgendwas nicht stimmen konnte. Er hatte ein mysteriöses Geheimnis und es war zu befürchten, dass ich es nur zu bald erfahren würde. Als es klingelte sprang ich auf und wollte gehen, doch seine eiskalte Hand hielt mich fest. Sofort begann mein ganzer Körper zu jucken, ich glaube er hat mir mit dieser Berührung irgendeinen ekligen Ausschlag verpasst. Wo sag ich nicht.
Ich drehte mich zu ihm um und wollte mich los reißen, aber er hatte unglaubliche Kraft. Plötzlich stand er vor mir, seine widerwärtige Visage nur Zentimeter von meinem Gesicht entfernt und fragte laut:
„Uharuaruararau.. Freunde..Uaha?" Dabei schaute er hoffnungsvoll und irgendwie verletzlich, was süß gewesen wäre, ohne den gelben Schleim, der ihm von der Lippe tropfte.
Ich schluckte einmal kräftig, streifte seine Hand vorsichtig ab, lächelte mit der letzten Willenskraft, die ich aufzubringen vermochte und sagte:
„Aber klar, warum nicht."
Und das war mein erster folgeschwerer Fehler.
