Trotz des dampfbadähnlichen Klimas und dem flackernden Licht der Glühbirne über ihnen war er auf der unbequem engen Pritsche mit Chase eingeschlafen; er bemerkte es, als ein knarrendes Geräusch im Lagerraum seine Träume störte. Gespannt lauschend blieb er liegen, während die Schulterpartie mit dem Schatten werfenden Schulterblatt vor ihm allmählich Kontur annahm. Beide lagen sie auf der Seite, Chase mit dem Rücken an ihn geschmiegt. Sein Haar war verschwitzt, und er entwirrte es, ehe er die Nase hineinsenkte und ihn einatmete, den sexuell getränkten Duft ihrer so perfekten Zusammenkunft vor ein paar Minuten oder Stunden. Es gab kein Fenster in der Kammer, um am Himmel den Tageszeitpunkt abzulesen, und auf die Uhr hatte er nicht geschaut, tat es auch jetzt nicht, sondern betrachtete seinen jungen Australier, dessen Bann er sich nicht entziehen konnte. Er gab leise, herrlich zufriedene Töne von sich, denen er viel lieber seine Aufmerksamkeit gewidmet hätte als denen, die hinter der halbgeöffneten Tür zu vernehmen waren. Sie waren jetzt vom Knarren in Schlurfen übergegangen.
Der kühle Schweiß auf der gleichmäßig gebräunten Haut und die vertrauensvolle Position, in der der Jüngere an ihm ruhte, erregten ihn erneut, wenngleich die Schritte draußen eine Alarmglocke in seinem Hirn zum Schrillen brachten. Sie waren nicht mehr allein. Und er hatte den Stock leichtsinnigerweise draußen vor der Hütte stehen lassen. Falls ihn der eifersüchtige Liebhaber jetzt in die Pfanne hauen wollte, konnte er sich und die älteren Rechte nicht einmal angemessen verteidigen, geschweige denn den Eindringling in die Flucht schlagen.
Chase regte sich seufzend, drängte seinen berückenden Hintern dichter gegen ihn und winkelte das Knie an, aber er schlief tief und fest. In stiller Ehrfurcht strich er über seine Seite von der Schulter bis zur Taille hinunter zum beneidenswert muskulösen Schenkel, wo er sich erlaubte, sanft die Finger zu krümmen, ohne die Absicht, Chase zu verstören, indem er ihn aufweckte.
An dieser Stelle klaffte an seinem eigenen Bein ein Kratergewirr aus kümmerlich verbliebenem Gewebe. Besser nicht daran denken. Er konnte nicht umhin, ein Stück hinunter zu rutschen und die Straffheit des Oberschenkels mit den Lippen zu liebkosen, wobei ihn das Verlangen, jeden Quadratzentimeter der festen, flaumigen Haut bis zur Fußsohle abzugrasen, jäh übermannte. Würde nicht dieser Kerl im Lager herumschnüffeln, er hätte nachgegeben und Chase danach aufgerüttelt, und sei es nur, um mit ihm zu spielen, seine oft unerwartet heftigen, geradezu wilden Reaktionen zu genießen und sie ihm hundertfach zu vergelten, vielleicht sogar ihn noch einmal zu haben. Eigenartigerweise konnte er nie genug von ihm bekommen. Stattdessen stemmte er sich mit Bedauern hoch, hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Hüfte und hinkte zur Tür, um das verräterische Licht auszuknipsen und durch den Spalt zu spähen.
Hinter Regalen schlenderte der wortkarge Asket von einem Fischer vorbei, den er am Hafen nach Chase' Verbleib gefragt hatte. Bemerkt hatte er sie offenbar noch nicht. Eindrucksvoll geschickt wirbelte er seinen Gehstock herum und spießte mit dem Ende und einem verdrießlichen und gleichsam erstaunten Knurren das T-Shirt auf, das House sich während des wollüstigen Gerangels mit dem Jungen vom Leib gerissen hatte.
Eine lange Weile betrachtete er es, um es dann hinter sich in hohem Bogen wieder achtlos, beinahe verächtlich auf die staubigen Holzbohlen fallen zu lassen und in die staubflirrende Luft horchend den Kopf zu heben.
„Roberto? Está usted aquí?"
Bedächtig schloss er die Tür, schob den Riegel vor und schaltete das Licht am Kippschalter aus. Viel zu laut hallte die Aktion nach. Auch Chase schreckte hoch.
„House ...?"
Die sie umgebende Schwärze ließ seine Stimme vibrieren, und als er ihn nicht mehr neben sich fand, entfuhr ihm ein ängstliches Winseln, das ihm ins Herz schnitt. In der Dunkelheit blitzten seine Augen furchtsam auf; der Schweiß auf seiner Haut glänzte.
„Ich bin hier", sagte er und beeilte sich, sich wieder zu ihm zu gesellen. Ohrenbetäubend kreischte die Pritsche unter seinem Gewicht und Chase' Bewegung, mit der er sich Schutz suchend in seine Arme warf und vor Erleichterung aufstöhnte. Das Trauma hatte erneut an Dimension gewonnen. Er würde es nie besiegen. Auf unerklärliche Weise empfand er darüber eher Triumph als Niedergeschlagenheit. So wäre er noch lange der Einzige, dem er vertraute. Es sei denn, der Hüne hatte ihn mit ähnlichen Kniffen betört, was er jedoch nicht wirklich glaubte.
„Leise, ganz ruhig. Es ist jemand da. Ich glaube, Sie kennen ihn. Er hat jedenfalls Ihren Namen genannt. Oder gibt es sonst noch einen Roberto unter den Kollegen?"
„Pedro", zischte er an seinem Brustbein, über das der Schweiß zum Nabel herunter rann. „Er wird wieder gehen."
„Ist er Ihr neuer Liebhaber?" Unverblümt eifersüchtig brummte er die Worte in sein Haar, woraufhin Chase ihn fest umschlang, wie um ihn seiner Treue zu versichern, und den Kopf schüttelte. Er schien gekränkt zu sein, dass House ihm einen Seitensprung oder eine neue Flamme unterstellte. Höchstwahrscheinlich wäre er es im umgekehrten Fall ebenfalls. Es gab nur einen Mann für ihn, und das war und würde immer Chase sein. Manchmal hoffte er wider alle Vernunft, mit ihm zusammenzuleben zu dürfen bis an sein Lebensende. Weibliche Zerstreuung gehörte endgültig der Vergangenheit an. Alles das, was ihn ausmachte, sein Intellekt, sein Geist, sein Leben – ohne ihn keinen Cent wert - und sogar das lahme Bein, das Chase nie als Manko betrachtet hatte, gehörte ihm.
„Nur ein Freund. Wir gehen manchmal zusammen aufs Meer ..."
House legte ihm die Hand auf den Mund, als die Schritte lauter wurden und beharrlich auf die Kammer zusteuerten, vor der sie verstummten. Der Hüne klopfte. „Roberto? Versteckst dich du hier?"
Er sprach absonderliches Englisch, dem zu folgen nicht ganz leicht war. Auffordernd drückte House Chase' Oberarm, sich auf den Erfindungsreichtum seines Assistenzarztes verlassend. So zu tun, als wären sie Luft, wirkte nach der Aufspürung einer von innen verschlossenen Tür unglaubwürdig. Sofort begriff er.
„Bitte lass mich allein. Es geht mir gut, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich wollte bloß ein bisschen nachdenken."
„Ein Amerikaner hier war", rief Pedro warnend. „An einem bastón."
Zum Beweis, dass dieser sich nun in seinem Besitz befand, schlug er mit dem Stock gegen das metallisch ächzende Schloss. House spürte, wie Chase in seinen Armen zusammenschauderte. Instinktiv beruhigte er ihn mit einem leisen Wiegen.
„Sucht nach dir. Du kennst ihn?"
„Mi papá", antwortete Chase; die Art, wie er es sagte, klang selbstverständlich und liebevoll, beinahe als würde er ihn gewohnheitsmäßig mit diesem innigen Kosenamen betiteln. Dankbar streifte House über seine Schläfe, befeuchtete gegen den Verlauf die weichen Härchen der Augenbraue, und Chase gluckste ein bisschen. Oh Himmel, er roch und schmeckte nach mehr. Schade, dass es so finster war. Allerdings schützte ihn die Dunkelheit nicht vor einer nahenden Erektion, als Chase eher beiläufig und dann energischer in seinen Schoß fasste. Amüsiert von der übermütigen Tat und zugleich verzweifelt darum bemüht, sich nicht durch ein Stöhnen bemerkbar zu machen, vergrub er das Gesicht am Nacken des Jungen und beknabberte ihn. Chase nahm den Kopf zurück, während er verhalten schnaubend lachte. Es tat so gut, zu wissen, dass er sich wieder sicher fühlte, dass House fast platzte, nicht nur in physisch-mechanischer Hinsicht. Triebhaft umfasste House seinen pulsierenden Kehlkopf. „Hat er mit dir gesprochen?"
„Sí", murrte es hinter der Tür. „Sehr unfreundlich. Wenn er schlägt dich, und du weinst deshalb, er kassiert Prügel von mir."
„Er braucht den Stock zum Gehen. Leg ihn vor die Kammer."
Sie hörten, wie der Befehl ausgeführt wurde. „Me parece un tonto", grummelte der scharfsinnige Spanier. „Du hältst mich zum Narren."
Immerhin kapitulierte er. Die Schritte entfernten sich.
House schickte sich an, aufzustehen, um das Licht anzumachen und den Stock zu holen, doch Chase hielt ihn zurück und sank auf den Rücken, ihn in der Bewegung auf die Knie zwingend. „Warten Sie. Ich will noch nicht. Bitte – legen Sie sich auf mich?"
Manchmal hatte er Wünsche und Phantasien, die seine eigenen an Absurdität weit überflügelten. Ungeachtet ihres zweifellos grandiosen Wiedersehens, das Chase so vehement und sinnlich besiegelt hatte, musste er brennen vor Schmerz, und trotzdem beharrte er auf weiteren Körperkontakt. Bedauernd verneinte er.
„Sie bringen mich um, wenn Sie darauf bestehen."
„Bitte. Nur auf meinen Bauch, damit ich Sie sehen kann."
„Ich würde Ihnen wehtun. So oder so."
„Ich möchte Sie spüren. Nur Ihre Nähe. Hier, im Dunkeln. Ich will Ihnen vertrauen. Ich habe Angst, dass es verloren geht zwischen uns ..."
Es klang plausibel nach dem, was seine Mutter ihm wieder plastisch ins Gedächtnis gerufen hatte, doch es war nicht nur das. Vordergründig vielleicht, aber ein zweiter, ebenso bedeutender Faktor war, dass Chase fürchtete, den Respekt vor ihm zu verlieren, weil er als unerwünschter Bastard das Licht der Welt erblickt hatte. Nicht dass diese Regung seiner Natur entspräche, ganz im Gegenteil – seiner Erziehung jedoch schon. Mit beidem hatte er von klein auf bis heute einen Zweikampf auszutragen. Deshalb war er geflohen vor ihm. Weil er ihm nicht in die Augen sehen konnte ohne den Gedanken, einen Mann gering zu schätzen, dessen Herkunft sich von seiner himmelweit unterschied und er Angst vor sich selbst hatte, genauer gesagt, seinem ungerechten Urteil. Der gefühlsbetonte, vorurteilsfreie Teil in ihm war zwar stärker ausgeprägt, doch er war es gewohnt, die Hebel seiner anerzogenen, kühlen Muster zu bedienen und dafür die Emotionalität zu verdrängen, die verletzlich machte und ihn aus der Bahn warf. Insofern versuchte er jetzt, seine Erziehung zu überlisten, zeigte sich schwach und verwundbar, indem er einen Grund vorschob, der nur ihn selbst betraf, um House nicht zu kränken. Niemand wusste besser als House, was ihn dieser Schritt kostete. Er konnte seinen schweren Atem hören, der leicht pfeifend ging, als würde er sich mühsam die Tränen verbeißen.
Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, kroch er über ihn, ließ die Wange an ihn sinken, spürte die Erschütterung seiner Bauchdecke. Argwöhnisch zog Chase die Luft in die Lungen, und er zog sich höher, auf Augenhöhe mit ihm.
In den transparent weißen Glaskörpern schimmerte es. Mit einem etwas schlechten Gewissen, da er vermutete, zu schwer für ihn zu sein (dass er es nicht war, bewies Chase' sehnsüchtiger Wunsch), ließ er sein volles Gewicht auf ihn sinken, wie er es gefordert hatte. Der Jüngere seufzte und trampelte ein wenig, doch er wusste, dass er es nicht tat, um ihn loszuwerden, sondern aus Wohlbehagen und Befriedigung. Sein Zittern war derart intensiv, dass er es mit dem linken Bein ausglich und seine Handgelenke umfasste, um ihn an die Pritsche zu pinnen. Unvermittelt herrschte Panik in den riesigen Augen vor, die er mit den Lippen zudrückte, als er glaubte, sie nicht ertragen zu können. Der von ihm genannte Grund durfte nicht als unbedeutend betrachtet werden, nur weil er mit dem ungesagten hinterm Berg hielt. Er hatte tatsächlich Angst davor, in der Dunkelheit berührt zu werden.
„Nichts wird sich ändern. Nicht von meiner Seite aus."
„Ich brauche Sie", sagte Chase leidenschaftlich. Unruhig bewegte er sich unter ihm, voller Angst, voller Qual. Plötzlich befielen ihn Bedenken ob seines Mentalzustandes. Trotz der Unruhe und Erregung wirkte er abwesend, wie in Trance oder auf Drogen. Als flatterte sein umtriebiger Geist wie ein Kolibri in dem Käfig seines vor Angst gelähmten Körpers.
„Sind Sie bei mir?" Seine Stimme klang schärfer als gewollt.
„House ..." Er warf den Kopf zur Seite und suchte nach ihm. Mit beiden Händen rahmte House das jungenhafte, attraktive Gesicht ein, drehte es zu sich her und strich ihm das Haar zurück, das so eigentümlich glatt und folgsam durch seine Finger lief und seit neuestem durch die kalifornische Sonne heller glänzte. Einzelne Strähnen am Oberkopf erstrahlten beinahe weiß; er hatte es vorhin mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Sonderbarerweise stand es ihm. In der Sonne würden sie wie ein Heiligenschein reflektieren
„Ich bin hier. Es ist alles gut. Schschsch ..."
Beschwichtigend küsste er den samtigen Mund, der danach verlangte, als Chase den Hals streckte und dann unter seiner Berührung erbebte, immer noch aufgerieben. Angesichts seiner Überreizung konnte er nicht anders als seine Litanei stupide zu wiederholen und ihn zu streicheln, seine Wangenknochen, die gerunzelten, zarten Augenbrauen, die sich unter seinen Fingerspitzen glätteten. „Ich bin hier. Ich bin hier. Ich gehe nicht weg."
Heftig umarmte er ihn, presste ihn undeutlich murmelnd an sich, als würde er phantasieren. Merkwürdig. Bis vor kurzem war er ihm noch so lebendig und normal erschienen. Nein, nicht normal, das war kein adäquater Ausdruck für seinen Liebling. Überraschend schon eher, wie er gerade erneut demonstrierte. Erhöhte Temperatur konnte er nicht feststellen.
Hoffentlich hatte sein Zustand nichts mit ihrem stürmischen Aufeinandertreffen zu tun, nachdem sie drei für ihn entsetzlich endlose Wochen getrennt gewesen waren. Sein kleiner Aussie war nicht nur eine Augenweide, sondern reagierte extrem sensibel auf äußere Reize und mitunter auch außerordentlich befremdend, gelegentlich zu temperamentvoll auf alltäglich anmutende Dinge. Wie eine Bombe, die entschärft werden musste. Nicht dass er den prickelnden Sex zwischen ihnen als banal abtat, ganz und gar nicht, aber inzwischen sollte es kein Problem mehr darstellen.
Vielleicht war er zu roh gewesen. Im Überschwang der Gefühle und angesichts Chase' überwältigender und doch so natürlich wirkender Verführungskünste vergaß er sich hin und wieder.
„Wollen wir noch ein wenig ausruhen?" raunte er leise in sein Ohr, eine störrische Haarsträhne kitzelte ihn, bis er sie liebevoll in den Mund nahm und kaute. Er wurde wahnsinnig mit Chase in dieser lächerlich klaustrophobischen Zelle. „Wenn ich züchtig neben Ihnen liege und Sie in den Arm nehme und Ihnen ein Wiegenlied summe? Ich bin ein bisschen lieb zu Ihnen, okay? Sie sind ganz ruhig. Es ist alles gut, alles in Ordnung. Niemand tut Ihnen weh, und niemand schickt Sie weg."
Sein Gewicht regte ihn momentan zu sehr auf, das wollte er nicht. Chase schluchzte; die Alternative schien verlockend. House wusste, dass er ihn gerne musizieren hörte. Er tat es nicht, um sich zu provozieren oder sich und anderen zu beweisen, was für ein begnadeter Musiker er hätte sein können. Eigentlich scheute er sich, vor Publikum zu singen. Doch für Chase tat er es gerne, um die Freude in seinen Augen leuchten zu sehen, je nach Situation die Ent- oder Anspannung seiner Muskeln, sobald er für ihn spielte. Kein anderer drückte Gefühle so anschaulich mit dem Körper aus wie er. Vielleicht deshalb, weil er sie so lange hatte verstecken müssen und gelernt hatte, seine Zunge im Zaum zu halten und grundsätzlich kein großer Redner war. Da ging es ihm ähnlich wie ihm. Mittlerweile begriff er sich und seine Gründe nicht mehr, sich Chase zu verschließen und ihm in den ersten Jahren ihrer Zusammenarbeit ausschließlich mit anzüglichen Derbheiten oder Sarkasmus begegnet zu sein, die seine wahren Empfindungen des blutjungen Intensivisten gegenüber hatten bemänteln sollen. Er glaubte, dass der still beobachtende und duldende Chase ohnehin nie darauf hereingefallen war und kam sich umso heuchlerischer vor.
„M-hm."
Zwischen die feuchte Wand und Chase hievte er sich aufgrund des kranken Beines etwas linkisch, nachdem er ihn auf die Seite gedreht hatte, und stemmte den Ellenbogen auf. Seinen Blick einfangend, wandte der Junge den Kopf über die Schulter, fixierte ihn bittend.
„Sind Sie ... da?"
„Ich gehe nicht weg", beteuerte er. Es tat weh, ihn so zu sehen, so ängstlich und klein, wo er doch eben noch so anders, so kühn agiert hatte und so vertrauensvoll. „Nicht einmal, wenn Sie mich darum auf Knien anflehen. Sie haben mich mit einem Bann belegt."
Meditativ ließ er die Finger auf seiner wie Bronze schimmernden Schulter kreisen, streichelte sie vom Schulterblatt bis zu den Schlüsselbeinen, neigte den Kopf, um den Bogen seiner Achsel zu küssen. Und intonierte brummelnd die Beatles, die für jede Lebenslage das passende Lied aus dem Ärmel geschüttelt hatten.
Close your eyes and I'll close mine
Good night Sleep tight
Now the moon begins to shine
Good night Sleep tight
Dream sweet dreams for me
Dream sweet dreams for you.
Schließlich entkrampften sich die Muskeln, das ihm zugewandte Bein zuckte unter einer Faszikulation, einem kurzen Zittern vor dem Einschlafen. Tiefe Atemzüge hoben und senkten den flachen Bauch.
„Wenn ich eine Frau wäre", murmelte Chase schlaftrunken, „würden Sie mich heiraten?"
„Ich hätte schon längst. Mit fliegenden Fahnen, wenn Sie ja gesagt hätten", antwortete er, belustigt über seine abdriftenden Gedanken, mit denen er durch die Pforte mit der Überschrift Roberts Traumland einkehrte, in das er ihm gerne gefolgt wäre statt in sein eigenes. Die Vorstellung, ihn in seine Träume zu begleiten, war reizvoll. Herauszufinden, wie es dahinter aussah, ob duftende Blumenwiesen im Schlaraffenland blühten oder ein schwarzes Loch hinter dem Eingang gähnte, das ihn verschlang und aus dem er ihn ohne Zaudern retten oder mit ihm darin versinken würde. „Tausendmal lieber als eine Miss Chase. Aber eigentlich brauchen wir keinen Trauschein, oder? Auf gängige Weise gebunden zu sein, kommt mir viel zu gewöhnlich vor für uns beide. Außerdem könnten wir uns nicht den kirchlichen Segen holen. Und ich glaube, der wäre Ihnen als kleinem Messdiener wichtig."
„Mir ist egal, was andere sagen. Ich will, dass wir immer – zusammenbleiben."
Sein Wunsch ging in Erfüllung. Einer, vor dem man nicht wegrannte, wenn man Grips im Kopf hatte. Einen Moment lang glaubte er, zu träumen, und er küsste Chase auf die markante Nasenspitze, die ihn immer ein wenig an die italienische Holzpuppe erinnerte. Pinocchio und Gepetto, der dumme Schreiner, der sie geschnitzt hatte, um sie zum Leben erwecken zu lassen. Er war genauso dumm und verschossen in Chase wie der Alte in seine Kreation. Immerhin konnte er zu seiner Entschuldigung heranführen, dass Chase alles andere als hölzern war. Entzückt konstatierte er einen leichten Sonnenbrand auf seinem Nasenrücken, an dem sich die Haut ein wenig schälte. Süß sah das aus. Sachte entfernte er kleine, sich ohnehin lösende Fetzen, indem er Zungenspitze und Zähne zum Einsatz brachte.
„House", drängte Chase, keineswegs besänftigt, und wälzte sich auf die andere Seite, um ihn ansehen zu können; die Hand, die sich währenddessen auf seine Hüfte legte, war eiskalt. Überflüssigerweise krallte er die Fingerspitzen hinein, was seine Lenden erneut in Aufruhr versetzte und ihn schnaufend die Augen schließen ließ. Als er jedoch seinem schüchternen Blick begegnete, verebbte das Wohlgefühl. Seine Pupillen weiteten sich und rangen ihm etwas ab, gegen das er sich unwillkürlich wappnete, als ein frostiger Schauer über seinen Rücken fuhr. „Wenn irgendetwas passiert ... werden Sie trotzdem da sein? Oder Dinge regeln für mich?"
Die Kehle wurde ihm eng, während sein Herz schneller das Blut durch die Adern pumpte. In der hysterischen und doch seltsam monotonen Stimme, die sich so gar nicht nach Chase anhörte, schwang Angst, die offenbar schon seit längerem existierte, sowie er an die Zukunft dachte. An eine Zukunft mit ihm. „Was sollte denn passieren?"
„Manchmal habe ich-... glaube ich, dass ich bestraft werde."
Weil er laut seiner Ethik in Sünde lebte. Obwohl zuvor selbst nie interessiert am gleichen Geschlecht und daher ebenfalls mitunter befremdet von der Heftigkeit, mit der er Chase liebte, fiel es House leichter, ihre Konstellation zu akzeptieren. Seit frühester Jugend hatte er sich keine Zwänge auferlegen lassen und gegen sie rebelliert, sich seine eigene Philosophie zurechtgebogen, die ihm ein Leben zusicherte, das ihm Freiheiten gewährte und den eigenen Willen. Mit einem Lachen oder einem Reden Sie keinen Unsinn war die Sache nicht abgehakt; wahrscheinlich würde sie ihn so lange beschäftigen, bis sie wieder ihre eigenen Wege gingen. Und das schien im Augenblick der jugendlichen Schwärmerei keine Option zu sein, wenn er ihm schon durch die Blume einen Heiratsantrag machte. Von halben Sachen hielt er genauso wenig wie er von Religiosität. Und doch kam ihm gerade diese Eigenschaft zugute in ihrer unkonventionellen Beziehung.
„Sind Sie glücklich mit mir?"
„Sehr", hauchte er, House' Drosselgrube antippend, zum Brustbein und weiter hinunterfahrend und dunkel über die Rückwirkung lachend, die sich in einem wollüstigen Stöhnen äußerte, bevor er ungewohnt enthusiastisch hinzufügte: „In Ihrer Nähe zerspringe ich vor Glück. Ich habe nicht gewusst, dass es das gibt."
„Bleiben Sie ganz", mahnte er lächelnd. „Ich will nicht ein zweites Mal Ihre Scherben aufsammeln. Solange Sie glücklich sind, tun Sie nichts Falsches. Das versteht Ihr Schöpfer. Hat Er nicht das Wohl all seiner Schäfchen im Auge? Und sagen Sie nicht, dass Sie keines sind, ein blökendes flauschiges Lämmchen."
„Ich weiß nicht", antwortete er undeutlich. Überzeugt hatte ihn seine Argumentation nicht. Wenn er ehrlich war, klang sie selbst für ihn etwas lahm. Gläubige Menschen mussten sich zusammenreißen, durften nicht Gelüsten nachgeben, die laut der Heiligen Schrift unrein waren, selbst wenn sie dabei Vergnügen empfanden. „Ich verletze ein Gebot."
Sinnend kraulte er seinen Nacken. „Er verzeiht Ihnen. Ganz sicher. Sie sind was Besonderes."
„Nein", intervenierte er matt. „Nicht so wie Sie ..." Daraufhin kuschelte er sich wieder an ihn, um einzuschlafen.
Er rief seine Mutter an, die er völlig vergessen hatte. Vor lauter Sorge war sie bestimmt außer sich und spielte mit dem Gedanken, die Polizei zu informieren, wenn sie es nicht bereits getan hatte. Ihr Verhältnis zu Chase hatte in ein paar Wochen mehr Bedeutung erlangt als seines in fast fünfzig Jahren. Er tat ihr Unrecht, und war verblüfft darüber. Es hatte an ihm selbst gelegen. Nie hatte er sie wirklich an sich herankommen lassen. Vielleicht hatte er im Unterbewusstsein von Anfang an geahnt, dass sie ihn nie in ihrem Bauch hatte haben wollen und ihn nur widerwillig geboren hatte. Das Unerfreulichste jedoch war, dass er seinem Vater gegenüber posthum noch dankbar sein musste. Wäre er nicht großzügig bereit gewesen, sie trotz der Schmach, ein illegitimes Kind empfangen zu haben, zu heiraten und ihn als seinen leiblichen Sohn zu erziehen, wäre Blythe mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt worden und hätte sich möglicherweise doch zu einer Abtreibung entschlossen. Ohne John House gäbe es ihn vielleicht nicht.
Ungewollt schwanger gewordenen Patientinnen hatte er aus Prinzip kaltblütig zu einem Abort geraten, und das in weit weniger kritischen Fällen als seinem eigenen. Eingedenk dieser Tatsache schüttelte es ihn vor Grauen.
Als sie sich meldete, merkte er, wie er kurzatmig wurde, und er drückte Chase fester an sich, als würde er durch ihn die Kraft sammeln können, unbefangen mit ihr zu reden. Die neue Erkenntnis nahm ihn doch sehr mit, mehr als er gedacht hatte. Unter seiner hastigen Umarmung gab der Junge ein dumpfes Geräusch von sich, wachte jedoch nicht auf.
„Mom." Zitterte seine Stimme? Er würde es auf die Aufregung schieben, Chase unversehrt aufgestöbert zu haben. „Pfeif das Großaufgebot zurück. Robert ist bei mir."
Ein Stoßseufzer ertönte. „Gott sei Dank! Geht es ihm gut?"
„Ich denke", entgegnete er vorsichtig. Sicher konnte er es nicht sagen, und das beunruhigte ihn auf einmal über die Maßen. „Physisch fehlt ihm nichts." Als Chase sich von ihm abwenden wollte, drehte er ihn wieder zu sich her und gab neben dem Mobiltelefon leise Zischlaute von sich. Er brauchte die Wärme seines Körpers an seinem. „Ist dir irgendetwas an ihm aufgefallen in der Zeit, die er hier war? Panikattacken zum Beispiel? Absenzen?"
Denkbar war es immerhin, dass ihn der Ortswechsel verstört hatte, wenn auch unwahrscheinlich. Auf eine gewohnte Umgebung legte er nicht soviel Wert wie er. Hauptsache, die Menschen, die er kannte, waren um ihn. Sie mussten nicht einmal ausgesprochen freundlich mit ihm verkehren. Mitunter, wenn er seinen Moralischen hatte, fand es das traurig. Chase hatte es verdient, jemanden zu haben, der nett zu ihm war, seine Hingabe zu würdigen wusste. Dass er als notorischer Misanthrop sie ausgegraben und nun als Nutznießer daran teil hatte, schmeichelte ihm und ängstigte ihn zugleich.
„Er hat oft geweint. Aber ich dachte, er hat Heimweh oder trauert seiner Mutter nach. Warum fragst du? Panikattacken klingt schon sehr dramatisch. Ich glaube, es war ein Fehler, dass ich mit ihm über den Missbrauch geredet habe. Vielleicht schlägt sich das auf seine Psyche nieder. Er ist ein sehr sensibler junger Mann. Ist dir das noch nicht aufgefallen?"
Doch. Aber nicht so. Nicht so wie zu Beginn der Aufarbeitung seines Traumas. Nicht so, dass er fürchtete, sein Vertrauen zu verlieren oder Schlimmeres. Auf ihre Frage ging er nicht ein.
„Mach' dir keine Gedanken. Er ist sicher und unverletzt. Wir werden demnächst zurückkommen."
„Oh, Greg, das freut mich. Dann darf ich dich auch noch ein bisschen verwöhnen."
Nachdenklich klappte er das Gehäuse zu und betrachtete Chase, der das Gesicht an seiner Halsbeuge verborgen hatte. Sein Atem wehte leicht über seinen Bauch hinunter zur immer noch geöffneten Hose, versetzte die Härchen auf seiner Brust und der Nabelgegend in leise Schwingungen. Eigenartig, dass er so schlafen konnte. Am meisten überraschte ihn jedoch, dass er ohne Erregung und ohne die Lage zu verändern bald darauf selbst eindöste.
