Ginny wartete bis kurz nach Mitternacht. Alles schlief. Natürlich schiefen sie, morgen war ja auch ein großer Tag. Das jüngste Wealsleykind – sie selbst- würde heiraten. Oder eben auch nicht. Denn dieses jüngste Wealsleykind war gerade dabei, aus dem Fenster zu klettern. Sie trug nichts weiter bei sich, als ihren Zauberstab und das wenige an Schmuck und Geld, das sie besaß. Im nahen Ottery St. Catchapole angekommen, und somit außerhalb des Antiapparierschutzes ihres Elternhauses, apparierte sie. Nach London, genauer gesagt, zum Londoner Flughafen Heathrow. „Na endlich, ich dachte schon, du kommst nicht." Ein Mann kam ihr entgegen. Als Antwort küsste sie ihn. „Tut mir leid, aber Mum hat Ewigkeiten gebraucht, um die anderen rauszuschmeißen und Hermine hat alle halbe Stunde bei mir reingesehen, ob ich auch wirklich meinen Schönheitsschlaf kriege." Der Mann hatte inzwischen seinen Kopf in ihren Haaren vergraben, dementsprechend dumpf klang seine Stimme. „Ist okay. Aber wir sollten jetzt gehen. Unser Flugzeug geht bald und du brauchst vorher zumindest eine Zahnbürste. Meine teile ich nämlich nicht!" Damit machte er sich auf, in Richtung des Flughafengebäudes. Ginny musst lachen. Das war so typisch für ihn, so malfoyisch. „Hey, Peppermint!", rief sie im hinterher. Er drehte sich halb um. „Was ist, Chocolat?" „Leihst du mir deinen Pyjama?"
Einige Zeit später landete ihr Flugzeug in Rom. Draco trug die lederne Reisetasche, die nebst seinen Sachen auch noch einige Dinge für Ginny beherbergte, so zum Beispiel eine Zahnbürste, ein Nachthemd und eine Bluse. Beide waren furchtbar müde und checkten in das erste Hotel ein, das sie sahen. Beide schliefen in dem Moment ein, in dem ihre Köpfe die Kissen berührten.
„Ginny, bist du fertig? Ginny, komm schon, du willst doch nicht deine eigene Hochzeit verpassen." Hermine, die seit etwa fünf Minuten an Ginnys Tür klopfte, beschloss jetzt, einfach hineinzugehen. Das Zimmer war leer. Das Bett war gemacht, alles schien so wie immer. Mit dem kleinen Unterschied, dass das Brautkleid ordentlich an seinem Platz war und von der Braut, die es eigentlich anhaben sollte, jede Spur fehlte. „Ohoh, dass ist gar nicht gut." Hermine machte sich auf die Suche nach Mrs Wealsley.
Zur gleichen Zeit saß die flüchtige Braut gemeinsam mit einem plötzlich auflachenden Draco Malfoy in einem kleinen Café in Rom und frühstückte. „Was ist so lustig?" Ein bisschen Rührei fand den Weg von seinem Teller in ihren Mund. „Ich musste nur gerade an Pansy Parkinson denken, die jetzt in ihrem Brautkleid irgendwo sitzt und darauf wartet, dass ihr Bräutigam auftaucht. Nur das ihr flüchtiger Bräutigam gerade mit einer ebenfalls flüchtigen Braut in Rom frühstückt. Und könntest du jetzt mal bitte die Finger von meinem Rührei lassen?" Als Antwort lachte sie ihn an und steckte sich eine weitere Gabel voll in den Mund.
Nachdem Frühstück war dann erneut Shopping angesagt. Denn nicht nur Ginny reiste mit leichtem Gepäck, auch ihre Begleitung war nicht besonders gut ausgestattet.
In einem chaotischen Haus in England war inzwischen die Hölle los. Der sitzen gelassene Bräutigam, der die Braut eigentlich genauso wenig heiraten wollte, wie sie ihn, hatte es sich mit einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Molly Wealsley saß weinend im Zimmer ihrer Tochter. Harry Potter, Hermine Granger und sämtliche noch anwesende Wealsleykinder beschäftigten die Gäste, während Arthur Wealsley sich mit Roger Soomber, dem Vater des Bräutigams, auseinander setzte. Diese Eheschließung war von ihnen beiden über einer Flasche feinsten Brandys am Tag der Geburt von Ginny geschlossen worden. Roger und Arthur waren seit Jahren gute Freunde, auch wenn sie sich seit Rogers Umzug nach Frankreich nicht mehr so oft sahen. Rogers Sohn Damon war nach Beauxbattons gegangen und war zwei Jahre älter, als die inzwischen 18jährige Ginny. Kurze Zeit nach dem Krieg, dessen Ende jetzt anderthalb Jahre herwar, hatten sich die beiden Männer unverhofft wieder getroffen und sich bei einer Flasche Rum aus Martinique an ihr altes Versprechen erinnert. Für Ginny schien es, nach Arthurs Meinung, das beste zu sein, da sie zu dem Zeitpunkt keinen Freund zu haben schien. Und Damon brauchte, laut seinem Vater, jemandem, mit dem er sein unstetes Leben aufgeben konnte. Keiner von beiden kam auch nur auf die Idee, auch nur mal ihre Kinder zu fragen. Etwa ein Jahr lang hatten sie in Briefkontakt gestanden, um dann endlich den – unerwünschten- Hochzeitstermin ihren ungläubigen Kindern mitzuteilen. Jetzt, in diesem Moment, waren sie dabei, sich zu streiten.
„...Und deine wunderbare Tochter ist einfach abgehauen!" „Beleidige niemals meine Tochter!" „Aber das Fräulein scheint sich ja augenscheinlich zu fein für uns vorzukommen, ansonsten wäre sie jetzt hier und nicht irgendwo in der Weltgeschichte!" In diesem Moment beschloss Damon einzuschreiten. „Vater, bitte. Selbst wenn sie hier geblieben wäre hätten wir nicht geheiratet." „Was soll das heißen?" „Ganz einfach, einer von uns beiden hätte nein gesagt." „Aber ihr beiden habt euch doch so gut verstanden." Roger schien jetzt so, als hätte man ihm die Luft rausgelassen. „Richtig, wir verstehen uns gut. Aber wir sind nur Freunde. Keiner von euch hat sich auch nur einmal die Mühe gemacht uns zu fragen, was wir davon halten. Ihr beide dachtet immer nur, wie toll wir das doch finden müssten. Ich heirate eine schöne Heldin, sie heiratet einen gutaussehenden und reichen Mann. Dazu würden die Familien endlich vereint. Wisst ihr, dass Ginny seit ihrem 6. Schuljahr einen festen Freund hat? Oder dass ich seit zwei Jahren mit einer australischen Hexe liiert bin? Nein? Und warum nicht? Weil ihr nie gefragt habt. Ehrlich gesagt, ich hätte auch nicht übel Lust, einfach so abzuhauen, ein neues Leben anzufangen. Besonders, wenn ich von einem Krieg verfolgt werden würde, der mich nicht loslassen will." Damit verließ er das Zimmer.
Oben, in Ginnys Zimmer, weinte Molly immer noch, als eine Eule an das Fenster klickte, mit einem an Molly adressierten Brief.
Mum,
es tut mir leid, dass ich alles so ins Chaos gestürzt habe, aber es ging nicht anders. Ich kann nicht mehr, Mum. Ich kann Damon nicht heiraten, um Dad zu gefallen, ich liebe einen anderen. Ich kann die Atmosphäre in England nicht mehr ertragen, dieses andauernde Heldengetue. Nicht mal zum Einkaufe gehen zu können ohne von der Presse umlagert zu sein. Ich kann, ich will und ich werde auch nicht darauf verzichten, mit meinem Freund zusammen zu sein. Ja, ich habe einen Freund, seit der 6.
Ich liebe euch alle wirklich sehr, aber ich muss gehen, für mich selbst. Muss den Krieg hinter mir lassen und endlich mein eigenes Leben in Angriff nehmen.
Es tut mir leid, dass es so gehen muss. Es tut mir leid, dass ich dich zum weinen bringen musste – oh ja, ich weiß, dass du weinst.
Ich bin vielleicht nicht zu Hause, aber es geht mir dennoch gut, ich bin gesund und glücklicher als die letzten Jahre.
Ich hoffe, du bist nicht böse auf mich.
Bitte such nicht nach mir, ich werde mich melden.
Ich liebe dich.
Ginny
Am Ende des Briefes war das Papier durchnässt von Mollys Tränen. Doch diesmal waren es Tränen der Freude. Sie war so glücklich, dass es ihrer Tochter gut ging und wünschte ihr alles Glück der Welt.
Auf dem Weg nach unten begegnete sie Damon. „Ich hoffe, du nimmst es ihr nicht übel, Junge, oder? Sie mag dich wirklich, nur nicht in diesem Sinne." Damon lächelte sie an. „Ich weiß, Mrs Wealsley. Wir haben oft darüber geredet. Wenn sie nicht gegangen wäre, hätten wir die Hochzeit anders verhindert." Jetzt war Molly aber doch etwas überrascht. „Aber wieso wurde diese ganze Hochzeit den überhaupt angesetzt, wenn ihr euch gar nicht heiraten wollt?" „Vater und Mr Wealsley waren von dieser Idee so begeistert, dass sie uns einfach vor vollendete Tatsachen gestellt haben. Eigentlich wollte ich meinem Vater an dem Abend eröffnen, dass ich mich verlobt hatte, stattdessen erzählt er mir, dass er mich verlobt hat. Kurios, was?" „Ist die besagte Dame anwesend?" Er sah sie leicht erstaunt an. „Natürlich, sie wusste von Anfang an, was wir vorhatten." „Nun, worauf warten wir dann noch?" Molly begann geschäftig hin und her zu wuseln. „Wir haben eine Hochzeit zu feiern. Aber erst muss ich ein Wörtchen mit den Männern da drin reden." Damit stürmte sie ins Wohnzimmer.
„Arthur Wealsley! Was erlaubst du dir eigentlich? Willst deine eigene Tochter ohne ihre Einwilligung verheiraten! Und das unter meinem Dach! Und du, Roger Soomber, wagst das gleiche mit deinem Sohn! Genau dann, wenn er dir von seiner Verlobung erzählen will! Ihr beide werdet jetzt daraus gehen und euch bei Damon entschuldigen, ist das klar? Und danach haben wir eine Hochzeit zu feiern." „Ist Ginny denn wieder da?" Roger war so unvorsichtig, diese Frage zu stellen. Wutentbrannt wandte Molly sich ihm wieder zu. Doch diesmal war ihre Stimme gefährlich leise. „Hast du mir eben überhaupt zu gehört? Nein, Ginny ist nicht wieder da, aber dein Sohn hat immer noch eine Verlobte. Du wirst dich also gleich auch bei ihr entschuldigen und sie freundlich und warm in deiner Familie begrüßen, habe ich mich verständlich ausgedrückt?" Roger konnte nur nicken. Und so heirateten Damon Soomber und April Goldstein.
Derweil saßen Draco und Ginny in einem Flieger nach Vancouver.
Dort angekommen checkten sie in das preiswerte, aber komfortable Hotel ein, welches Draco gebucht hatte. Auch wenn es ihm nicht gefiel, ein Malfoy wusste sein Geld zusammenzuhalten. Und genau das musste er erst einmal tun, da sie beide ohne Job und ohne Wohnung dastanden. Eine Wohnung – darum würden sie sich morgen als erstes kümmern.
„Ginny?" „Mmhm?" „Bereust du es? Dass du weggegangen bist, meine ich." Als Antwort schmiegte sie sich noch enger an ihn. „Natürlich nicht. Sonst wäre ich nicht hier." Ihre Stimme klang schläfrig. Draco schlang einen Arm um sie und zum ersten Mal seit vielen Jahren hatte keiner von Beiden Alpträume.
Am nächsten Morgen machten sie sich auf die Suche nach einer Wohnung.
Und trafen auf zu große, zu kleine, zu dreckige, zu verfallene, zu teure, zu billige, zu schlecht gelegene und zu laute Wohnungen. Gegen Mittag waren sie am verzweifeln. Das heißt, Ginny war am verzweifeln, Draco zeigte keine Regung, wie immer. „Lass uns Mittagessen gehen." Ginny hatte am Ende der Straße ein kleines Café entdeckt. „In Ordnung." Plötzlich blieb Draco stehen. „Hey, Ginny, was hältst du von einer letzten Wohnung?" Die zuckte nur die Schultern. Beide gingen die vielen Treppen nach oben. Sie klingelten und ein älterer Mann öffnete ihnen. „Se kommen wegen der Wohnung? Kommen Se rein, draußen zieht's." Er führte sie durch den Flur ins Wohnzimmer. Zumindest dachten sie, es wäre das Wohnzimmer. Der Raum war bis auf einen Lehnstuhl, einen Tisch mit Teetasse und ein Buch leer. „Des is das Wohnzimmer. En hübscher Raum, wenn Se mich fragen. War natürlich schöner, als Muttern noch gelebt hat. De Aussicht ist auch ganz nett. Denn noch en Schlafzimmer und en Extrazimmer. War erst das Zimmer von unserem Jungen, dann Mutters Zimmer. Alles leer jetzt." „Wohnen Sie denn nicht mehr hier?" Ginny war etwas unheimlich zu mute. „Ne, der Junge seine Frau hat mich in son Altersheim gesteckt. Vor zwe Jahren schon. Wolln Se die Küche sehn? Die letzten Mieter haben se vollautomatisiert, so mit Spülmaschine, Mikrowelle, Waschmaschine und son Kram." „Wollen Sie die Wohnung wieder vermieten," fragte Draco, der etwas von verkaufen gelesen hatte. „Ne, verkaufen. So schnell wie möglich. So schnell wie möglich. Wenn die mitkriegen, dass die Wohnung leer ist, dann wolln se die haben. Mein Junge und seine Frau. Sehn Se sich ruhig weiter um, ich muss mich kurz setzten. Das Badezimmer ist da den Gang runter." Ginny wanderte durch die Wohnung. Draco blieb noch einen Moment bei dem alten Mann. „Se sind nich verheiratet, oder?" Draco schüttelte den Kopf. „Dann tun Se das bald, junger Mann. Sonst ist die Kleine weg. Rothaarige sind sehr gefragt in Kanada." Draco murmelte etwas vor sich hin, dass wie ‚sie will ja nicht' klang. Dann ging er seiner Freundin hinterher. „Wie findest du die Wohnung, Draco?" „Ganz ok. Vielleicht ein bisschen sehr muggle." „Mir gefällt sie irgendwie. Ich meine, sie ist nicht zu groß, gut gelegen, leise, auf dem neusten Stand und sauber." „Dann nehmen wir sie." Sie gingen zurück ins Wohnzimmer: „Wie viel wollen Sie haben?" „In Muggel- oder Zaubererwährung?" „Ähm, was wäre ihnen denn lieber?" Ginny war etwas verwirrt. „Zauberer. Und jetz mach nich so ein Gesicht, Mädel, wenn ihr keene Zauberer wärt, hättet ihr die Wohnung gar nech gefunden." „Also, wie viel jetzt?" Der Alte nannte eine verblüffend niedrige Zahl. „Sind Sie sicher, dass Sie die Wohnung zu dem Preis verkaufen wollen?" Ginny sah ihm ernsthaft ins Gesicht; sie wollte den alten Mann nicht über den Tisch ziehen. „Genz sicher, Lady. Ich hab nich mehr viel Zeit, um das Geld auszugeben und dass das der Junge kriegt ist undenkbar." „Wann können wir einziehen?" „Sofort, wenn Se wollen. Aber erst den Vertrag unterschreiben und bezahlen, sonst wirdet nix." Draco beäugte misstrauisch den Vertrag. „Kann ich den mal mitnehmen und wir treffen uns morgen Vormittag hier? Mit dem Geld, selbstverständlich." „Wie Se wolln. Um Zehne. Guten Tach noch." Sie verließen die Wohnung und gingen endlich Mittagessen.
