Prolog: Die Begegnung
Es war ein bitterer, kalter Tag als die Leichensammler die tote Frau auf ihren Wagen luden. Sie wurde von der Pest dahingerafft, wie so viele dieser Tage.
Ein Halbwüchsiger beobachtete mit Tränen überströmten Gesicht das Treiben. Er konnte nicht begreifen warum es gerade sie heimsuchen musste. Er liebte sie. Sie hatte ihn aufgezogen, ihm Heim, Nahrung und Geborgenheit gegeben. Anders als sein alter Herr; ein elender Trunkenbold von einem Schmied. Jähzornig im nüchternen Zustand. Ruhig, wenn er im Suff war.
Der Junge konnte es nicht mehr ertragen und wollte zu seiner Mutter. Er stürmte auf den Wagen zu und wollte ihren Leichnam herunterreißen. Die in schwarze Roben gehüllten Männer fingen ihn jedoch ab.
„Sie hat die Pest!", schrieen sie, doch er wollte es nicht akzeptieren. Er wollte es nicht hören. Er brüllte um kämpfte, was jedoch nichts nützte. Die Männer stießen ihn in den Schnee und er rannte davon. Weit weg. Die Straße des Dorfes hinab. Immer weiter weg. Über die verschneiten Wiesen, durch den Wald. Ohne Kleidung, Hab und Gut oder Nahrung. Er war seinem Schmerz und dem Gevatter Tod ausgeliefert. Soldaten, Hunger, die Pest, die eisige Kälte des Winters oder Wölfe – irgendeiner von ihnen würde sich schon als gnädig erweißen und ihn töten, denn er wollte sterben.
So streifte der Junge lange Zeit durchs Land. Tagelang, ohne etwas zu essen, ohne zu schlafen, frierend und völlig allein. Schließlich brach er zusammen und als er sich herumdrehte blickte er zu einen dunklen Gestalt auf. Ein Mann, hoch zu Ross, der in eine dunkle Robe gehüllt war. Unter dieser lugte ein schwarzer Harnisch hervor und auf seinem Rücken trug er einen Zweihänder. Der eisige Wind umspielte ihn.
„Bist du der Gevatter?", fragte der Junge zitternd.
„Nein.", sagte der Reiter und stieg ab. Er packte den Jungen und zog ihn hoch. Ohne ein weiteres Wort bugsierte er ihn auf seinem Pferd. Ihm war sein Leben mittlerweile so gleichgültig, dass es ihn nicht scherte, was der Reiter da tat. Er akzeptierte es einfach.
Noch auf dem Pferd des Mannes verlor er sein Bewusstsein und ein dunkler Traum verfolgte ihn. Er hörte stimmen um sich, sah Raben auf den Zinnen einer Burg … versteckt, tief im Wald.
Als er erwachte fand er sich in einem Bett wieder. Man hatte ihn mit mehreren warmen Fellen zugedeckt. Kerzen und ein prasselndes Kaminfeuer erhellten den Raum. An den Wänden hingen alte Gemälde und Jagdtrophäen. Neben dem Bett standen ein Stuhl und ein kleiner Tisch.
Wo war er?
„Hallo.", sagte eine Stimme und der Junge schreckte auf. Doch eine ruhige, kräftige Hand drückte ihn wieder auf das Bett. Es war ein Mann. Er war in sehr einfache, dunkle Kleidung gehüllt, doch an seiner Hüfte hing ein Schwert an seinem Gürtel und eine schwarze Robe bedeckte den Rest von ihm. Sein Gesicht war hart und voller Narben, dennoch ließ es jetzt einige sanfte Züge erkennen. Er hatte sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf zusammengebunden.
Der Junge brachte kein Wort heraus und blickte sein Gegenüber nur voller Furcht an.
„Wie heißt du?", fragte der Mann.
Er antwortete nicht.
„Hat die Natur dir etwa deine Zunge genommen?"
„S-Salazar.", sagte er schnell.
„Gut … Salazar. Ein seltener Name."
„Wer seid Ihr?", fragte er nun mit mehr Mut.
„Ich bin Wolfgar. Mein Schwertbruder Ragnar hat dich unweit unseres Sitzes gefunden."
„Ich … ich …" Der Junge suchte fieberhaft nach einer Erklärung für sein Auftauchen. Diese Leute waren vielleicht Ritter oder Räuber. Hätte er keine Erklärung würden sie ihn womöglich töten. Doch wollte er das nicht?
„Ich habe mich verlaufen."
„Ganz offensichtlich.", sagte Wolfgar. „Bist du vor etwas geflohen? Deine Kleidung scheint nicht auf eine Wanderschaft bei dieser Jahreszeit geschaffen zu sein. Und das nächste Dorf ist zwei Tagesmärsche von hier entfernt. Du bist ganz schön mutig, Bursche."
Wieder antwortete er nicht, doch der Mann blieb geduldig und setzte sich.
„Warum haben Sie mich mitgenommen?"
„Weil du Hilfe benötigt hast.", sagte Wolfgar. „Bleib noch etwas liegen. Du brauchst die Ruhe." Der Mann erhob sich wieder. „Ich werde dir frische Kleidung, Essen und Trinken bringen lassen. Aber bitte bleibe hier bis ich zurückkehre."
Der Junge nickte nervös und schon verschwand der Mann aus dem Raum.
Wenige Minuten später tagten die schwarzen Ritter in ihrem Burgsaal. Sie waren nicht viele dieser Tage. Dreizehn von ehemals Dreißig zählte ihre Anzahl. Ihre Schwertbrüder waren den Feinden ihrer Zunft zum Opfer gefallen.
Ihr Oberster nannte sich nur der Meister. Keiner der anderen wusste seinen wahren Namen. Einzig, dass er schon Herr über den Orden war seit sie denken konnten. Einige der Schwertbrüder waren hier geboren worden und niemand von ihnen hatte je jemand anderen am Fuße des Tisches sitzen sehen.
Der Meister hatte kurz geschorenes, dunkles Haar. Seine Gesichtszüge waren so hart, wie die jedes anderen hier, doch hatte sein auftreten etwas Unnachgiebiges und Durchdringendes. Niemand widersetzte sich ihm. Niemals. So war das Gesetz.
„Wolfgar, habt Ihr nach unserem Besucher gesehen?", fragte der Meister.
„Jawohl, Herr. Er ist wohl auf. Verängstigt und durcheinander, aber wohl auf."
„Wo ist Ragnar, Meister?", fragte ein anderer plötzlich.
„Schwerbruder Ragnar muss seine Strafe verrichten. Niemand bringt einen Fremden zur Burg. Nicht einmal ein halbtotes Kind."
Schweigen der anderen Ordensmitglieder folgte.
„Herr, Ragnar sprach von dem Jungen …", sagte ein anderer Schwertbruder. Sie alle waren besorgt. Was hatte ihren Bruder Ragnar nur dazu getrieben diesen Jungen zu ihnen zu bringen.
„Er hat es mir bereits erzählt. Er glaubt in ihm die Kräfte unsereins gespürt zu haben. Sobald sich der Junge erholt hat werde ich ihn auf die Probe stellen.", sagte der Meister.
Alle anderen nickten zustimmend.
„Sollte er wirklich derjenige sein, für den Ragnar ihn hält, hat unser Orden nach langer Zeit wieder einen Lehrling. Sollte er jedoch scheitern wird er sterben." Der Meister blickte Wolfgar tief in die Augen und dieser nickte.
„Weckt ihn bei Sonnenaufgang. Ihr wisst alle was zutun ist."
Der Meister erhob sich und alle seine Schwertbrüder taten es ihm gleich. Die Tagung war beendet und die dunklen Ritter zerstreuten sich.
Der nächste Tag würde viel Anspannung mit sich bringen, denn die Probe des Meisters war hart. Keiner von ihnen hatte sie bestanden, ohne für sein restliches Leben gezeichnet zu sein.
