A/N: Das hier ist die Übersetzung meiner Story "Harry Potter and the Return
of the Lost". Wie wohl unschwer am Titel zu erkennen, geht es hier um die
Rückkehr von Sirius Black. Die Story spielt zwischen dem fünften und
sechsten Schuljahr. Sie ist ziemlich sentimental *rotwerd*, und Action
gibt's auch nicht so sonderlich viel (kein Quidditch o. ä.). Wenn der
Schreibstil manchmal etwas holpert, liegt das höchstwahrscheinlich am
Übersetzen. Ich habe mich zwar bemüht, meinen Stil wiederzufinden, aber das
ist gar nicht so einfach... Konstruktive Kritik ist ebenso willkommen wie
überschwängliches Lob (, also im Klartext: BITTE REVIEWS SCHICKEN!!! Die
Originalstory ist längst irgendwo untergegangen, wo sie keiner mehr findet,
und keiner liest sie (
Ach ja, und sämtliche Charaktere hab ich nicht erfunden, sondern mir nur von JKR, bzw. aus diversen Mythologien ausgeliehen. Und nein, das in der Story beschriebene Ritual funktioniert garantiert nicht so. Hab's mir nämlich ausgedacht (
So, jetzt geht's aber los.
PS: Nicht wundern, ich stehe mit der Kommasetzung etwas auf Kriegsfuß...
Kapitel Eins - Wahre Freunde
"Geht es dir gut, Harry?"
"Ja, Remus."
Das war der Standarddialog durch Harrys Zimmertür. Harry ließ niemanden an sich heran. Er hatte zwar widerwillig zugestimmt, dass Lupin, Moody oder Tonks jeden zweiten Tag vorbeikamen, um sicherzugehen dass die Dursleys ihn gut (oder zumindest nicht allzu schlecht) behandelten, doch er sprach nur durch seine Tür mit ihnen.
Seit seiner Rückkehr in den Ligusterweg 4 vor zwei Wochen hatte er sein Zimmer nicht mehr verlassen, außer um ins Bad zu gehen. Und damit nahm er es auch nicht besonders genau. Seine Haare und sein Körper waren längst überfällig für eine Dusche, seine Kleider mussten dringend gewaschen werden, und auch seine Zähne hätten eine Reinigung vertragen können. Er dachte kaum daran, Hedwig jeden Morgen zu füttern, und das war auch schon alles, was er mit ihr machte - keine Streicheleinheiten, keine Briefe, die sie überbringen konnte. Seine Freunde schickten ihm zwar ständig Nachrichten, doch Harry fühlte sich nicht danach, sie zu beantworten, obwohl er wusste, dass es nicht fair war. Es war nicht ihre Schuld...
Der Schmerz hatte ihn zwei Tage nach seiner Ankunft bei den Dursleys wie ein Kanonenschlag getroffen. Er war in Ordnung gewesen, als er sich am Bahnhof King's Cross von seinen Freunden verabschiedet hatte, er hatte sich sogar darauf gefreut, sie in ein paar Wochen wiederzusehen, und Moodys Vorschlag, öfter nach ihm zu sehen, hatte ihn mit Erleichterung erfüllt. Die Dursleys waren auch nicht so gemein zu ihm wie sonst, was bedeutete, dass sie ihn in Ruhe ließen. Petunia schob ihm dreimal am Tag ohne weiteren Kommentar sein Essen durch die Katzenklappe in seiner Tür, doch Harry ließ es immer halb aufgegessen zurückgehen - wenn er überhaupt aß.
Das schlimmste war, dass er nicht weinen konnte. Er hatte seinen Paten verloren, den Menschen, den er immer mehr geliebt hatte, den Menschen, der einem Vater am nächsten kam, den Menschen, dem er bedingungslos vertrauen konnte - hatte ihn unter dramatischen und verdächtigen Umständen verloren ohne sich verabschieden zu können, und er konnte keine einzige Träne vergießen. Harry durchlebte die Szene jede Nacht in schrecklichen Albträumen, in denen er wieder im Zauberministerium war und verzweifelt versuchte, seine schlimmsten Feinde zu bekämpfen, wo er Sirius durch diesen Schleier fallen und spurlos verschwinden sah, unfähig, etwas dagegen zu tun. Was noch schlimmer war, manchmal träumte er von Sirius' Stimme, die von jenseits des Schleiers kam und seinen Namen rief, doch wenn Harry zu ihm rennen wollte, um ihn zu retten, bewegten sich seine Füße keinen Zentimeter, bis er Lupin sagen hörte, "Es ist zu spät, Harry. Er ist tot."
Aus diesen Träumen erwachte er manchmal mit einem Ruck, die Arme ausgestreckt, mit brennender Narbe, seine Augen so trocken dass es wehtat, und mit dem furchtbaren Gefühl, gleich zu ersticken. An den Klumpen in seiner Kehle, das Gefühl dass seine Eingeweide aus Blei waren und den hämmernden Kopfschmerz verschwendete er mittlerweile nicht einmal mehr einen Gedanken, denn sie waren seine ständigen Begleiter geworden. Er hatte sich daran gewöhnt. Schmerz und Trauer füllte seine Tage aus, zusammen mit einer Leere, die er nie zuvor gekannt hatte. Harry fühlte sich, als wäre er ständig von mindestens einem Dutzend Dementoren umgeben, die seine glücklichen Erinnerungen aus ihm heraussaugten. Das Gefühl, nie wieder glücklich sein zu können, war ihm nun sehr vertraut. Er hätte ebenso gut tot sein können - eigentlich wäre das gar nicht mal so schlimm, denn dann würde er Sirius vielleicht wiedersehen. Aber er war immer noch hier, ein verzweifelter junger Zauberer, der bald sechzehn wurde und der gerade zum zweiten Mal einen Vater verloren hatte.
Und zu wissen, dass es eigentlich seine Schuld war... Wenn er doch nur gemacht hätte, was Snape ihm gesagt hatte... wenn er doch nur mit Okklumentik weitergemacht hätte, wie es auch Sirius' Wunsch gewesen war... wenn er bloß nicht so ignorant gewesen wäre...
Harrys Innerstes wand sich in stiller Qual. Er lag jetzt seit sechs Stunden auf dem Rücken und starrte an die Decke, unfähig sich zu bewegen, wie er auch einen Großteil der vergangenen zwölf Tage verbracht hatte. Sein Frühstück stand noch unberührt da, wo Petunia es gelassen hatte. Harry konnte es noch nicht einmal ansehen, weil ihm dann schlecht wurde. Er war sehr blass und dünn, sein ungewaschenes, ungekämmtes Haar hing ihm fettig in den Nacken hinunter, und kleine Schweißtropfen rannen ununterbrochen über seine Stirn und Wangen. Wenn er doch nur weinen könnte, dachte er dumpf, vielleicht würde er sich dann besser fühlen. Doch seine Augen blieben genauso trocken und wund wie sie es die letzten drei Wochen gewesen waren.
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf.
"Ich bin in Ordnung", sagte er flach. "Lasst mich in Ruhe."
"Harry, bitte, willst du mich nicht reinlassen?" sagte Lupins Stimme ruhig. "Du bist seit zwei Wochen hier drinnen. Meinst du nicht, dass es Zeit ist, allmählich wieder Interesse an dem zu zeigen, was um dich herum vorgeht?"
"Wozu denn?" murmelte Harry mehr zu sich selbst. "Es gibt jetzt nichts mehr in der Welt für mich."
"Bitte, Harry." Lupins Stimme verlor nichts von ihrer Ruhe. "Du solltest mit jemandem sprechen. Du ignorierst deine Freunde, die sich Sorgen um dich machen, findest du das fair? Du kannst nicht ewig so weitermachen, weißt du..."
"Kann ich nicht?" rief Harry, der plötzlich wütend wurde. "Tja, da hast du Pech gehabt, ich kann!"
Lupin sprach wieder nach einer weiteren Pause. "Du solltest dankbar sein, dass du solche Freunde hast, Harry. Es gibt nichts wichtigeres auf der Welt als Freunde, und du bist mit wahren Freunden gesegnet. Solche findet man nicht oft. Gib sie nicht auf, solange sie noch hier sind und auf dich warten."
Harry wollte gerade losbrüllen, dass er allein gelassen werden wollte, als ihm plötzlich klar wurde, was in Lupins Kopf vorgegangen war, als er das gerade gesagt hatte. Er erkannte auch, dass Lupins Stimme bei den letzten Worten nur eine Winzigkeit davon entfernt gewesen war, zu brechen. Er schämte sich. Sein eigener Schmerz war furchtbar, aber das gab ihm nicht das Recht, Remus Lupin zu verletzen, der gerade seinen letzten wahren Freund verloren hatte, nachdem er bereits zwei andere verloren hatte, von denen einer Harrys Vater James gewesen war. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, Ron zu verlieren nachdem er Hermine, Ginny und Neville bereits verloren hätte, aber das konnte er nicht. Und doch musste sich Lupin gerade so fühlen - Harry andererseits, obwohl er einen schrecklichen Verlust hatte hinnehmen müssen, hatte immer noch all seine Freunde, denen er wichtig war, die sich um ihn sorgten...
Harry stand langsam auf und ging zur Tür. Seine Knie zitterten, da er seine Beine seit nun fast vierundzwanzig Stunden nicht mehr benutzt hatte. Er streckte eine Hand aus, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür.
Lupin schien um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Sein Haar war fast vollständig grau geworden, unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, und seine Augen, ehemals ein warmes Dunkelblau, hatten ihren üblichen Ausdruck verloren - obwohl sie immer noch freundlich und warm dreinblickten, war das Lächeln aus ihnen verschwunden. Es lag eine Trauer in ihnen, die fast spürbar war, und die Farbe schien sich, als ob ausgebleicht, zu einem helleren, leereren Blau geändert zu haben. Harry überlegte, wie das wohl möglich sein konnte.
"Es tut mir Leid, Remus", sagte er schwach.
"Ich gebe dir nicht die Schuld", sagte Lupin milde. "Wenn irgend jemand auf der Welt wenigstens eine Vorstellung davon hat, wie du dich fühlst, dann bin ich das wahrscheinlich. Ich kannte ihn am besten, weißt du... und ich habe schon einmal solch einen Verlust erlitten. Es ist die Hölle, was du gerade durchmachst, ich weiß es, und glaube mir, ich habe darum gebetet, dass das nicht geschehen soll."
Harry fühlte sich sehr schwer.
"Komm rein, Remus", sagte er und trat zur Seite, um Lupin durchzulassen. Dann schloss er die Tür und ging zurück zu seinem Bett. Lupin setzte sich auf Harrys Schreibtischstuhl.
"Ich hatte völlig vergessen, dass du ihn auch verloren hast", sagte Harry nach einigen Sekunden der Stille. Es war der erste ganze Satz den er seit zwei Wochen gesprochen hatte, und es fühlte sich ziemlich seltsam an.
Er räusperte sich.
Lupin beobachtete ihn wortlos, aber seine seltsam ausgebleichten Augen verschleierten sich leicht. "Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist", sagte Harry. Er wollte gar nicht mehr sagen, aber all die unausgesprochenen Worte regten sich nun in ihm, kamen an die Oberfläche und begannen, aus seinem Mund zu strömen. Er setzte sich gerade hin.
"Ich fühle mich, als wäre ich von Dementoren umgeben", erzählte er Lupin. ""Ein Gefühl, als ob ich nie wieder glücklich sein könnte. Jedes Mal wenn ich an Ron oder Hermine oder irgendeine andere schöne Erinnerung denken will, ist er in meinem Kopf. Ich sehe ihn fallen, Remus, immer und immer wieder, und das lässt mich alles andere vergessen. Alles woran ich denken kann ist, dass er nie wieder zurück kommt... keine Eule wird mir einen seiner kurzen Briefe bringen, und ich werde ihn nie wieder im Kamin des Gemeinschaftsraumes sehen... er wird mir nie wieder sagen, dass ich wie... wie..."
"Dass du wie James bist", sagte Lupin sanft.
"Er wird nicht in der Küche seines scheußlichen Hauses sitzen, Kreacher anbrüllen und ungeduldig darauf warten, dass er etwas tun kann, und er wird sich nicht mehr in diesen Hund verwandeln um spazieren zu gehen oder mich zum Bahnhof zu bringen..." Harry ballte die Fäuste. "Ich werde ihn nie wiedersehen... er wird nicht erfahren, ob ich meine ZAGs geschafft habe, er wird nicht sehen, wie ich erwachsen werde und was auch immer werde, er wird nicht mit meinen Freunden und mir feiern, wenn wir die Schule für immer verlassen... oh Gott, Remus, ich habe ihn so sehr geliebt und es ihm nie gesagt, und ICH KONNTE MICH NICHT EINMAL VERABSCHIEDEN!"
Harrys Stimme brach, als die Tränen, die er drei Wochen lang zurückgehalten hatte, in ihm aufstiegen, ihn fast erstickten, ihm in die Augen stiegen und endlich, endlich über sein Gesicht strömten. Er rang nach Luft und weinte mehr und mehr. Er hörte ein Poltern, als Lupin, der zu ihm stürzte, den Stuhl umwarf, auf dem er gesessen hatte. Er streckte blind die Hand aus und spürte, dass Lupin sich über ihn beugte. Harry schlang die Arme um Lupins Hals, immer noch in Atemnot wegen der Schluchzer in seiner Kehle. Er hörte, wie Lupin etwas murmelte, aber er verstand kein Wort. Bilder von Sirius wirbelten durch seinen Kopf... der Hund... die Konfrontation in der Heulenden Hütte... seine Flucht mit Seidenschnabel... nach dem Trimagischen Turnier... Weihnachten, als Sirius so glücklich gewesen war, Gesellschaft zu haben... der Traum, den Voldemort ihm geschickt hatte, um Harry in die Mysteriumsabteilung zu locken... und dann wieder dieser furchtbare Moment als Sirius durch den Schleier fiel. Da war eine Stimme in Harrys Ohren die "Nein! Nein!" schrie, aber erst nach ein paar Sekunden erkannte er, dass er es selbst war, der seinen Schmerz und seine Panik aus sich herausschrie. Lupin fiel neben Harry auf die Knie und griff nach ihm, und Harry brach hemmungslos schluchzend in Lupins Armen zusammen und wusste nichts mehr.
****
Wie lange er geweint hatte, wusste Harry nicht, aber es musste sehr lange gedauert haben, nach der Vorderseite von Lupins abgewetztem Umhang zu urteilen, die von Tränen völlig durchnässt war. Als Harrys Schluchzer endlich versiegten fühlte seine Kehle sich wund an und sein Gesicht war heiß und klebrig. Sein Herz schlug so schnell, dass Harry fürchtete, es würde jeden Moment in seiner Brust zerspringen. Er konnte kaum die Augen öffnen, und als er es schaffte, konnte er nicht klar sehen. Er umklammerte immer noch Lupins Schultern, und Lupin hielt ihn weiterhin fest, bis Harry aufsah.
Lupin gab ihm seine Brille und Harry nahm sie wortlos entgegen. Er wollte etwas sagen, irgendwas, aber ihm fiel kein einziger einfacher Satz ein. Seltsam beschämt und erleichtert zugleich setzte Harry sich hin und versuchte ein schwaches Lächeln.
"Geht es dir jetzt besser?" fragte Lupin nach einer Pause.
"Weiß nicht", nuschelte Harry.
Er zögerte, Lupin anzusehen. Obwohl sie beschlossen hatten, sich zu duzen, dachte Harry von ihm immer noch als Professor Lupin, sein Lehrer in Hogwarts, und sich in den Armen eines Lehrers die Augen auszuweinen entsprach nicht Harrys Vorstellung einer idealen Situation.
Aber einen Moment später war dieses Gefühl verschwunden. Genau wie Sirius war Lupin einer der besten Freunde seines Vaters, und unter anderen Umständen hätte Harry ihn wahrscheinlich gekannt seit er denken konnte, hätte auf seinen Knien geschaukelt und ihn "Onkel Remus" genannt.
Er atmete tief durch und wandte sich an Lupin. "Ja, Remus, es geht mir jetzt besser", sagte er. "Wenigstens ein bisschen."
Lupin lächelte traurig. "Ja, ich fürchte, mehr können wir nicht erwarten", sagte er. Eine Träne glitzerte in seinem Auge, aber er ignorierte sie. "Aber Harry, Sirius hätte gewollt, dass wir weitermachen. Besonders du. Ich bin mir sicher, er würde nicht wollen, dass wir den ganzen Tag nur herumsitzen und weinen. Natürlich brauen wir Zeit, um mit der Trauer fertig zu werden, aber wir dürfen nicht vergessen, dass da draußen ein wahrer Teufel herumläuft, und wir sind diejenigen, die ihn finden und bekämpfen und besiegen sollen. Sirius wäre nicht gern für nichts gestorben", fügte er sehr leise hinzu und Harry wusste, dass auch er mit den Tränen kämpfte. Er tat so, als ob er es nicht bemerkte und stand statt dessen auf.
"Nun gut, ich glaube ich sollte jetzt duschen", sagte er. Seine Stimme klang heiser vom Weinen, aber Lupin sah auf und lächelte schwach.
"Ich hoffte, du würdest das zuerst sagen", sagte er. "Putz dir auch die Zähne, ja? Und dann komm mit mir nach unten."
Harry überlegte, was es unten außer Dudleys neuem Wrestlingpokal oder so geben könnte, aber er nickte und ging ins Bad. Als er unter der Dusche stand, wunderte er sich, wie er es so lange ausgehalten hatte, mit niemandem zu sprechen. Er fühlte sich wirklich besser. Der Kloß in seinem Hals schien kleiner geworden zu sein.
Als er mit der Dusche fertig war, trocknete er sich mit einem Handtuch ab und putzte sich die Zähne. Als er in den Spiegel sah, bekam er einen Schreck. Das Gesicht, das ihm entgegensah, schien nicht sein eigenes zu sein. Er hatte doch nicht so viel Gewicht in nur zwei Wochen verlieren können! Sein Gesicht war sehr blass und schmal, die Haut wie altes Elfenbein, große schwarze Schatten unter seinen Augen, die in ihre Höhlen gesunken zu sein schienen, und... seine Augen! Harry zuckte zusammen und ging dann näher an den Spiegel heran. Es blieb dabei: Das ehemals klare Grün seiner Augen war zu einem leblosen Graugrün geworden, das kein bisschen mehr strahlte. Es war mehr die Farbe eines Sumpfes oder so etwas, und je länger Harry in seine eigenen Augen sah, desto mehr glaubte er, dass das kein Zufall war. Erst Lupins Augen und jetzt seine eigenen. Was war hier los?
Harry zog sich schnell an und verließ das Bad. Lupin wartete vor der Tür auf ihn.
"Na, dann lass uns mal nach unten gehen", sagte er.
"Ja..." sagte Harry zögernd. "Hör mal, Remus, ich hab da noch eine Frage..."
"Frag mich unten." Lupin schien wirklich viel daran zu liegen, dass Harry mit nach unten ins Wohnzimmer kam.
Achselzuckend gab Harry nach, und die beiden gingen die Treppe hinunter ins Wohnzimmer.
Harry schnappte nach Luft.
Die Dursleys waren nicht da, aber der Raum war voll mit mindestens zwanzig Leuten. Harry sah sich um. Er sah Mad-Eye Moody, Tonks, Kingsley Shacklebolt, Arthur und Molly Weasley, Mundungus Fletcher, Arabella Figg und Professor McGonagall. Hinter ihnen - Harrys Herz sprang in seine Kehle und schlug dort hart weiter - stand Bill Weasley, den Kopf zur Seite und den Blick nach unten gerichtet, um mit Ron, Hermine und Ginny zu sprechen, die neben ihm standen. Einige andere Hexen und Zauberer unterhielten sich in der Ecke neben dem Kamin.
"Was soll das denn werden?" fragte Harry Lupin flüsternd.
"Sie waren jeden Tag hier", antwortete Lupin genauso leise. "Sie alle wollten wissen, wie es dir geht, und ich musste sie jedes Mal wieder heimschicken, weil du dich geweigert hast, irgendwen zu sehen. Also habe ich sie benachrichtigt, während du geduscht hast. Obwohl ich sagen muss", fügte er mit einem ärgerlichen Blick auf die Harry unbekannten Leute hinzu, "ich dachte, ich hätte nur die gerufen, die dich persönlich kennen und deshalb die ersten sein sollten, die erfahren, wie die Dinge stehen."
Die anderen Hexen und Zauberer sahen Lupin an, der in ihre Richtung gestikulierte.
"Nehmt es nicht persönlich, aber ich möchte, dass ihr hier verschwindet", sagte er und lächelte entschuldigend.
Grummelnd disapparierten die anderen.
"Da ist er!" quiekte Tonks in diesem Moment, und alle anderen unterbrachen ihre Unterhaltungen. Tonks stürzte nach vorne und ergriff Harrys Hand. "Wir sind so froh, dass du wieder unter den Lebenden weilst, Harry", sagte sie fröhlich. Anscheinend hatte sie nicht bemerkt, dass ihre Wortwahl nicht ganz geglückt war, aber Harry wusste, dass sie ihn nicht verletzen wollte. Sie war ganz offensichtlich außer sich vor Freude über seine Rückkehr.
"Danke, Tonks", sagte Harry und zwang sich zu einem Grinsen.
"Harry", knurrte Moody und polterte näher. "Dachte mir, dass es dir bald besser geht... bist ein zäher Bursche. Und eins wollte ich dir schon sagen, seit... na ja, seitdem: Deine Schockzauber da drinnen waren brillant. Du solltest ernsthaft in Betracht ziehen, ein Auror zu werden."
"Danke, Mad-Eye", sagte Harry noch schwächer als zuvor und kämpfte eine weitere Tränenflut zurück, die plötzlich in ihm aufsteigen wollte, als er an seine Laufbahn nach der Schule dachte, und daran, dass Sirius sie nie miterleben würde.
Kingsley, Mundungus, Arabella, McGonagall, Bill und Arthur kamen nun alle zu Harry und schüttelten ihm die Hand. Arthur gab ihm auch einen leichten Schlag auf die Schulter und sagte leise, "Wir sehen uns später, mein Junge."
Die ganze Zeit stand Lupin dicht neben Harry, eine Hand auf seiner Schulter gelegt, genau wie Sirius es immer getan hatte, wenn er und Harry Seite an Seite gestanden waren. Die Erinnerung blieb in Harrys Kopf hängen und ließ ihn wieder hart schlucken.
"Könntet ihr jetzt bitte auch gehen?" sagte Lupin zu den anderen. "Harry braucht seine Freunde..."
"Na klar", sagte Tonks hastig, winkte Harry zu und disapparierte mit einem lauten Knall. Die anderen folgten.
Mrs Weasley kam nun endlich zu Harry durch. Sie sah ihn an, seufzte tief und sagte, "Ich wünschte ich könnte etwas tun um den Schmerz zu lindern, Harry, mein Lieber." Dann, ohne weitere Worte, zog sie ihn in eine warme, mütterliche Umarmung und ließ ihn für drei Minuten nicht mehr los.
Harry, der schon erwartet hatte, dass sie etwas in der Art tat, war beinahe überrascht, als er feststellte wie gut es tat. Genau wie bei Remus wusste er einfach, dass er Mrs Weasley bis zum bitteren Ende vertrauen konnte, und dass sie dann immer noch wie eine Tigerin für ihn und ihre Kinder kämpfen würde.
Als sie ihn endlich losließ, verließ Lupin Harrys Seite, nahm Mrs Weasley am Arm und führte sie aus dem Wohnzimmer.
****
Harry, Ron, Hermine und Ginny sahen sich an. Niemand sagte ein Wort. Eine seltsame Schüchternheit lag über der Szene, und Harry wand sich. Er sah seine Freunde an. Sie alle sahen müde und mitgenommen aus. Hermine und Ginny sahen aus, als hätten sie auch ziemlich lange geweint, ihre Augen waren klein und die Gesichter gerötet. Ron war so blass, dass es sich sogar auf seine Sommersprossen auswirkte. Als Harry in seine Augen sah, war er ziemlich sicher, dass auch ihr Blau etwas heller geworden war. Er sah zu den Mädchen. Hermines braune Augen waren definitiv anders als früher, und die von Ginny... Harry musste zugeben, dass er noch nicht oft die Gelegenheit gehabt hatte, Ginny in die Augen zu sehen. Er konnte einfach nicht sagen, ob da ein Unterschied war oder nicht.
"Dann frag mich halt", sagte Ginny so plötzlich, dass die anderen zusammenzuckten.
"Was soll ich dich fragen?" fragte Harry verwirrt. Woher wusste sie, was er dachte...?
"Was auch immer du rausfinden willst", sagte Ginny ungeduldig. "Ich schätze mal, du hast mir nicht in die Augen gesehen um mit mir zu flirten?"
"Äh..." Aus einem Grund, den er nicht genau sagen konnte, wurde Harry rot. "Ich hab nur überlegt... haben deine Augen auch die Farbe geändert?"
"Ja, haben sie", sagte Ginny leise. "Genau wie Bills und Freds und Georges und Moms und Dads, aber die Veränderung bei mir ist fast so stark wie bei Mom. Die anderen sind eigentlich eher unwesentlich. Ich denke mal, du hast die Veränderung bei Remus schon gesehen, oder?"
"Von deinen eigenen Augen mal ganz abgesehen", sagte Hermine sehr leise. Ihre Stimme klang ebenfalls heiser, und Harry drehte sich zu ihr um.
Hermine trat vor und nahm sein Gesicht in beide Hände. Harry ließ es geschehen, da er wusste, dass sie nun seine Augen genau unter die Lupe nahm. Aus dem Augenwinkel erhaschte er einen Blick auf Ron, der sich über irgend etwas zu ärgern schien.
Hermine ließ sein Gesicht los und sah zu ihm auf. Frische Tränen schimmerten in ihren Augen. "Die Veränderung in deinen Augen ist die auffälligste", sagte sie mit wackeliger Stimme. "Wenn es so weitergeht, hast du wahrscheinlich graue Augen, wenn das neue Schuljahr losgeht."
"Aber was bedeutet das?" flüsterte Harry.
Hermine überraschte ihn, indem sie ihn in eine Umarmung zog und ihm einen kleinen Kuss auf die Wange gab. "Es passiert uns allen", flüsterte sie ihm ins Ohr, "und ich glaube, ich habe gerade die Antwort gefunden."
"Was ist denn die Antwort?" fragte Harry laut. Hermine trat zurück und tauschte einen Blick mit Ron, der immer noch etwas missvergnügt dreinsah.
Hermine holte tief Luft. "Nach allem was ich sagen kann, ist die Veränderung in Harrys Augen die stärkste von allen, dicht gefolgt von der bei Remus. Die nächsten sind Ron und ich, dann Mrs Weasley, Ginny und die anderen." Sie machte eine kurze Pause.
"Also?" fragte Ron, als sie nicht weitersprach.
"Okay", sagte Hermine, und es fiel ihr sichtlich schwer weiterzusprechen, "wir alle wissen, dass die Augen der Spiegel der Seele sind. Ich kann jetzt nur vermuten, aber ich glaube, ich habe recht - Sirius' Tod hat einen kleinen Teil aller unserer Seelen getötet. Sie haben sich verändert, und deshalb ändert sich auch unsere Augenfarbe. Harrys am meisten, natürlich, weil er derjenige war, der Sirius am meisten geliebt hat. Und dann Remus, der für ihn wie ein Bruder war. Und dann, na ja, du, Ron, und ich... ich hätte es nicht gedacht, aber ich habe gemerkt, dass ich ihn auch irgendwie geliebt habe, und das musst du auch... und du, Ginny... und eure Mutter... und all die anderen. In uns allen ist etwas mit Sirius gestorben. Und deshalb, Harry", fügte sie mit fester Stimme hinzu, "solltest du uns endlich wieder in deiner Nähe erlauben. Wenn du weiterhin mit deiner Trauer alleine bleibst, stirbt vielleicht noch mehr von dir, bis du völlig leer bist. Ich nehme an, deine Augen werden in dem Maße grau, wie das passiert."
Harry hörte ihr schweigend zu. Er konnte nicht erklären, warum Hermines Worte ihn so tief bewegten. War es, weil sie auch zugegeben hatte, Sirius geliebt zu haben, wovon sie wissen musste, dass es Harry viel bedeutete? Oder war es die Ruhe, mit der sie von solch spirituellen Dingen wie der Seele gesprochen hatte, so sachlich? Harry wusste es nicht. Alles was er wusste war, dass seine Kehle wieder enger wurde.
"Es tut mir so Leid", sagte er. "Es tut mir so Leid, dass ich eure Briefe nicht beantwortet habe. Ich wusste, ihr macht euch Sorgen um mich, aber ich habe mich um gar nichts mehr gekümmert, seht ihr... Ich war gleichgültig euch gegenüber, Remus gegenüber, dem Orden gegenüber, Voldemort gegenüber... Ich lag nur auf meinem Bett und hab an ihn gedacht..."
"Wissen wir, Harry", sagte Ron, dessen Stimme bei jeder zweiten Silbe brach. "Wie glaubst du haben wir die ersten Tage danach verbracht? Wir waren bis ins Mark erschüttert... und wir konnten uns nicht einmal von ihm verabschieden."
"Konnte ich auch nicht", sagte Harry sehr leise. "Er war einfach weg, und ich habe Stunden gebraucht, um das zu erkennen. Wenn Remus mich nicht zurückgehalten hätte, wäre ich auch durch den Schleier gesprungen, hinter ihm her."
Ginnys Unterlippe zitterte. "Gott sei Dank bist du das nicht", sagte sie laut.
"Es gab eine Zeit, da war ich darüber überhaupt nicht froh", sagte Harry. "Aber das ist vorbei. Ich bin einfach nur so froh, dass ihr hier seid!"
Er breitete die Arme aus, und Ginny und Hermine warfen sich praktisch hinein. Er legte beide Arme fest um die Mädchen und schloss die Augen. Er merkte, wie Ron neben ihn trat, öffnete die Augen wieder und grinste schwach.
"Willkommen zurück, Mann", sagte Ron und gesellte sich zu der Gruppenumarmung, indem er beide Arme um Hermine legte, die so dicht bei Harry stand, dass Ron Harry ohne weiteres ebenfalls erreichen konnte.
So standen sie für eine ganze Weile, und Harry dachte über das nach, was Remus gesagt hatte: Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt als Freunde, und du bist mit wahren Freunden gesegnet.
Ja, dachte er, als er Ginny enger an seine Brust zog und den Kopf etwas zur Seite drehte, so dass Hermines buschiges Haar nicht seine Atmung beeinträchtigte, ja, er hatte wahre Freunde. Und er würde sie niemals wieder im Stich lassen. Eine Sache, die er von Sirius gelernt hatte, war, dass Freunde wichtiger waren als Familienbande, als gute Noten und sogar wichtiger als sich zu verlieben. Diese Art von Liebe, die zwischen Freunden, war eher dazu bestimmt, ein Leben lang anzuhalten, als die beste Ehe. Und er erkannte auch, als sie dort in dem langsam dunkler werdenden Wohnzimmer standen, dass er mit Hilfe von solchen Freunden sogar mit seinem Schmerz und seiner Trauer fertig werden würde. Es würde vielleicht einige Zeit dauern, aber er war entschlossen, es zu schaffen.
Er war mit wahren Freunden gesegnet.
Ach ja, und sämtliche Charaktere hab ich nicht erfunden, sondern mir nur von JKR, bzw. aus diversen Mythologien ausgeliehen. Und nein, das in der Story beschriebene Ritual funktioniert garantiert nicht so. Hab's mir nämlich ausgedacht (
So, jetzt geht's aber los.
PS: Nicht wundern, ich stehe mit der Kommasetzung etwas auf Kriegsfuß...
Kapitel Eins - Wahre Freunde
"Geht es dir gut, Harry?"
"Ja, Remus."
Das war der Standarddialog durch Harrys Zimmertür. Harry ließ niemanden an sich heran. Er hatte zwar widerwillig zugestimmt, dass Lupin, Moody oder Tonks jeden zweiten Tag vorbeikamen, um sicherzugehen dass die Dursleys ihn gut (oder zumindest nicht allzu schlecht) behandelten, doch er sprach nur durch seine Tür mit ihnen.
Seit seiner Rückkehr in den Ligusterweg 4 vor zwei Wochen hatte er sein Zimmer nicht mehr verlassen, außer um ins Bad zu gehen. Und damit nahm er es auch nicht besonders genau. Seine Haare und sein Körper waren längst überfällig für eine Dusche, seine Kleider mussten dringend gewaschen werden, und auch seine Zähne hätten eine Reinigung vertragen können. Er dachte kaum daran, Hedwig jeden Morgen zu füttern, und das war auch schon alles, was er mit ihr machte - keine Streicheleinheiten, keine Briefe, die sie überbringen konnte. Seine Freunde schickten ihm zwar ständig Nachrichten, doch Harry fühlte sich nicht danach, sie zu beantworten, obwohl er wusste, dass es nicht fair war. Es war nicht ihre Schuld...
Der Schmerz hatte ihn zwei Tage nach seiner Ankunft bei den Dursleys wie ein Kanonenschlag getroffen. Er war in Ordnung gewesen, als er sich am Bahnhof King's Cross von seinen Freunden verabschiedet hatte, er hatte sich sogar darauf gefreut, sie in ein paar Wochen wiederzusehen, und Moodys Vorschlag, öfter nach ihm zu sehen, hatte ihn mit Erleichterung erfüllt. Die Dursleys waren auch nicht so gemein zu ihm wie sonst, was bedeutete, dass sie ihn in Ruhe ließen. Petunia schob ihm dreimal am Tag ohne weiteren Kommentar sein Essen durch die Katzenklappe in seiner Tür, doch Harry ließ es immer halb aufgegessen zurückgehen - wenn er überhaupt aß.
Das schlimmste war, dass er nicht weinen konnte. Er hatte seinen Paten verloren, den Menschen, den er immer mehr geliebt hatte, den Menschen, der einem Vater am nächsten kam, den Menschen, dem er bedingungslos vertrauen konnte - hatte ihn unter dramatischen und verdächtigen Umständen verloren ohne sich verabschieden zu können, und er konnte keine einzige Träne vergießen. Harry durchlebte die Szene jede Nacht in schrecklichen Albträumen, in denen er wieder im Zauberministerium war und verzweifelt versuchte, seine schlimmsten Feinde zu bekämpfen, wo er Sirius durch diesen Schleier fallen und spurlos verschwinden sah, unfähig, etwas dagegen zu tun. Was noch schlimmer war, manchmal träumte er von Sirius' Stimme, die von jenseits des Schleiers kam und seinen Namen rief, doch wenn Harry zu ihm rennen wollte, um ihn zu retten, bewegten sich seine Füße keinen Zentimeter, bis er Lupin sagen hörte, "Es ist zu spät, Harry. Er ist tot."
Aus diesen Träumen erwachte er manchmal mit einem Ruck, die Arme ausgestreckt, mit brennender Narbe, seine Augen so trocken dass es wehtat, und mit dem furchtbaren Gefühl, gleich zu ersticken. An den Klumpen in seiner Kehle, das Gefühl dass seine Eingeweide aus Blei waren und den hämmernden Kopfschmerz verschwendete er mittlerweile nicht einmal mehr einen Gedanken, denn sie waren seine ständigen Begleiter geworden. Er hatte sich daran gewöhnt. Schmerz und Trauer füllte seine Tage aus, zusammen mit einer Leere, die er nie zuvor gekannt hatte. Harry fühlte sich, als wäre er ständig von mindestens einem Dutzend Dementoren umgeben, die seine glücklichen Erinnerungen aus ihm heraussaugten. Das Gefühl, nie wieder glücklich sein zu können, war ihm nun sehr vertraut. Er hätte ebenso gut tot sein können - eigentlich wäre das gar nicht mal so schlimm, denn dann würde er Sirius vielleicht wiedersehen. Aber er war immer noch hier, ein verzweifelter junger Zauberer, der bald sechzehn wurde und der gerade zum zweiten Mal einen Vater verloren hatte.
Und zu wissen, dass es eigentlich seine Schuld war... Wenn er doch nur gemacht hätte, was Snape ihm gesagt hatte... wenn er doch nur mit Okklumentik weitergemacht hätte, wie es auch Sirius' Wunsch gewesen war... wenn er bloß nicht so ignorant gewesen wäre...
Harrys Innerstes wand sich in stiller Qual. Er lag jetzt seit sechs Stunden auf dem Rücken und starrte an die Decke, unfähig sich zu bewegen, wie er auch einen Großteil der vergangenen zwölf Tage verbracht hatte. Sein Frühstück stand noch unberührt da, wo Petunia es gelassen hatte. Harry konnte es noch nicht einmal ansehen, weil ihm dann schlecht wurde. Er war sehr blass und dünn, sein ungewaschenes, ungekämmtes Haar hing ihm fettig in den Nacken hinunter, und kleine Schweißtropfen rannen ununterbrochen über seine Stirn und Wangen. Wenn er doch nur weinen könnte, dachte er dumpf, vielleicht würde er sich dann besser fühlen. Doch seine Augen blieben genauso trocken und wund wie sie es die letzten drei Wochen gewesen waren.
Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf.
"Ich bin in Ordnung", sagte er flach. "Lasst mich in Ruhe."
"Harry, bitte, willst du mich nicht reinlassen?" sagte Lupins Stimme ruhig. "Du bist seit zwei Wochen hier drinnen. Meinst du nicht, dass es Zeit ist, allmählich wieder Interesse an dem zu zeigen, was um dich herum vorgeht?"
"Wozu denn?" murmelte Harry mehr zu sich selbst. "Es gibt jetzt nichts mehr in der Welt für mich."
"Bitte, Harry." Lupins Stimme verlor nichts von ihrer Ruhe. "Du solltest mit jemandem sprechen. Du ignorierst deine Freunde, die sich Sorgen um dich machen, findest du das fair? Du kannst nicht ewig so weitermachen, weißt du..."
"Kann ich nicht?" rief Harry, der plötzlich wütend wurde. "Tja, da hast du Pech gehabt, ich kann!"
Lupin sprach wieder nach einer weiteren Pause. "Du solltest dankbar sein, dass du solche Freunde hast, Harry. Es gibt nichts wichtigeres auf der Welt als Freunde, und du bist mit wahren Freunden gesegnet. Solche findet man nicht oft. Gib sie nicht auf, solange sie noch hier sind und auf dich warten."
Harry wollte gerade losbrüllen, dass er allein gelassen werden wollte, als ihm plötzlich klar wurde, was in Lupins Kopf vorgegangen war, als er das gerade gesagt hatte. Er erkannte auch, dass Lupins Stimme bei den letzten Worten nur eine Winzigkeit davon entfernt gewesen war, zu brechen. Er schämte sich. Sein eigener Schmerz war furchtbar, aber das gab ihm nicht das Recht, Remus Lupin zu verletzen, der gerade seinen letzten wahren Freund verloren hatte, nachdem er bereits zwei andere verloren hatte, von denen einer Harrys Vater James gewesen war. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, Ron zu verlieren nachdem er Hermine, Ginny und Neville bereits verloren hätte, aber das konnte er nicht. Und doch musste sich Lupin gerade so fühlen - Harry andererseits, obwohl er einen schrecklichen Verlust hatte hinnehmen müssen, hatte immer noch all seine Freunde, denen er wichtig war, die sich um ihn sorgten...
Harry stand langsam auf und ging zur Tür. Seine Knie zitterten, da er seine Beine seit nun fast vierundzwanzig Stunden nicht mehr benutzt hatte. Er streckte eine Hand aus, drehte den Schlüssel und öffnete die Tür.
Lupin schien um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Sein Haar war fast vollständig grau geworden, unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, und seine Augen, ehemals ein warmes Dunkelblau, hatten ihren üblichen Ausdruck verloren - obwohl sie immer noch freundlich und warm dreinblickten, war das Lächeln aus ihnen verschwunden. Es lag eine Trauer in ihnen, die fast spürbar war, und die Farbe schien sich, als ob ausgebleicht, zu einem helleren, leereren Blau geändert zu haben. Harry überlegte, wie das wohl möglich sein konnte.
"Es tut mir Leid, Remus", sagte er schwach.
"Ich gebe dir nicht die Schuld", sagte Lupin milde. "Wenn irgend jemand auf der Welt wenigstens eine Vorstellung davon hat, wie du dich fühlst, dann bin ich das wahrscheinlich. Ich kannte ihn am besten, weißt du... und ich habe schon einmal solch einen Verlust erlitten. Es ist die Hölle, was du gerade durchmachst, ich weiß es, und glaube mir, ich habe darum gebetet, dass das nicht geschehen soll."
Harry fühlte sich sehr schwer.
"Komm rein, Remus", sagte er und trat zur Seite, um Lupin durchzulassen. Dann schloss er die Tür und ging zurück zu seinem Bett. Lupin setzte sich auf Harrys Schreibtischstuhl.
"Ich hatte völlig vergessen, dass du ihn auch verloren hast", sagte Harry nach einigen Sekunden der Stille. Es war der erste ganze Satz den er seit zwei Wochen gesprochen hatte, und es fühlte sich ziemlich seltsam an.
Er räusperte sich.
Lupin beobachtete ihn wortlos, aber seine seltsam ausgebleichten Augen verschleierten sich leicht. "Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist", sagte Harry. Er wollte gar nicht mehr sagen, aber all die unausgesprochenen Worte regten sich nun in ihm, kamen an die Oberfläche und begannen, aus seinem Mund zu strömen. Er setzte sich gerade hin.
"Ich fühle mich, als wäre ich von Dementoren umgeben", erzählte er Lupin. ""Ein Gefühl, als ob ich nie wieder glücklich sein könnte. Jedes Mal wenn ich an Ron oder Hermine oder irgendeine andere schöne Erinnerung denken will, ist er in meinem Kopf. Ich sehe ihn fallen, Remus, immer und immer wieder, und das lässt mich alles andere vergessen. Alles woran ich denken kann ist, dass er nie wieder zurück kommt... keine Eule wird mir einen seiner kurzen Briefe bringen, und ich werde ihn nie wieder im Kamin des Gemeinschaftsraumes sehen... er wird mir nie wieder sagen, dass ich wie... wie..."
"Dass du wie James bist", sagte Lupin sanft.
"Er wird nicht in der Küche seines scheußlichen Hauses sitzen, Kreacher anbrüllen und ungeduldig darauf warten, dass er etwas tun kann, und er wird sich nicht mehr in diesen Hund verwandeln um spazieren zu gehen oder mich zum Bahnhof zu bringen..." Harry ballte die Fäuste. "Ich werde ihn nie wiedersehen... er wird nicht erfahren, ob ich meine ZAGs geschafft habe, er wird nicht sehen, wie ich erwachsen werde und was auch immer werde, er wird nicht mit meinen Freunden und mir feiern, wenn wir die Schule für immer verlassen... oh Gott, Remus, ich habe ihn so sehr geliebt und es ihm nie gesagt, und ICH KONNTE MICH NICHT EINMAL VERABSCHIEDEN!"
Harrys Stimme brach, als die Tränen, die er drei Wochen lang zurückgehalten hatte, in ihm aufstiegen, ihn fast erstickten, ihm in die Augen stiegen und endlich, endlich über sein Gesicht strömten. Er rang nach Luft und weinte mehr und mehr. Er hörte ein Poltern, als Lupin, der zu ihm stürzte, den Stuhl umwarf, auf dem er gesessen hatte. Er streckte blind die Hand aus und spürte, dass Lupin sich über ihn beugte. Harry schlang die Arme um Lupins Hals, immer noch in Atemnot wegen der Schluchzer in seiner Kehle. Er hörte, wie Lupin etwas murmelte, aber er verstand kein Wort. Bilder von Sirius wirbelten durch seinen Kopf... der Hund... die Konfrontation in der Heulenden Hütte... seine Flucht mit Seidenschnabel... nach dem Trimagischen Turnier... Weihnachten, als Sirius so glücklich gewesen war, Gesellschaft zu haben... der Traum, den Voldemort ihm geschickt hatte, um Harry in die Mysteriumsabteilung zu locken... und dann wieder dieser furchtbare Moment als Sirius durch den Schleier fiel. Da war eine Stimme in Harrys Ohren die "Nein! Nein!" schrie, aber erst nach ein paar Sekunden erkannte er, dass er es selbst war, der seinen Schmerz und seine Panik aus sich herausschrie. Lupin fiel neben Harry auf die Knie und griff nach ihm, und Harry brach hemmungslos schluchzend in Lupins Armen zusammen und wusste nichts mehr.
****
Wie lange er geweint hatte, wusste Harry nicht, aber es musste sehr lange gedauert haben, nach der Vorderseite von Lupins abgewetztem Umhang zu urteilen, die von Tränen völlig durchnässt war. Als Harrys Schluchzer endlich versiegten fühlte seine Kehle sich wund an und sein Gesicht war heiß und klebrig. Sein Herz schlug so schnell, dass Harry fürchtete, es würde jeden Moment in seiner Brust zerspringen. Er konnte kaum die Augen öffnen, und als er es schaffte, konnte er nicht klar sehen. Er umklammerte immer noch Lupins Schultern, und Lupin hielt ihn weiterhin fest, bis Harry aufsah.
Lupin gab ihm seine Brille und Harry nahm sie wortlos entgegen. Er wollte etwas sagen, irgendwas, aber ihm fiel kein einziger einfacher Satz ein. Seltsam beschämt und erleichtert zugleich setzte Harry sich hin und versuchte ein schwaches Lächeln.
"Geht es dir jetzt besser?" fragte Lupin nach einer Pause.
"Weiß nicht", nuschelte Harry.
Er zögerte, Lupin anzusehen. Obwohl sie beschlossen hatten, sich zu duzen, dachte Harry von ihm immer noch als Professor Lupin, sein Lehrer in Hogwarts, und sich in den Armen eines Lehrers die Augen auszuweinen entsprach nicht Harrys Vorstellung einer idealen Situation.
Aber einen Moment später war dieses Gefühl verschwunden. Genau wie Sirius war Lupin einer der besten Freunde seines Vaters, und unter anderen Umständen hätte Harry ihn wahrscheinlich gekannt seit er denken konnte, hätte auf seinen Knien geschaukelt und ihn "Onkel Remus" genannt.
Er atmete tief durch und wandte sich an Lupin. "Ja, Remus, es geht mir jetzt besser", sagte er. "Wenigstens ein bisschen."
Lupin lächelte traurig. "Ja, ich fürchte, mehr können wir nicht erwarten", sagte er. Eine Träne glitzerte in seinem Auge, aber er ignorierte sie. "Aber Harry, Sirius hätte gewollt, dass wir weitermachen. Besonders du. Ich bin mir sicher, er würde nicht wollen, dass wir den ganzen Tag nur herumsitzen und weinen. Natürlich brauen wir Zeit, um mit der Trauer fertig zu werden, aber wir dürfen nicht vergessen, dass da draußen ein wahrer Teufel herumläuft, und wir sind diejenigen, die ihn finden und bekämpfen und besiegen sollen. Sirius wäre nicht gern für nichts gestorben", fügte er sehr leise hinzu und Harry wusste, dass auch er mit den Tränen kämpfte. Er tat so, als ob er es nicht bemerkte und stand statt dessen auf.
"Nun gut, ich glaube ich sollte jetzt duschen", sagte er. Seine Stimme klang heiser vom Weinen, aber Lupin sah auf und lächelte schwach.
"Ich hoffte, du würdest das zuerst sagen", sagte er. "Putz dir auch die Zähne, ja? Und dann komm mit mir nach unten."
Harry überlegte, was es unten außer Dudleys neuem Wrestlingpokal oder so geben könnte, aber er nickte und ging ins Bad. Als er unter der Dusche stand, wunderte er sich, wie er es so lange ausgehalten hatte, mit niemandem zu sprechen. Er fühlte sich wirklich besser. Der Kloß in seinem Hals schien kleiner geworden zu sein.
Als er mit der Dusche fertig war, trocknete er sich mit einem Handtuch ab und putzte sich die Zähne. Als er in den Spiegel sah, bekam er einen Schreck. Das Gesicht, das ihm entgegensah, schien nicht sein eigenes zu sein. Er hatte doch nicht so viel Gewicht in nur zwei Wochen verlieren können! Sein Gesicht war sehr blass und schmal, die Haut wie altes Elfenbein, große schwarze Schatten unter seinen Augen, die in ihre Höhlen gesunken zu sein schienen, und... seine Augen! Harry zuckte zusammen und ging dann näher an den Spiegel heran. Es blieb dabei: Das ehemals klare Grün seiner Augen war zu einem leblosen Graugrün geworden, das kein bisschen mehr strahlte. Es war mehr die Farbe eines Sumpfes oder so etwas, und je länger Harry in seine eigenen Augen sah, desto mehr glaubte er, dass das kein Zufall war. Erst Lupins Augen und jetzt seine eigenen. Was war hier los?
Harry zog sich schnell an und verließ das Bad. Lupin wartete vor der Tür auf ihn.
"Na, dann lass uns mal nach unten gehen", sagte er.
"Ja..." sagte Harry zögernd. "Hör mal, Remus, ich hab da noch eine Frage..."
"Frag mich unten." Lupin schien wirklich viel daran zu liegen, dass Harry mit nach unten ins Wohnzimmer kam.
Achselzuckend gab Harry nach, und die beiden gingen die Treppe hinunter ins Wohnzimmer.
Harry schnappte nach Luft.
Die Dursleys waren nicht da, aber der Raum war voll mit mindestens zwanzig Leuten. Harry sah sich um. Er sah Mad-Eye Moody, Tonks, Kingsley Shacklebolt, Arthur und Molly Weasley, Mundungus Fletcher, Arabella Figg und Professor McGonagall. Hinter ihnen - Harrys Herz sprang in seine Kehle und schlug dort hart weiter - stand Bill Weasley, den Kopf zur Seite und den Blick nach unten gerichtet, um mit Ron, Hermine und Ginny zu sprechen, die neben ihm standen. Einige andere Hexen und Zauberer unterhielten sich in der Ecke neben dem Kamin.
"Was soll das denn werden?" fragte Harry Lupin flüsternd.
"Sie waren jeden Tag hier", antwortete Lupin genauso leise. "Sie alle wollten wissen, wie es dir geht, und ich musste sie jedes Mal wieder heimschicken, weil du dich geweigert hast, irgendwen zu sehen. Also habe ich sie benachrichtigt, während du geduscht hast. Obwohl ich sagen muss", fügte er mit einem ärgerlichen Blick auf die Harry unbekannten Leute hinzu, "ich dachte, ich hätte nur die gerufen, die dich persönlich kennen und deshalb die ersten sein sollten, die erfahren, wie die Dinge stehen."
Die anderen Hexen und Zauberer sahen Lupin an, der in ihre Richtung gestikulierte.
"Nehmt es nicht persönlich, aber ich möchte, dass ihr hier verschwindet", sagte er und lächelte entschuldigend.
Grummelnd disapparierten die anderen.
"Da ist er!" quiekte Tonks in diesem Moment, und alle anderen unterbrachen ihre Unterhaltungen. Tonks stürzte nach vorne und ergriff Harrys Hand. "Wir sind so froh, dass du wieder unter den Lebenden weilst, Harry", sagte sie fröhlich. Anscheinend hatte sie nicht bemerkt, dass ihre Wortwahl nicht ganz geglückt war, aber Harry wusste, dass sie ihn nicht verletzen wollte. Sie war ganz offensichtlich außer sich vor Freude über seine Rückkehr.
"Danke, Tonks", sagte Harry und zwang sich zu einem Grinsen.
"Harry", knurrte Moody und polterte näher. "Dachte mir, dass es dir bald besser geht... bist ein zäher Bursche. Und eins wollte ich dir schon sagen, seit... na ja, seitdem: Deine Schockzauber da drinnen waren brillant. Du solltest ernsthaft in Betracht ziehen, ein Auror zu werden."
"Danke, Mad-Eye", sagte Harry noch schwächer als zuvor und kämpfte eine weitere Tränenflut zurück, die plötzlich in ihm aufsteigen wollte, als er an seine Laufbahn nach der Schule dachte, und daran, dass Sirius sie nie miterleben würde.
Kingsley, Mundungus, Arabella, McGonagall, Bill und Arthur kamen nun alle zu Harry und schüttelten ihm die Hand. Arthur gab ihm auch einen leichten Schlag auf die Schulter und sagte leise, "Wir sehen uns später, mein Junge."
Die ganze Zeit stand Lupin dicht neben Harry, eine Hand auf seiner Schulter gelegt, genau wie Sirius es immer getan hatte, wenn er und Harry Seite an Seite gestanden waren. Die Erinnerung blieb in Harrys Kopf hängen und ließ ihn wieder hart schlucken.
"Könntet ihr jetzt bitte auch gehen?" sagte Lupin zu den anderen. "Harry braucht seine Freunde..."
"Na klar", sagte Tonks hastig, winkte Harry zu und disapparierte mit einem lauten Knall. Die anderen folgten.
Mrs Weasley kam nun endlich zu Harry durch. Sie sah ihn an, seufzte tief und sagte, "Ich wünschte ich könnte etwas tun um den Schmerz zu lindern, Harry, mein Lieber." Dann, ohne weitere Worte, zog sie ihn in eine warme, mütterliche Umarmung und ließ ihn für drei Minuten nicht mehr los.
Harry, der schon erwartet hatte, dass sie etwas in der Art tat, war beinahe überrascht, als er feststellte wie gut es tat. Genau wie bei Remus wusste er einfach, dass er Mrs Weasley bis zum bitteren Ende vertrauen konnte, und dass sie dann immer noch wie eine Tigerin für ihn und ihre Kinder kämpfen würde.
Als sie ihn endlich losließ, verließ Lupin Harrys Seite, nahm Mrs Weasley am Arm und führte sie aus dem Wohnzimmer.
****
Harry, Ron, Hermine und Ginny sahen sich an. Niemand sagte ein Wort. Eine seltsame Schüchternheit lag über der Szene, und Harry wand sich. Er sah seine Freunde an. Sie alle sahen müde und mitgenommen aus. Hermine und Ginny sahen aus, als hätten sie auch ziemlich lange geweint, ihre Augen waren klein und die Gesichter gerötet. Ron war so blass, dass es sich sogar auf seine Sommersprossen auswirkte. Als Harry in seine Augen sah, war er ziemlich sicher, dass auch ihr Blau etwas heller geworden war. Er sah zu den Mädchen. Hermines braune Augen waren definitiv anders als früher, und die von Ginny... Harry musste zugeben, dass er noch nicht oft die Gelegenheit gehabt hatte, Ginny in die Augen zu sehen. Er konnte einfach nicht sagen, ob da ein Unterschied war oder nicht.
"Dann frag mich halt", sagte Ginny so plötzlich, dass die anderen zusammenzuckten.
"Was soll ich dich fragen?" fragte Harry verwirrt. Woher wusste sie, was er dachte...?
"Was auch immer du rausfinden willst", sagte Ginny ungeduldig. "Ich schätze mal, du hast mir nicht in die Augen gesehen um mit mir zu flirten?"
"Äh..." Aus einem Grund, den er nicht genau sagen konnte, wurde Harry rot. "Ich hab nur überlegt... haben deine Augen auch die Farbe geändert?"
"Ja, haben sie", sagte Ginny leise. "Genau wie Bills und Freds und Georges und Moms und Dads, aber die Veränderung bei mir ist fast so stark wie bei Mom. Die anderen sind eigentlich eher unwesentlich. Ich denke mal, du hast die Veränderung bei Remus schon gesehen, oder?"
"Von deinen eigenen Augen mal ganz abgesehen", sagte Hermine sehr leise. Ihre Stimme klang ebenfalls heiser, und Harry drehte sich zu ihr um.
Hermine trat vor und nahm sein Gesicht in beide Hände. Harry ließ es geschehen, da er wusste, dass sie nun seine Augen genau unter die Lupe nahm. Aus dem Augenwinkel erhaschte er einen Blick auf Ron, der sich über irgend etwas zu ärgern schien.
Hermine ließ sein Gesicht los und sah zu ihm auf. Frische Tränen schimmerten in ihren Augen. "Die Veränderung in deinen Augen ist die auffälligste", sagte sie mit wackeliger Stimme. "Wenn es so weitergeht, hast du wahrscheinlich graue Augen, wenn das neue Schuljahr losgeht."
"Aber was bedeutet das?" flüsterte Harry.
Hermine überraschte ihn, indem sie ihn in eine Umarmung zog und ihm einen kleinen Kuss auf die Wange gab. "Es passiert uns allen", flüsterte sie ihm ins Ohr, "und ich glaube, ich habe gerade die Antwort gefunden."
"Was ist denn die Antwort?" fragte Harry laut. Hermine trat zurück und tauschte einen Blick mit Ron, der immer noch etwas missvergnügt dreinsah.
Hermine holte tief Luft. "Nach allem was ich sagen kann, ist die Veränderung in Harrys Augen die stärkste von allen, dicht gefolgt von der bei Remus. Die nächsten sind Ron und ich, dann Mrs Weasley, Ginny und die anderen." Sie machte eine kurze Pause.
"Also?" fragte Ron, als sie nicht weitersprach.
"Okay", sagte Hermine, und es fiel ihr sichtlich schwer weiterzusprechen, "wir alle wissen, dass die Augen der Spiegel der Seele sind. Ich kann jetzt nur vermuten, aber ich glaube, ich habe recht - Sirius' Tod hat einen kleinen Teil aller unserer Seelen getötet. Sie haben sich verändert, und deshalb ändert sich auch unsere Augenfarbe. Harrys am meisten, natürlich, weil er derjenige war, der Sirius am meisten geliebt hat. Und dann Remus, der für ihn wie ein Bruder war. Und dann, na ja, du, Ron, und ich... ich hätte es nicht gedacht, aber ich habe gemerkt, dass ich ihn auch irgendwie geliebt habe, und das musst du auch... und du, Ginny... und eure Mutter... und all die anderen. In uns allen ist etwas mit Sirius gestorben. Und deshalb, Harry", fügte sie mit fester Stimme hinzu, "solltest du uns endlich wieder in deiner Nähe erlauben. Wenn du weiterhin mit deiner Trauer alleine bleibst, stirbt vielleicht noch mehr von dir, bis du völlig leer bist. Ich nehme an, deine Augen werden in dem Maße grau, wie das passiert."
Harry hörte ihr schweigend zu. Er konnte nicht erklären, warum Hermines Worte ihn so tief bewegten. War es, weil sie auch zugegeben hatte, Sirius geliebt zu haben, wovon sie wissen musste, dass es Harry viel bedeutete? Oder war es die Ruhe, mit der sie von solch spirituellen Dingen wie der Seele gesprochen hatte, so sachlich? Harry wusste es nicht. Alles was er wusste war, dass seine Kehle wieder enger wurde.
"Es tut mir so Leid", sagte er. "Es tut mir so Leid, dass ich eure Briefe nicht beantwortet habe. Ich wusste, ihr macht euch Sorgen um mich, aber ich habe mich um gar nichts mehr gekümmert, seht ihr... Ich war gleichgültig euch gegenüber, Remus gegenüber, dem Orden gegenüber, Voldemort gegenüber... Ich lag nur auf meinem Bett und hab an ihn gedacht..."
"Wissen wir, Harry", sagte Ron, dessen Stimme bei jeder zweiten Silbe brach. "Wie glaubst du haben wir die ersten Tage danach verbracht? Wir waren bis ins Mark erschüttert... und wir konnten uns nicht einmal von ihm verabschieden."
"Konnte ich auch nicht", sagte Harry sehr leise. "Er war einfach weg, und ich habe Stunden gebraucht, um das zu erkennen. Wenn Remus mich nicht zurückgehalten hätte, wäre ich auch durch den Schleier gesprungen, hinter ihm her."
Ginnys Unterlippe zitterte. "Gott sei Dank bist du das nicht", sagte sie laut.
"Es gab eine Zeit, da war ich darüber überhaupt nicht froh", sagte Harry. "Aber das ist vorbei. Ich bin einfach nur so froh, dass ihr hier seid!"
Er breitete die Arme aus, und Ginny und Hermine warfen sich praktisch hinein. Er legte beide Arme fest um die Mädchen und schloss die Augen. Er merkte, wie Ron neben ihn trat, öffnete die Augen wieder und grinste schwach.
"Willkommen zurück, Mann", sagte Ron und gesellte sich zu der Gruppenumarmung, indem er beide Arme um Hermine legte, die so dicht bei Harry stand, dass Ron Harry ohne weiteres ebenfalls erreichen konnte.
So standen sie für eine ganze Weile, und Harry dachte über das nach, was Remus gesagt hatte: Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt als Freunde, und du bist mit wahren Freunden gesegnet.
Ja, dachte er, als er Ginny enger an seine Brust zog und den Kopf etwas zur Seite drehte, so dass Hermines buschiges Haar nicht seine Atmung beeinträchtigte, ja, er hatte wahre Freunde. Und er würde sie niemals wieder im Stich lassen. Eine Sache, die er von Sirius gelernt hatte, war, dass Freunde wichtiger waren als Familienbande, als gute Noten und sogar wichtiger als sich zu verlieben. Diese Art von Liebe, die zwischen Freunden, war eher dazu bestimmt, ein Leben lang anzuhalten, als die beste Ehe. Und er erkannte auch, als sie dort in dem langsam dunkler werdenden Wohnzimmer standen, dass er mit Hilfe von solchen Freunden sogar mit seinem Schmerz und seiner Trauer fertig werden würde. Es würde vielleicht einige Zeit dauern, aber er war entschlossen, es zu schaffen.
Er war mit wahren Freunden gesegnet.
