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Setting: Story spielt nach Hogwarts zu Kriegsende. Und natürlich auf der herrlich-schrecklich magischen Insel... Ansonsten im Canon, abgesehen von Dramione, was im wahren Canon niemals existiert und das Verhalten anderer Charaktere zwangsläufig bedingt... ihr wisst, wie Dramione funktioniert. Und kein Chara-Death.

Cliff Notes: Es wird eine lange Story, und das ist auch ok ^^

Trivia: Inspiration brachte mir die Story 'God of the Lost', die leider unbeendet blieb und mittlerweile auch offline ist : Ansonsten boten großartige Ideen natürlich 'Lord of the Flies', 'Lost' und 'Cast away', weil es gute Plots sind! Ich spreche mich frei von Plagiaten, die Storylines unterscheiden sich gänzlich voneinander.

Räuber-Klausel: Bleibt fair. Respektiert meine Arbeit. Danke.

Kings of Paradise

The perspectives of palm and beach and water

drew to a point at infinity;

and always, almost visible, was the heat."

Lord of the Flies

1. Tropical Hell

Das Meer erstreckte sich vor ihr, soweit ihre verengten Augen blicken konnten. Das Grell der Mittagssonne blendete sie. In der Ferne die blaue Tiefe, zu ihren Füßen das sanfte Hellblau, wie die Farbe des wolkenlosen Himmels weit über ihr. Der Wind strich durch die feinen, langen federartigen Glieder der Palmenblätter, welche die sengende Hitze bereits gelb gefärbt hatte.

Kleine Wellen brachen sich an ihren Füßen, umspielten ihre Haut beinahe freundlich. Das Wasser war so warm wie die Luft. Ein Wetter wie aus Seide.

Strähnen umwirbelten wild ihren Kopf, aber sie merkte es kaum.

Nicht nur die Palmenblätter waren der Gewalt der Sonne ausgesetzt. Auch ihre Haare hatten bereits ihre Farbe, ihre Struktur, verändert. Gold waren die Spitzen, hell die Längen. Ihre Haut war tief gebräunt, bereits angepasst an dieses alles andere als gemäßigte Klima.

Obwohl es tropisch heiß war, fror sie innerlich. Obwohl die Geräusche fast beruhigend wirkten – der Wind, die sanfte See – dröhnte es in ihren Ohren. Das Geräusch der Palmenblätter bohrte sich praktisch in ihr Bewusstsein, war wie ein ewiger Begleiter immer da. Das, und die leise Prophezeiung, dass sie diesen Ort nie mehr verlassen würde. Und sie weinte. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen, benetzten ihre trockenen Lippen, und der unberührte weiße Sand zu ihren Füßen, legte sich nass und fest um ihre Knöchel, wie um sie zu halten.

Wie hatte es soweit kommen können, fragte sie sich verzweifelt. Dieser Postkartenausblick, der sich ihr bot, war nur eine Fassade. Wie sich die Insel doch verstellen konnte, dachte sie fast enttäuscht. Fast zornig. Denn sie wusste um die vielen Gefahren, die hier lauerten. Zwar mochten sie am Rand nicht so deutlich hervortreten, dort, wo nur der weiße Sand und die Palmen waren, wo das Meer so einladend nach ihr zu rufen schien.

Aber das Meer war gefährlich. Unter der Oberfläche tobten die Strömungen. Und tiefer lauerten die Raubtiere der See, die nicht erwarten konnten, frisches Fleisch zu schmecken. So viel wusste sie, nach ihren Ausflügen, um Fische zu fangen.

Hinter ihr erstreckte sich der tiefe Dschungel, wo die Luft praktisch stand, so reich an Feuchtigkeit, dass die vielen giftigen Pflanzen schneller wuchsen und gediehen, als dass man es mit wachem Auge überhaupt bemerken konnte.

Nichts in diesem Tropenparadies war für Menschen erdacht. Die Bäume wuchsen hoch. Zu hoch, um an die Früchte zu gelangen, zu breit, als dass man sie zum Schutz erklimmen konnte. Der Boden war überwuchert von Pflanzen, die ihre Wurzeln wie Fallstricke ausstreckten, nach allem, was sich bewegte. Und manchmal hörte sie nachts Geräusche, so unmenschlich, so uralt, dass sie voller Furcht wie gelähmt reglos in die Dunkelheit starrte, bis sich die Sonne endlich über dem Wasser erhob und die Geräusche verstummten.

Sie schauderte, denn sie wollte nicht wirklich wissen, was es war.

Und dann bückte sie sich schwerfällig, um die Hände in das seichte, warme Wasser zu halten. Das Salz brannte auf den immer frischen Kratzern und Schnitten ihrer Haut, aber sie merkte es kaum. Und mit den klaren Wellen mischte sich das Rot so leuchtend hell, dass ihr Blick sich kurz verfing.

Schnell hatte das Wasser ihre Hände gesäubert. Auf ihrer rechten Hand erkannte sie noch die Färbung, die das Blut hinterlassen hatte. Und so schnell wie das Blut sich mit dem Meer vermischte, so schnell hatte es die Strömung davongetragen. Das Wasser war wieder klar.

Und es war nicht ihr Blut gewesen.

Sie erhob sich, denn aus den Augenwinkeln war sie bereits den Schatten gewahr geworden, die mahnend über ihr schwebten und ruhelos am Himmel kreisten. Blaugeier beobachteten die Szene am Strand. Ihre purpurnen Köpfe und ihr blaues Gefieder leuchteten gegen die Sonne, aber sie schrien bereits heiser vor Gier und Erwartung. Sie rochen das frische Blut nur zu deutlich.

Alle, die sie auf der Insel gefangen waren, ob freiwillig oder nicht, ob Mensch oder Tier, erlangen ihren Instinkten. Ihrem Hunger.

Hermine wandte sich um. Das Gesicht hart, die bernsteinfarbenen Augen voller Kälte, trotz der Hitze. Das war es, was die Insel aus ihr gemacht hatte, in dieser kurzen Zeit. Sie war so unfassbar hart geworden. So schrecklich mitleidslos.

Und beinahe unbeteiligt fiel ihr Blick auf ihn, wie er zu ihren Füßen lag. Als wäre sie es nicht gewesen, die ihn niedergestreckt hatte, dabei gab es niemanden sonst. Und fast fremd wirkte der leblose Körper im Sand, während das Blut langsam versickerte. Es durchbrach die trügerische Idylle dieser Insel, und doch spiegelte es nur die wahre, raue Seite dieses Paradieses wider.

Die Geier flogen tief. Sie überlegte, ihn liegen zu lassen. Nein, sie überlegte nicht. Das war es, was sie wollte. Sie wollte ihn zurücklassen. Sie hoffte, er wäre längst tot, und wenn nicht, dass er solange bewusstlos war, dass der Hitzeschock seinen Kreislauf zum Zusammenbruch brachte, wenn die Geier dann nicht schon längst seine Organe aus seinem Leib gerissen hätten.

Aber…. Aber – die böse Genugtuung in ihrem Innern war stärker, als ihr zweitrangiger Wunsch, ihn endlich tot zu wissen. Endlich! Nach all den Wochen!

Sie wollte beinahe, dass er aufwachte – hier, am Strand. Ohne Zauberstab, ohne die Sicherheit, mit der er ihr seit zwei Monaten überlegen war.

Sie verließ das seichte Wasser, und der weiße Sand brannte wie Feuer unter ihren bloßen Füßen, aber es war ihr egal. Sie bückte sich zu ihm nieder. Nass klebten ihm die Haare in der gebräunten Stirn. Sie hatten dieselbe angepasste Bräune. Dieselben oberflächlichen Narben, die die Insel ihnen angetan hatte. Jeder grimmige Zug war aus seinem widerlichen Gesicht gewischt. Die Narbe, die sich über sein linkes Auge zog, bis zur Mitte seiner Wange, war überraschend schnell verheilt, stellte sie fest. Ihr Werk.

Sie hatte ihn höchstens dreimal gesehen, in den letzten acht Wochen. Seine Haare waren mittlerweile weiß. Die Sonne hatte sie gänzlich ausgeblichen. Teilweise waren sie kurz geschoren, teilweise etwas länger in der Stirn. Er hatte sie wohl selber geschnitten. Er trug nur noch den unteren Teil der Todesseruniform, hatte die Hosenbeine teilweise abgetrennt. Als Oberteil hatte er, wie sie, altes Leinen behelfsmäßig zusammengeflickt, trug es locker um den Körper. Seine schmächtige Figur sah anders aus, stellte sie fest. Sehnig zeichneten sich neue Muskeln unter der Kleidung ab. Es waren dieselben Muskeln, die sie bekommen hatte.

Die Insel verlangte das Äußerste von ihnen.

Hastig schob sie das schmutzige Leinen seinen Bauch empor. Vor Ehrfurcht hielten ihre Finger inne, als sie das glatte Holz aus seiner Hose ragen sah.

Sein Zauberstab. Es war wie ein wunderbarer Traum. Mit weiten Augen und vor Gier zitternden Finger ergriff sie ihn, zog ihn aus seinem Hosenbund, und erkannte, dass er ihn geflickt hatte. Scheinbar war er in der Mitte angebrochen. Er hatte ihn mit alten Bananenblättern fixiert. Sie blinzelte. Bananenblätter? Ja. Sie glaubte, sie erkannte die Blätter der Bananenstaude. Wo wuchsen Bananen, stellte ihr Verstand die hungrige Frage, aber Hermine ignorierte es zunächst.

Wieder schrie ein Vogel über ihr, und sie beschloss, ihn aus der Sonne zu holen.

Ihre Hand schloss sich um das wunderbare Holz, und sie spürte die Energie der Magie. Schwächer, als sie sich erinnerte, aber sie spürte es!

Levicorpus!", sprach ihre raue Stimme fast liebevoll den Zauber, dankbar, dass sie überhaupt einen Zauber sprechen konnte. Funken knisterten an der Spitze des Zauberstabs, aber nichts geschah. Ihr Mund öffnete sich verständnislos. „Levicporpus!", wiederholte sie deutlicher, als vorher. Erneuter Funkenregen, aber sein Körper blieb auf dem Sand liegen. „Scheiße", entfuhr es ihr, und fast spürte sie die Tränen der Verzweiflung. Wie zerstört war sein Zauberstab, wenn er nicht einmal einen simplen Bewegungszauber ausführen konnte?!

Sie schloss kurz die Augen, um sich zu beruhigen. Dann deutete sie auf seine Beine. Vielleicht war der Zauberstab stark genug, für einen schwächeren Bewegungszauber. „Wingardium Leviosa!", sagte sie fest, und tatsächlich hoben sich seine Beine vom Boden, schwebten einen halben Meter über dem Sand. Sie atmete aus. Provisorisch verstaute sie den Zauberstab zwischen den Falten des Leinens, denn sie trug noch keine Hosen. Sie war noch nicht soweit gewesen, sich anzuziehen, als sie ihn aus dem Dschungel hatte stürzen sehen! Wie ein Wahnsinniger war er Richtung Strand gehechtet. Manisch, als würde er von unsichtbaren Mächten verfolgt. Wochen hatte sie ihn nicht gesehen, aber es war ihr egal gewesen, vor was er floh. Denn es war ihr Strand. Ihr Refugium. Und er war blind vor Wahn gewesen, ihre Fallen nicht zu bemerken. Sie hatte den Sand an einigen Stellen ausgehoben, als Fallen für Tiere, die sich nachts an den Strand wagten und sich so vielleicht ein Bein brachen, aber es wirkte auch bei Menschen. Wenn sie denn nicht aufpassten, wohin sie rannten.

Sie hatte dünne, lange Späne der Bäume gespannt. Nicht sehr widerstandsfähig, aber scharf genug, um Kratzer in die Haut zu reißen. Und sie erkannte die Schnitte auf seinen Beinen. Und kaum war er gestürzt, kaum war er gefallen, kaum war er im Begriff, sich aufzurappeln, war sie hinter ihn geschlichen, ihren zuverlässigen Speer fest in der Hand, und ohne zu zögern, ohne zu fragen, was er hier tat, hatte sie ihn der Länge nach auf seinen Kopf niedersausen lassen.

Mit einem röchelnden Stöhnen war er dann vor ihr zusammengebrochen, und ein feines Rinnsal an Blut hatte begonnen, neben seinem Ohr in den Sand zu laufen. Sein Blut hatte an ihrem Speer geklebt, und abwesend hatte sie es voller Ekel mit der Hand abgewischt.

Sie hatte gewartet, hatte gelauert, ob ein möglicher Verfolger den Dschungel verlassen würde, hinter seiner Beute her – Hermine hätte den Verfolger gerne sein Festmahl bekommen lassen – aber nichts war gekommen. Der Dschungel hatte still vor ihr gelegen, wie sonst auch.

Und jetzt griff sie unter seine Arme. Er war schwer. So viel schwerer als sie, so viel größer, aber sie schleifte ihn über den Sand, seine Beine halb in der Luft. Es war eine lächerliche Pose, aber es war ihr scheißegal. Ihr Versteck war nicht weit, verborgen unter Palmen. Dort legte sie ihn ab. Sie war alleine von diesem kurzen Weg in Schweiß gebadet, und der Schatten spendete nur wenig Kälte.

Sie behielt ihn im Blick, während sie hastig in ihre alte kaputte Hose und die zu heißen Stiefel stieg. In dem Bündel aus Palmenblättern verstaute sie ihre Habseligkeiten. Allerdings nahm sie ihm das Messer ab, das er im Hosenbund trug. Sie erkannte es wieder. Dafür brauchte sie den geschliffenen Stein nicht mehr mitnehmen. Die Feuersteine nahm sie jedoch mit, so auch ihr Palmenblattkissen und die geflochtene Decke aus Spänen und Blättern, denn die Nächte waren kalt am Strand, als auch die hohle Kokosnuss, in der sie das Regenwasser sammelte.

Den Zauberstab steckte sie in ihren Hosenbund auf die linke Seite. Eine Gewohnheit, die sie beinahe vergessen hatte. Wahrscheinlich benötigte sie ihre gewonnenen Habseligkeiten nicht mehr, wegen des gewonnen Zauberstabs, aber so war es mit Gewohnheiten. Man trennte sich schwer. Das Messer steckte sie auf die rechte Seite. Sie fühlte sich wohler, wenn sie bewaffnet war. Auch ihren treuen Speer würde sie mitnehmen.

In den ersten Nächten hatte sie von ihrem Zauberstab geträumt, war weinend aufgewacht und nicht mehr eingeschlafen. Irgendwann hatte sie sich gewöhnen müssen. Es hatte nichts geholfen, einem Stück Holz nachzutrauern.

Noch immer war er bewusstlos. Seine Brust hob und senkte sich in langen Atemzügen. Er war also nicht tot. Das hatte sie auch nicht angenommen. Das Arschloch lebte noch. Sie verzog den Mund und blickte auf ihn hinab. Wie leicht es wäre, ihn jetzt zu töten. Aber es wäre zu gnädig, dachte sie bitter. Es wäre verdammt noch mal zu human, ihn zu erlösen, während sie weiterhin hier gefangen war. Sollte er ihre Rolle einnehmen, sollte er, weil er keinen weiteren Schutz hatte, als seine Haut, hier am Strand bleiben, während sie im Dschungel an den Wasserquellen und den Bananenbäumen wohnen würde!

Nach zwei Monaten betrachtete sie es, als ihr gezwungenes Zuhause. Sie lebte hier. In dieser feindlichen Umgebung, mit einem Wahnsinnigen im Wald. Aber jetzt konnte er sehen, wie er die eisigen Nächte hier verbrachte, wie er Feuer machte, ohne Zauberstab, wie er Tiere fing, ohne Magie. Wie er, verdammt noch mal, wie ein gottverfluchter Muggel leben musste. Fast musste sie lächeln über diese Ironie. Wer hätte das gedacht? Er würde nun sein, was er so sehr verabscheute, dieser widerliche Todesser vor ihr.

Aber es war nur der halbe Grund, weshalb sie ihn nicht tötete.

Sie wusste nicht, was es war, aber sie konnte nicht. Im Krieg hatte sie viele Todesser getötet, aber hier…? Er hatte sie verschont, als er sie hatte töten können. Nicht, dass sie jemals in seiner Schuld stünde! Aber alleine die Tatsache, dass ihr Verstand sehr genau wusste, dass er die Möglichkeit, sie umzubringen, hatte verstreichen lassen, störte sie.

Sie erlaubte sich das erste Mal, ihn anzusehen. Das erste Mal wirklich anzusehen.

Sie tat sich schwer, sich loszureißen, von ihrem bekannten Ort. Sie tat sich auch schwer, den Blick von ihm zu wenden. Dem einzigen anderen Menschen hier. Man verlernte Sozialisation, dachte sie. Sie sprach schon mit sich selbst, um überhaupt das Sprechen nicht zu verlernen. Deshalb sah sie ihn an. Diesen Menschen. Denn das war er schließlich unterm Strich. Er war der einzige andere Mensch in ihrer Welt. Und diese Tatsache hatte etwas so Trauriges an sich, dass sie es nicht über sich brachte, ihn umzubringen.

Aber eher würde sie sich den Leib aufschneiden und sich in den heißen Sand legen, um sich von den Blaugeiern verspeisen zu lassen, als auch nur eine Sekunde lang, mit dem Gedanken zu spielen, seine Nähe zu suchen, nur weil er ein menschliches Wesen war.

Sie hatte geglaubt, wenn sie sich denn noch einmal wiedersähen, dass es ein epischerer Kampf seien würde. Und keine Unachtsamkeit seinerseits, wegen der sie ihn fast mit Leichtigkeit außer Gefecht setzen konnte.

Er war unaufmerksam gewesen. Es schien nicht typisch für ihn, dachte sie mit gerunzelter Stirn – sofern sie denn behaupten konnte, zu wissen, was für einen Wildfremden typisch war. Vor was war er gerannt? Und je länger sie vor ihm stand, umso sicherer war sie, dass es wohl niemals zu einem Endkampf käme. Sie hassten sich beide, sie sähen sich beide lieber tot als lebendig, aber… keiner tat den letzten Schritt.

„Ich hoffe, wir sehen uns nicht mehr wieder", flüsterte sie, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Ihre Hand umfasste seinen Zauberstab in ihrem Hosenbund. „Mit Glück fressen dich die Geier." Sie schluckte schwer. Sie merkte selber, sie verabschiedete sich von ihm. Wie absurd es war! Es bedeutete alles nichts mehr. Wieso war es dann jedes Mal schwerer? Jedes Mal, wenn sie sich hier begegnet waren, war das Gefühl, ihn umbringen zu wollen, in eine immer weiter entfernte Ferne gerückt. „Malfoy." Sie sagte seinen Namen bitter, spuckte ihn praktisch aus ihrem Mund, wie das Gift einer Natter, denn es wäre das letzte Mal, dass sie ihn sagen würde. Das hoffte sie wirklich.

Denn sie wusste, warum sie ihn nicht tötete.

Sie waren beide hier. Beide gefangen auf der Insel. Und der Grund, weshalb sie sich noch nicht von der höchsten Klippe gestürzt hatte, war, dass Draco Malfoy noch lebte. Sie glaubte, sie hielten sich gegenseitig am Leben, weil… es so erträglicher war. Weil sie dem jeweils anderen die Genugtuung des eigenen Ablebens nicht gönnten.

Laut würde sie diese Gedanken niemals äußern. Diese Gedanken ängstigten sie auch. Sie riss den Blick los von seiner Gestalt, schulterte ihr Bündel, und wandte sich der See zu. Langsam zog sie den Zauberstab. Sie wusste, wäre es eine Möglichkeit, dann hätte Malfoy es längst getan. Aber sie tat es trotzdem, auch wenn sie annahm, der Zauberstab wäre nicht mehr fähig zu solch komplexer Magie.

Sie dachte an Harry. An Ron. An Ginny. Sie dachte an ihr altes Leben.

Expecto Patronum!", flüsterte sie ehrfürchtig, schwang das Stück Holz, und es knisterte, flackerte an der Spitze, und dann verstarb der Zauber. Sie hatte es sich schon gedacht. Sie würde ihren Patronus nicht schicken können. Wahrscheinlich so oder so nicht. Die Insel ließ sie nicht entkommen.

Grimmig drehte sie sich um, kehrte dem Strand den Rücken zu, und lautlos verschwand sie auf den verschlungenen Dschungelpfaden, die ihr bis nahe seines Territoriums vertraut waren. Sie wusste, wo er sein Versteck hatte. Sollten die wilden Bestien ruhig kommen. Sollte das weiße Monster, von dessen Anwesenheit sie wusste, ruhig ihren Weg verfolgen. Zweimal hatte sie es bereits versteckt zwischen den tiefen Ästen kauern sehen. Es jagte nicht, es schien zu beobachten. Weder Mensch, noch Tier. Sie umfasste den Zauberstab fester, voller Zuversicht. Sie würde genug Schaden anrichten können.

Sein Schädel dröhnte, sein Nacken schmerzte, und sein Mund war staubtrocken. Er blinzelte, und sein Blick klärte sich. Über sich erkannte er Palmenblätter, die sich ruhig im Wind bewegten. Strand. Strand, er war am Strand, erinnerte er sich. Er war geflohen vor –

Er setzte sich mit einem Ruck auf, und wünschte, er hätte es nicht getan. „Scheiße", stöhnte er, presste sich die Hände flach vor sein Gesicht, während der Kopfschmerz unerträglich wurde. Ein Gackern ließ ihn aufschrecken. „Biest!", krächzte er, griff blind nach einem Stein neben sich und schleuderte ihn dem Geier entgegen, der ihn hungrig, mit schief gelegtem Kopf, betrachtet hatte, wohl versucht hatte, zu erkennen, ob er bereits totes Fleisch wäre. Mit lauten Flügelschlägen und enttäuschtem Gackern erhob sich der Vogel in die Lüfte.

Draco rieb sich den Hinterkopf, und spürte eine massive Beule sowie zähes getrocknetes Blut. „Miststück", flüsterte er, als ihm klar wurde, dass sie ihn attackiert haben –

Mit blinder Erkenntnis griffen seine Hände sofort an seinen Hosenbund. Er schloss die Augen. Natürlich. Er sah sich um, aber natürlich hatte er nichts verloren. Sie hatte seinen Zauberstab und sein Messer mitgenommen. Er war unbewaffnet.

Er wollte sich aufrappeln, aber unter Schmerzen verzog er das Gesicht. Sein Blick fiel auf seine Beine. Zwei tiefe Schnitte zogen sich über beide Schienbeine.

Er würde sie umbringen! Zwar hatte er sich das schon öfter geschworen, aber dieses Mal meinte er es ernst.

Mit Glück hatte das Monster sie bereits gefunden. Er hasste das Monster.

Er sah sich um. Doch er war allein. Das weiße Monster war nicht mehr hinter ihm her. Er runzelte wütend die Stirn. Fast war es, als hätte ihn das Monster mit Absicht hierher geführt. Als würde es dem Schlammblut in die Hände spielen. Aber er lebte noch. Sollte es darum gehen, ihn umzubringen, hatte der Plan nicht funktioniert.

Für eine Sekunde fragte er sich, ob sie Mitleid mit ihm gehabt hatte oder ob sie komplett unfähig gewesen war.

Sein Zauberstab war angeknackst, aber sie hätte ihm durchaus Schmerzen zufügen können. Auch das Messer war hervorragend dazu geeignet, zu töten.

Das musste bedeuten, sie hatte ihn verschont.

Entnervt atmete er aus. Er ertappte sich dabei, dass er sich fast wünschte, sie hätte ihn umgebracht. Nur fast.

Und er brauchte ihre Gnade nicht.

Wie oft wollten sie einander verschonen, fragte er sich fast zornig. Einer von ihnen sollte verdammt noch mal endlich den Mut haben, den anderen umzubringen.

Er rieb sich die Augen. Er brauchte einen Plan. Er würde nicht hier bleiben. Konnte er auch nicht. Er musste zurück. Er war sich nicht sicher, ob sie sein Versteck finden würde. Er traute es ihr nicht zu.

Erschöpft fiel er zurück. Sein Körper schmerzte zu sehr. Wieso hatte sie ihn nicht am Strand liegen lassen, fragte er sich dumpf. Dort hätten ihn die Geier bestimmt schon gerissen, nahm er an. Aber er lebte noch.

Lange atmete er aus. Genug. Er hatte genug davon.

Und wahrscheinlich brauchte er nicht viel mehr tun, als zu warten. Er war in ihre Fallen gelaufen, und sie würde mit Sicherheit in seine stürzen. Der Unterschied war nur, seine Falle verursachte wesentlich mehr Schaden, als Kratzer auf den Schienbeinen.

Er musste nicht einmal besonders viel Aufwand betreiben, um seinen Zauberstab zurückzuholen. Nicht, dass er ihn wirklich noch brauchte, aber… sie war wesentlich gefährlicher mit einem Zauberstab, als er es war. Diese Tatsache leugnete er nicht.

Er sollte ihr folgen, überlegte er und wollte aufstehen. Er schloss die Augen, als die Schmerzen stärker wurden. Er musste sich nur kurz ausruhen.

Mit Glück hatte sie sich das Genick gebrochen, wenn er kam. Es würde einiges einfacher machen.

Und wenn sie noch lebte…-

Leer blickten seine Augen empor. Das Grell des Himmels schmerzte seinen Sehnerv. Wenn sie noch lebte, dann….

Er konnte nicht einmal abstrakt darüber nachdenken, was man mit einem Schlammblut tun sollte, außer es umzubringen – was er auch schon nicht tat! Er hatte genügend Gelegenheiten gehabt, und sie lebte immer noch! Gemütlich am Strand. Baute Fallen, schlemmte Austern – oder was auch immer sie tat. Wahrscheinlich dasselbe wie er. Sie überlebte. Auf einer Insel, von der es kein Entkommen gab.

Zornig atmete er aus. Sie hätte ihn umbringen sollen, als er noch bewusstlos gewesen war. Jetzt würde sie dazu keine Chance mehr bekommen.

Zwar lag er auf dem Rücken, und die Schmerzen in seinem Schädel brachten ihn um, aber Draco spürte das freudlose Lächeln auf seinen Zügen.

Niemals hätte er geglaubt, verdammt dazu zu sein, die letzten Jahre seines Lebens – sollte er überhaupt so lange überleben – auf einer einsamen Insel fristen zu müssen. Mit einem Schlammblut als einzigem menschlichen Kontakt.

Er wusste nicht, wie lange es noch dauern würde. Er sehnte sich kaum nach dem Tod, aber… die Alternativen waren nicht besser. Sie lenkten ihn lediglich ab, von der bitteren Erkenntnis, dass er nie mehr nach Hause kommen würde.

Rache lenkte ihn ab. Und Rache war, was ihn davon abhielt, die Augen zu schließen und auf sein Schicksal zu warten. Rache war alles.

Und es würde reichen müssen, bis einer von ihnen endlich vor Erschöpfung starb….

Er bemerkte nicht, wie sie im Türrahmen stand und ihn beobachtete. Erst als sie sprach, hob sich sein Blick von der Karte. „Harry", flüsterte sie seinen Namen voller Verständnis. „Du musst schlafen", fuhr sie sanft fort, stellte sich hinter ihn und ihre schlanken Hände legten sich auf seine angespannten Schultern.

„Ich kann nicht schlafen", erwiderte er kopfschüttelnd, während sein Blick wieder auf die Blätter vor sich fiel, wieder auf die Konstellationen, auf die vielen magischen Orte dieser Welt, die er nicht kannte und nicht zu erreichen wusste.

„Harry-", begann sie wieder, voller Empathie, aber er sah sie an.

„-Gin, sie ist da draußen", flüsterte er, den Blick glasig, und Müdigkeit stach hinter seinen Lidern. Er zog die Brille von der Nase, warf sie auf die Karte und legte kurz die Handflächen über seine Augen. Ginny massierte seine Schultern.

„Ich weiß", murmelte sie verzweifelt. „Ich weiß, Harry, aber es hilft nichts. Mach morgen weiter. Du musst dich ausruhen."

„Du verstehst nicht", erwiderte er gepresst und nahm die Hände von seinem Gesicht. „Gin, sie ist da mit ihm! Mit ihm!", wiederholte er, und Abscheu und Hass schüttelten ihn praktisch. „Allein!", ergänzte er drängender. Ginny sah ihn erschüttert an. „Und sie hat keinen Zauberstab! Sie hat gar nichts." Harry spürte die Tränen. „Sie ist irgendwo verschollen und mit keinem Aufspürzauber in unserer Welt zu finden!", fuhr er angestrengt fort, und Ginny nickte.

„Ich weiß, Harry", flüsterte sie wieder.

„Ihr habt euch abgefunden", bemerkte Harry. „Ich weiß, ihr glaubt, sie ist längst tot-"

„-Harry, das stimmt nicht!", rechtfertigte sie sich entrüstet. „Das glaube ich nicht! Ich-"

„-wieso ist es euch dann so verdammt egal?!", schrie er sie jetzt an, und Ginny zuckte vor ihm zurück. Tränen traten in ihre Augen.

„Es ist mir nicht egal!", informierte sie ihn mit beschlagener Stimme. „Aber wir können nichts tun, Harry", erinnerte sie ihn tonlos. „Gar nichts! Wir sind nicht Dumbledore, wir sind nicht Snape!" Harry biss die Zähne fest zusammen. „Wir haben keine Ahnung von diesen Zaubern, und McGonagall liegt im magischen Koma, und ich kenne niemanden sonst, der wissen könnte, wo in Merlins Namen Hermine ist!", schloss sie zitternd. „Ich kenne keinen Zauber, mit dem man einen Portschlüssel umwandelt, in ein… in ein… magisches Gefängnis, oder was auch immer es ist! Hermine hat den Fluch stumm gesprochen, der den Portschlüssel zerstören sollte – und weiß Merlin, was sie für einen Fluch benutzt hat! Wir haben es hunderttausendmal diskutiert, Harry!" Sie weinte viele Tränen. „Ihr Zauberstab ist zerbrochen. Es gibt nichts, womit wir sie finden können!"

„Es muss irgendetwas gewesen sein, von dem sie dachte, dass es einen Portschlüssel unschädlich macht!", griff er ihre Worte auf, niemals müde, immer wieder und wieder davon anzufangen. Ginny schloss verzweifelt die Augen. „Aber es hat nicht funktioniert. Der Portschlüssel blieb intakt. Und das ist der einzige Hinweis, Gin!", sagte er fest. „Der einzige!"

„Harry", begann sie wieder, die Stimme schwer vor Trauer und müde vor Erschöpfung. „Wir werden sie finden. Wenn sie lebt, werden wir sie finden. Aber nicht mehr heute Nacht. Die Sonne geht schon auf", bedeutete sie ihm, mit einer verzweifelten Geste aus dem Fenster. Langsam färbte sich der Himmel rosa.

„Falls sie lebt. Falls dieses Arschloch sie nicht getötet hat", flüsterte er, und sein Atem ging flacher.

„Harry", sagte sie wieder kopfschüttelnd, „so schnell lässt sich Hermine nicht töten", wagte sie zu sagen, griff nach seiner Hand, und er ließ sich aus dem unbequemen Stuhl ziehen. „Du und Ron, ihr braucht Ruhe. Es hilft keinem etwas, wenn ihr vor Erschöpfung umfallt. Erst recht nicht Hermine."

Fest umschloss er Ginnys Hand. Er musste sie finden. Er musste Hermine finden! Denn er konnte sie nicht verlieren. Er konnte sie nicht im Stich lassen, wo immer sie gerade war. Wenn er aufgab, dann hätte er sich damit abgefunden, dass sie tot war. Und er wusste, das war sie nicht! Er spürte es, tief in seinem Innern.

Vielleicht war es Wunschdenken, aber… er war sicher, sie lebte. Und sie dachte an ihn und Ron und Ginny. Und er hoffte, sie wäre stark genug. Nur noch eine Weile länger.

Sie beherrschte seine wachen Gedanken, und wenn er träumte, dann träumte er von Portschlüsseln und verborgenen Wäldern. Und solange er sich damit auseinandersetzte, solange musste er nicht an die vielen Beisetzungen denken. An Dumbledore und Snape, an Remus und Tonks. An Fred. An Dean. An Cho. An all diejenigen, die für ihn in den letzten Monaten gekämpft hatten und gestorben waren.

Denn sie hatten diesen Krieg gewonnen. Vor zwei Monaten. Mit letzter Kraft.

Aber es kam ihm nicht so vor.

Und das Ministerium rannte ihm das Haus ein, überhäufte ihn mit der Zukunft, Projekten, Vorschlägen, wie sie Hogwarts wieder aufbauen könnten, das Ministerium – wie er einer von ihnen sein sollte, ein Krieger unter den Auroren, wie er Entscheidungen treffen sollte, über wusste Merlin was!

Er wollte Hermine zurück. Sein Leben war vor zwei Monaten stehen geblieben. Denn wie Sirius war Hermine einfach verschwunden. Fort. Wie durch den Vorhang geglitten, aber dieses Mal würde Harry nicht daneben stehen!

Dieses Mal würde er handeln. Und wenn er jeden magischen Stein einzeln umdrehen, jedes Land auf jeder Karte – magisch oder nicht – bereisen musste, in jeder Hütte, jedem Haus, jedem Zelt nach ihr suchen müsste – und wäre der Schlüssel eine Träne auf dem Grunde des Ozeans, dann würde Harry nicht aufhören zu suchen. Egal, welche Aufgabe es war, welche Hürde – er würde sie bezwingen.

Denn es gab nichts Schlimmeres, als auch nur eine Sekunde zu vergessen. Und er würde Hermine nicht vergessen. Er würde sie zurückholen, aus welcher Hölle auch immer! Aus welcher Hölle auch immer….