1. Kapitel

Recognize the feelings...

Der Mond schickte seinen weißen Strahlen auf die Erde und mit milchigen Fingern tastete er durch die Fenster der Xavier-Mutantenschule bis hin zum Bett eines Mädchens, das gerade in diesem Moment mit einem Schrei aus dem Schlaf hochfuhr. Keuchend blieb sie sitzen und blickte hektisch umher. Sie konnte sich jetzt schon nicht mehr an ihren Traum erinnern, aber sie wusste, dass es ein Albtraum gewesen war. Und sie ahnte, wovon er gehandelt hatte...

„Kim? Ist alles in Ordnung?" Piotr „Peter" Rasputin stand in der Tür und sah sie fragend an. Kim Lachance fuhr sich mit der Hand durchs Haar, seufzte und blickte hoch zu Peter. Bei seinem Anblick errötete sie. Er stand dort mit nacktem Oberkörper!

„J-Ja, alles in Ordnung! Nur ein Albtraum..." Sie wünschte, er würde wieder gehen. Er sah so verdammt heiß aus... Was waren es für Dämonen, die ihr solche Gedanken in den Kopf setzten?

„Wieder von Alcatraz?" Ihre Gebete wurden nicht erhört, denn Peter kam ins Zimmer und setzte sich auf ihre Bettkante. „Du machst dir zu viele Gedanken! Es ist ja jetzt vorbei..."

„Nein, nicht von Alcatraz, Peter...", log sie. „Nur ein normaler Albtraum halt..." Sie warf ihm einen Blick zu, der ihn eigentlich vergraulen sollte. Stattdessen sagte er wohl eher: „Du bist das heißeste Geschöpf auf dieser Erde!", denn Peter zog nur eine Augenbraue hoch und blieb sitzen.

„Hey, was geht denn hier? Ihr bleibt doch wohl anständig?" Kim sah zur Tür. Dort stand Ororo Monroe, besser bekannt als Storm, im Nachthemd und blickte missbilligend. Kim wurde feuerrot, aber versuchte zu lächeln.

„Ich mach schon nicht! Keine Sorge!", sagte sie und rückte ein Stück von Peter weg. Storm grinste.

„Ich mache mir auch eher Sorgen darüber, ob Peter sich in Gegenwart eines leichtbekleideten Mädchens beherrschen kann...", sagte sie und setzte ihr Kontrollrunde fort. Peter zog eine Grimasse.

„Ich gehe besser. Ich wünsche dir noch eine angenehme Nacht!" Er deutete eine Nicken an und zog die Tür hinter sich zu. Mit einem Seufzer ließ Kim sich in ihre Kissen zurückfallen. Sein Akzent war einfach unverschämt sexy...

Die Sonne ging im Osten auf und tauchte Westchester, das wie gemalt vor Eleanor ausgebreitet lag, in ein warmes Licht. Es war ein erhabender und wunderschöner Anblick, aber die 17-jährige spürte nur Kälte. Ihre Hände krallte sie so fest um das Balkongeländer, dass ihre Knöchel weiß hervorstanden. Ihr glattes, braunes Haar fiel ihr ins tränenverschmierte Gesicht und ihr Mund fühlte sich wie mit Schleifpapier bearbeitet an. Sie konnte nicht fassen, dass er tot war. Sie biss sich auf die Lippe bis sie Blut schmeckte. Dabei hatte sie sich doch geschworen nicht mehr zu weinen. Sechs Monate war sein Tod nun her und doch hatte sie jeden Tag darauf gewartet, dass er in der Auffahrt der Schule stehen würde um sie zu holen, damit sie endlich zusammen sein konnten. Warum musste er sterben? Warum? Sie hatten nicht einmal seine Leiche gefunden. Und das alles nur wegen dieser dummen Schlampe. Jean Grey. Wenn sie nicht schon längst tot wäre... Der Hass überwältigte Eleanor. Jean war an allem Schuld. Warum war ihr denn keine Rache vergönnt?

„PASS AUF!" Ein riesiger Felsbrocken raste genau auf Caitlin zu. Das Mädchen versuchte sich zu ducken und warf sich zu Boden. Der Fels verfehlte sie nur um Zentimeter. Mit klopfendem Herzen blieb sie liegen.

„Was war das denn?" Logan, oder Wolverine, kam mit schnellen Schritten auf sie zu und zog sie hoch. Caitlin schnappte nach Luft. Um sie herum verwandelte sich der „Gefahrenraum" wieder in seine Ursprungsform zurück.

„Tut mir Leid!", murmelte das 17 Jahre alte Mädchen. „Ich habe einen Moment nicht aufgepasst!" Logan nahm das keinesfalls als Entschuldigung an.

„Die Disziplin heißt Gefahrenlauf, nicht Ruh dich aus! Was ist denn heute los mit euch?" Er schüttelte den Kopf und sah seine Schüler enttäuscht an. Bobby Drake versuchte ihn nicht anzusehen und da war er nicht der einzige. Die Schüler wussten, dass sie es heute wirklich vermasselt hatten. Das unangenehme Schweigen wurde durch das Geräusch der öffnenden Gefahrenraumtür unterbrochen. Angel stand im Türrahmen und sah schuldbewusst drein.

„Tut mir Leid, Logan, wenn ich euch unterbreche!", rief er und betrat den Gefahrenraum.

„Macht nichts, Warren. Wir sind fertig für heute. Was ist denn los?" Logan zog seine Handschuhe aus und steckte sie in die hintere Hosentasche.

„Ich muss mit Caitlin sprechen, äh..." Angel wurde rot. „Also Storm und ich müssen mit ihr reden und deswegen, na ja..." Er brach ab und sah hilfesuchend zu Caitlin. Logan schmunzelte.

„Ja, dann nimm sie mit!" Er wandte sich noch einmal an Caitlin. „Obwohl du eigentlich noch eine Extratrainingseinheit verdient hättest!"

Caitlin nickte und rannte zur Tür. Angel lächelte sie an und gemeinsam verließen sie den Gefahrenraum.

„Puh! Danke, dass du mich daraus geholt hast. Logan hätte mir fast den Kopf abgerissen!" Caitlin grinste.

„Was hast du denn gemacht?", wollte Angel wissen.

„Ach, ich weiß auch nicht. Ich konnte mich heute nicht so wirklich konzentrieren. Vielleicht sollte ich tatsächlich ein paar Extrastunden machen..."

„Bloß nicht! Dann seh ich dich ja noch seltener!" Angel wurde rot wie eine Tomate. „Ich meine, dann hast du ja noch weniger Freizeit..." Er beschleunigt seinen Schritt. Caitlin grinste in sich hinein. Warren war echt süß...

Bobby Drake war zum ersten Mal in seinem Leben wirklich kalt. Und das, obwohl er doch Iceman war. Irgendwie passte das nicht zusammen. Und das alles nur wegen ihr. Er konnte sie nicht ansehen ohne, dass ihm ein eisiger Schauer den Rücken hinunter lief. Eleanor. Wie sie wieder abseits stand und gegen eine Wand starrte. Seit der Sache auf Alcatraz war sie nun so. Sprach nicht, aß kaum und war generell nie in der Schule zu sehen. Die meiste Zeit verbrachte sie auf ihrem Zimmer oder außerhalb des Gebäudes.

Bobby wusste, dass Eleanor sich liebend gern an Jean rächen würde. Aber sie hatte keine Gelegenheit dazu bekommen. Ihre Rache würde auf ewig unverübt bleiben. Bobby seufzte. Wie sollte er es ihr nur sagen? Sollte er es ihr überhaupt sagen? Und wie würde sie reagieren?

„Iceman? Hey, Iceman! Wach auf, Junge!" Logan sah ihn strafend an und Bobby wurde langsam wieder klar, wo er eigentlich war.

„Entschuldigung!"

Logan stöhnte.

„Das habe ich heute schon zu oft gehört. Raus! Alle raus hier! Ich habe keinen Bock mehr auf euch. Kommt wieder, wenn ihr die ganze Sache ein bisschen ernster nehmt!" Er deutete zur Tür. Mit hängenden Köpfen schlichen die Schüler aus dem Gefahrenraum. Heute war ein schlechter Tag für sie.

Auf dem Weg zum Lift ging sie vor ihm. Ihr braunes Haar wippte bei jedem Schritt und fiel seidig auf ihre Schultern hinab. Bobby schüttelte den Kopf. Er wollte sie nicht noch trauriger machen, indem er ihr die Wahrheit sagte. Und doch wusste er, dass es nur ihr gutes Recht war. Schließlich hatte er John niedergeschlagen bevor Alcatraz durch Phoenix zerstört worden war. Wie sollte er ihr denn sagen, dass er ihn nicht gerettet hatte. Dass er Schuld an Johns Tod war. An dem Tod ihres Mannes.