Sämtliche Namen, die in den folgenden vier Kapiteln auftauchen werden, gehören Blizzard als Entwickler des Spieles Diablo II sowie der Erweiterung Lord of Destruction. Mir gehört lediglich die Idee. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass mir sowohl Tyrael als auch Deckard Cain allerhöchst suspekt sind.

Mephisto, Herr des Hasses

Unruhig tigerte Mephisto, Herr des Hasses, auf und ab. Er war besorgt – eine vollkommen neue Empfindung für ihn, zumal er den Körper eines Sterblichen noch nicht lange besaß.

Dennoch – im Normalfall war er der Verursacher von Sorgen, nicht Derjenige, der sie empfand.

Seine Unruhe übertrug sich auf die ihn umgebenden Blutfürsten, er konnte sie hin und her rauschen hören, immer wieder Feuernovaen ausstoßend. Auch sie spürten die Veränderung nahen.

Der Hohe Rat der verderbten Zakarum in der Tempelstadt Travincal war vernichtet worden – von einer Amazone, einer Frau.

Ismael Übelhand, der schnellste seiner Diener im Angriff, war nicht mehr.

Ebenso Geleb Flammenfinger, seine ausgesprochen mächtige Flammenhydra hatte auch ihn nicht vor der Vernichtung bewahren können.

Auch Toorc Eisfausts Existenz war trotz seiner klirrenden Kältezauber ein Ende gesetzt worden.

Von den niederen Ratsmitgliedern ganz zu schweigen.

Mephisto hatte ihre Todesschreie gespürt, hatte gespürt, wie sie mit ihrem letzten Atem die unverschämte Amazone verfluchten und ihn, den Herrn des Hasses, priesen.

Die Vernichtung des Hohen Rates war zwar bedauerlich und kam auch seinen Plänen nicht gerade entgegen, dennoch verblasste dieses Ereignis zur Bedeutungslosigkeit, als ihm klar wurde, dass diese verfluchte Kriegerin Khalims Willen erneut erschaffen hatte.

Khalim.

Mephisto spuckte aus.

Khalim.

Der Einzige aus dem Orden der Zakarum, der sich nicht von der Macht hatte blenden lassen, die der Herr des Hasses dem Orden bot. Der einzige Zakarum, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Erstaunlicherweise hatte Khalim es bis zum Anführer des Hohen Rates der Zakarum gebracht. Natürlich war er vernichtet worden, so wie alles vernichtet wurde, das sich dem Geringsten der Drei Großen Übel in den Weg stellte. Dennoch hatte sein Opfer ihn geheiligt, hatte ihn zu einer Waffe gegen Mephisto geformt. Erfreulicherweise war sein Nachfolger Sankekur weniger blind gewesen, was seine Möglichkeiten des Widerstandes anging. Als Sankekur die ungeheure Macht Mephistos spürte, bot er seinen Körper freiwillig dem Großen Übel dar.

Mephisto lachte leise, dennoch hallte der Klang schauerlich von den Wänden des Kerker des Hasses, wie die Sterblichen seine Residenz nannten, wider.

Ja, Sankekur war der grenzenlosen Macht gnadenlos verfallen. Heute diente sein verderbter Leib der Verkörperung Mephistos in der Welt der Sterblichen. Einst war Sankekur ein schlanker, hochgewachsener Mensch mit edlem Gesicht gewesen. Heute, nach unzähligen Jahren, während derer sein Körper vom Herrn des Hasses missbraucht worden ist, erinnerte nichts mehr an den Sankekur von einst. Dornige Knochenfortsätze hatten sich ihren Weg ins Freie gebahnt, magische Energie flimmerte zwischen ihren Enden, verliehen Mephisto ein gleißendes, engelsgleiches Erscheinen. Jedoch – das Gesicht hinter dem Gleißen hatte nichts mit dem zeitlosen Antlitz eines Engels gemein. Hart, übersät mit Knochenplatten war es das wahre Angesicht des Großen Übels.

Viele Krieger hatten auf der Suche nach ewigem Ruhm versucht, Mephisto zu vernichten.

Jene Wenigen, Auserwählten, die den Weg durch die Sümpfe überlebten, wurden spätestens in Travincal vom Hohen Rat vernichtet.

Nicht so diese Amazone. Irgendetwas war anders an ihr. Mephisto konnte sie fühlen, wie sie ihm immer näher kam.

Besorgniserregend, ja, aber noch nicht bedrohlich.

Die Hypnotische Kugel sicherte noch immer den Weg zu seinem Heiligtum, es gab nichts, was sie vernichten konnte – nichts, außer Khalims Wille, einem alten Kultflegel, dem die Magie des Opfers Khalims innewohnte.

Und nun war Khalims Wille wieder auferstanden.

Mühsam zwang sich der Herr des Hasses zur Ruhe. Die Hypnotische Kugel sandte noch immer ihre Dunklen Strahlen aus, schuf Kreatur um Kreatur. Und sie alle dienten ihm, angefangen von den Sumpfprinzen, grüngeschuppten Kreaturen mit dornigen Stacheln und einem natürlichen Hass auf alle Menschen, bis hin zu den Zakarumiten, willenlosen Nachfahren der Zakarumpriester, welche nur ihresgleichen verschonten und alle Sterblichen vernichteten, die es wagten, sich dem Damm von Kurast und damit auch Travincal auch nur zu nähern.

Sein Schutz war allumfassend.

Und doch – die Vernichtung des Hohen Rates ging ihm nicht aus dem Kopf.

Der Hohe Rat hatte die Hypnotische Kugel beschützt, nun war sie den Attacken der Amazone ausgeliefert.

In Gedanken rief Mephisto der Obersten der Blutfürsten zu sich. Lautlos kam der Untote auf ihn zugeschwebt, die blutroten Roben schwangen in einem unwirklichen Windzug, der feuerrote Knorrenstab in seiner Hand glühte vor unterdrückte Feuermagie.

Ebenso geräuschlos befahl Mephisto dem Blutfürsten die Besten seiner Magier zum Schutz des Einganges seines Heiligtums abzubestellen. Der Untote nickte und schwebte zusammen mit fünf weiteren Blutfürsten zum Eingangsbereich der Kerker des Hasses.

Plötzlich durchfuhr ein tiefer Schmerz den Herrn des Hasses. Etwas Grundlegendes war vernichtet worden – Khalims Wille hatte die Hypnotische Kugel zerschmettert, hatte ihre Magie zurück in die böse Zwischenwelt geschleudert, aus der sie gekommen war. Nicht nur, dass die Kontrolle über seine Diener nun nicht mehr so allumfassend sein würde wie zuvor, die Zerstörung der Kugel hatte auch den Eingang zum Heiligtum Mephistos geöffnet.

Diese verfluchte Amazone hatte es tatsächlich gewagt, sie war tatsächlich gekommen, ihn zu vernichten. Ihn, den Herrn des Hasses, ihn, der überall als eines der Großen Übel gefürchtet war.

Nun, sie würde eine unangenehme Überraschung erleben.

Ebenso lautlos wie den Obersten der Blutfürsten rief Mephisto seine treuesten Diener zu sich. Einst glorreiche Krieger der Sterblichen waren Bremm Funkenfaust, Maffer Drachenhand und Wyand Todbringer nun Sklaven seines Willen. Sie würden ihn mit dem Leben verteidigen, ohne Rücksicht auf eigene Verletzungen. Nun sollten sie seine Residenz in den tiefsten Tiefen der Kerker des Hasses verteidigen. Und sie würden ihre Aufgabe gut erfüllen.

Die Amazone war tot. Sie wusste es nur noch nicht.

Mephisto lächelte kalt, die Unruhe war von ihm gewichen. Die Amazone hatte ihm schweren Schaden zugefügt und dafür würde sie büßen. Er würde ihr eigenhändig das Herz herausreißen und es vor ihren Augen zermalmen, er würde ihre Haut zur Herstellung neuer Handschuhe für seine Diener verwenden, er würde sie so vollständig vernichten, dass nichts von ihr übrig bleiben würde. Nicht umsonst war er der Herr des Hasses.

Mephisto spürte, wie seine niederen Dämonen und Untote nach und nach alle von der Amazone vernichtet wurden, er spürte, wie sie ihm immer näher kam. Wie ihre Siegesgewissheit zunahm mit jedem Meter, den sie seinen Dienern abtrotzte.

Oh ja, sie würde endlos leiden, bevor er sie endlich in die Gnade des Todes entlassen würde. Sein Hass auf sie kannte keine Grenzen mehr, als er sie endlich spürte, wie sie die schmale Treppe zu seinen privaten Arbeitsgemächern hinunterschritt. Sie war nun nur noch wenige Meter von ihm entfernt.

Hohnlachend schickte Mephisto Bremm Funkenfaust mit seinen brennenden Blitzen gegen sie. Mephisto konnte die Amazone nun sehen, der Kampf hatte sich verlagert, die blickfangenden Wände waren nun umgangen worden.

Mit widerwilligem Respekt erkannte Mephisto, dass die Frau wirklich schnell war, immer wieder wich sie den Blitzen Funkenfausts aus, verschoss stattdessen Pfeil um Pfeil. Bremms Rückenpanzer und auch seine Seiten waren von Pfeilen gespickt. Lange würde der ehemalige Menschenkrieger dies nicht durchhalten... Wütend befahl der Herr des Hasses seinen verbliebenden Blutfürsten den Angriff. Und endlich flüchtete die Frau, wich den Blitzen zwar noch immer aus, schickte jedoch keine Pfeile mehr.

Mephisto sah, wie sie ein Stadtportal beschwor und hindurchschritt in die Sicherheit Kurasts. Stadtportale waren genau wie Kurast von der Magie der Erzengel geheiligt, kein Dämon oder Untoter konnte sie durchschreiten – auch Mephisto persönlich nicht. Nun hieß es warten, warten darauf, dass die Amazone zurückkehrte und endlich starb.

Zwei Tage später kehrte sie zurück – mit einem Söldner im Schlepptau. Der Mann gehörte eindeutig nicht zu den Eisenwölfen, welche Kurast mit ihrer Elementarmagie verteidigten. Stattdessen schien er ein Mann der Wüste zu sein, dunkle Haut mit ebenso dunklen Augen hob sich von einer weißen Lederrüstung ab. Eine Dämonenlederrüstung. Erneut spürte Mephisto glühenden Hass gegen die Sterblichen, die seine Diener zu ihren eigenen Zwecken missbrauchten. Der Mann würde mindestens ebenso qualvoll sterben wie die Amazone.

Bremm Funkenfaust war noch immer aufgebracht aufgrund der Beinaheniederlage vor zwei Tagen, wütend griff er die Menschen an. Erneut verschoss die Amazone Pfeil um Pfeil, doch dieses Mal wich sie den Funkenschlägen nicht aus. Stattdessen stellte sich ihr Söldner in den Weg der gleißenden Blitze und fing sie ab. Dämonenleder. Mephisto fluchte leise, Dämonenleder war einer der wenigen Stoffe, der Elementarmagie einfach absorbierte – ein Grund für die Macht der Dämonen. Bremm registrierte ebenfalls die Nutzlosigkeit seiner Magie und griff nun mit seinen zentimeterlangen Klauen an. Der Söldner war gut, er blockte Schlag um Schlag ab, nur sehr selten schaffte ein Hieb es, seine Verteidigung zu durchbrechen und blutige Furchen im Leib des Söldners zu ziehen. Und währenddessen wurde Bremm erneut von Pfeilen gespickt.

Sie schienen vergiftet zu sein, der Dämon begann zu schwanken und fiel schließlich nieder. Ein gezielter Stich der Bardike des Söldners beendete seine unheilige Existenz.

Mephisto schrie seinen Zorn hinaus. Es war ihm gleichgültig, dass die Grundfeste seines Heiligtums unter seiner Wut erbebte, genau wie es ihm gleichgültig war, dass schwere Steine sich aus der Decke lösten und unter tosendem Lärm zu Boden fielen.

Die Amazone hatte sich mit ihrem Söldner in eine Ecke verzogen und wartete auf das Ende der Beben. Sie schien keine Angst zu haben, obwohl Mephistos Stimme bereits stärkere Menschen als sie in die Knie gezwungen hatte.

Kochend vor Wut schickte Mephisto seine Blutfürsten sowie Maffer Drachenhand und Wyand Todbringer gegen sie. Dieses Miststück sollte endlich leiden – so wie er bei jedem Tod seiner Diener litt.

Doch was sich bei Bremm Funkenfaust angedeutet hatte, fand nun sein grausames Finale. Der Söldner und die Amazone waren ein eingespieltes Team, sie hatten sich in einer Tür verschanzt. Während der Söldner seine Diener mit der Bardike auf Distanz hielt und dabei die Feuerattacken der Blutfürsten sowie die Magie der Dämonen abfing, verschoss die Amazone aus dem Hintergrund Unmengen ihrer vergifteten Pfeile. Ein Blutfürst nach dem anderen sank zu Boden, wurde dort mit gezielten Hieben vernichtet.

Schließlich standen nur noch Maffer und Wyand. Und auch sie waren am Ende, die Kraft ihrer Magie ließ nach, während sie immer wieder unter den Attacken schwankten.

Und schließlich hatte die Amazone ihr Ziel erreicht, seine treuesten Diener starben unter einem gezielten Bardikenhieb.

Nun war es vorbei mit Mephistos Selbstbeherrschung. Wütend schickte er all seine Magie gegen sie, angefangen von Giftwolken bis hin zu gleißenden Blitzen. Ihr Söldner konnte vielleicht Elementarmagie abfangen, aber gegen Gift war selbst er machtlos. Triumphierend sah der Herr des Hasses den Mann auf die Knie fallen, eine weitere Giftschwade zerstörte seine Bemühungen, sich wiederaufzurichten bereits im Ansatz. Und schließlich sah er, wie das Leben aus den Augen des dunklen Mannes wich, wie er mit einem leisen Stöhnen endgültig zu Boden fiel und sich nicht mehr bewegte.

Nun konnte er sich um die verfluchte Amazone kümmern.

Doch irgendwas stimmte nicht.

Er konnte sich nicht bewegen, seine Beine gehorchten seinen Befehlen einfach nicht. Er konnte die Amazone sehen, wie sie mit gespanntem Bogen gerade außerhalb seiner Reichweite stand. Er spürte, wie die Unruhe zurückkehrte und sich zu echter Todesangst steigerte. Zum ersten Mal in seinem langen Leben war er sich seiner Sterblichkeit mehr als nur bewusst.

Die Amazone ließ die Sehne ihres Bogens los. Mephisto sah den schimmernden Pfeil auf sich zufliegen, er sah, wie er ein Stückchen oberhalb seines Seelensteines in seine Brust eindrang und sein Gift abgab. Glauben konnte er diese Szene erst, als der Schmerz sein Gehirn erreichte, als das Gift seine Wirkung entfaltete. Er spürte das Leben aus sich fließen mit beängstigender Geschwindigkeit.

Seine Beine schienen aus Gummi zu bestehen, er begann zu schwanken, bevor er schwer zu Boden fiel.

„Du kommst zu spät!", lachte er röchelnd. „Meine Brüder sind dir entkommen!"

Das Letzte, was Mephisto, gefürchteter Herr des Hasses, sah, war das harte Gesicht der Amazone. Keinerlei Emotionen spiegelten sich in ihren kalten Augen.

Das Letzte, was Mephisto, gefürchteter Herr des Hasses, dachte, war, dass seine Brüder ihn rächen würden.