A/N: Ich habe bereits zu einigen Serien in meinem (ach so langen) Leben Geschichten geschrieben, aber bisher plagte mich bei keiner einzigen solch eine Unsicherheit wie bei dieser Serie. Zu wenig wissen wir über die Beziehungen untereinander, oftmals wird ein Blick angedeutet, werden ein paar Worte gesagt und dann passiert wieder eine Staffel lang nichts in die Richtung. Ich denke nur an Janes Worte während des Finales in Staffel 4 und nun die wenigen Silben, die uns Sean Barlow liefert und somit auf das Offensichtliche hinsteuert – ich bin gespannt, ob in Staffel sechs nun endlich einmal etwas passieren wird.
Angesiedelt: irgendwo in Staffel 5, ohne große Auftritte von Lorelei auf all Fälle.
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SILHOUETTE IN RED
Kapitel 1
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Special Agent Teresa Lisbon saß an ihrem Schreibtisch, die Türe zum restlichen Bereich des Reviers geschlossen und ließ ihre Augen zum x-ten Mal über die einzelnen Punkte der Fallakte von Lorelei Martens wandern. Wieso hatte sich Red John genau diese Frau ausgesucht? Wieso?
Sie hatte dieselbe Haarfarbe, in etwa die gleiche Körpergröße – beide waren klein und zart gebaut. Doch sah sie sich selbst in Loreleis Gesicht nicht. Nicht einmal einen Deut von sich selbst. Vielleicht waren sie einfach zu unterschiedlich. Doch wieso hatte Red John sie ausgesucht und das bereits vor vielen Jahren?
Rigsby und Van Pelt waren am heutigen Tag bei Gericht, um in einem Mordprozess auszusagen. Cho bearbeitete akribisch eine Akte, die er in den frühen Morgenstunden von einem Kollegen überreicht bekommen hatte, wollte aber Lisbon noch keine näheren Details dazu verraten und Jane? Jane lag auf seiner Ledercouch, hatte sich das Sakko über den Kopf geworfen und schlief. Manchmal fragte sich Teresa, wie viel man wohl an einem Tag schlafen konnte.
Plötzlich läutete ihr Telefon, riss sie aus ihrer Gedankenwelt heraus.
„Agent Lisbon", sagte sie forsch, so wie sie immer reagierte, wenn jemand am anderen Ende war, dessen Nummer ihr unbekannt erschien.
„Olivia Onsworth", stellte sich die andere Seite vor. „Ich bin von der Jugendfürsorge aus Montana."
„Wie kann ihnen das CBI weiterhelfen?", erkundigte sich die Polizistin.
„Das CBI gar nicht, Agent Lisbon. Es sind sie selbst." Es gab eine kurze Pause. „Sie sind doch Teresa Lisbon, die Schwester von Adam Lisbon?"
„Ja", antwortete sie vorsichtig, ahnend, dass nichts Gutes folgen konnte. Die Jugendfürsorge. Montana. Adam. Wie lange hatte sie von ihrem Bruder bereits nichts mehr gehört? Sieben vielleicht acht Jahre? Obwohl er der jüngste gewesen war und sie die meiste Zeit mit ihm verbracht hatte, war er rasch flügge geworden, nachdem er die Volljährigkeit erreicht hatte. Zu schnell für ihre Verhältnisse.
„Ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihr Bruder und seine Lebensgefährtin vor drei Tagen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind. Die Umstände sind noch unklar. Es scheinen Drogen im Spiel gewesen zu sein, sofern ich das von der Polizei erfahren habe."
Lisbon wunderte sich über die Offenheit der am anderen Ende der Leitung sitzenden Frau. Es schien alles klar zu sein, wenn sie solche Informationen nach wenigen Tagen bereits preisgeben durfte, überhaupt davon wusste. Was sie darauf antworten sollte, war ihr unklar.
„Die Sache ist die. Ihr Bruder hatte ein Kind – Lanie, kurz für Madelaine." Teresa fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. „Sie ist relativ klein, kern gesund. Wir haben sie durchchecken lassen, nachdem wir von den Drogen erfahren haben. Lanie ist vier Monate alt", fügte sie hinzu, „und ihr Bruder hat sie, bevor er am Unfallort gestorben ist, in seinem Testament als die Person angeführt, die sich um sein Kind – falls er jemals eines haben sollte – im Falle seines Todes kümmern sollte. Sie würden wissen, wieso er sie und nicht einen seiner Brüder erwählt habe."
Tränen liefen über Lisbons Wangen. Adam tot. Sie konnte es nicht fassen.
„Ich werde morgen mit Madelaine nach Sacramento fliegen und sie bitten, mich umgehend am Flughafen zu treffen, damit wir alle notwendigen Formalitäten klären können."
„Morgen? Am Flughafen?" Lisbon war wortlos. Es gehörte eigentlich nicht zu ihren Eigenschaften einmal nicht die korrekte Antwort parat zu haben, meist verkniff sie sich diese in Janes Gegenwart, um nicht weitere Diskussionen auszulösen.
„Ja … oder wollen sie, dass das Kind in staatlicher Obsorge bleibt?"
„Nein … natürlich nicht."
„Gut, das habe ich gehofft. Ich bringe die wenigen Habseligkeiten, die wir bei ihrem Bruder zuhause finden konnten mit. Aber ich warne sie, Agent Lisbon, es nicht relativ wenig für solch ein kleines Kind. Und sie sollten sich vielleicht heute schon mit Kindernahrung und Windeln ausstatten. Lanie ist momentan natürlich verwirrt, weint viel und kennt sich nicht aus."
„Das ist verständlich", versuchte Teresa beizusteuern. Sie war überrumpelt worden. Auf der einen Seite wusste sie nicht, wie sie mit dem Tod ihres Bruders umgehen sollte, hatte sie ihn doch schon so viele Jahre nicht mehr gesehen. Sie würde Tommy und James anrufen müssen, um sie wissen zu lassen, was passiert war. Sie würde ihnen sagen müssen, dass ihr jüngster Bruder verstorben war. Ein Kind hatte. Dass sie dieses Kind nun großziehen sollte. Ein Kind. Madelaine. Lanie. Vier Monate alt.
„Ich werde ihnen die genauen Daten meiner Ankunft zukommen lassen. Sie brauchen keinen Kindersitz für ihren Wagen, darauf wollte ich sie noch hinweisen."
Olivia Onsworth verabschiedete sich formlos. Lisbon ließ den Hörer sinken. Ihr Bruder war tot. Sie würde sein Kind aufziehen müssen. Ein Kind. Sie musste sich erst an diesen Gedanken gewöhnen. Eine Vorstellung, die sie niemals hatte sich erträumen lassen.
Damals als ihre Mutter bei dem Autounfall ums Leben kam, am Heimweg vom Spital, war sie zwölf Jahre alt gewesen – Tommy zehn, James acht und Adam vier. Er war ein Kleinkind gewesen, der nicht verstanden hat, wieso seine Mutter nicht mehr nachhause kam. Adam hatte auch nicht verstanden, wieso sein Vater trank, in seiner hilflosen Wut auf seine Söhne einschlug, seine Tochter verbal misshandelte, bis zu einem Punkt, an dem Teresa weinend in der Küche am Fußboden saß, Adam an ihren Körper gepresst, um ihn vor den Prügeln des Vaters zu schützen. Er war ein kleines Kind.
Sie war es gewesen, die ihn in die Volksschule brachte, bevor sie in die Mittelschule, später in die Highschool ging. Sie schmierte ihm seine Brote, kontrollierte seine Hausübungen, machte die Wäsche, versuchte das Haus möglichst sauber zu halten. Die Jugendfürsorge kam nur angemeldet, da sie wussten, dass Victor Lisbon ein Feuerwehrmann war und somit hohes Ansehen in seiner Gemeinde genoss, dass er durch den Tod seiner Frau Furchtbares durchgemacht hatte. Und so war es Teresa stets möglich, alles perfekt zu haben – das Haus sauber, die perfekten Ausreden für die blauen Flecken ihrer Brüder einstudiert. American Football. Soccer. Basketball. Was immer gerade notwendig war.
Als sie kurz davor war, ihren achtzehnten Geburtstag zu feiern, war ihr Vater wieder einmal in seinem Alkoholwahn komplett ausgerastet und hatte Tommy beinahe tot geprügelt. Und wieso? Weil sich der heilige Victor Lisbon beinahe an seiner Tochter vergangen hätte, Tommy die Schreie gehört hatte und Teresa zur Hilfe geeilt war.
Zwei Wochen später schoss sich ihr Vater im Dienst in den Kopf. Auf der einen Seite war es beinahe eine Erleichterung, auf der anderen Seite begannen die Probleme dann erst so richtig. Das Jugendamt überzeugte sie davon, in der Lage zu sein, für ihre Brüder zu sorgen. Innerhalb von zwei Jahren hatte sie die Entscheidung getroffen, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und ein neues zu beginnen. Die Trennung von Greg, dem jungen Mann, dem sie ihr ihr Herz geschenkt hatte, der sogar um ihre Hand angehalten hatte, war ihr nicht leicht gefallen – doch hatte sie zu viel Angst sich zu binden. Zu viel Angst nicht mehr auszukommen. Zu viel Angst als Vorstadtehefrau mit einem kleinen Haus, einem weißen Zaun, Hund und zwei Kindern zu enden. Aus ihrem Leben nichts machen zu können. Sie hatte doch so viele Pläne. Große Pläne.
Mit ihren Brüdern zog sie nach San Francisco, bewarb sich nach der High School bei der Polizei und absolvierte ihre Ausbildung ohne Probleme. Immer noch kümmerte sie sich um ihr Brüder, hielt sie aus den gröbsten illegalen Aktivitäten heraus. Das Geld war immer knapp und ihre Jungs kamen oftmals auf dumme Ideen. Oft. Sehr oft.
Als Tommy das Haus verließ, war er der erste, der allmählich den Kontakt schwinden ließ. Dann James. Und schließlich Adam. Über alle Bundesstaaten waren sie verstreut. Suchten Arbeit. Verliebten sich. Gründeten Familien. Trennten sich.
Umso weniger Kontakt sie mit ihnen hatte, umso mehr vertiefte sich Teresa in die Arbeit. Stieg zum Detective auf. Inspector. Und bevor sie dreißig wurde, bot man ihr eine Stelle beim CBI ein, einem Teil des California Department of Justice, das dem Generalstaatsanwalt unterstand. Sie war die jüngste, arbeitete sich rasch hoch. Erhielt ihr eigenes Team. Ihr eigenes Büro.
Wie viel Sam Bosco nachgeholfen hatte, darüber wollte sie nicht nachdenken. Der Gedanke, dass sie all das alleine geschafft hatte, gefiel ihr weitaus besser. Er war damals verheiratet gewesen und war es immer noch als er starb. Die Welt hatte er ihr als junge Polizistin versprochen und von Anfang an war sie mehr als nur skeptisch gewesen. Aber sie hatte sein Geheimnis gehütet und so waren sie beide lange Zeit am Leben geblieben – beruflich und privat. Es war nicht wirklich eine Freundschaft, gewesen, die sie verbunden hatte über all die Jahre – zu unterschiedlich waren die Interessen gewesen. Doch nun war auch er tot. Seit Jahren.
Was war geblieben?
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Die Stunden waren im Flug vergangen. Sie hatte die Akte von Lorelei Martins endgültig zur Seite gelegt, hatte sich stattdessen eine kleine Einkaufsliste angefertigt und war froh darüber, dass Patrick Jane sie an diesem Tag nicht mit sinnlosen Spielchen auf Trab halten wollte, sondern den Tag verschlief. Sie wäre nicht in der Lage gewesen, ihm von all dem, das sie an diesem Tag erfahren hatte, zu erzählen, ohne in Tränen auszubrechen.
Nun gestand sie sich ein zu weinen. Den Tränen freien Lauf zu lassen.
Dank einiger Recherchearbeit im CBI hatte sie Tommys und James Nummer ermitteln können, wollte sie aber nicht aus dem Büro anrufen. Zu gefährlich war es, dass jemand eventuell mitbekommen könnte, was in ihr vorging. Was passiert war.
Sie rief Tommy an. Er war ebenso schockiert wie sie, doch im Moment so weit entfernt und beruflich eingespannt, dass er frühestens in einer Woche nach Sacramento reisen konnte. Erst jetzt wurde Lisbon bewusst, dass sie Onsworth nicht gefragt hatte, was mit dem Leichnam ihres Bruders passiert war. Ein weiterer Punkt auf ihrer Liste. Tommy versprach zu kommen. Versprach. Aber er hatte ihr im Laufe der Jahre viel versprochen, selten etwas eingehalten, daher traute sie all dem auch jetzt nicht.
James erreichte sie nicht. Sie hinterließ lediglich keine kurze Sprachnachricht mit der Bitte um Rückruf. Sie konnte ihm nicht via Voicemail über den Tod ihres Bruders informieren.
Einige Male klingelte ihr Telefon. Jane. Sie. Lisbon hob nicht ab. Sie ging langsam durch das kleine Haus, welches sie bewohnte. Es war nicht groß. Eine kleine Terrasse davor, ein Wohnraum, eine Küche mit Essmöglichkeit, ein kleiner Wirtschaftsraum. Oben befanden sich ein Schlafzimmer, ein verhältnismäßig großes Badezimmer mit Wanne und Dusche und ihr Büro. Ein Schrankraum, in dem sie die Erinnerungen verbarg, war auch noch vorhanden.
Die dunkelhaarige Frau holte aus dem kleinen Keller, der außerdem vorhanden war, noch einige Schachteln, die sie seit ihrem Einzug dort aufbewahrt hatte, und begann das Büro auszuräumen. Viele dort gesammelten Unterlagen waren viele Jahre alt. Sie sortierte alles ein. Beschriftete die Kartons, trug sie in den Keller. Stapelte sie dort. Bevor sie es merkte, war es bereits Mitternacht geworden. Den Schreibtisch schob sie ganz in eine Ecke. Er war nichts besonderes. Ihr ehemaliger Küchentisch aus San Francisco. Nicht sehr tief, da die Wohnung damals winzig gewesen war. Vielleicht würde er sich als Wickeltisch anbieten?
Nach einer kurzen Dusche und dem Wissen, dass das Zimmer frisch ausgemalt gehörte, ging sie schlafen. Einen traumlosen Schlaf. Zuvor hatte sie ewig über ihre Mutter und ihre Brüder nachgedacht, über die Zeit, in der sie noch alle vereint waren.
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Dass frühe Morgenstund Gold im Mund habe, traf dieses mal wieder nicht zu. Es war kurz nach fünf Uhr, als ihr Handy abermals klingelte – Cho. Wenn er anrief, wusste Lisbon, dass es sich um einen Fall handelte und sie sich, ob sie wollte oder nicht, aus dem Bett bewegen musste.
Sie streckte sich, versuchte sich mit Koffein und einer kühlen Dusche in Bewegung zu bringen. Doch nichts half. Es war Ende September und die Hitzewelle, die Californien diesen Sommer beherrscht hatte, war noch nicht zur Gänze abgeklungen. Es hatte immer noch mehr als dreißig Grad. Sie entschied sich, wie jeden Tag, für knapp geschnittene schwarze Hosen, dazu ein grünes ärmelloses Leinentop, welches vielleicht etwas weniger zum Schwitzen verleiten würde als andere, dazu natürlich die passende Jacke. Handtasche und Waffe lagen bereit und schon war sie am Weg. Auf dem Weg nach Davis. Eine halbe Stunde Fahrzeit.
Im Auto bereits informierte Cho sie via Handy über den Fall. Ein dreifacher Mord – drei junge Frauen. Da eines der Opfer die Frau des Sheriffs war, hatte man das CBI hinzugezogen. Chos Faktenschilderung war trocken, nüchtern. Er beschränkte sich stets auf das Wichtigste, hielt nicht viel von Emotion. Aber im Auto neben ihm saß Patrick Jane, der natürlich versuchte, seine Ausführungen auszubauen und seine Theorien gleich an sie weiterzuleiten. Bevor Jane noch zu viel sagen konnte, legte Teresa auf. Das Letzte, das sie jetzt brauchte, waren seine Witze.
Die Leichen waren bereits zugedeckt, als das Team vollständig war. Jane roch an ihnen, studierte scheinbar genau ihre Hände, ohne die leblosen Körper zu berühren. Wies auch immer, er behielt seine Ideen dieses Mal für sich. Waren es ihre roten Augen? Ihr eher trauriger Gesichtsausdruck? Was auch immer er an ihr abgelesen hatte, bewegte ihn dazu, sich zu bemühen.
„Cho", begann Lisbon, „sie kümmern sich um die Aussage des Sheriffs."
„Rigsby und Van Pelt, befragen sie die Gruppe von Wanderern, die die Toten gefunden haben. Ich fahre zurück nach Sacramento. Ein Termin."
„Ich fahre mit ihnen mit", erklärte Jane und war bereits dabei, in ihr Auto zu steigen.
„Jane, das geht nicht."
„Doch, sie fahren nach Sacramento und dort möchte ich hin, ergo es geht."
Wahrscheinlich war es ihre Müdigkeit, die sie nicht diskutieren ließ. Es würde sich alles ausgehen. Sie würde Jane beim CBI absetzen können und dann pünktlich um 11 Uhr beim Flughafen sein. Alles wäre kein Problem.
Tja, es wäre tatsächlich kein Problem gewesen, wäre sie nicht am Highway 80 in einen großen Unfall geraten, der das Abfahren auf den Capital City Freeway unmöglich machte. Selbst mit Sirene und Blaulicht war es unmöglich, die Leute dazu zu bewegen, sie abfahren zu lassen. Und die Zeit verrann.
Irgendwann musste sich Lisbon eingestehen, dass sie Jane wohl in ihr Vorhaben, zum Flughafen zu fahren, einweihen musste, zeitlich war alles andere unmöglich.
„Ich muss zum Flughafen", sagte sie kurz und bündig. „Ich muss etwas abholen." Etwas? Ihre Nichte. Madeleine.
Jane nickte nur zustimmend.
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Die ganze Fahrt hindurch hatte er sie studiert. Sie schien trauriger als sonst, nicht dass Lisbon sonst zu den fröhlichen Menschen gehörte, die viel lachte. Nein. Bereits am Tatort hatte er gemerkt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Hatte ihr Gesicht studiert, die roten Augen bemerkt und die dunklen Ringe unter ihren Augen. Teresa hatte ihre Jacke im Auto gelassen, etwas, das sie sonst niemals tat. Niemals stand sie ärmellos an einem Tatort. So etwas machte sie einfach nicht. Irgendetwas schien in ihr vorzugehen. In den all den Jahren hatte er aber eines gelernt – wenn er jetzt zu bohren beginnen würde, würde sie komplett blockieren, eine noch höhere und noch dickere Wand zwischen ihnen errichten. Es war schwer, das gestand er sich ein, nicht nach Details zu fragen, sehr schwer.
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Sie bat Jane im Auto zu bleiben, unwissend, wie sie ihm nachher erklären sollte, wieso sie mit einem Baby zurückkam. Er schien zu gehorchen, als sie das Auto verließ.
Als sie die Ankunftshalle betrat des Flughafens von Sacramento, kamen bereits die ersten Leute durch die Schiebetüren, die mit dem Flugzeug aus dem Umland gekommen waren. Sofort erblickte Lisbon eine rothaarige Frau, die einen Gepäckwagen vor sich schob, auf dem ein Kindersitz stand.
„Mrs. Onsworth?", fragte Teresa vorsichtig und unsicher.
„Ms. Lisbon", antwortete sie und begrüßte sie freundlich. „Der schlafende Engel hier ist Madeleine."
Die CBI-Agentin konnte ihre Augen gar nicht von dem Baby abwenden. Es schlief so friedlich. Man hatte sie in einen grünen Strampler gekleidet, sie trug darüber eine dünne Weste.
„Sie ist vor einer halben Stunde eingeschlafen, hat die Landung nicht mitbekommen. Scheinbar war sie nach dem Start so müde, der Druckausgleich für Babys ist schwer, aber ich wollte ihr eine mehr als 15stündige Autofahrt ersparen. Können wir uns kurz in dieses Kaffeehaus setzen?", fragte sie und schob den Wagen bereits in die entsprechende Richtung. Lisbon kam gar nicht dazu, etwas gegenteiliges zu sagen.
Als beide platzgenommen hatten, griff Onsworth in ihre Umhängetasche. Die Sozialarbeiterin war wahrscheinlich Ende fünfzig, hatte ihr langes rotes Haar zu einem Zopf geflochten, trug dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Poloshirt – sie sah so gar nicht wie eine Sozialarbeiterin aus. Lisbon konnte sie sich eher als Cowgirl vorstellen – das unterstrichen auch ihre Cowboystiefel und der Ledergürtel mit der großen silbernen Schnalle.
„Das hier sind die Papiere. Wenn sie diese unterzeichnen, sind sie für die Obsorge zuständig. Sie sind nicht nur die nächste Verwandte, die einen Job hat, sondern wurden auch als einzige in einem Testament erwähnt."
„Was ist mit den Verwandten ihrer Mutter?"
„So weit wir herausfinden konnten, sitzt der einzige lebende Bruder von Samantha Redford sitzt in der Todeszelle im Montana State Prison in der Nähe von Deer Lodge, weil er seine Eltern und seine zwei anderen Schwestern umgebracht hat. Sie wissen ja, ob er jemals hingerichtet wird, weiß ich nicht, da es bei uns in Montana nicht regelmäßig zur Vollstreckung kommt. Entlassen wird er auf jeden Falls niemals. Das kann ich ihnen sagen." Olivia nahm einen Schluck Kaffee, der soeben serviert worden war. „Ich weiß, dass sie noch zwei Brüder haben Agent Lisbon. Aber in Adams Testament wurden ausschließlich sie erwähnt. Es ist ein älteres Schriftstück, stammt aus dem Jahre 2003, aber sie wissen ja, dass so etwas an Gültigkeit nicht verliert."
Lisbon nickte zustimmend und fragte, was man ihr weiters über Samantha Redford sagen könne.
„Oh, da ist nicht viel zu sagen. Samantha war zwanzig Jahre alt, die jüngste der Geschwister, vielleicht hat sie deswegen ihr Bruder verschont. Sie hat keinen Schulabschluss, war eine Herumtreiberin. Sie arbeitete dort und da auf Farmen, so scheinen sie sich auch kennengelernt zu haben – soweit ich das herausfinden konnte. Ihr Bruder war bei den O'Nellys angestellt, einer alten Großgrundbesitzerfamilie. Ich habe kein schlechtes Wort über ihn gehört, bis auf die Drogensache. Es schien Probleme mit Marihuana zu geben. Nicht nur Adam hatte dieses Problem sondern auch einige andere Cowboys auf der Farm, ebenso Samantha, wie es schien. Aber auf das Kind dürften sie sich scheinbar sehr gut gekümmert haben. Es war bei den O'Nellys als der Unfall passierte."
Lisbon sah sie fragend an. Warum hatte er sein Kind bei seinen Arbeitgebern gelassen? Onsworth schien die Frage aus ihren Augen ablesen zu können.
„Mrs. Onworth hat mir erzählt, als ich die kleine abholte, dass sie angeboten hatte, auf sie aufzupassen, damit die beiden einmal wieder Zeit für sich hatten. Sie wollten lediglich in die nächste Ortschaft fahren, um im Saloon etwas zu trinken, vielleicht zu tanzen. Auf der Rückfahrt noch direkt im Ort ist es zu dem Unfall gekommen. Beide hatten Marihuana konsumiert."
Lisbon erfuhr noch einige Formalitäten, bekam zwei weitere Formulare vorgelegt und unterschrieb nun alle drei Dokumente.
„Ich darf ihnen nun gratulieren, Ms. Lisbon – Madeleine ist nun ihr Kind."
Mit diesen Worten erhob sich die Sozialarbeiterin, legte einen Fünfdollarschein auf den Tisch, verabschiedete sich von Lisbon und ging. Ließ die Polizistin einfach so sitzen. Teresa sah ihr nach – sie fand keine Worte – und erkannte, dass sie zum Check-In ging um wieder nachhause zu fliegen. Und sie saß hier, in einem Café mit einem Kind, das sie nicht kannte und nun ihr eigenes war.
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Jane hatte inzwischen jedes einzelne Fach in Lisbons Wagen inspiziert, festgestellt, dass sie drei Waffen im Auto hatte, eine Packung Taschentücher, Tampons – die ihn besonders amüsierten – eine Flasche Gingerale und eine große Flasche Wasser im Kofferraum. Weiters schien sie sich für Country Musik zu interessieren und ab und zu gerne Rock und Pop hören, wenn man nach der Musik auf dem USB-Stick ging, der im unbenützten Aschenbecher ihres Wagens lag. Zudem fand er eine Dose Kaugummi, einen abgelaufenen Müsliriegel, ein kleines Notizbuch, das leider unbenützt war. Im Kofferraum waren außerdem noch ein paar Laufschuhe, die ihrer Schuhgröße entsprachen.
Kurzum, ihm war langweilig, unglaublich langweilig.
All diese Sachen sagten nicht viel über Special Agent Teresa Lisbon aus. Sie hatte den Schlüssel stecken gelassen. Patrick zog ihn ab, stieg aus dem Wagen und versperrte den Wagen. Wann hatte er sich das letzte Mal an irgendwelche Regeln gehalten, die sie aufgestellt hatte? Ohne viel nachzudenken ging er in das Gebäude hinein und erblickte sie schnell. Sie saß stumm und starr an einem Tisch des kleinen Cafés.
Auch als er beinahe vor ihr stand, bemerkte sie ihn nicht, aber er bemerkte den Gepäckwagen. Das schlafende Kleinkind und die Kartonkiste auf der in großen schwarzen Lettern „Madelaine Lisbon" stand.
Teresa Lisbon und ein Baby?
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Oh I know you're a dreamer
There's a child in your eyes
You save up all your memories
You're tired of all the lies
I hear you cry for someone
Please someone heal the pain
A hand to hold and guide her
Through the fire and through the rain
Oh babe it's not too late now
Don't say it has to end
Been through so much together, babe
I will always be your friend
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Ende Kapitel 1
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A/N: Und ist es wert, dass ich weiterschreibe?
Lyrics: Bonnie Tyler „Silhouette in Red" (geschrieben von Jamie Blake)
