Vergissmeinnicht
Beim Spaziergang durch die Wälder Ithiliens kommt Faramir die Erinnerung an seine Schmerzen im Ringkrieg. Doch auch an das Mädchen, das für ihn immer da war, um ihm Hoffnung zu schenken. Doch er konnte Esteriel nie das geben, wonach sie sich sehnte.
Kapitel 1: Blumen des Trostes
Es war
ein sonniger Frühlingstag. Die vielen Blüten und die
zwitschernden Vögel gaben Faramir und Éowyn, die Hand in
Hand durch die Wälder Ithiliens spazierten, ein Gefühl der
Liebe und Harmonie. Faramir genoss diesen Tag in vollen Zügen
und all seine schlimmen Erinnerungen an den Ringkrieg verblassten ein
wenig. Der sanfte Duft der Blumen, die ihn und Éowyn umgaben,
ließ ihn in seinen Gedanken versinken.
Plötzlich
fielen ihm kleine, blaue Blümchen am Wegrand auf. Er erkannte
sie: Vergissmeinnicht. Er hatte sie nie vergessen. Jene, die für
ihn immer da war.
Boromir
und Faramir waren gezwungen, Osgiliath an die Orks zu übergeben
und zurück nach Minas Tirith zu fliehen. Denethor, der Truchseß
von Gondor und Vater der beiden Brüder, hatte mal wieder die
ganze Schuld auf Faramir geschoben. Faramir war ein kleiner Junge
gewesen, als seine Mutter Finduilas starb und Denethor angefangen
hatte, in ihn als Grund für ihren Tod zu sehen. Faramir musste
es immer schlucken und seinen Schmerz unterdrücken.
Er ging
zitternd vor Zorn, Trauer und Verzweiflung durch die Straßen
von Minas Tirith ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Er musste es sich
selbst zugeben: Er wollte in eine andere Welt flüchten, um
wenigstens einen Moment des Friedens zu haben.
Dann
waren da noch die vielen Männer die in der Schlacht in Osgiliath
ihr Leben verloren hatten. Sie werden nie zu ihren Familien
zurückkehren, wo sie erwartet werden.
Er
hörte hinter seinem Rücken eine Stimme, hell wie das
Klingen vieler kleiner Glöckchen: "Herr Faramir!"
Er
wandte sich um und sah ein Mädchen. Es reichte ihm nicht einmal
bis an die Schulter und war ziemlich mager. Faramir erkannte gleich
auf den ersten Blick, dass es ein gutes Herz und eine reine Seele
hatte. Das Mädchen sah ihn mitfühlend an und reichte ihm
einen kleinen Blumenstrauß aus frisch geplückten
Vergissmeinnicht.
Faramir
fühlte eine Wärme, einen Funken Hoffnung, in seinem Herzen,
als er die kleinen Blumen annahm, und lächelte dankbar. Das
Mädchen strahlte, drehte sich um und lief fort.
Faramir
blickte wieder auf die blauen Blümchen. Sein Vater schien ihn
zwar nicht zu mögen, doch beim Volk war er beliebt. Nein. Er war
nicht allein.
Seine Hand löste sich von der Éowyns und er ging auf die Blumen zu. Fröhlich strahlten sie ihm die Erinnerungen an das Mädchen entgegen, wie sie ihm damals Hoffnung gaben. Er lächelte. Das Mädchen hatte keine besondere Schönheit besessen, doch es war für ihn im Ringkrieg die schönste Blüte Gondors gewesen.
Mit
einem Gefühl der Erleichterung kehrte Faramir in die Zitadelle
zurück, wo er Boromir begegnete.
"Morgen
reiten wir los und erobern Osgiliath zurück", verkündete
dieser und mit einem Blick auf die Blumen fügte er verwundert
hinzu: "Was ist das?"
"Hoffnung",
antwortete Faramir.
Boromir
schien nicht zu verstehen.
"Hoffnung?",
wiederholte er. "Worauf?"
"Frieden",
sagte Faramir leise.
"Glaubst
du denn wirklich, dass wir jemals Frieden haben werden?", seufzte
Boromir.
"Ja",
hauchte Faramir. "Irgendwann..."
"Wenn
wir auch nie Frieden haben werden, werden wir kämpfen!", sagte
Boromir entschlossen. "Und wir werden siegen, was auch immer
geschieht, kleiner Bruder!"
Faramir
antwortete mit einem Lächeln.
Éowyn
beobachtete verwundert, wie ihr Ehemann in Erinnerungen versunken die
Blümchen musterte.
"Faramir?",
murmelte sie unsicher.
Doch er
hörte sie nicht. Er war nicht in Ithilien, sondern in seinen
Erinnerungen an die Vergangenheit.
