Eine Schlange, im Herzen Gryffindor…
1. Kapitel
„Expelliarmus!"
Ein gezischter Fluch und ihre Zauberstäbe wurden ihnen aus den Händen gerissen, während sie selbst völlig überrumpelt gegen die Wand prallten. Harry schüttelte schmerzerfüllt den Kopf und versuchte aufzustehen, doch der nächste Fluch verhinderte eine Aktion sowohl von ihm als auch von Ron.
„Petrificus totalis!" Die Ganzkörperklammer ließ sie vollständig erstarren, und nur die Wand hinter ihnen bewahrte sie vor dem Umfallen. Die große Höhle, in der sie sich befanden, wurde nur durch einige flackernde Fackeln erhellt, und er konnte wenig erkennen, zumal Harrys Gesichtsfeld durch die Ganzkörperklammer eingeschränkt war.
Seine Ohren jedoch funktionierten einwandfrei, und er hörte das leise Tröpfeln der Feuchtigkeit an den Wänden, sein und Rons abgehacktes Atmen und das Zischeln der Flammen. Er glaubte sogar das überlaute Hämmern seines Herzens zu hören, doch von ihren Angreifern kam kein Laut.
Plötzlich schob sich eine dunkle Gestalt in sein Blickfeld und er hätte aufgeschrieen, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. „Guten Abend, Mr. Potter, Mr. Weasley", sagte eine nur allzu bekannte dunkle Stimme leise. Es war Snape. Snape! Ex-Tränkemeister von Hogwarts, Ex-Spion, Todesser, Mörder. Dumbledores Mörder.
Die vier Monate, die er sich seitdem auf der Flucht befand, hatten ihm nicht gut getan. Er war, wenn das überhaupt noch möglich war, noch hagerer geworden, seine Gesichtshaut spannte sich über seinen hohen Wangenknochen. Der unruhige Fackelschein verlieh seinen nachtschwarzen Augen ein beunruhigendes Glühen. Er trug Muggelkleidung, was erklärte, warum ihn die Auroren noch nicht gefasst hatten.
Harry starrte ihn hasserfüllt an. Der Zorn, der in ihm tobte, schien ihn von innen her aufzufressen. Dann passierte etwas Seltsames. Mit einem Schlenker seines Zauberstabes verwandelte Snape die Ganzkörperklammer in eine einfache Beinklammer. Harry stürzte vorwärts, um ihn mit bloßen Händen anzugreifen, aber der Tränkemeister trat geschmeidig einen kleinen Schritt zur Seite, und er stürzte zu Boden.
„Zur Wand zurück", zischte Snape, „alle beide!" Er hielt ihnen drohend den Zauberstab entgegen. Harry und Ron wechselten einen Blick. Beide waren blass, aber tödlich entschlossen. Snape musste nicht der exzellente Legilimentiker sein, der er war, um ihre Gedanken zu erkennen. Er seufzte lautlos und ein ungesagter Zauber presste die beiden jungen Männer unbarmherzig gegen die nasse Höhlenwand.
„Hört zu. Ich habe keine Zeit für lange Erklärungen und Diskussionen – unterbrich mich ja nicht!", raunzte er, als Ron den Mund öffnete. „Wir fangen jetzt nicht mit unseren üblichen Spielereien an, sonst ist Miss Grangers Leben verwirkt." Harry riss noch erschrockener als bisher die Augen auf.
Verdammt! Er hatte vor lauter Angst Hermione vergessen. Sein Blick wanderte unwillkürlich zu dem Tor hinüber, vor dem Ron und er gestanden hatten, bevor Snape sie überwältigte. Der Hass in ihm stieg zu neuen Höhen empor, glühender, rasender Hass – auf dieses Tor, auf Snape, auf eine Welt, in der ein Voldemort existierte, und in der das Leben seiner besten Freundin buchstäblich an einem seidenen Faden hing.
Die Höhle war riesig, und sie war unterteilt.
In ihrer Mitte war ein großes, durchsichtiges, aus einem unbekannten Material bestehendes Tor eingelassen. Man konnte genau erkennen, was sich auf der anderen Seite befand, man konnte sogar hören, was auf der anderen Seite passierte, aber man konnte nicht durch dieses Tor schreiten. Sie hatten davor gestanden, jeden ihnen einfallenden Fluch dagegen geschleudert, ja, sie hatten es sogar mit brachialer Gewalt versucht.
Die durchsichtige Substanz, aus der das Tor bestand, waberte manchmal licht auf, blieb aber ansonsten so stabil, dass Harry vor Verzweiflung laut hätte schreien mögen. Sie mussten hinüber!
Hinter dem Tor, in der Mitte der Nebenhöhle, stand ein großer Kessel, aus dem ein grau-weißer, dichter Rauch aufstieg. Neben dem Kessel befand sich ein verwitterter Felsbrocken, aus dem ein schwarzes, matt schimmerndes Schwert ragte. Und nur wenige Meter davon entfernt war Hermione Granger mit weit gespreizten Armen und Beinen an die Höhlenwand gefesselt. Sie war bewusstlos, ihr Kopf hing nach unten, und aus einer Platzwunde über der Schläfe tropfte Blut auf den Boden.
„Potter!" Snape forderte seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit zurück. „Wenn der alte Mann Recht hat, bin ich wohl der Einzige, der Miss Granger retten kann, und deshalb werden Sie so freundlich sein, sich mit Ihren Emotionen zurück zu halten, bis wir wieder in Hogwarts sind!"
Ron und Harry starrten ihn an. Was redete er da? War er jetzt gänzlich verrückt geworden? Hermione retten? Hogwarts? Eine Falle!, schoss es Harry durch den Kopf. In diesem Moment gab er auf, war er bereit, sich rückhaltlos zu unterwerfen.
„Bitte!", stieß er hervor. „Voldemort ist nur an mir interessiert. Lassen Sie Ron und Hermione gehen. Bringen Sie mich zu ihm, aber lassen Sie sie frei. Bitte!"
Der Seufzer, den Snape diesmal ausstieß, war hörbar. „Ach, ihr Gryffindors mit eurem pathetischen Heldenmut und eurer noblen Opferbereitschaft! Na, dann will ich mal sehen, ob ich da mithalten kann!" Er wirbelte herum und Ron, der ihm mit offenem Mund nachsah, hätte sich nicht gewundert, wenn es die schwarze Lederjacke in der Art seiner Roben hinter ihm aufgebauscht hätte.
Mit schnellen Schritten war Snape bei dem Tor. Die beiden jungen Männer konnten nicht sehen, dass er kurz die Augen schloss. Dann straffte sich seine große Gestalt, er legte seine Hand in die irisierende Masse des Tors und sprach deutlich die verwirrenden Worte: „Eine Schlange, im Herzen Gryffindor."
Harry blinzelte und versuchte, mit den Armen vorwärts zu kriechen und seinen bewegungsunfähigen Unterkörper in Richtung des Tores zu ziehen. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass Ron es ihm gleich tat. Er hatte sich nicht getäuscht. Was sie beide so entnervend lange versucht hatten, war Snape scheinbar mühelos gelungen. Er stand auf der anderen Seite des Tores.
Harry drückte seine Hand ebenfalls in das Tor und wiederholte Snapes Worte. Es passierte nichts. Sie waren dazu verdammt, draußen zu bleiben.
Der Tränkemeister bewegte sich mit schleichendem Gang um den großen Stein herum, jedoch immer darauf bedacht, dem Kessel nicht den Rücken zuzudrehen. Laut las er die eingravierten, verschnörkelten Buchstaben auf dem Schwert. „Salazar Slytherin."
Der Rauch verdichtete sich, begann zu wirbeln, feste Formen anzunehmen. Ein Schemen zeichnete sich ab, nahm Umrisse an. Die Gestalt eines Mannes löste sich, wurde von Sekunde zu Sekunde realer. Und dann stand er da - ein massiger, beeindruckender Zauberer, so groß wie Snape, aber mit breiteren Schultern, einem kantigen Schädel mit langem, dunklem Haar und stechenden blauen Augen.
Er trug statt eines Umhangs ein wollenes Wams, weiche dunkle Wildlederhosen, einen breiten, braunen Ledergürtel und über Knie und Ellenbogen schwere lederne Schützer. Die Kleidung eines Kriegers.
„Wer hat mich gerufen?", hallte seine Stimme, als gäbe es irgendwo ein Echo. Harry und Ron konnten jedes Wort verstehen.
„Mein Name ist Severus Snape", sagte der dunkle Mann. Mit wuchtigen Schritten trat Salazar Slytherin neben ihn, seine Finger liebkosten die Waffe, dann schloss sich seine Hand um den Schwertgriff und er riss es mit einem Ruck aus dem Stein. Er stieß es in die Luft und betrachtete verzückt die matt schimmernde schwarze Klinge.
„Ich kenne dich, Severus Snape", sagte er dann mit donnernder Stimme. „Du bist das Oberhaupt meines Hauses!" Snape wirkte nicht beeindruckt, aber vielleicht war er auch abgelenkt. In dem Moment, als Slytherin das Schwert aus dem Felsen zog, war auf der anderen Seite ein zweites Schwert aufgetaucht.
Er ging hinüber. Der alte Mann hatte wieder einmal Recht gehabt. Dieses Schwert trug ebenfalls eingravierte goldene Buchstaben und so schwarz Slytherins Schwert war, so hell und leuchtend war dieses. Natürlich. Godric Gryffindor. Diesmal sagte er den Namen nicht laut.
„Nun, Severus Snape, komm an meine Seite. Ich bin wieder da. Sei bei mir, wenn ich das Blut dieses Mädchens nehme und zu alter Größe und Macht zurückkehre. Ich werde der Welt wieder meinen Stempel aufdrücken. Ich bin Salazar Slytherin!" Er brüllte den letzten Satz so laut, dass selbst Harry und Ron erschrocken zurück wichen.
Snape schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, du irrst dich in den entscheidenden Punkten", erklärte er ruhig. „Ich werde nicht bei dir sein, du bist nicht wieder auferstanden und du bist nicht einmal Salazar Slytherin. Genau genommen bist du nicht einmal ein Geist. Du bist das, was man landläufig einen Horkrux nennt."
„Was?", zischte Slytherin, und sein Zischen war Furcht erregender als sein Schreien. Es schien aus allen Ecken und Enden zurück zu kommen und sich zu wiederholen, und Harry wurde bewusst, dass Slytherin Parsel sprach.
„Sieh mich an, du Narr!" Seine Worte waren wieder verständlich. „Hier bin ich, hier stehe ich!" Er streckte die Hand aus und ballte die Faust. „Fleisch, Blut, fester Körper!" Er hieb mit dem Schwert auf den Stein und Funken stoben; das Metall klirrte.
„Ja", stimmte Snape zu. „Das haben Horkruxe so an sich. Und du bist der mächtigste Horkrux des mächtigsten schwarzmagischen Zauberers der Welt. Trotzdem wirst du nicht wieder auferstehen und Macht haben. Ich kann dir auch nicht das Mädchen überlassen, genauso wenig, wie ich zulassen kann, dass du existierst!"
Das Wesen, der Horkrux, Salazar Slytherin, sah ihn fassungslos an. „Du bist wie ich! Du bist ein Slytherin!"
Über Snapes schmale Züge huschte kurz ein Schatten, den man fast für Emotionen halten konnte. „Ja, ja", murmelte er. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Hermione Granger ruckartig aus ihrer Ohnmacht erwachte. „Nett, dass Sie sich geistig wieder zu uns gesellen, Miss Granger", bemerkte er samtig. Nur ein kurzes Aufkeuchen verriet, dass sie ihn und ihre eigene Situation erkannt hatte.
Slytherin wandte ihr seine volle Aufmerksamkeit zu. Kalt funkelten seine blauen Augen in einem unnatürlich hellen Licht auf. Er machte einen Schritt in ihre Richtung, und diesen Moment nutzte Snape, um mit einer fast beiläufigen Bewegung das silberne Schwert Gryffindors aus dem Stein zu ziehen.
Fast genauso nebenbei stand er plötzlich zwischen Hermione und Slytherin und seine Schwertspitze zeigte auf Slytherins Hals. Mit gespieltem Bedauern schüttelte Snape den Kopf. „Es ist immer dasselbe Problem mit euch Möchtegernwelteroberern. Ihr könnt einfach nicht zuhören. Ich habe gesagt, du kannst das Mädchen nicht haben."
Ein Horkrux in menschlicher Gestalt hat immer auch die Fähigkeiten der tatsächlich für ihn verwendeten Person, und es war klar, dass der echte Slytherin vor tausend Jahren nicht gerade der Schnellste im Denken war. „Du bist also nicht für mich!", stellte der Horkrux nach einer Weile fest.
Severus Snape zog eine Augenbraue hoch. „Was meinen Sie, Miss Granger", schnurrte er ohne sich zu ihr umzudrehen, „sollte ich meinem eigenen Haus jetzt Punkte für das Feststellen von etwas Offensichtlichen abziehen?"
„Du bist ein Verräter!", brüllte Slytherin in wachsenden Zorn.
Snapes Lippen kräuselten sich sardonisch. „Das, mein Lieber, habe ich mittlerweile so oft gehört, dass es für mich nicht mehr wirklich originell klingt."
„Dann werde ich dich töten!"
„Ach, wirklich?", höhnte Snape, als die Klingen das erste Mal aufeinander prallten. „Diese Aussage rangiert auf meiner persönlichen Hitliste gleich danach auf Platz 2!"
Der wahre Slytherin mochte vielleicht kein geistiger Überflieger gewesen sein, aber er erkannte Spott, wenn er gegen ihn verwendet wurde. Und, was noch wichtiger war, er war ein Krieger. Er reagierte auf die einzige ihm logisch erscheinende Weise: er kämpfte. Mit einem wahrhaft ohrenbetäubenden Wutschrei hieb er mit seinem Schwert auf den Mann ein, der zwischen ihm und seiner Beute stand.
Verblüffend genug, dass Snape es gewagt hatte, sich ihm in den Weg zu stellen, noch verblüffender war, mit welcher Fertigkeit und Geschmeidigkeit er die berserkerhaften Schläge und Stöße des Kriegers parierte. Es war ganz offensichtlich, dass er nicht zum ersten Mal in seinem Leben ein Schwert in der Hand hielt, ja, es schien fast so, als sei er geradezu ein Meister in der Schwertkunst wie auch im Tränkebrauen. Ein Mann mit vielen verborgenen Talenten.
Harry war verwirrt. Ron nicht minder. Es war Snape, der da an ihrer Stelle das Leben ihrer Freundin verteidigte, sich gar gegen den Mann stellte, der der Gründer seines Hauses war. Es war Snape, der gleiche, der sie jahrelang terrorisierte, sie mit seiner Abneigung und Hass geradezu überspülte, der schließlich sogar Dumbledore ermordete – und doch… Hier war er und kämpfte für Hermione.
Severus gelang es unauffällig, Slytherin von Hermione wegzutreiben, so dass er mehr Bewegungsfreiheit hatte. Es war schwierig genug, die Angriffe zu parieren, wenn man Platz hatte, umso mehr, wenn man gezwungen war, seinen Stand zu behaupten, um zu verhindern, dass derjenige, den man schützen wollte, verletzt wurde.
Nichtsdestotrotz… er spürte, dass es eng wurde. Er hatte fast zwanzig Jahre lang Unterricht im Schwertkampf bekommen, und sein Lehrer war nicht der schlechteste gewesen. Aber er hatte nie um Leben und Tod kämpfen müssen, und vor allem, nie gegen einen echten Krieger.
Seine Arme wurden schwer, seine Lungen brannten in dem verzweifelten Bemühen, genug Sauerstoff durch seinen Körper zu pumpen. Dumbledore hatte ihn von frühester Kindheit an dazu bewegt, in guter körperlicher Fitness zu sein, doch die letzten Monate auf der Flucht hatten ihn geschwächt.
Schweiß tropfte ihm in die Augen. Eine heftige Attacke trieb ihn zurück, bis er mit den Beinen gegen den Stein prallte und rückwärts auf den Felsen fiel. Er rollte blitzschnell seitwärts ab, und wo eben noch sein Kopf lag, sauste die Klinge herab, klirrte protestierend bei der Berührung von Metall und Stein.
Noch im Hochspringen schwang Severus sein Schwert in einer von unten nach oben gerichteten Bewegung, und diesmal war es Slytherin, dem es gerade noch so gelang, zurück zu weichen.
Auch er atmete inzwischen schwer, und das kalte Feuer in seinen blauen Augen flackerte. „Warum tust du das, Severus Snape?", fragte er grollend. „Ist sie deine Lady, bist du ihr Ritter? Wenn es nur das ist, das ließe sich arrangieren. Ich suche mir einfach eine andere Jungfrau, deren Blut mich erheben wird!"
Für einen Moment überkam den Tränkemeister der heiße Wunsch zu lachen. Er, der schleimige Mistkerl, der ihr jahrelang das Leben schwer gemacht hatte, die übergroße Fledermaus aus den Kerkern, der bösartige dunkle Mann – plötzlich zum strahlenden Retter der goldenen Jungfrau stilisiert! Seine Lippen kräuselten sich spöttisch. „Sie ist nicht meine Lady, aber ich bin trotzdem ihr Ritter!", antwortete er. „Und nein, du wirst dir auch keine andere Jungfrau suchen!"
Wieder kreuzten sich die Klingen. Schlag folgte auf Schlag, Stoß, Parade, Ausfall, Gegenstoß – Severus spürte, dass er dabei war, zu verlieren. Erschöpfung machte sich in ihm breit, immer schwieriger wurde es, den Krieger abzuwehren.
Die Schläge Slytherins hatten etwas ihrer Wuchtigkeit verloren, waren aber noch immer gnadenlos. Die größere Erfahrung machte sich bemerkbar. Das Leben eines Kriegers, das Kämpfen auf echten Schlachtfeldern, das Töten, das instinktive Erkennen eines Vorteils – selbst als Horkrux beherrschte er die Techniken des Kampfes. Mit grausamer Gelassenheit spürte er eine kurze Unkonzentriertheit bei dem dunklen Mann, der es gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen.
Seine Klinge schlug einen kurzen Bogen und schoss dann hervor wie der Kopf einer Schlange. Severus hatte nicht mehr genug Kraft, das Schwert seines Kontrahenten vollständig abzuwehren, er versuchte noch, mit einer Drehung auszuweichen, doch es war zu spät. Die Schwertspitze fraß sich in seine Seite und richtete unwiederbringlich Schaden an. Blut schoss hervor, als Slytherin seine Waffe zurückzog, und der Tränkemeister taumelte gegen die Wand.
Kraftlos lehnte Severus an dem nassen Felsen. Es war vorbei, er hatte versagt. Sein Blick fiel auf die Wunde. Übelkeit überwältigte ihn, und sein Gesicht verlor alle Farbe. Schwer hob er seinen Blick und sah Slytherin an. Der lächelte und wandte sich dann ab.
„Einen guten Kampf hast du mir geliefert, Severus Snape", sagte er. „Ich werde mich gleich zu dir begeben und dir beim Sterben zuschauen. Aber zuerst muss ich mich um deine Lady kümmern".
Severus schaffte es, sich von der Wand abzustoßen, obwohl die Schmerzen ihm fast die Besinnung raubten. Schwarze und rote Punkte tanzten vor seinen Augen und verhöhnten ihn. „Salazar Slytherin!", rief er keuchend.
Slytherin sah in über die Schulter aus an, drehte sich dann überrascht um. „Du bist wahrhaftig ein zäher Brocken", sagte er anerkennend. „Wir beide hätten Großes vollbringen können."
„Bedauerlich", antwortete Snape leise. „Jetzt sieht es so aus, als ob wir beide nichts Großes mehr vollbringen werden", und mit diesen Worten packte er sein Schwert fester und warf mit einer letzten übermenschlichen Anstrengung die Waffe auf Slytherin.
Die Augen des Kriegers weiteten sich überrascht, doch keine Reflexe der Welt konnten ihn mehr retten. Die Klinge bohrte sich ihm mitten ins Herz. Feuer schien weiß-blau aus seinen Augen, Feuer sprang aus seinen Handflächen, Feuer raste über seinen Körper, ausgehend von dem silbernen Schwert, das einst seinem Freund und späteren Feind Godric Gryffindor gehörte. Ein tosender Sturm fuhr durch den Körper des Horkrux, wütete über den Felsen, den Kessel und Severus Snape, der in die Knie brach.
Ein pfeifender Ton stieg zu einem schrillen Crescendo an, und der Tränkemeister stöhnte auf, als sein linker Arm zu verbrennen schien. Mit tränenden Augen starrte er auf das Dunkle Mal, welches aus seiner Haut herauszuplatzen drohte.
Hermione schrie auf, als der Sturm und der Lärm ihr Gehör zu sprengen drohten, und Salazar Slytherin breitete plötzlich die Arme aus und brüllte unmenschlich auf. Und dann explodierte er, Stücke seiner selbst flogen durch die Luft und klatschten gegen die Wände. Die plötzlich eintretende Stille betäubte sie.
Severus kniete noch immer auf dem kalten Boden, näher der Ohnmacht als einem bewussten Gedanken. Dann kehrte der Schmerz in seiner Seite mit einer solchen Heftigkeit zurück, dass er aufstöhnte. Seine Hand, die er dagegen gepresst hielt, war getränkt mit dunklem Blut.
Fahrig nestelte er in der Tasche seiner Lederjacke, fand eine Ampulle, öffnete sie mühsam mit zitternden Fingern und kippte den Trank mit einem Mal hinunter. Er schloss die Augen und verkrampfte, bis er spürte, dass die Wirkung einsetzte.
Er wusste genau, dass es nicht lange halten würde und kam mühsam auf die Beine. An der Stelle, wo der Horkrux des Salazar Slytherin explodiert war, bückte er sich und hob das Schwert Gryffindors auf. Beim Anblick der Fleischreste wurde ihm übel und nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, den Würgreiz zu überwinden.
Mehr stolpernd als aufrecht gehend bahnte er sich einen Weg zu Hermione Granger. Er hatte kaum die Kraft, seinen Zauberstab aus der Tasche zu ziehen, doch irgendwie gelang es ihm, und mit einem Wink verschwanden die Fesseln, die sie an die Wand gepresst hielten.
Sie fiel vorüber, als ihre Beine unter ihr nachgaben. Sie war so lange gefesselt gewesen, dass sie jegliches Gefühl in ihren Gliedmaßen verloren hatte, und sie keuchte leise auf, als der Schmerz plötzlich durch ihre Adern schoss. Sie war unfähig, sich zu erheben.
Severus Snape stützte sich schwer auf das Schwert, als er sich neben sie hinkniete. „Miss Granger", sagte er. „Wir müssen hier sofort raus! Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Todesser kommen."
Sie sah ihn von unten her an. Er streckte seine linke Hand aus und versuchte, sie hoch zu ziehen. „Sie müssen mir schon ein wenig helfen, Miss Granger", ächzte er. Sie stemmte sich mit verzerrtem Gesicht hoch. Ihre Beine drohten nachzugeben, doch Snape packte sie um die Hüfte und zog sie mit sich.
„Warum?", fragte sie leise. Ihm war klar, was sie meinte.
„Wir haben jetzt keine Zeit, darüber zu diskutieren." Seine Stimme, sonst so volltönend und kraftvoll, war flach. „Nehmen Sie das Schwert. Das ist ein Portschlüssel. Sobald wir draußen bei Ihren Freunden sind, aktivieren Sie ihn, und wir verschwinden." Er unterdrückte ein Aufstöhnen. Wie er vermutet hatte, war er zu schwer verletzt, als dass der Aufpäppeltrank lange Wirkung gezeigt hätte.
Sie durchquerten das Tor, als müssten sie sich gegen strömendes Wasser stemmen. Severus zeigte mit seinem Zauberstab auf Harry und Ron und murmelte. „Finite encatatem!"
Sie sprangen beneidenswert leicht auf. „Keine Fragen jetzt", herrschte der Tränkemeister sie an. „Miss Granger?" Sie murmelte den Aktivierungsspruch. „Los, anfassen, alle!" Die scharfe Stimme ihres ehemaligen Lehrers bewirkte noch immer Gehorsam.
Zehn, neun, acht Sekunden noch…
Plopp! Plopp! Plopp! Schwarze Gestalten mit silbernen Gesichtsmasken materialisierten sich vor ihnen. „Stupor! Expelliarmus! Stupor!" Snape reagierte mit den schnellen Reflexen eines Spions.
Sieben, sechs, fünf…
Doch sie kamen von allen Seiten. Der dunkle Mann, Ex-Tränkemeister in Hogwarts, Ex-Spion, Ex-Todesser und Mörder von Albus Dumbledore, traf im Bruchteil der Sekunde eine Entscheidung. „Festhalten", zischte er den Jugendlichen zu, löste sich von dem Portschlüssel und stellte sich schützend davor.
Vier, drei, zwei…
„Stupor! Stupor! Stupor!"
Eins…
Die Flüche trafen ihn von allen Seiten, doch er wusste, er hatte es geschafft. Das Goldene Trio war in Sicherheit.
Schwärze…
Das vertraute Reißen im Bauchnabel, das verwirrende Herumwirbeln, ein Kaleidoskop von Farben. Dann der harte Aufprall auf einem kalten Steinboden. Hermione öffnete die Augen. Und schloss sie wieder. Oh mein Gott! Ich bin tot, dachte sie. Dann begann ihr scharfer Verstand wieder zu arbeiten. Konnte einen ein Portschlüssel umbringen? Blödsinn!
Sie öffnete wieder ihre Augen und starrte fassungslos auf … Albus Dumbledore. Ein schneller Blick zeigte ihr, dass Harry und Ron auch nicht gerade intelligent auf den ehemaligen Direktor ihrer Schule sahen.
„Sind Sie ein Geist?", krächzte Ron erschüttert.
„Nein", kam die vertraute Stimme Professor McGonagalls von irgendwo hinter ihnen. Sie lagen noch immer ziemlich verrenkt auf dem Boden, doch jetzt begannen sie sich aufzurappeln, ihren Blick nicht von Albus Dumbledore wendend.
„Wie…?", Hermiones Stimme brach. Und dann warf sie sich vorwärts, direkt in die Arme des Schulleiters, packte ihn, umarmte ihn, lachte, weinte zur gleichen Zeit und fluchte zwischendurch schlimmer als jeder Droschkenkutscher. „Es war alles ein Trick, nicht wahr?", schniefte sie schließlich.
Professor Dumbledore lächelte ein wenig und nickte, selbst ein wenig erschüttert beim Anblick seiner fassungslosen Schüler. Hermione hatte noch nie schneller gedacht als jetzt. „Sie haben das getan, um… um…" Ihre Gedanken kreisten. Dann machte es Klick. „Um Snape, äh, Professor Snape, endgültig zur Nummer Eins von Voldemort zu machen." Sie sah Ron zusammen zucken, doch sie kümmerte sich nicht darum.
Dann traf es sie bis ins tiefste Mark. Sie drehte sich wieder zu ihrem Schulleiter um. „Aber verdammt noch mal!", schrie sie dann. „Warum hat er dann jetzt seine Tarnung aufgegeben?"
Dumbledore und McGonagall wechselten einen Blick. „Der Horkrux", erklärte die Professorin dann. „Der sechste und stärkste. Nachdem Severus herausgefunden hatte, was oder besser wer der Horkrux war, wusste er, dass ihr das nicht allein schaffen würdet. Und damit kam die Prophezeiung ins Spiel…"
„Welche Prophezeiung?", fuhr Harry verwirrt dazwischen.
„Eine sehr konfuse, wie das Prophezeiungen, so fürchte ich, an sich haben", übernahm der Schulleiter wieder und zitierte:
„Ein Ganzes, doch sind sie Drei,
Schlau und mutig und treu.
Mit Verstand, nicht mit Glück
Brechen sie die schwarze Macht,
Stück für Stück.
Doch das Böse dort
Verborgen hinterm Nebeltor
Bekämpft der Eine nur -
Eine Schlange, im Herzen Gryffindor.
Blut für Blut und Blut um Blut,
Schlau, mutig und treu,
Die geheime Kraft der Zwei."
„Was hat das zu bedeuten?", fragte Harry. „Was hat das für uns zu bedeuten?" Er sah hilfesuchend zu Hermione.
McGonagall nickte ihr aufmunternd zu. „Ein Ganzes, drei… das sollen sicher wir sein…", dachte sie laut. „Teil für Teil der schwarzen Macht brechen – die Horkruxe, die wir gefunden haben… hinterm Tor, da war Slytherin, oder der Horkrux, der auf Slytherin basierte…"
„Sehr gut", murmelte Dumbledore, „wir haben bedeutend länger gebraucht, um darauf zu kommen."
„Und eine Schlange, im Herzen Gryffindor…? Snape?! Im Herzen Gryffindor? Er ist das Oberhaupt von Slytherin! Und doch…" Hermiones leises Murmeln verstummte kurz, als sie nachdachte. Und dann schreckte sie auf. „Bei Merlin! Blut für Blut und Blut um Blut!", keuchte sie auf.
Sie packte mit erschrockenen Augen Professor Dumbledores Robe. „Direktor! Professor Snape hat mir das Leben gerettet und ist selbst schwer verletzt! Und jetzt haben ihn die Todesser!" Scham überflutete sie, dass sie jetzt erst daran gedacht hatte. „Wir müssen ihn befreien! Sofort!"
