Namenslos

Prolog

Riddle ging mit langen Schritten durch den Korridor. Am liebsten wäre er gerannt, doch dann wäre er das Risiko eingegangen, die silberne Flüssigkeit in der Schale, die er trug, zu verschütten. Als er das leere Klassenzimmer erreicht hatte, öffnete er die Tür vorsichtig mit dem Ellebogen und glitt lautlos in den dunklen Raum. Er schloss die Tür mit dem Fuß und ging ohne zu Zögern durch die Dunkelheit während links und rechts von ihm an den Wänden auf den Fackeln leise fauchend ein metallisch blaues Feuer entfachte. Er stellte die Schale behutsam auf einen Tisch, griff in seinen Umhang und zog den Gegenstand um den er eine feste Faust geschlossen hatte hervor. Er öffnete sie und während Gold und Silber ihre Reflexe im bläulichen Licht warfen, begann er zu lächeln.

Remus fror. Obwohl seine Loyalität zum James es ihm verbot das zu zeigen, widerstand er nur schwer dem Verlangen, das riesige scharlachrote Banner, auf der Tribüne als Decke zu benutzen.

Und das obwohl es wie der Rest der Welt kaltes Wasser triefte, wie eine kleine Quelle. Peter neben ihm klapperte mit den Zähnen und rieb sich die Hände, wobei Wassertropfen von seiner spitzen Nase fielen.

Für ihn schien die bloße Anwesenheit schon Loyalitätsbeweis genug.

Remus überblickte das Stadion und erkannte, dass ein paar kleine Gruppen wieder vom Schloss zurückgekommen waren. Selbst von der obersten Tribüne aus konnte er durch die Regenschwaden erkennen wie verschlafen sie alle aussahen.

Das Spiel dauerte schon fast 3 Tage und er hatte das Gefühl, danach nie wieder ein Quidditchstadion betreten zu können.

Sein Blick wanderte nach vorne zu einer stehenden Person, die enthusiastisch in das purpurne Megaphon gegen den heruntertratschenden Regen an schrie.

"Fitzlonan an Jersey - eine hervorragende Auswechselspielerin, schoss gestern schon zwei Tore - zurück an Fitzlonan, neeein, Douglas hat ihn erwischt - übrigens der einzige Hufflepuff, der bis jetzt durchgehalten hat - was mich persönlich nicht wundert - an Mitchell - nein Morrton, oder doch Mitchell? Dieser ständige Spielerwechsel zeigt eindeutig wie es um die Kondition der Kanariengelben wirklich bestellt ist! Und Mitchellmorrton hat ihn auch schon wieder verloren, Diane los hau ihn rein! - dieser improvisierte Zweitklässler ist kein Hindernis! JA! 980 zu 710 für Gryffindor!"

Sirius fror nicht. Er hüpfte bei jedem Tor jubelnd wie ein außer Kontrolle geratener Flummy auf den glitschigen Brettern der Tribüne herum, sodass Remus regelmäßig dem Reflex widerstehen musste ihm von dem bedrohlich nahen Abgrund wegzureißen, er schwenkte Gryffindorbanner, schrie voller Elan, die Ergebnisse in das Megaphon, wenn es ihm die völlig überstrapazierte McGonagall einmal überließ und schüttete seinen Spott genüsslich über die übermüdete Mannschaft der Hufflepuffs aus.

Gryffindor hatte faktisch gewonnen. Sie lagen schon seit Beginn in Führung. Das Problem war nur, dass der Schnatz sich seit drei Tagen kein einziges Mal hatte blicken lassen was bei dem anhaltenden Dauerregen kein Wunder war. Routiniert blickte Remus zu James.

Er flog inzwischen so hoch, dass man glauben konnte er versuche in der Wolkenschicht zu verschwinden. Als versuche er dorthin zu kommen wo es nicht mehr regnete.

Er und drei andere Griffindors spielten seit Beginn des Spieles und da niemand sie zu einer Auszeit bewegen konnte, blieb ihnen nichts anderes übrig als auf ein baldiges Erscheinen des Schnatzes zu hoffen.

Sirius hatte prompt die Partei von James ergriffen und weigerte sich ebenfalls ins Schloss zu gehen und wenigstens für ein paar Stunden zu schlafen.

Das Schuljahr hatte erst vor zwei Monaten begonnen und die Punkte die sie jetzt machten waren sehr wichtig für die Wertung am Ende. Remus vermutete, dass Sirius und James demnächst ein paar Aktionen starten wollten, die definitiv Punkte kosten würden und deshalb sehr erpicht darauf waren bei diesem Spiel abzusahnen.

Er unterdrückte ein Gähnen und beobachtete wie unten auf dem Spielfeld, der Sucher der Hufflepuffs auf seinen Besen stieg und den Auswechselspieler, der leicht schwankend in Richtung Umkleidekabine ging, ablöste.

Das helle Gelb seines trockenen Trikots, färbte sich noch während er in die Luft stieg vor Nässe braun.

"Edmond ist zurück und wie zu erwarten heftet er sich sofort an Potters Fersen. Eins muss man dem Jungen lassen: er weiß wer der Bessere ist!" fiel Sirius sofort über den Neuankömmling her. "Es sieht so aus als seinen drei der ursprünglichen Hufflepuffspieler endlich wieder soweit aufgepäppelt um weiter spielen zu können. Allerdings wenn ich mir Norringthons Trefferquote so ansehe habe ich da meine Zweifel..."

Der Klatscher Celvin Norringthon auf den diese Spöttelei gemünzt war, drosch daraufhin wütend gegen den Klatscher und versuchte ihn verbissen in die Richtung des Jägers aus Griffindor, Fitzlonan, zu manövrieren, den das allerdings nicht davon abhielt ein Tor zu schießen.

"990 zu 710 für Griffindor!" rief Sirius "Wer den tausendsten Treffer landet dem geb ich Butterbier aus bis er umfällt! Diane, für dich wäre auch ein Date drin!"

Remus vernahm tatsächlich so etwas wie ein Lachen von den Tribünen. Diane, eine braunhaarige Sechstklässlerin, flog einen leicht zittrigen Bogen, nahm dann jedoch sofort die Verfolgung von Douglas, auf der nun den Quaffel hatte. Ihre jähe Zielstrebigkeit löste erneut leises Gelächter aus.

Aber es würde nie zu einem Date zwischen Sirius und Diane kommen.

Remus wusste nicht wer es zuerst bemerkt hatte, aber mit einem Schlag hatte jeder im Stadion den Kopf nach hinten gerissen und starrte zu James und Edmond, die in Sturzflug gegangen waren.

Dieser Anblick ging wie ein Hieb durch das Stadion, auf allen Seiten brandeten durchnässte Banner in die Höhe, die Schüler sprangen auf die Sitze und begannen zu johlen und selbst Peter, stand auf einmal wieder und schwenkte mit Remus eine Löwenflagge.

"Ja, James! Du schaffst es! Los, häng den Kanarienvogel ab! Hol den Schnatz für den Löwen!" tönte über all dem Tumult Sirius Stimme, die man nun mit bestem Willen nicht mehr als unparteiisch bezeichnen konnte und die Griffindor fielen jäh in wilde Kampfrufe mit ein.

"Hol den Schnatz!" schrien sie und "Jay! Jay! Jay!" Ein Anfeuerungsruf, den sie seit der fünften Klasse für James verwendeten.

Es sah gut aus. James zischte mit beiläufiger Eleganz durch die erstarrten Spieler hindurch und steuerte auf einen Punkt neben einer der Torstangen, der Hufflepuffs zu. Edmond war weit abgeschlagen.

Der einzigste Mensch im Stadion, der nicht mit hoffnungsvollen Blicken an James klebte, war Norringthon, der einige Meter von ihm entfernt noch immer verbissen dem Klatscher nachjagte.

James machte einen Schlenker um ihn und streckte die Hand aus während die Lautstärke im Stadion nun nicht mehr darauf schließen ließ, dass sich die Schüler gerade zwei Nächte um die Ohren geschlagen hatten.

Remus sah den Schnatz inzwischen auch.

Er und James befanden sich wenige Meter von ihren Sitzen entfernt, fast auf Augenhöhe.

Plötzlich intensivierte sich Remus Wahrnehmung. Er befand sich kurz nach den Verwandlungen in diesem Zustand, aber in seltenen Fällen überkam er ihn auch am helllichten Tag ohne dass Vollmond war.

Die lauten Rufe zogen sich in die Länge und entfernten sich gleichzeitig, während der Regen lauter prasselte und sich aufhellte und das Geschehen sich vor seinen Augen verlangsamte, so dass er jedes Detail in sich aufnehmen konnte.

Remus nahm, den Geruch von kaltem Kräutertee wahr und spürte wie Peters nasser Ärmel sein Gesicht beim Schwenken der Fahne streifte. Er sah James, der sich mit einer routinierten Bewegung die Haare aus den leuchtenden Augen warf.

Vom Daumen seiner fächerförmig ausgestreckten Hand fiel ein diamantheller Regentropfen und das Gold blitzte seltsam metallisch durch das Schwarz seines Handschuhs während seine Hand einen immer kleiner werdenden Käfig um den Schnatz schloss.

James Faust löschte den metallenen Schimmer aus der Luft über dem Stadion und Remus sah wie sich im selben Moment ein jäher Ruck durch den Körper seines Freundes zog, der von seinem Kopf ausging.

Von einer Sekunde auf die nächste schaltete sich seine Wahrnehmung wieder auf die eines Menschen um.

Der Lärm war ohrenbetäubend, während die Griffindors auf ihren Sitzen tanzten, sich in die Arme fielen oder einfach nur in den allgemeinen Schlachtruf einfielen.

Nur Sirius Stimme fehlte in dem Tumult. Remus drehte gerade noch rechtzeitig den Kopf um zu sehen wie er die Treppe, die zum Spielfeld hinunter führte, hinab eilte.

Er und Remus waren wohl die Einzigen die es gemerkt hatten:

Celvin Norringthon hatte zum ersten und letzten Mal in diesem Spiel sein Ziel getroffen.