Altersfreigabe: ab 18
Inhalt: Das Ende des Krieges steht kurz bevor und noch ist nicht entschieden, wer triumphieren wird. Hermine ist getrennt von Harry und Ron und bekommt Anweisungen, die das Blatt zu ihren Gunsten wenden können. Und obwohl diese Anweisungen von Severus Snape stammen, zögert sie keine Minute – eine Entscheidung, die sie noch Jahre später bitter bereuen wird.
Hauptcharakter(e)/Paar(e): Hermine Granger/Lucius Malfoy
Disclaimer: Nichts gehört mir, alles ist Eigentum von J.K. Rowling.
Updates: Da die Kapitel dieses Mal sehr lang geraten sind, ich sie aber nicht allzu lange auseinanderreißen möchte, werde ich sie in zwei Teile splitten und jeweils samstags und sonntags posten.
Länge: Prolog + 7 (sehr lange und daher aufgeteilte) Kapitel
Kommentar: Es war einmal ein Geburtstag von Serpensortia, an dem meiner einer mal wieder viel zu wenig Zeit, dafür aber eine fixe Idee hatte. Reek, dachte ich mir, Reek, schenk ihr eine HG/LM, die zwar noch nicht geschrieben, aber dafür in deinem Kopf schon existent ist. Dann bist du fein raus und freuen tut sie sich auch noch (so hoffte ich). Nun ja, dieser Geburtstag ist mittlerweile drei Jahre her... *räusper* ... aber dafür ist die Story auch um einiges länger geworden, als ursprünglich geplant.
Insofern... herzlichen (sehr verspäteten) Geburtstag nachträglich, Sers! Diese Story ist nur für dich!
Beta-/Testleser: Mein Versuchskaninchen vorab war Lepitera (sie hat es überlebt – mehr oder weniger) und als Betaleserin hat sich dieses Mal EmilyLaing erbarmt.
Davon abgesehen habe ich Se. Ka. Ya die Teile in Latein zu verdanken. Ohne sie hätte sogar ein absoluter Lateinlaie einen Schreikrampf bekommen.
Vielen Dank an euch drei!
Warnungen: Character Death, Hurt/Comfort
Das geheime Opfer
Prolog: Das Ritual
Hogsmeade bot ein Bild, das Hermine so noch nie gesehen hatte. Dichter, schwarzer Qualm lag in der Luft, brannte in Augen und Lunge und stank erbärmlich nach verbranntem Fleisch, Blut und schwelendem Holz. Die Hitze der brennenden Häuser leckte über ihr Gesicht und Ruß legte sich in so dicken Schichten auf ihre Haut, dass es sich anfühlte, als würde er von Zeit zu Zeit abbröckeln.
Stolpernd kämpfte sie sich vorwärts und hoffte inständig, dass sie in die richtige Richtung hinab lief – zum Schloss Hogwarts, das bis vor etwa zwei Stunden noch deutlich in der Ferne zu sehen gewesen war. Mittlerweile hatten Voldemort und seine Anhänger nicht nur das Dorf in Schutt und Asche gelegt; auch die Sonne war untergegangen und die Nacht hüllte den Kriegsschauplatz in diffuses Dämmerlicht, aus dem die Schatten der halb zerstörten Häuser aufstiegen wie Geister.
Etwa zwei Stunden war es auch her, dass Hermine Harry und Ron das letzte Mal gesehen hatte. Die Angst um ihre beiden besten Freunde schnürte ihr den Brustkorb zu und das, obwohl sie durch die beiden verzauberten Steine in ihrer Tasche wusste, dass es den beiden gut ging. Sie fühlte sich, als würde sie unter Wasser treiben, alle Geräusche drangen nur gedämpft und verzerrt an ihre Ohren. Sie war niemals zuvor ohnmächtig geworden, doch gerade jetzt befürchtete sie, diese Erfahrung bald nachzuholen – und ein Teil von ihr hoffte sogar darauf.
Der andere Teil hielt sie in Bewegung, denn auch wenn sie das letzte Schuljahr über nicht einen Fuß ins Schloss gesetzt hatte, so wusste sie doch eines mit Sicherheit: die Schüler waren noch dort und den Todessern hilflos ausgeliefert, wenn nicht ein Wunder geschah. Die Lehrer hatten hier mit ihnen gekämpft, in der Hoffnung, einen Angriff auf das Schloss verhindern zu können. Ohne Erfolg. Die Prozession um den Dunklen Lord bewegte sich zwar langsam, doch unaufhaltsam auf Hogwarts zu.
Keuchend blieb Hermine stehen und wischte sich über die tränenden Augen. Die Straße führte vor ihren Füßen einen Abhang hinunter und schlängelte sich durch die schottische Berglandschaft, bis sie von den eisernen Toren der Schule aufgehalten wurde. Die ganze Strecke, das wusste sie aus eigener Erfahrung, war etwa einen Kilometer lang. Wie viel davon Voldemort schon zurückgelegt hatte, konnte sie nur vermuten.
Ihr einziger Vorteil bestand darin, dass die Todesser diesen Weg zu Fuß zurücklegen würden. Sie genossen es viel zu sehr, einige Hexen und Zauberer mit sich zu zerren und zu quälen, als dass sie Zeit durchs Apparieren sparen würden.
Ohne einen genauen Plan im Kopf machte Hermine sich also bereit, vor die Tore der Schule zu apparieren. Sie schloss ihre Augen und konzentrierte sich über das Brüllen des Feuers hinweg auf ihr Ziel. Vor ihrem geistigen Auge tauchten der Zaun und der schmale Sandweg auf, der zu den großen Flügeltüren führte. Das zerstörte Hogsmeade versank immer mehr in dem schnellen, aber gleichmäßigen Schlagen ihres Herzens und den gequälten Atemzügen, die viel zu heiße Luft aspirierten. Mehr denn je schienen ihre Füße sich mit der verbrannten Erde zu verbinden, bis sie bereit war, sie auf einen anderen Untergrund zu stellen. Die Masse ihres Körpers schien auf ein absolutes Minimum zu schrumpfen und die Magie schwoll an wie Milch in einem Topf, wenn die Temperatur sich dem Siedepunkt nähert.
Und dann griff plötzlich etwas nach ihrem Fuß.
Hermine schrie panisch auf und machte einen großen Satz nach hinten. Dabei geriet sie auf einem verkohlten Balken ins Straucheln und fiel hin. Einzig ihre Reflexe verhinderten es, dass sie sich den Kopf auf dem verstreut liegenden Schutt aufschlug.
Mit rasendem Herzschlag setzte sie sich auf und überblickte hastig den Boden. Der stechende Geruch verbrannten Fleisches stieg ihr in die Nase, intensiver als zuvor. Nachdem sie sich ein weiteres Mal die Tränen aus den Augen gewischt hatte, konnte sie einen in schwarzen Stoff gehüllten Haufen am Boden erkennen, aus dem eine sehnige, mit Blut und Ruß verschmierte Hand herausragte. Die dünnen Finger tasteten sich über den Boden wie die Beine einer Spinne und alles in Hermine sträubte sich dagegen, sitzen zu bleiben.
Doch sie hatte die Hand erkannt. Sechs Jahre lang hatte sie sie dabei beobachtet, wie sie Zutaten zerkleinert, schlechte Noten verteilt und böse Worte mit präzisen Gesten unterstrichen hatte. Die Hände Severus Snapes hätte sie wohl unter Hunderten erkannt.
Also schluckte sie ihre Panik und krabbelte über Steine und Holzbalken hinweg zu ihrem ehemaligen Lehrer. Er lag auf dem Bauch, allerdings in einer so verkrümmten Haltung, dass Hermine auch ohne medizinische Kenntnisse wusste, dass er schwer verletzt sein musste. Mit zitternden Händen tastete sie nach seinen Schultern und drehte ihn herum, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Ein kaum unterdrückter Schmerzensschrei begleitete ihr Tun.
Dann fiel flackerndes Licht auf seine Gestalt und Hermines Magen zog sich zusammen. Sein Gesicht war kaum mehr als solches zu erkennen. Das rechte Auge war zugeschwollen, die Lippen aufgesprungen und dick. Dann wurde ihr bewusst, dass seine ganze rechte Gesichtshälfte nicht etwa im Schatten lag, sondern von Blutergüssen schwarz verfärbt war. Das strähnige Haar klebte an seinen Schläfen und der Stirn und die ohnehin schiefe Nase sah aus, als wäre sie ein weiteres Mal gebrochen worden.
Mit verzerrtem Gesicht hob Snape seinen linken Arm und griff nach Hermines Schulter. So nahe er dem Tod auch sein mochte, er war alles andere als schwach. Und so hatte sie keine andere Wahl, als sich seinem Griff zu beugen und sich hinab zu lehnen in den durchdringenden Gestank, den seine Verbrennungen verströmten. Hermine würgte unwillkürlich und schmeckte sauren Magensaft auf ihrer Zunge.
„Miss Granger...", begann der Mann, den sie sieben Jahre lang mit Leidenschaft gehasst und dennoch aus Respekt immer verteidigt hatte. „Hören Sie mir zu!"
Sie hatte schon an ihren besten Tagen nicht genug Mut gehabt, sich dem Tränkemeister zu widersetzen; niemand könnte sie dazu bringen, es jetzt zu tun. „Ich höre Ihnen zu", wimmerte sie deswegen. Gleichzeitig hoffte sie, dass er schon zu schwach war, um ihr irgendetwas anzutun.
„Sie müssen ins Schloss gehen. Ins Büro des Schulleiters, Aphrodill. Neben dem Schreibtisch gibt es einen kleinen Schrank, durch Illusionszauber verborgen. Fünfte Schublade von... von..." Er hustete und ein schwarzes Rinnsal lief aus seinem Mundwinkel und sickerte in seine Haare. „Fünfte Schublade von unten, Eremesticus. Es steht... alles... auf den Pergamenten."
Noch während er die Worte herauszwang, tastete er mit der freien Hand unter seinen Umhang und zog etwas hervor, das im Licht des Feuers golden glänzte. Er hielt es ihr hin und als sie den Gegenstand ergriff, erkannte sie es als den Goldring, in dessen gespaltenem schwarzen Stein das Peverell-Wappen eingraviert war. Es war der Horkrux, der Dumbledore die Hand gekostet hatte.
„Sie werden ihn brauchen", röchelte Snape und seine Stimme wurde merklich dünner.
Hermine nickte, während ihre Gedanken rasten. Nach allem, was sie im letzten Jahr über Snape gehört hatte – seinen Aufstieg zum Schulleiter, der gebilligte Einzug der Carrow-Geschwister ins Lehrerkollegium, seine offensichtliche Loyalität gegenüber dem Dunklen Lord – kam es ihr vor wie ein schlechter Scherz, dass ausrechnet er ihr offenbar Anweisungen gab, die zum Ende des Krieges führen könnten.
Nichtsdestotrotz empfand sie für ihn nicht mehr als Abscheu und so versuchte sie sich aus seinem klammernden Griff loszumachen, um widerstrebend zwar, doch mit neu erwachter Hoffnung zum Schloss zu apparieren, bevor Voldemort dort ankommen konnte.
Das einzige, das sie daran hinderte, war der nach wie vor feste Griff, mit dem Snape ihre Schulter in genau dieser Position hielt. „Sie müssen mich loslassen, Sir!", sagte Hermine deswegen und pulte an den dünnen Fingern des sterbenden Mannes.
„Nein, eines noch. Miss Granger, nach dem Krieg..."
Doch er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Ein grüner Blitz schoss irrgeleitet durch die Dunkelheit und traf Snape direkt in den Kopf. Hermine erschrak erneut heftig und stolperte zurück. Für einen kurzen Moment konnte sie noch die starren, schwarzen Augen des Tränkemeisters erkennen. Die riesigen Pupillen und den dunkelbraunen, schmalen Rand der Iris.
Dann disapparierte sie, bevor derjenige, der Severus Snape getötet hatte, auf sie aufmerksam werden konnte.
Sie landete mit dem Gesicht im feuchten Gras und sog den frischen Geruch dankbar in ihre geschundenen Lungen. Einige Sekunden erlaubte sie es sich, liegen zu bleiben und sich der wunderbaren Illusion von Frieden hinzugeben. Dann tönte ein markerschütternder Knall durch die Luft, ein lauter Schrei folgte. Hermine setzte sich abrupt auf.
In der Ferne konnte sie die Fackeln erkennen, die langsam den gewundenen Pfad entlang tanzten. Dahinter – wie eine Kulisse aus einem alten Kriegsfilm – die viel größeren Flammen, die das gefallene Dorf markierten.
Hermine stemmte sich auf die Beine und für einen Moment tauchte das Bild ihres verstorbenen Lehrers vor ihr auf. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle; nicht, weil sie Severus Snapes Tod bedauerte, sondern weil sie es nicht tat, obwohl er es möglicherweise doch verdient hätte.
Sie blinzelte und sowohl das Bild, als auch ihre Gedanken waren vergessen. Schwankend kam sie auf die Beine und lief an der äußeren Grenze des Schlossgrunds entlang. Vor einigen Monaten hatte Ginny ihr eine Eule zukommen lassen. Bei ihrem letzten Treffen hatte Hermine ihre Freundin angewiesen, eine Möglichkeit zu finden, ein Schlupfloch in die Banne zu bauen, die Hogwarts schützen sollten. Es war ihr gelungen, auch wenn sie nicht geschrieben hatte wie. Doch dieses Detail interessierte Hermine nur zweitrangig.
Nun musste sie sehen, dass sie das Schlupfloch fand, bevor sie zu viel Zeit verlieren konnte. Mehr stolpernd als laufend schlug sie sich durch die Büsche und das hohe, karge Gras, gab dabei ihr bestes, möglichst viele Alarme in der Schule in Gang zu setzen. Sie stieß einen erleichterten Laut aus, als sie endlich fündig wurde.
Mit einem letzten Blick zurück zur Prozession der Todesser schlüpfte sie durch das Loch im Zaun und verschloss es nach kurzem Zögern, einem bangen Gedanken an Harry und Ron, hinter sich. „Tut mir leid, Jungs."
Nun, da sie wieder festen und vor allem ebenen Boden unter den Füßen hatte, kam sie besser voran. Am Rand des Weges entlang bewegte sie sich zielstrebig auf die großen Flügeltüren zu und musste feststellen, dass sich im Schloss nach wie vor nichts regte. Sie schluckte die Flüche, die ihr auf der Zunge lagen und zwängte sich schwer atmend durch einen schmalen Spalt in den Türen. Wie schön musste es sein, jetzt in einem der Himmelbetten zu liegen und nichtsahnend einem tiefen Schlaf zu frönen.
Noch ehe sie sich umdrehen und einen klaren Gedanken fassen konnte, stolperte Hermine in jemanden hinein. Jemand großen, dessen Umhang sich rau auf ihrer Wange anfühlte. Der dicke Stoff erstickte ihren Schrei und als sie zurückwich und aufsah, erkannte sie zu ihrer Erleichterung das haarige Gesicht Hagrids.
„'Ermine!", brachte er mit schwach klingender Stimme hervor und zog sie wieder an sich.
Hermine kam sich vor, als würde Hagrid versuchen, sie allein mit mechanischer Kraft durch einen nicht vorhandenen Portschlüssel zu zwängen. Sämtliche Luft wurde aus ihren Lungen gedrückt und ein weiteres Mal schmeckte sie dieses säuerliche Aroma auf ihrer Zunge. Und dennoch hätte sie sich am liebsten für immer in der verführerischen Sicherheit des Wildhüters versteckt.
„Hagrid, du musst mir helfen!", bat sie, sobald sie wieder auf eigenen Beinen stand.
„Okay", brummte er und seine kleinen, schwarzen Augen fixierten ihr Gesicht mit einer ihr bis dato unbekannten Ernsthaftigkeit.
„Die Todesser sind auf dem Weg hierher. Du musst die ältesten und kampferfahrendsten Schüler aus allen Häusern versammeln und sie anführen."
„Wie... anführ'n? Aber... Wo sin' Harry und Ron? Un' die Lehrer?"
„Vor den Toren des Schlosses. Sie haben es nicht geschafft, die Todesser aufzuhalten. Wir haben keine Zeit mehr! Tu bitte, was ich dir gesagt habe! Wenn alles glatt läuft, müsst ihr höchstens eine halbe Stunde durchhalten."
„Aber...", wollte er erneut etwas einwenden.
„Hagrid, bitte!" Hermines Augen schwammen in Tränen, als sie zu dem Halbriesen aufsah.
Das war es wohl letztendlich auch, was ihn nicken ließ. Hermine dankte ihm mit einem Lächeln und lief dann an ihm vorbei auf die große Wendeltreppe zu. „Oh, und Hagrid!" Er sah sie an. „Pass auf, dass ihr so wenig Licht wie möglich macht. Du-weißt-schon-wer wird es sonst sehen." Ein weiteres Nicken folgte, ehe er seinen Weg fortsetzte. Mit einem Gang, als befände er sich auf dem Weg zu seiner Exekution.
Als Hermine das Stockwerk des Schulleiterbüros endlich erreicht hatte, konnte sie bereits das leise Summen von Gesprächen vernehmen, die durch die Gemälde im gesamten Gebäude verbreitet wurden. Insgeheim hoffte sie, dass nicht nur die Mitglieder des Ordens die Schule verlassen hatten, sondern auch die Carrows.
Mit zitternden Beinen kam sie schließlich vor dem Wasserspeier zum Stehen und stützte sich hart an der Statue ab. Die Kälte des Steins fühlte sich auf ihren wunden Händen so wohltuend an wie fließend kaltes Wasser und als ihre Fingerspitzen über die raue Oberfläche strichen, wusste sie, dass das hier wirklich passierte.
Nach einigen Momenten war sie wieder dazu in der Lage, ein verständliches Wort zu formulieren, und benutzte das erste der beiden Passwörter, die Professor Snape ihr genannt hatte und die seitdem in ihrem Kopf rotierten: „Aphrodill!"
Der Wasserspeier sah sie skeptisch an und Hermine meinte sogar erkennen zu können, dass er die Augen etwas verengte. Doch dann musste er einsehen, dass sie mit dem richtigen Passwort durchaus das Recht hatte, Einlass zu fordern. Auch wenn sie nicht Severus Snape war.
Also gab die für eine Steinfigur viel zu lebendige Kreatur nach und legte die Wendeltreppe frei, die sie hinauf in den Turm führen sollte.
Normalerweise hätte sie angesichts der dunklen Buchenholztür gezögert, mit Sicherheit sogar angeklopft. Doch bevor der Wasserspeier wieder an seinen Platz geglitten war, hatte Hermine einige Rufe gehört, von denen sie nicht sagen konnte, ob sie nur allgemeine Anweisungen oder Ausdruck der Grausamkeit gewesen waren.
In diesem Anflug von Panik drückte sie die Klinke so heftig hinunter, dass sie knackend aus der Tür brach und klappernd zu Boden fiel. Die Tür schwang auf und knallte gegen die Wand. Fawkes, der vermutlich schon vorher nervös gewesen war, flatterte kreischend in die Luft und verbreitete auch im Schulleiterbüro den strengen Geruch von Verbranntem.
Hermine rümpfte die Nase. „Fawkes, bitte... beruhige dich!", sagte sie, klang dabei jedoch nicht so ruhig, wie sie es beabsichtigt hatte. Eigentlich war es eher eine harsche Zurechtweisung gewesen.
Doch wie schon so oft zuvor bewies der Phönix auch heute ein instiktives Gespür für die Gemütslage der Menschen in seiner Umgebung. Denn nach einer weiteren Runde unter der hohen, stuckverzierten Decke des Büros landete er grazil wieder auf seiner Stange und stieß ein paar melodische Töne aus, die sich vibrierend bis in Hermines Innerstes auswirkten und ihren Puls beruhigten, als würden sie die Sprache ihres Herzens sprechen.
„Danke dir." Ein wackeliges Lächeln begleitete Hermines Worte, ehe sie sich wieder in Bewegung setzte und den breiten Schreibtisch ansteuerte, den sie nur zu Dumbledores Zeiten kennengelernt hatte. Damals war er von hellem Holz gewesen. Birke vielleicht. Oder Buche. Nun war er schwarz. Allein die ihr bekannten Schnitzereien und kunstvollen Beine verrieten ihr, dass es noch immer derselbe Tisch war.
Es gab allerdings noch etwas, das ihn von früher unterschied. Als Dumbledore noch Schulleiter gewesen war, war die Tischplatte überfüllt gewesen mit Pergamenten, verschiedenfarbigen Tintenfässern, Büchern und allerhand sonderbarem Kram, der blitzte, blinkte oder surrte. Jetzt war er – abgesehen von einem halb in die Tischplatte eingelassenem Tintenfass mit Federhalter – komplett leer.
Hermine atmete durch den Mund, als sie den Tisch umrundete und sich auf den riesigen Stuhl setzte, der darunter geschoben worden war. Sie traute sich kaum, mit ihren dreckigen Fingern die Ordnung und Sauberkeit zu berühren, die sie hier vorgefunden hatte. Es war, als würde sie den Krieg damit auch noch in den letzten Winkel der magischen Welt bringen.
Im nächsten Moment riss Fawkes sie mit einem Pfeifen aus ihren Gedanken und Hermine blinzelte heftig. Kopfschüttelnd befreite sie sich von ihren Hemmungen und wandte sich dem Ort zu, an dem angeblich das verborgene Schränkchen stehen sollte.
Geschickt zog Hermine den Zauberstab aus ihrem Ärmel und schwang ihn in einem weichen Schlenker durch die Luft. „Detegere!"
An der Linie, die sie mit der Zauberstabspitze ins Nichts malte, begann die Luft zu flirren wie an einem heißen Sommertag. Zuerst nur verschwommen, doch nach und nach immer deutlicher zeichneten sich die Umrisse eines Schrankes mit vielen Schubladen ab. Er war vielleicht einen Meter hoch und zwei Meter breit, passte gerade so eben in den Raum zwischen Schreibtisch und äußerer Wand.
Allerdings musste Hermine nun feststellen, dass Professor Snapes Beschreibung etwas ungenau gewesen war. Es gab nämlich sechs fünfte Schubladen von unten.
Seufzend rutschte sie auf den Boden und probierte die Reihe durch in der Hoffnung, dass es genau eine gab, die sich nicht ohne Passwort öffnen ließ. Doch erneut wurde sie enttäuscht; keine einzige Schublade ließ sich ohne Passwort öffnen.
Also begann sie wieder von vorne und rüttelte an jedem der kupfernen, filigran verzierten Griffe, während sie das zweite Passwort – Eremesticus – murmelte. Natürlich war es die letzte, die darauf reagierte.
„Nicht zu fassen", murmelte Hermine und fügte noch einige Flüche hinzu, die ihr spontan in den Sinn kamen, während sie die teils gefalteten, teils gerollten Pergamente aus der engen Schublade zerrte und sie auf der dunklen Tischplatte ausbreitete.
Es waren insgesamt drei Seiten. Eine davon bestand nur aus Zeichnungen, die offenbar den Aufbau eines Ritualtisches zeigten. Die zweite war übersäht mit Notizen in Snapes schlimmster Handschrift. Der Tränkemeister hatte ohnehin schon keine deutliche Schrift, doch von einigen Worten auf dieser Seite konnte sie nicht einmal mit Sicherheit sagen, dass es sich nicht um Runen oder ähnliche fremdartige Zeichen handelte.
Die dritte Seite hingegen war von jemand anderem verfasst worden. Die Schrift war zwar nicht das, was Hermine als gut leserlich bezeichnen würde und auch die teils verblassten Worte machten es ihr nicht leichter, alles zu entziffern, doch sie schaffte es, sich trotz ihrer Nervosität durch den Text zu kämpfen.
Es handelte sich um ein Ritual, das anscheinend lange verschollen gewesen war. Denn wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte Dumbledore es sicherlich schon früher genutzt, um das größte Problem der magischen Welt zu beseitigen.
Das Ritual ermöglichte es einem, die Magie einer bestimmten Person in einen Gegenstand (anscheinend ein bestimmter, doch an der Stelle war der Text so verblichen, dass Hermine nichts entziffern konnte) fließen zu lassen. In Voldmorts Fall musste dies bedeuten, dass er absolut ungefährlich und vielleicht sogar tot wäre – schließlich existierte er nur durch seine Magie.
Kribbelnde Erregung rauschte durch ihren Körper und sie zog das Pergament mit den Zeichnungen hervor. Aufmerksam betrachtete sie das Bild, dann begann sie die Schubladen des Schreibtisches nach den benötigten Utensilien zu durchsuchen.
Zuerst schnappte sie sich eine alte Feder und verwandelte sie in ein Stück Kreide, mit dem sie einen einigermaßen runden Kreis auf die schwarze Tischplatte malte.
Hinter ihr erklang aus diversen Bilderrahmen empörtes Räuspern und Gemurmel. Hermine ignorierte die ehemaligen Schulleiter jedoch.
Stattdessen malte sie noch einen weiteren, kleineren Kreis in den ersten hinein, so dass ein Doppelrahmen entstand. Diesen füllte sie, streng nach Zeichnung, mit Runen. Zwar hatte sie das Fach vier Jahre lang in Hogwarts belegt, doch diese hier waren so komplex, dass Hermine nicht das geringste damit anfangen konnte. Magie dieser Art überstieg ihr Können bei Weitem. Doch solange Professor Snape der Meinung war, dass sie sie dennoch würde ausführen können, würde sie es versuchen. Sie hatte keine andere Wahl, als dem zwielichtigen Mann zu vertrauen.
Ein zartes Beben des Fußbodens beendete ihre Zweifel schließlich und nachdem sie sich mit der freien Hand am Schreibtisch festgehalten hatte, versuchte sie schneller zu malen.
Als sie sich dem Innenleben der Zeichnung zuwenden wollte, stockte sie allerdings. Zu diesem Teil des Bildes gab es eine Erklärung auf dem Pergament, die sie erst lesen konnte, als sie damit zur Kerze hinüberging. Bei dem dritten, kleinsten Kreis in der Mitte handelte es sich nicht um eine gezeichnete Linie, sondern um den Platz für einen Ritualbecher, der mit einer bestimmten Lösung – der Mixtura Romatica – gefüllt sein musste.
Ernüchtert ließ Hermine das Pergament sinken und starrte blicklos auf die Tischplatte. Das war es also. Sie hatte weder den Becher, noch die Lösung. Sie hatte nicht einmal das Rezept für die Lösung!
Ein leises Räuspern hinter ihr ließ sie zusammenfahren. Mit rasendem Herzschlag wandte sie sich um und blickte direkt in die blauen Augen Albus Dumbledores. Ein hoffnungsvoller Laut entwich ihr. Dumbledore war vermutlich hier gewesen, als Professor Snape das Ritual erforscht hatte. Vielleicht...
„Professor Dumbledore...", begann sie deswegen, doch der alte Mann hob seine Hand und lächelte wissend.
„Die zweite Schublade von oben, dritte Reihe, Miss Granger. Das Passwort ist Potestas." Er zwinkerte und lehnte sich dann wieder in seinem Sessel zurück.
Hermine hingegen wirbelte wieder zum Schränkchen herum und zählte die Schubladen ab. Dank der präzisen Anweisung des ehemaligen Schulleiters konnte sie die richtige dieses Mal sofort öffnen. Und es verschlug ihr den Atem, als sie den Inhalt erblickte.
Der Becher, den das Ritual forderte, war in Wirklichkeit ein Kelch. Im ersten Moment glaubte Hermine, es wäre der Kelch von Helga Hufflepuff, doch sie irrte sich. Zwar war er golden und alt, doch seine Verzierungen waren andere. Er wies dieselben Runen auf, die sie auch auf den Schreibtisch gemalt hatte.
Daneben fand sie eine Phiole mit einer klaren Flüssigkeit. Zwar war sie nicht beschriftet, doch zur Feier des Tages wagte Hermine es, sich weit aus dem Fenster zu lehnen, und ging davon aus, dass es die Mixtura Romatica war.
Also stellte sie den Kelch an seinen Platz und goss die Lösung hinein.
Dann nahm sie sich noch einmal das alte Pergament mit dem Ablauf des Rituals vor und kniff die Augen zusammen, um die Stelle mit dem Gegenstand, in den sie die Magie Voldemorts leiten sollte, zu entziffern.
Nach einigen Minuten und zwei vor Verzweiflung abgekauten Nägeln hatte sie herausgefunden, dass es sich um eine Kette handelte. Genauer einen Anhänger an einer Kette. Und da Dumbledore sich weiterhin still verhielt, untersuchte sie die Schublade, aus der sie auch den Kelch und die Lösung gezogen hatte, noch einmal genauer.
Das gesuchte Objekt steckte ganz hinten, der Anhänger hatte sich verkantet. Mit einem Ruck, der den ganzen Schrank zum Wackeln brachte, zog Hermine sie hervor und betrachtete sie im Licht der Kerzen.
Der Anhänger bestand aus einem weißen Stein, der in Silber gefasst war. Die Kette, an der er hing, war sehr feingliedrig und gekonnt verarbeitet. Außerhalb der magischen Welt hätte man die Kunst, die in dieser Arbeit steckte, nicht mit ihrem Alter vereinbaren können
Blinzelnd löste sie den Blick von dem Schmuckstück und las weiter. Sie schnaubte leise auf, als der Text ihr verriet, dass sie die Kette tragen musste, wenn sie das Ritual durchführte. Nach kurzem Zögern tat sie auch das und nahm sich den letzten Absatz der Erklärung vor.
Darin ging es um den Horkrux. Beziehungsweise um einen persönlichen Gegenstand der Person, dessen Magie absorbiert werden sollte. Doch Hermine war sich ziemlich sicher, dass dieser Ritualbestandteil der ehemalige Horkrux war, den Snape ihr gegeben hatte.
Sie zog ihn aus der Tasche und ließ ihn – den Anweisungen folgend – in den Kelch fallen. Die Lösung gab dabei keinen Laut von sich, was für Hermine das erste Anzeichen dafür war, dass es sich nicht um klares Wasser handelte.
Nach einem Anflug von Nervosität und einem weiteren, stärkerem Beben stand Hermine auf und stellte sich vor den Schreibtisch. Sie atmete mehrmals tief durch und versuchte ihre flatternden Nerven zu beruhigen. Dann hob sie das Pergament in die Luft und begann die letzten Worte darauf, die Worte, die alles in Gang setzen sollten, laut vorzulesen.
„Exorcizo te, immunda magice, nomine namens obscurum principem..."
Ihr Latein war alles andere als gut, doch für das Ritual schien es zu genügen. Wind erhob sich in dem geschlossenen Raum, zuerst ganz sachte, dann immer stärker werdend. Schon nach diesen wenigen Worten musste Hermine sich gegen die Kraft der Luft stemmen, indem sie sich nach vorn lehnte. Das Pergament in ihrer Hand flatterte geräuschvoll und Fawkes kreischte laut auf, breitete die Flügel aus und flog in eine Ecke des Raumes, in der die Gefahr, versehentlich ein Feuer zu legen, geringer war.
„Illa potentia diabolica, illa potestas hostis infernalis, illae vires daemonicae, illa caterva, illa congeries."
Hinter Hermine zerprang klirrend eine Fensterscheibe und während die Scherben in die Nacht hinaus flogen, duckte sie sich instinktiv und konnte nur schwer einen Schrei unterdrücken. Mit rasendem Herzschlag schüttelte sie das zerknautschte Pergament aus und las weiter.
„Perrumpe vallum occlumentis, relinque corpus, subiuga imperio meo, sequere rumorem!"
Mit dem letzten Wort der Beschwörung – oder was auch immer es gewesen war – zog schwarzer Rauch durch das zerstörte Fenster ins Büro der Schulleiter. Die Wolke umhüllte Hermines Gestalt ohne sie zu berühren und tauchte dann in den Kelch ein. Die zuvor klare Flüssigkeit verfärbte sich schwarz und begann zu brodeln. Ein Wirbel bildete sich an der Oberfläche, der sich immer schneller drehte, bis Hermine den Grund des Kelches erkennen konnte.
Sie wusste nicht, was es war, doch eine Kraft drückte ihren Oberkörper weiter nach vorne, bis der Anhänger direkt über dem Mittelpunkt des Kelches baumelte. Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach, und ihre Hände klammerten sich an der Kante des Schreibtisches fest.
Während der heftige Wind ihre Haare zerzauste, Bücher aus den Regalen riss und sogar Fawkes' Stange umwarf, stieg die dunkel verfärbte Mixtura Romatica langsam am Rand des Kelches hinauf und legte eine immer größere Fläche des Grundes frei. Golden schimmerte der Punkt in der Mitte der Flüssigkeit.
Dann, als sie den oberen Rand erreicht hatte, formte sie einen spitz zulaufenden Kegel und näherte sich immer mehr dem Anhänger. Obwohl dieser gut zehn Zentimeter unter ihrem Gesicht hing, konnte Hermine die Hitze spüren, die von der Mixtura ausging. Und als die ersten Tropfen den Anhänger berührten, floss heißer, stechender Schmerz durch ihren gesamten Körper.
Nun konnte Hermine ihren Schrei nicht mehr zurückhalten. Als würde man ihr bei lebendigem Leibe heiße Messer ins Fleisch treiben, schien der Schmerz sie schier auseinander zu reißen. Sie kniff die Augen zusammen und flehte, dass es aufhören möge.
Und glücklicherweise tat es dies auch, kaum dass sie ihren Gedanken zu Ende geführt hatte.
Als sie erwachte, lag sie mit der Wange in einer Lache aus Wasser.
Das zumindest war ihr erster Gedanke, als sie blinzelte und die Pfütze vor sich sah. Dann erkannte sie den umgekippten Becher, der bis an den Rand des Schreibtisches gerollt, allerdings nicht hinuntergefallen war, und die Erinnerungen kehrten zurück.
Etwas zu hastig setzte Hermine sich auf und stellte erst da fest, dass sie quer über dem Schreibtisch gelegen hatte. Das Wasser war vermutlich die Mixtura Romatica, doch als solche benutzen konnte man sie wohl nicht mehr; die Kreide, mit der sie den Doppelkreis und die Runen auf den Tisch gemalt hatte, hatte sich teilweise darin gelöst.
Instinktiv wischte Hermine sich mit den Fingern durch die wirren Haare und verzog das Gesicht, als die Erinnerung von Schmerz durch ihre Muskeln fuhr. Ihr ganzer Körper pochte auf eine unangenehme, unterschwellige Art, die sie bisher noch nie empfunden hatte. Stöhnend rutschte sie von der Tischplatte und versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen.
Nach einigen Momenten, die sie brauchte, bis der Schwindel sich gelegt hatte, gelang ihr dies auch, und sie sah sich vorsichtig im Schulleiterbüro um – wobei ihre Augen immer größer wurden.
Der Einschlag einer Bombe hätte vermutlich weniger Schaden hinterlassen. Kein Buch stand mehr an seinem Platz. Pergamente waren quer über den gesamten Boden verstreut. Vom kaputten Fenster wehte noch immer Wind durch das Büro und trieb alles vor sich her, was leicht genug war. Der Schrank, an dem sie vorhin zwei Schubladen geöffnet hatte, war umgekippt. Und Fawkes hatte anscheinend die Flucht ergriffen. Für einen Moment fühlte sie sich, als wäre sie die einzige Überlebende des Weltunterganges.
Hastig griff sie in ihre Hosentasche und zog die beiden Steine heraus, die sie über den Gesundheitszustand von Harry und Ron informieren konnten. Hermine hatte sie vor einem halben Jahr damit versorgt und atmete nun erleichtert auf, als sie die beiden glühenden Steine sah. Rons leuchtete grün, was bedeutete, dass er sich bester Gesundheit erfreute. Harrys war gelb. Bis auf leichte Verletzungen ging es also auch ihm gut.
Sie sah an sich herab und ihr Blick fiel auf den Anhänger. Jetzt war er nicht mehr weiß, sondern pechschwarz. Und sie hätte schwören können, dass er auch an Gewicht zugelegt hatte. Er hatte seinen Zweck erfüllt.
Während sie mit einer Hand in ihre Tasche griff, um nach ihrem Zauberstab zu sehen, wollte sie mit der anderen die Kette über ihren Kopf streifen – nur um festzustellen, dass diese sich dabei immer enger zuzog, bis sie schließlich ihre Bemühungen beendete.
Prompt jagte eine Welle Adrenalin durch ihren Körper und ihr Herz begann neuerlich zu rasen. Der Zauberstab war vergessen, während sie wild an der Kette zerrte und nach dem Verschluss suchte. Nur dass die feingliedrige Silberkette keinen Verschluss hatte.
Also versuchte sie es ein weiteres Mal, sie über den Kopf zu streifen, mit demselben Ergebnis wie beim ersten Mal.
„Was geht hier vor?", fragte sie schließlich in den verlassenen Raum hinein und hob den Blick zu Dumbledores Portrait. Es war leer.
Und nicht nur das Portrait von Dumbledore, nein alle Portraits waren verlassen.
War sie vorher aufgeregt gewesen, so breitete sich nun nackte Panik in Hermines Körper aus. Sie drehte sich einmal um sich selbst, was ihr nicht mehr brachte als den Schwindel zurück. Dann stürzte sie zum Schreibtisch und durchwühlte die darauf liegenden Pergamente nach dem bestimmten, das ihr vielleicht eine Antwort geben könnte. Nach dem Pergament, auf dem Snape seine Notizen gemacht hatte.
Doch es war nicht da.
Das Blut rauschte laut und heiß in ihren Ohren, während sie ihre Hände auf der kühlen Tischplatte abstützte. Keines der Pergamente war mehr da. Und als ein weiterer Windstoß ins Büro zog und eines der anderen Blätter aufwirbelte, sah sie auch warum. Wie eine Feder trug der kühle Nachtwind das Pergament zum offenen Fenster hinüber, wo es bald leise flatternd in der Dunkelheit verschwand.
Hermine keuchte und stolperte zum Fenster. Sie lehnte den Oberkörper schon beinahe gefährlich weit hinaus, konnte jedoch nicht sonderlich weit sehen. Das einzige, das sich ihr beinahe vorwitzig entgegenstreckte, waren die Spitzen der Bäume im Verbotenen Wald.
Hermine wusste nicht, wohin mit sich. Gedanken schossen durch ihren Kopf wie Gewehrschüsse und das Blut kroch durch ihre Adern, als würde es Ameisen beherbergen. Ungelenk stakste sie über die am Boden liegenden Trümmer hinweg und suchte nach ihrem Zauberstab, der sich nicht mehr in ihrer Tasche befand. Als sie ihn endlich aus einem Bücherstapel gefischt hatte, wirbelte sie herum, verlor darüber das Gleichgewicht und fiel auf ihren Hintern.
„Accio Pergament!", seufzte sie erschöpft und deutete auf das zerborstene Fenster. Zähe Sekunden lang passierte gar nichts. Dann mischte sich ein leises Flattern unter das Ticken der Standuhr, die den Sturm überlebt hatte. Hermine streckte ihre Hand aus und fing das Pergament, das ihr den Hals retten sollte – im wahrsten Sinne des Wortes.
Doch schon als sie das Pergament berührte, spürte sie die Feuchtigkeit, die es aufgesogen hatte. „Nein, nein, nein", flehte sie verzweifelt und starrte auf die leere Seite. Dann drehte sie es um. Doch außer ein paar verwischten Spuren schwarzer Tinte war nichts mehr zu erkennen. Das Pergament musste in irgendeinen Tümpel geweht worden sein.
Erschöpft ließ sie ihre Arme sinken und starrte mit leerem Blick in den dunkel Nachthimmel hinaus. Minutenlang gab sie sich der absoluten Erschöpfung hin, nicht ein Gedanke schaffte den Weg von ihrem Verstand bis in ihre Glieder. Und dann zuckte sie urplötzlich zusammen, als hätte sie einen Befehl bekommen. Sie kam stolpernd auf die Beine, griff nach ihrem davon gerollten Zauberstab und verließ fluchtartig das Büro. Wer auch immer dieses Chaos irgendwann finden würde, konnte sich darum kümmern. Sie hatte ihren Teil der Pflicht erledigt.
Schniefend wischte Hermine sich über die triefende Nase, während sie nervös darauf wartete, dass die Wendeltreppe am unteren Treppenabsatz angekommen war. Eilig quetschte sie sich durch den schmalen Spalt, den der Steinerne Wasserspeier bereits freigegeben hatte, und begann zu laufen.
Portraits und Rüstungen flogen an ihr vorbei, sie schlitterte über den glatten Boden und warf immer wieder flüchtige Blicke durch die alten Scheiben, die den Blick auf die Ländereien freigaben. Rauch stieg hier und da in die Luft auf, verwandelte den nahenden Sonnenaufgang in eine trübe Suppe aus ehemals schönen Farben.
Als die Türen des Krankenflügels endlich in Sicht kamen, spürte Hermine ein schweres Gewicht von ihren Schultern fallen. Sie streckte die Hände nach vorne aus und stieß gegen das Holz, ohne ihr Tempo zu verringern. Schmerz zuckte ihre Arme hinauf, doch als sie in die Geschäftigkeit einer voll belegten Krankenstation tauchte, blieb sie stehen.
Die Luft um sie herum summte, war stickig und schwül. Der Geruch von Blut, Dreck und Angst schwebte um ihre Nase und ließ sie trocken würgen, bis sie es ausgeblendet hatte. Mit heftig schlagendem Herzen tasteten ihre Blicke die belegten Betten ab und blieben schließlich an einem hängen, in dessen weißen Laken ein zerzauster schwarzer Haarschopf lag.
„Harry!" Mit wenigen großen Schritten war sie bei ihm und als sie um den Paravent bog, der das Bett nur halb verbarg, sah sie auch Ron, der auf einem Stuhl saß und ein vor Ruß und Dreck schwarzes Gesicht hatte.
„Mine!", brachte er erleichtert hervor, sprang auf die Füße und umrundete das Bett, um sie zu umarmen. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht!"
Harry kämpfte sich derweil in eine sitzende Position, grinste jedoch über das ganze Gesicht. „Wir haben es geschafft!", platzte er mit glänzenden Augen hervor. „Voldemort ist tot. Es ist vorbei, Mine!"
„Jaah, aber erst nachdem er dich einmal ins Jenseits befördert hat!", wandte Ron ein und klang schon wieder so, als hätten sie nicht mehr als ein weiteres Abenteuer überstanden. Hermine weigerte sich, genauer über die Worte nachzudenken.
Sie blinzelte heftig, als sie sich von Ron löste und auf Harry hinab sah. Die Freude über das Ende des Krieges, über den Beginn seiner Freiheit und die Erleichterung, nicht länger der Auserwählte zu sein, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
Unter ihrem Pullover jedoch lag die schwere Kette. Der Stein presste sich warm gegen ihre Haut und die Erschöpfung kam über sie, je länger sie hier stand.
Sie mussten es nicht wissen, entschied Hermine in diesem Moment. Niemand musste es wissen.
Und so lächelte sie und nickte. „Ja, es ist vorbei."
Übersetzung des lateinisches Spruches: „Ich beschwöre dich, unreine Magie, unter dem Namen des Dunklen Lords, jene teuflische Macht, jener Einfluss des höllischen Feindes, jene teuflische Heerschar, jene Bande, jener Haufen. Durchbreche den Okklumentikwall, verlasse den Körper, beuge dich meinem Befehl, folge dem Ruf."
Vielen Dank an Se. Ka. Ya fürs Übersetzen!
