Ich schreibe nur aus Spaß an der Freud' und bedanke mich bei J. für das Ausleihen der Charaktere.
Kapitel eins
Der 30. Juli sollte später als heißester Tag des Jahres 2008 in die Annalen der Meteorologen eingehen. London war voll von Touristen; auch die in den zurückliegenden Jahren immer undurchschaubarer gewordene politische Situation in Großbritannien konnte die Menschen aus aller Welt nicht davon abhalten, sich shopping-wütig in das Menschengewühle der Oxford Street zu stürzen oder die berühmten Sehenswürdigkeiten aus ihren Englischlehrbüchern selber in Augenschein nehmen zu wollen. Und während einige vor der großen Hitze auf den von der langanhaltenden Trockenheit uncharakteristisch braun-verbrannten Rasenflächen des Hyde Park Zuflucht suchten, trotzten die meisten den Backofentemperaturen des Straßenpflasters und absolvierten unbeirrt das Besichtigungspflichtprogramm.
Inmitten der Besucher aller Hautfarben in knappen Sommerkleidern, kurzen Hosen, Sandalen und bunten T-Shirts wirkten die beiden hochgewachsenen Männer in ihren schwarzen Umhängen lächerlich fehl am Platz. Sie ernteten erstaunte, belustigte und mitleidige Blicke, wie sie forschen Schrittes die Parliament Street in Richtung Trafalgar Square hinuntergingen. Wer war so dumm und hüllte sich bei 30 Grad im Schatten in solche Mengen schwarzen, hochgeschlossenen Stoffs? Aber die Kleidung war nicht das einzige, was an den beiden Aufsehen erregte. Der eine hatte langes, weißblondes, sehr gepflegt wirkendes Haar und sah mit seinen eisgrauen Augen im vornehm-gepflegt blassen Gesicht ungemein arrogant und aristokratisch aus; gleichzeitig wirkte er allerdings nervös, als fühle er sich in dem Menschengetümmel äußerst unbehaglich. Sein Begleiter hatte ebenfalls langes Haar, aber seines war rabenschwarz, umrahmte zottig und strähnig mürrische, bleich und ungesund wirkende Züge. Der harte Blick aus seinen kalten schwarzen Augen ließ so manchen neugierig starrenden Touristen hastig zur Seite sehen. Ungerührt und rücksichtslos bahnte er für sich und seinen Begleiter den Weg durch die Menschenmassen.
„Warum mussten wir uns ausgerechnet hier treffen?" fragte der Blonde ungehalten.
„Hier belauscht uns keiner", war die knappe Antwort.
„Und was hast du mir zu sagen, was keiner sonst hören darf?" erkundigte sich der erste bemüht spöttisch.
„Hast du inzwischen von Draco gehört?" fragte der Schwarzhaarige ruhig.
Sein Begleiter erstarrte kurz, dann seufzte er.
„Draco… Nein. Kein Wort, keine Zeile, nichts. Ich habe Leute beauftragt, ihn zu suchen. Ich habe alles versucht. Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht ist er außer Landes. Narcissa ist ganz krank vor Angst und Ungewissheit. Aber…Moment…heißt das…weißt du vielleicht…"
„Sag ihr…" der dunkelhaarige Mann war abrupt stehengeblieben. Eine Frau in grellgelben Caprihosen, deren knappes rosa T-Shirt jedes Speckröllchen an ihrer nicht vorhandenen Taille bestens zur Geltung brachte, stieß einen kleinen Begeisterungsschrei aus und richtete begierig das Objektiv ihres Fotoapparats auf ihn, doch ein finsterer schwarzer Blick ließ sie verschreckt die Kamera senken und den Rückzug in die Menge antreten.
Der Mann wandte sich wieder seinem Gefährten zu und betrachtete ihn lange und nachdenklich, ehe er weitersprach.
„Sag ihr, es geht ihm gut."
„Severus! Woher…"
„Ich habe meine Quellen, Lucius. Ein Überbleibsel aus meiner Zeit als Spion und immer wieder nützlich."
Die schwarzen Augen blitzen ironisch, ihr Besitzer setzte sich wieder in Bewegung, und der blonde Mann machte ein paar hastige, lange Schritte, um ihn wieder einzuholen.
„Wo ist er? Was…"
„Nein, Lucius, frag nicht weiter. Es geht ihm gut. Das muss reichen. Der Dunkle Lord…"
„…hat uns bereits intensiv ‚befragt', Severus." Der blonde Mann verzog schmerzhaft das Gesicht. „Ich bin sicher, er weiß jetzt, dass wir nichts wissen und…auch nichts wissen wollen. Selbst wir Normalsterblichen beherrschen etwas Okklumentik, Severus."
„'Etwas' ist zu wenig. Sei vorsichtig, Lucius."
Der blonde Mann lachte bitter.
„Das musst ausgerechnet du sagen, du mit deinen dubiosen ‚Quellen'. Mindestens die Hälfte unserer Leute misstraut dir nach wie vor, Severus. Die andere Hälfte beneidet dich um deinen Einfluss. Alle wären nur allzu froh, wenn du in Ungnade fielst. Wenn jemand aufpassen muss, dann du."
Der Dunkelhaarige verzog das Gesicht zu einer ironischen Grimasse.
„Danke für deine Fürsorge, Lucius. Ich werde deinen Rat berücksichtigen."
Eine Weile setzten sie ihren Weg schweigend fort, kämpften sich durch die lachenden, polyglotten Menschenknäuel und das digitale Arsenal von Objektiven vor den Wachhäuschen der Horse Guards.
„Sag mal, Severus…kannst du nicht vielleicht… Draco… etwas von uns ausrichten lassen?" begann der blonde Mann zögernd. Es war ihm sichtlich unangenehm, um etwas zu bitten.
„Nein, Lucius, nein. Es tut mir leid, aber das ist absolut unmöglich. Wie du gerade selbst gesagt hast, muss ich vorsichtig sein. Ich darf mich Draco nicht offenbaren, er weiß nicht, dass ich seinen Aufenthaltsort kenne, ich kann keinerlei Kontakt zu ihm aufnehmen. Ganz abgesehen davon, dass er es sowieso ablehnen würde."
Der blonde Mann seufzte ergeben.
„Schon gut, schon gut. Du hast recht, Severus – wie immer. Es ist nur… ach, verdammt, bei Merlins verschrumpelten Eiern, manchmal möchte ich aus der Haut fahren. Eigentlich müssten wir doch glücklich und zufrieden sein, nicht wahr? Der Dunkle Lord hat gesiegt, wir haben genau das erreicht, worauf wir gehofft haben: Die Vorherrschaft der reinblütigen Magier. Nichts läuft mehr in England, ohne dass der Dunkle Lord seine Finger im Spiel hat. Er hat alle Institutionen der Zaubererwelt unter Kontrolle und manipuliert die der Muggel, sie fressen ihm aus der Hand, ohne dass es ihnen wirklich bewusst ist. Großartig, nicht wahr?"
Der blonde Mann lachte bitter und beschrieb mit seinem Spazierstock eine übertrieben dramatische Geste, die einem nichtsahnenden japanischen Touristen fast die Kamera aus der Hand geschlagen hätte. Erschrocken und misstrauisch brachte der Mann einen Sicherheitsabstand zwischen sich und die beiden Schwarzgewandeten, bevor seine Augen wieder zum Display der Kamera wanderten. Malfoy bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick und wandte sich erneut an seinen Begleiter.
„Und wie sieht dabei die Situation von uns, den treuen und ältesten Anhängern des Dunklen Lords, aus? Nimm mich zum Beispiel. Meine Familie ist zerrissen, meine Frau ein nervöses Wrack, mein einziger Sohn und Erbe hat sich von mir losgesagt und wahrscheinlich einer terroristischen Untergrundorganisation und ihren armseligen Widerstandsversuchen angeschlossen, ich habe weniger politischen Einfluss als je zuvor unter Fudge und Scrimgeour, wir leben in ständiger Furcht vor der Willkür des Dunklen Lords, dessen Misstrauen mittlerweile paranoide Züge annimmt, wir balancieren tagtäglich am Abgrund, in ständiger Angst davor, einen falschen Schritt zu machen und den Dementoren zum Fraß vorgeworfen zu werden. Es herrschen Terror und gnadenlose Gewalt, denen alle, auch die engsten und ältesten Getreuen des Dunklen Lords, unterworfen sind. Wir lauern ständig auf die Fehler der anderen, misstrauen uns alle gegenseitig…"
„War das jemals anders?" fragte sein Begleiter leise dazwischen.
„Verdammt noch mal, Severus, du trägst deinen eiskalten Zynismus wie einen Panzer. So gefühllos, wie du tust, kann ein Mensch gar nicht sein. Wir hatten einmal Ideale, nicht wahr? Auch du hattest sicher einmal Ideale, oder? Ich jedenfalls frage mich, ob es das wert war."
Wieder blieb der dunkelhaarige Mann stehen und packte seinen Begleiter am Arm.
„Wenn ich einmal Ideale hatte, Lucius, dann ist das verdammt lange her. Und sei ehrlich, im Grunde genommen ging es dir hauptsächlich um Macht und Einfluss. Das ist nicht ganz so gelaufen wie du es dir vorgestellt hast. Pech. Aber ich gebe dir einen Rat, mein Freund, wenn dir dein Leben und das Narzissas lieb ist, dann sieh zu, dass du dir auch so einen Panzer zulegst und sieh des weiteren zu, dass er nie irgendwelche Risse bekommt."
Schwarze Augen bohrten sich in graue. Schließlich schüttelte der blonde Mann ungeduldig den Kopf und wandte den Blick ab.
„Wir sehen uns morgen Abend in der Oper", sagte er und nutzte eine Lücke im Autoverkehr, um die Straße in Richtung Trafalgar Square zu überqueren.
Der andere Mann blieb stehen und beobachtete, wie sich seine schwarze Gestalt ihren Weg durch die bunten Menschenmassen bahnte, sie zerschnitt wie ein Messer den bunten Belag eines Obstkuchens. Er schauderte trotz der Hitze.
„Homo homini lupus, lieber Lucius," murmelte er. Die alten Römer hatten wie so oft den Nagel auf den Kopf getroffen, gnadenlos war die Welt, gnadenlos die Menschen im Umgang miteinander, das war nun einmal so, war immer so gewesen und würde immer so ein, damit hatte er, Severus Snape, sich schon seit langem arrangiert.
