Der Heimweg - Heute
Der Abend dämmerte und die Straßen waren getaucht in das safte Rot eines Spätsommerabends, der herrlicher kaum sein konnte. Unwirklich erschien ihm diese Welt als er aus der Tubestation hinaus trat. Er spürte die schwächer werdende Sonne auf seine blassen Haut. Aus dem nahen Park klangen die Stimmen spielender Kinder zu ihm hinüber. Ihm schien, dass sich all dies unnatürlich deutlich in seinen Geist stahl und ein unzerstörbares Bild dieser heilen, friedlichen Vorstadtidylle in sein Hirn brannte. Es war, als wollte die Welt ihn strafen, ihn matern. Seit Jahren wartete eine höhere Macht darauf, an ihm zu rächen, was er getan hatte und nun war die Zeit dieser unbestimmten Macht gekommen. Die Welt spie ihn all das Glück und die Freude vor die Füße, auf das er immer gehofft hatte und gleichzeitig hatte man ihm jeder Hoffnung beraubt, je ein glücklicher Mensch zu werden. Bis heute hatte er sich versucht einzureden, er sei glücklich, doch er wusste es besser. All das Glück, dass er in den letzten Jahren empfunden hatte, waren nur Episoden gewesen. Fragmente eines Leben, wie es hätte sein können, aber nie gewesen war und nie sein würde. Ahnungen einer Zukunft, die er leichtfertig aufs Spiel gesetzt und verloren hatte. Seit heute war er sich sicher, es würden Episoden bleiben, nichts als Ahnungen und bald würden sie Vergangenheit, nur noch Erinnerungen sein..
Er trat auf die Straße und ging langsam und gebeugt in Richtung des kleinen Weges, der durch den Park direkt in den St. Annas Close führte. Gewöhnlich konnte er es nicht abwarten nach Hause zu kommen. Er war wie jeder Mann, jeder Vater, der sich auf seinen Feierabend, seine Familie, seine Kinder freute. Er hätte apparien können, doch er liebte es, etwas völlig normales zu tun – er kam nur so verdammt selten dazu. Dieser Heimweg, von Charing Cross mit der Tube hinaus, der kurze Fußweg bis zu dem kleinen weißen Haus am Ende der friedlichen Straße, war sein ganz eigenes Ritual. Manchmal warteten die Kinder schon ungeduldig im Park auf ihn und wenn es regnete, dann saßen sie oft am Küchenfenster und hielten nach ihm Ausschau. Dann amüsierten sie sich, weil er vollkommen durchnässt heimkam, wenn er wieder den Muggleschirm vergessen hatte und dennoch gelaufen war, obwohl er doch auch warm und trocken durch das Flohnetz hätte schlüpfen können. All das liebte er an seinem Ritual und es gehörte zu den stets zu rasch verwehenden Momenten des Glücks, die sein Leben ausmachten. Doch all dies mühsam vom Leben abgesparte Glück zerbrach in Scherben, wenn er eine lachende und strampelnde Mira auf dem Arm hielt, Corvus ihm die Tasche tragend vorausrannte und sie in der Tür stand. Der Moment, in dem er sie sah, war stets der Augenblick, der über sein Glück entschied. So selten war ihr Lächeln gewesen in den letzten Jahren, dass er sich kaum daran erinnerte, wie dieses freudestrahlende Gesicht aussah, in das er sich einst verliebt hatte. Der müde Blick und die Leere ihres Ausdrucks waren in ihr Gesicht gebrannt und nur ganz selten flackerte noch die Flamme, die er einmal so leicht zu schüren wusste. Doch diese Tage waren wenige gewesen und sie lagen so weit zurück in der Vergangenheit, dass er sich fragte, ob sie überhaupt je wahr gewesen waren. Die Frau, die seinen Namen trug, die Mutter seiner Kinder, hasste ihn und sie hatte ihn schon an dem Tag gehasst, an dem sie geheiratet hatten. Er hatte das nicht gewollt. Glück war es, dass er für sie, und für sich, erhofft hatte. Sechs Jahre später wusste er, es war töricht gewesen anzunehmen, er könnte wieder gut machen, was geschehen war, rückgängig machen, was er getan hatte, zurücknehmen, was ausgesprochen alles vernichtet hatte. Und heute hatte er die Rechnung für seine Einfalt erhalten. Alles was ihm bleiben würde, waren Erinnerungen. Die gleichen Erinnerungen, die ihm die letzten Jahre die Hoffnung eingegeben hatten, es könnte wieder sein, wie es war. Heute wusste er mit Gewissheit, nichts würde je wieder sein und alles würde enden.
Er hatte den kleinen Weg am Park erreicht und zögerte. Nichts drängte ihn heut nach Haus, nicht einmal die Kinder. Wohlmöglich hätte er den Wunsch verspüren sollen Heim zu kommen, um mit ihr zu reden, sie mit dem zu konfrontieren, was man ihm heute offenbart hatte. Er wollte es aus ihrem Mund hören und wollte es auch nicht. Alles in ihm schrie nach Aufschub – ein zwei Tage mehr, die seine Welt nur wankte. Doch er wusste, er konnte nicht verhindern, dass alles in Scherben zersprang, was er sich mühevoll erarbeitet hatte. Was er sich erbettelt hatte, immer wieder. Sie hatte ihn verlassen wollen, mehr als einmal, zuletzt am Ende des Krieges. Doch sie war noch immer seine Frau. Er würde sie nicht länger halten können und er schalt sich selbst, weil er sie nicht einfach gehen lassen konnte. Er wollte, dass sie glücklich war, und obwohl er ihr Unglück bedeutete, hielt er an ihr fest. Er hatte gezerrt und sie in Ketten gelegt, wie nur er es konnte. Er war ein Malfoy – es gab Dinge, die würden nie aufhören. Der Hass und das Misstrauen würden ihn Zeit seines Lebens verfolgen, wie sein Name noch auf seinem Grab das Stigma eines Teufels sein würde. Er hatte es so sehr versucht, im Krieg und seit wieder Frieden herrschte. Er hatte vergessen wollen, wer er war, woher er kam und konnte es nicht. Die Welt hielt ihm den Spiegel vor, jeden Tag aufs neue. Sie war es, die ihren Mann nicht vergessen ließ, dass er ein Scheusal war und es immer sein würde. In den Augen der Welt würde er immer Draco Malfoy bleiben, der Sohn eines Todessers, auf dessen Arm ein Mahl prangte, dass nie ganz verblassen würde. Er hatte es nur für sie getan, doch sie hatte ihm nie geglaubt. Alles, was er getan hatte, war geschehen, um sie und seinen Sohn zu retten, beide sicher durch den Krieg zu bringen. Man hatte ihm nicht trauen wollen und doch hatte man ihm gebraucht. Er hatte sich bewiesen, sich verdient gemacht und konnte sich dennoch nie befreien vom Makel seiner Geburt.
Die Kinder waren nicht im Park und der Wind fuhr eisig über seinen Nacken, als die Sonne hinter den Häusern verschwunden war. Der St. Annas Close lag im Schatten. Die kleinen Häuser lagen fast träumend da, wenn er gewollt hätte, hätte erfasst glauben können, alles sei in Ordnung und am Ende der Straße warte nicht das Ende seines Lebens auf ihn. Wieder war er stehen geblieben. Nun blickte er durch Mrs. Barkers Rosensträucher hinüber zu dem kleinen weißen Haus, dass er vor zwei Jahren gekauft hatte und wagte nicht weiter zu gehen. Der Flieder in Barrys Vorgarten erfüllte de Luft mit seinem süßen Aroma. Er stand still und schweigend, wartend auf ein Wunder, das nicht kommen wollte. Sein Blick flog die Straße hinunter, zu dem Haus, das er sein Heim nannte. In der Küche brannte Licht und er sah deutlich einen Schatten im Fenster. Langsam und unendlich mühevoll ging er mit zähen Schritten auf das kleine Haus zu. Als er die schwere dunkle Eichentür erreicht hatte, verharrte er ein letztes Mal, bevor er den Schlüssel ins Schloss steckte und die Tür aufstieß. Das kalte Metall der Klinke brannte deutlich auf seiner erhitzten Haut. Als er eintrat war er sich sicher, dass er keinen Aufschub wollte. Er musste es ihr sagen, sie wissen lassen, dass er es wusste. Seine Ängste, sein Zorn duldeten kein Warten mehr. Es musste heute Abend sein – wen er es nicht tat, würde sie es tun. Sie wusste es doch längst.
Seine Schritte halten auf dem alten Schiffboden in der Diele. Die Aktentasche warf er achtlos auf den Tisch neben der Treppe, da hörte er von oben ein lautes Poltern. Er Blickte vom Fuß der Treppe hinauf, als Mira in seine Arme flog und sich an ihren Vater klammerte. Er hielt sie fest und unterdrückte ein Zittern. Wie selten würden diese Begrüßungen in Zukunft werden? Er setzte das kaum dreijährige Mädchen ab, das sogleich nach ihrem Bruder rief um ihn wissen zu lassen, das Dad zu Hause war. Er folgte Mira durch die schmale Diel in Richtung des Wohnzimmers, dass zu dem kleinen Garten hin lag. Als er an der Küchentür vorbeieilte, brachte er nur ein knappes „Guten Abend Ria" über die Lippen. Wie durch dichten, dicken Nebel hörte Draco, wie sie seine Begrüßung erwiderte. Nur noch ein paar Stunden, dachte er, nur noch ein paar Stunden Gnadenfrist, bist die Kinder im Bett waren, sie allein, unter vier Augen sprechen konnten. Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte. Er wusste nicht, ob er hören wollte, was sie ihm noch zu sagen hatte. Nur noch ein paar Stunden mehr.
