Freitagabend, NCIS HQ, Büro der Direktorin:

Jennys POV:

Schon seit Tagen quält mich diese Krankheit entsetzlich, es wird immer schlimmer, die Kopfschmerzen, das Schwindelgefühl und die Übelkeit. Die Woche war anstrengend gewesen und der Fall nervenaufreibend, da war keine Zeit gewesen um mich zurück zu lehnen und mich zu erholen. Nun, nachdem der Fall abgeschlossen ist, bearbeite ich nur noch Akten. Draußen ist es schon stockdunkel und nun verschwimmt auch noch langsam alles vor meinen Augen. Ich sollte wirklich nachhause gehen und meinem Körper, der die letzten Tage kaum Schlaf bekommen hatte, ein wenig Ruhe und Pause gönnen.

Es war ein Schock gewesen als die ersten Symptome, wie plötzliche Migräne oder Schwindelanfälle, sich bemerkbar machten. Trotzdem ging ich weiter meiner Arbeit nach und ließ mir so gut wie nichts anmerken. Ducky jedoch entging nichts. Besonders fiel es ihm auf als er einmal in mein Büro kam, ich weiß nicht mehr was er wollte, ich stand auf, aber mir wurde schwindelig und ich hielt mich krampfhaft am Tisch fest. Er blickte beunruhigt, sagte jedoch nichts. Eines Tages sprach er mich schließlich darauf an, dass ihm aufgefallen sei, dass ich zeitweise krank und schwach wirke, wo ich doch sonst eine so toughe und starke Führung einer Bundesbehörde bin. Ob das der Stress sei?, mutmaßte er. Ich kenne Dr. Mellard schon sehr lange, ich weiß dass er eine sehr vertrauenswürdige Person ist und seit diesem Tag an weiß er es also. Ich habe einen Hirntumor, und laut meinen Ärzten ist dieser inoperabel und nicht heilbar. Ich werde sterben. Von heute ausgehend noch maximal 21, aber mindestens noch 7 Tage werde ich leben können, atmen und fühlen. Meine Tage sind gezählt, wortwörtlich. Ich werde mich bald von allen hier verabschieden müssen, von diesem Leben.

Und was habe ich erreicht? Ich bin 40, habe ein Haus, war jahrelang eine gute Agentin und bin nun Direktorin des NCIS. Doch irgendetwas fehlt mir…und ich glaube ich weiß auch was.

Außer Ducky weiß es keiner. Ab und zu erkundigt er sich nach meinem Zustand, wenn wir uns über den Weg laufen und sagt mir etwas Zuversichtliches. Vor den anderen kann ich es bisher so gut wie es geht verstecken, dass ich todkrank bin. An den Tagen, an denen es mir schlechter geht verstecke ich mich mehr in meinem Büro und an manchen Tagen geht es mir sogar relativ gut, so dass ich mich mehr zeigen kann. Augenringe kann man überschminken, gegen Kopfschmerzen gibt es Tabletten und gegen Müdigkeit hilft Kaffee. Keiner hat bisher Verdacht geschöpft, dass mit mir etwas nicht stimmt. Noch nicht mal der beste Ermittler, den ich je kennen gelernt habe, Leroy Jethro Gibbs. Oder etwa doch? Manchmal schaut er mich mit einem bedrückten Blick an, fast so wie Ducky als er mich darauf ansprach, oder er öffnet den Mund leicht, als wolle er mir etwas sagen, doch im selben Augenblick überlegt er es sich anders und schließt ihn wieder, als läge ihm etwas auf der Zunge, doch er kann oder will es nicht sagen.

Macht er sich etwa doch Sorgen um mich? Diesem Mann entgeht normalerweise nichts. Aber warum sollte er sich Sorgen um mich machen…schließlich bin ich nur seine Ex-Affäre, zwischen uns ist es vorbei, weil ich ihn verlassen habe. Er hat damit abgeschlossen, hat keine Gefühle mehr für mich und ist nun einfach ein alter Freund und mein Angestellter. Er ist ein starker und erwachsener Mann, er kommt damit klar dass Paris vorbei ist. Was ist mit mir? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich keine Gefühle mehr für ihn habe, und dennoch ertappe ich mich viel zu oft dabei, wie ich an Paris denke und Erinnerungen nachhänge. Oder in Momenten wenn wir alleine sind, und alles über den Fall gesagt wurde was gesagt werden sollte, und diese peinliche Stille herrscht, schaut er mir tief in die Augen, bevor er eine Sekunde später weiter muss, und ich könnte schwören, dass mein Herz ein ganz klein wenig schneller pocht. Als ob gleich etwas passieren würde. Als ob wir wieder in Paris wären; genau so hat es damals angefangen. Mit diesem Blick, der damals mein Herz zum Schmelzen gebracht hat…

Dabei sollte gerade ich den Schlussstrich schon längst gezogen haben, weil ich ihn verlassen habe und nicht andersherum. Diese Entscheidung war richtig. Auch wenn manchmal ein kleiner Teil von mir sich nach Paris zurücksehnt, die heißen Nächte und die Geborgenheit in seinen Armen, wie er mich mit seinen eisblauen Augen voller Liebe anschaut, wie wir aneinander gekuschelt eingeschlafen sind…seitdem ich ihn verlassen habe, musste ich so gut wie jede Nacht alleine in meinem großen, kalten Bett einschlafen. Doch ich musste mich dafür entscheiden was richtig für mich war.

Ich lege die Akten beiseite, endlich bin ich fertig. Ich ziehe die Lesebrille aus, nehme meine Jacke und meine Tasche und schalte das Licht aus bevor ich den Raum verlasse. Cynthia hat schon längst Feierabend gemacht. Den hat sie sich auch redlich verdient. Als ich auf dem oberen Flur am Geländer vorbei gehe, ist fast überall schon das Licht aus, außer an Gibbs' Arbeitsplatz, dort brennt noch seine Schreibtischlampe und er beugt sich über ein paar Akten. Oder er schläft er? Er sitzt so ruhig und regungslos da, seinen Kopf in die Hände gestützt, als wäre er beim Lesen eingeschlafen.

Meine Hände zittern leicht als ich das Gelände anfasse. Gott, ich sollte wirklich schnellstens nachhause gehen! Ich wanke leicht, bei meinem Versuch, die Treppe möglichst leise herunterzugehen. So schlimm war es gefühltermaßen noch nie, dass ich nicht mehr die Treppe normal heruntersteigen kann.

Eilig und immer noch wankend gehe ich an Gibbs vorbei, zum Aufzug. Er hört meine Schritte und sieht auf. Gerade als ich den Aufzug betrete, und mich umdrehe, sehe ich, wie er auch noch schnell durch die Türen gleitet. Wie konnte er nur so schnell und leise hier hin hasten? Anscheinend war er doch nicht so müde wie ich dachte.

Seltsam, an der Wand ist ein großer schwarzer Fleck, links oben in meinem Blickfeld. Ich schaue die anderen Wände an. Da ist er schon wieder, links oben!

Plötzlich wird mir komplett schwarz vor Augen und ich verliere das Bewusstsein, aber ich höre noch wie jemand weit entfernt „Jen!" ruft, bevor alles dunkel ist.

Gibbs POV:

Ich bin in Gedanken vertieft, als die Direktorin ihr Büro verlässt und wahrscheinlich jetzt Feierabend macht. Ich sehe sie nicht, aber ich weiß, dass sie es sein muss, die mit klackernden Absätzen die Tür schließt, da Cynthia Sumner schon vor gut 2 Stunden nachhause gegangen ist.

Eigentlich wollte ich noch diesen mit Rechtschreibfehlern überhäuften Bericht lesen, aber ich lese einen Satz immer und immer wieder und weiß trotzdem nicht, was drin steht.

Denn meine Gedanken kreisen nur um Jenny.

In letzter Zeit sieht sie so blass und kränklich aus, an manchen Tagen sehe ich sie gar nicht, nur wenn sie spätabends – oder eher schon nachts – zum Aufzug geht und mir hastig „Gute Nacht" wünscht, und ansonsten, wenn ich sie sehe und mit ihr rede, hat sie manchmal diesen traurigen, geistesabwesenden Blick. Mein Instinkt sagt mir, dass da etwas nicht stimmt. Nur ich werde aus ihr nicht schlau. Und ich finde nie den richtigen Zeitpunkt, um sie zu fragen. Soll ich sie überhaupt fragen? Sie ist doch meine alte Partnerin und Freundin, sie weiß, dass sie immer zu mir kommen kann und sich auf mich verlassen kann. Sie würde es mir erzählen, wenn etwas wäre. Da bin ich mir sicher.

Ich höre, wie sie an mir vorbei zum Aufzug geht und blicke auf. Keinen „Gute Nacht"- Wunsch heute? Sie geht langsam. Und nicht so zielstrebig und aufrecht, wie sie es sonst zu pflegen tut. Eher wankend.

Ich stehe auf und gehe ihr hinterher, ihr geht es offensichtlich nicht gut.

Als ich den Aufzug erreiche, blickt sie nicht mich, sondern die Wände an. Dann knicken ihre Beine weg und gerade noch rechtzeitig fange ich sie auf, während ich im selben Moment „Jen!" rufe. Ich versuche sie in meinen Armen zu halten und ihren Körper zu mir zu drehen, ohne sie fallen zu lassen. Ihre Augen sind geschlossen. Vorsichtig lege ich sie auf dem Boden ab und tätschle ihre Wange. „Jen? Jenny? Kannst du mich hören?" Aussichtslos. Verdammt! Jenny, jetzt mach mir doch nicht solche Angst! Der Puls ist niedrig. Sanft rüttle ich an ihren Schultern. Wieder keine Regung. Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände. Ihre Wangen sind ganz weich. „Jenny! Jenny! Hörst du mich?", frage ich nun schon etwas lauter.

Ihre Augenlider zucken. Dann öffnet sie ihre Augen und eisblau trifft auf smaragdgrün.

Dann schaut sie sich benommen um.

Jenny POV:

Zaghaft öffne ich meine Augen. Mein Kopf dröhnt. Das erste was ich erblicke, sind strahlend blaue Augen. Jethros Augen. Ich schaue mich um. Ich bin im Aufzug. Aber warum liege ich auf dem Boden? Und wieso hält Gibbs mein Gesicht in seinen weichen, warmen Händen, kniet über mir und schaut mich besorgt an?

Dann kommt alles wieder, ich bin ohnmächtig geworden. Offenbar hat Gibbs mich aufgefangen, sonst hätte ich eindeutig stärkere Kopfschmerzen. „Jethro?", wispere ich.

„Ja, Jen?", antwortet er, und seine Stimme ist sanft und weich.

„Könntest du mich loslassen? Ich würde gerne aufstehen!"

„Natürlich!", antwortet er, „aber ich weiß nicht, ob du alleine aufstehen kannst."

„Jethro, das werde ich wohl schon noch schaffen!", erwidere ich, fast ein bisschen zu trotzig.

Er lässt mich los und ich bringe alle Kraft auf, um aufzustehen, doch bevor ich mich ganz aufrichten kann, merke ich, dass meine mich nicht halten und ich will mich schon am Notknopf festhalten um nicht zu fallen, doch da halten mich schon zwei starke Hände an meiner Taille und stützen mich. Mein Herz rast. So nah war er mir schon lange nicht mehr.

„Sehen Sie, Madame Director, Sie schaffen es wohl doch nicht. Lassen Sie mich Ihnen helfen.", sagt er mit einem spitzbübischen Grinsen. Er weiß genau, dass ich es hasse, wenn er mich so nennt. Deshalb fährt er normal fort:

„Komm, Jenny, ich bring dich nachhause. Bist du krank? Du musst dich ganz dringend ausruhen. Wie fühlst du dich?", fragt er, während er einen Arm um meine Taille legt und meinen Arm über seine Schulter legt, um mich zu stützen. Noch bevor ich antworten kann, drückt er den Knopf für das Parkdeck, um mich nachhause zu bringen.