Er drückte sich ihre Bluse fest ins Gesicht, atmete gierig den Geruch ihres süßen, fruchtigen Parfüms ein – blitzartig kamen tausende von Erinnerungen in ihm auf; Tränen stiegen ihm in die Augen und er ließ seine Hände sinken. Hastig fuhr er sich mit dem Handrücken über die Augen, ehe er sich daran machte, vorsichtig die Bluse zusammenzulegen, so, wie sie es immer getan hatte. Mit ihren bleichen, zarten Fingern, stets mit dem verträumten Lächeln auf dem Gesicht, welches verriet, dass sie nur körperlich anwesend war.

Er legte das Oberteil zusammen zu den anderen Klamotten in den Koffer, stand seltsam versteift auf und ging mit schweren Schritten zur Tür. Einen letzten Blick auf das Bett werfend, in dem nun jede Nacht eine Seite frei war, trat er hinaus in den Gang und drehte automatisch den Schlüssel im Schloss um. Er wusste nicht, warum er das jedes Mal tat – wahrscheinlich wollte er nicht, dass die anderen sahen, wie schwer es ihm fiel, Abschied zu nehmen.

Leise seufzend ging er hinunter in die Diele, schrieb hastig auf einen der Notizblöcke auf der Kommode, dass er in zwei Stunden wieder da sein würde. Er zog sich eine Jacke über, schlüpfte in seine Chucks und trat hinaus in den Regen.

Wobei ‚Regen' allein fast schon eine Untertreibung war – es schüttete regelrecht wie aus Eimern, und dazu kam ein viel zu kalter Wind für einen Septembernachmittag. Der Himmel, grau und schwer wirkend, passte jedoch wunderbar zu seiner momentanen Stimmung, die sich seit Tagen nicht mehr zu verändern schien.

Mit schnellen, hastigen Schritten lief er durch Londons Straßen. Er wusste längst, wohin er gehen wollte, auch wenn es ihm das Herz brechen würde. Doch er brauchte eine Bestätigung, auch wenn es sich unmöglich um ein Missverständnis hätte handeln können – er war sich dessen bewusst, konnte es sich jedoch einfach nicht eingestehen.

Es war unmöglich. Noch immer hatte er ihr schallendes Lachen im Kopf, das Bild, wie sie den Kopf in den Nacken warf, um die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings zu genießen. Ihre weichen Lippen, die er so oft geküsst hatte; ihre Augen, so grün wie Smaragde.

Bald schon verstärkte sich der Regen, und auf den sonst so befahrenen Straßen war nun kaum mehr etwas los. Es blitzte, und keine Sekunde darauf ertönte ein erschütterndes Donnern. Langsam kam er außer Atem, aber er wurde nur noch schneller; er konnte die Kirche schon jetzt sehen.

Am Tor des Friedhofes angekommen, blieb er einen Moment unschlüssig und keuchend stehen, dann öffnete er, bemüht darum, ruhig zu atmen, das quietschende Eisentor. Langsam, fast zögernd ging er durch die Reihen der Gräber, murmelte ihren Namen vor sich hin. Seine rechte Hand zitterte unkontrolliert.

Und dann, ganz plötzlich, entdeckte er es. In verschlungenen Buchstaben stand er da, auf einem mit roten Rosen beschmückten Grabstein. Ihr Name. Callie Montrose. Er ging in die Hocke und strich über das Datum, ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter.

Unbemerkt schlich sich eine Träne über seine Wange. Erst als er begann leise zu schluchzen, bemerkte er es, doch er ließ sie einfach weiterlaufen. All die Tränen, die Sirius Black in den letzten siebzehn Jahren hatte zurückhalten müssen, brachen nun aus ihm heraus.

Seine Mutter hatte ihm immer eingeschärft, es würde einem Black alle Ehre nehmen, Tränen für derartige Leute – sprich Blutsverräter oder, noch schlimmer, Schlammblüter – zu verschwenden.

Doch genau an diesem Tag, in diesem Moment hörte er auf, ein Black zu sein.