Prolog – Ein normaler Abend

Anfang April 2000, London

Harry stand in der geräumigen, in hellen Farben eingerichteten Küche, einen Pfannenwender in der Hand, und kochte mit einem leisen Lächeln auf den Lippen Abendessen. Es würde Steaks mit Pommes Frites geben, dazu einen Salat und zum Nachtisch Obstsalat. Alles selbst gemacht, natürlich. Draco würde nie etwas essen, dass schon fertig aus der Tiefkühltruhe kam. Und ihm machte es Spaß zu kochen. Es entspannte ihn, wenn er nach einem anstrengenden Arbeitstag hierher kam, zu Dracos Wohnung, und er nichts weiter tun musste, als Gemüse klein zu schneiden und den Herd zu bedienen. Es gab hier auch einen Hauselfen, wie es sich für einen Reinblüterhaushalt gehörte, aber Draco war es egal, wer kochte, solange es gut war.

Die Wohnung lag in einem besseren Muggelviertel nahe am Zentrum Londons, Strom war hier eine Selbstverständlichkeit. Die Miete war so hoch wie ein Hochhaus, aber ein Malfoy lebte schließlich standesgemäß, oder? Und Harry bezweifelte, dass die Wohnung das teuerste war, im Vergleich zu manchen Gegenständen, die sich in Dracos Besitz befanden.

So gut wie jeden Abend kam Harry hierher, nachdem er sich kurz in seiner eigenen Wohnung, die viel kleiner, viel billiger, und viel weiter vom Zentrum entfernt lag, geduscht und umgezogen hatte, um das Abendessen her zu richten und auf Draco zu warten. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis er mit der Arbeit fertig war und sich ebenfalls hierher begeben würde.

Harry verließ seinen Platz am Herd und ging um die Bar, die die Küche vom Esszimmer trennte, um den massiven Ahornholztisch zu decken. Erst stellte er die Teller exakt mit dem Rand an die Tischkante, dann legte er Messer, Gabel und Dessertlöffel fein säuberlich daneben, natürlich alles aus poliertem Silber. Noch je eine der reinweißen und geplätteten Stoffservietten quer über den Teller gelegt, das zum Wein passende Glas und noch eines für Wasser rechts oben im richtigen Abstand zum Teller hingestellt, fertig. Am Anfang des Kocharrangements hatte er noch nicht gewusst, wie man einen Tisch ‚richtig' deckte. Aber so etwas lernte man unter der Kritik eines Malfoy schnell. Gerne hätte Harry noch ein paar Kerzen dazugestellt, aber er wusste, dass Draco derartige unnötige Dinge nicht mochte, also ließ er es bleiben.

Inzwischen war auch das Fleisch fertig, außen gar und innen noch ein bisschen rosa. Perfekt. Geschickt hob er die einzelnen Stücke aus der Pfanne und legte sie auf die wieder eingesammelten Teller aus Chinaporzellan. Draco besaß mehrere Service, dieses war dasjenige, dass Harry am häufigsten benutzte, weil es das ‚billigste' war. Jetzt holte er die Pommes aus dem Backofen unter dem Herd, in dem er sie bis jetzt warm gehalten hatte.

Ein Blick auf die edle Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing, sagte ihm, dass es nur noch vier oder fünf Minuten dauern würde, bis Draco in den Flur hinter der Haustür apparieren würde. Er kam jeden Abend pünktlich um genau sieben Uhr von der Arbeit zurück.

Harry hob mit dem Pfannenwender die Pommes von dem Backblech, auf welchem sie bis jetzt gelegen hatten, und gab sie zu dem Fleisch auf die Teller. Nicht alles natürlich, die richtige Portionierung war wichtig, und vielleicht wollte Draco sich ja noch nachnehmen. Die Teller stelle er zurück auf den Tisch an ihre ursprünglichen Plätze. Dann gab er die Salatsoße in die Schüssel zum Salat und mischte sie mit einigen gut sitzenden Bewegungen gezielt darunter. Diese Schüssel stellte er zusammen mit zwei Salatschälchen einfach so auf den gedeckten Tisch.

Jetzt war alles fertig, bis auf... Harry ging zu einem der Regale in der dunklen Vorratskammer, die direkt neben der Küche lag, und besah sich die nicht unbeachtliche Sammlung von Weinen und Spirituosen, die hier lagerte. Es war auch wichtig, den zum Essen und der Tageszeit passenden Wein zu wählen. Das zu wählen fiel ihm manchmal immer noch schwer, obwohl er schon das eine oder andere Buch darüber gelesen hatte, um es zu lernen.

Mit einer Flasche zurück in der Küche, zog Harry den Korken aus der Flasche, band eine kleine Serviette um den Flaschenhals, um das Tropfen zu verhindern, und stellte sich ebenfalls auf den Tisch. In seinen Augen sah dieser jetzt aus wie als hätte man ihn direkt aus einem der noblen und teuren Restaurants der Innenstadt entführt: Teures Porzellan, silbernes Besteck, Gläser in denen man sich spiegeln konnte, und angemessene Portionen auf den Tellern. So konnte er Draco unter die Augen treten.

Ein leises Ploppen im Flur kündigte das Erscheinen des Besitzers der Wohnung an und kurz darauf trat Draco in die Küche. Harrys Herz schlug ein wenig schneller in seiner Brust und mit einem Lächeln drehte er sich zu dem Mann um, dem eben jenes schon jahrelang gehörte. Draco hatte noch seine Businesskleider an, schwarze, nicht unbedingt weite Stoffhosen, zusammen mit einem weißen Seidenhemd und einem eleganten Umhang aus festerem, filzähnlichen Stoff, der mit hochglanzpolierten Schnallen an Ort und Stelle gehalten wurde. Seine Lieblingsschuhe aus weichem Drachenleder standen, wie Harry wusste, schon ordentlich im Flur und warteten darauf, am nächsten Tag wieder angezogen zu werden.

Mein einem leisen Seufzen fuhr Draco sich durch die sauber gescheitelten, strahlend weißblonden Haare. Harry liebte diese Haare: sie waren lang und weich wie nichts anderes auf dieser Welt und so wunderschön, wie sie Dracos Gesicht umrahmten, wenn er die nicht gerade in einem lockeren Pferdeschwanz zusammengefasst hatte. Sie standen ganz im Gegensatz zu seinen eigenen einfach nicht zu bändigenden Strubbelflusen. Immerhin standen diese jetzt, wo sie ein wenig länger waren als früher, nicht mehr so wild ab. Draco sah ein wenig müde aus. Kein Wunder, schließlich hatte er von früh am morgen bis jetzt gearbeitet. Das war noch etwas, wofür Harry seinen Draco so bewunderte, zusätzlich zu all den anderen Dingen, die einfach nur perfekt waren. Zudem war sein Gesicht mit der Zeit ein wenig markanter geworden. Er hatte schon immer gut ausgesehen, doch jetzt gab es schlicht niemanden mehr, der sich mit ihm hätte messen können.

Dracos Perfektheit hatte sich auch nach all den Jahren, die sie sich jetzt schon kannten, nicht verändert. Es war zwei Jahre her, seit sie in Hogwarts ihren Schulabschluss gemacht hatten. Danach hatten sie beide begonnen zu arbeiten. Nicht zusammen, nein. Draco hatte einen Teil der Geschäfte seines Vaters übernommen, leitete jetzt neben anderen Aktivitäten mehrere Firmen, verwaltete einige Immobilien und auch ein paar Hotels und das sogar ziemlich gut, nach den reichlichen Mengen an Geld, die sie ihm einbrachten. Dafür, dass er erst knapp 20 Jahre alt war, war dies eine beträchtliche Leistung, fand zumindest Harry. Er selbst war im Ministerium als Auror in Ausbildung gegangen, wobei er nicht unbedingt Glanzleistungen verbuchte.

Draco stellte die Aktentasche, die er immer mit zu seinen verschiedenen Büros nahm, auf die Arbeitsfläche der Küche und löste seine Krawatte unter dem offen Stehenden Umhang ein wenig.

„Hallo Draco.", lächelte Harry. Er stand immer noch vor dem Tisch, während Draco langsam auf ihn zu ging. Endlich traf ihn ein Blick aus silbergrauen Augen, bevor Draco sich wieder dem Tisch hinter ihm zuwandte.

„Abend.", erwiderte der ehemalige Slytherin schlicht, legte den Umhang um die Stuhllehne und letzte sich an den Tisch. Er hob die Weinflasche an und drehte sie so, dass er das Etikett lesen konnte, und schenkte sich dann ein. Harry lief währenddessen um den Tisch und setzte sich auf seinen Platz. In dem Moment, in dem Harry das Sitzpolster mit seiner Kehrseite berührte, nahm Draco sein Besteck zur Hand und begann zu essen. Nicht ganz so direkt folgte Harry seinem Beispiel.

Die Stille, die sich danach im Raum ausbreitete, wurde nur vom dezenten Klappern des Bestecks auf dem feinen Porzellan durchbrochen. Harry beobachtete Draco, während dieser sein Fleisch in kleine, mundgerechte Stücke schnitt und schließlich davon probierte. Kein Muskel regte sich in dessen Gesicht, was hieß, dass Draco sein Selbstgekochtes schmeckte. Auch die Pommes Frites schienen dem Reinblüter zu zusagen. Zufrieden befasste sich Harry wieder mit seinem eigenen Teller.

Die restliche Zeit, die die beiden brauchten, um ihre jeweiligen Teller zu leeren, versank wieder in Schweigen. Draco aß nur stumm, und Harry hatte nicht die Absicht, ihn dabei zu stören, wenn dieser sowieso schon müde war. Aufdrängen wollte er sich nicht.

Sobald Dracos Tellerinhalt vollständig verschwunden war, stand dieser auf und trug seinen Teller zur Spüle, nahm seine Tasche von der Arbeitsplatte und wandte sich dann der Wohnzimmertür zu. Harry stand ebenfalls auf, auch wenn auf seinem Teller noch ein kleiner Rest unverspeister Pommes lag.

„Draco, soll ich heute Abend hier bleiben?", fragte er in Richtung Dracos Rücken. Draco blieb stehen und antwortete ohne sich umzudrehen:

„Nein, heute nicht. Ich bin sehr müde." Dann setzte er seine Schritte fort und verschwand hinter der Tür aus hellem Holz, die er hinter sich schloss.

Harrys Lächeln verblasste ein wenig, als die Traurigkeit ihn wieder durchflutete. Also würde er jetzt abwaschen und dann in seine Wohnung zurückkehren. So leise wie möglich, um Draco nicht zu stören, räumte er den Tisch vollends ab. Die übriggebliebenen Reste packte er ein und legte sie auf die Küchenablage. Draco würde sie nicht essen, wenn sie einmal kalt geworden wären, also würde er sie mitnehmen und am nächsten Tag mit ins Ministerium nehmen. Das Spülen war schnell erledigt. Er hatte Dracos Hauself darum gebeten, dies auch tun zu dürfen, schließlich gehörte es sich, nach dem Benutzen der Küche auch wieder aufzuräumen.

Nachdem alles erledigt war, nahm Harry seinen eigenen Umhang von einem Haken im Flur, zog sich die Schuhe an, nahm die kleinen Päckchen voller Essen auf einen Arm und den Zauberstand in die andere Hand. Kurz schloss er die Augen, konzentrierte sich auf den Ortswechsel, und als er sie wieder öffnete, befand er sich in seiner eigenen Wohnung. Allein.

Ein paar Kilometer entfernt betrat nach dem leisen Ploppen der Apparation ein blondes Wesen die Küche und blickte ein paar Sekunden lang regungslos auf die Stelle, an der sich nur Augenblicke zuvor noch jemand anderes befunden hatte, bevor es wieder in das Wohnzimmer zurückkehrte und sich auf das Sofa sinken ließ, den Kopf in die Hände gestützt...

Alles in allem ein ganz normaler Abend.