Die Idee hierzu ist mir gekommen, als ich faul auf der Couch gelegen, mich vom Schulstress erholt und mir den Film „The Others" angesehen habe. Und weil ich mein spontanes Plotbunny nicht mehr losgeworden bin, habe ich mich eben hingesetzt und angefangen zu schreiben ^^

Sollte eigentlich nur eine kurze One-Shot werden, ist aber etwas ausgeartet ^^** Gebt Yami und Yugi die Schuld! =)

Autorin: Fellfie

E-mail: Fellfie@gmx.net

Teil: 1/2

Disclaimer: Yami gehört nicht mir. Yugi auch nicht. Das Millenniumspuzzle ist auch nicht meine Erfindung T.T Celeste, die namenlosen Dienstmädchen, der namenlose Koch, Peter und Eleanore gehören zwar mir, aber ich würde sie  gerne eintauschen .**

Pärchen: Yami x Yugi

Warnung: OOC, AU, sad, rape (Andeutung), sap (ein wenig), lemon (die erste Lemon-Szene, die ich zu klassischer Musik geschrieben habe (1.Satz von Mozarts 40. Symphonie) ^^ )

– Gedanken –

[1] = längere Anmerkung am Ende der Story

To love once again

Missmutig ließ Yami seine beiden Reisetaschen auf die Steinstufen fallen und streckte die Hand aus, um zu klingeln. Das würden mit Sicherheit die schönsten Weihnachtsferien seines Lebens werden. Und der Junge war sich nicht einmal sicher, ob das nun sarkastisch oder ernst gemeint war.

Das Haus seiner Tante und seines Onkels war zugegeben eine Wucht. Er hatte immer gewusst, dass die beiden eine Menge Geld hatten, aber diese kleine Villa übertraf dann doch seine Erwartungen. Es war eines dieser alten Häuser, deren ehemaligen Herren sich noch den Luxus von überflüssigen Räumen wie einem Musik- oder Kunstzimmer leisten konnten und das sowohl innen als auch außen ziemlich großzügig angelegt war. An der steinernen Fassade rankten sich Rosensträucher in die Höhe und gaben den Haus ein wenig von der verträumten Atmosphäre eines Märchenschlosses.

Kaum war der dumpfe Hall des Gongs, den man bis vor die Tür hörte, verhallt, wurde die Tür auch schon aufgerissen und kristallblaue Kinderaugen lachten Yami entgegen. „Yami!", begrüßte ihn seine siebenjährige Cousine und strahlte ihn glücklich an.

„Hi, Celeste!", grinste Yami und trat ein. Die Kleine machte einen kleinen Sprung zurück, um ihn vorbei zu lassen und ihre kastanienbraunen Löckchen wippten aufgeregt.

„Ich habe gedacht, Mama und Papa wollen mich auf den Arm nehmen, als sie gesagt haben, du kommst uns besuchen!"

Ein Dienstmädchen kam herbeigeeilt und nahm Yami seine Jacke ab und verschwand danach mit seinen Taschen, bevor der Junge dagegen protestieren konnte. „Ich habe dir doch versprochen, dass ich euch mal besuchen komme", erklärte er lächelnd, als er seine Schuhe abstreifte. „Wo sind deine Eltern?"

Celeste verzog das Gesicht. „Weg. Ich glaube, Mama wollte noch etwas einkaufen."

„Sind sie immer noch nicht zurück?" Yami ließ seinen Blick durch die Eingangshalle wandern, an deren Ende eine elegant gewundene Treppe aus dunklem Holz nach oben führte. – Geräumig. – Er war vom Bahnhof hierher gelaufen, weil seine Verwandten ihm gesagt hatten, sie hätten keine Zeit ihn abzuholen und Yami hatte keinen der Angestellten bemühen wollen. Er war sich sicher gewesen, die Adresse würde genügen, damit er herfand. Nun, schlussendlich hatte er es geschafft, aber mit einer Stunde Verspätung und nachdem er wenigstens zwei Dutzend verschiedene Leute nach dem Weg gefragt hatte.

Da es Ende Dezember war, waren die Temperaturen auch recht frostig und der Junge fühlte sich inzwischen wie ein Eisblock auf Beinen. Vielleicht sollte er erst einmal eine heiße Dusche nehmen, um wieder unter die Lebenden zurückzukehren. „Zeigst du mir mein Zimmer, Celeste?"

„Klar!" Und schon war sie voran gelaufen. Yami folgte ihr so zügig, wie es mit seinen halberfrorenen Füßen ging und als er in den Raum trat, den seine Cousine ihm zeigte, schlug ihm eine unangenehme Wärme entgegen. „Mama hat die Heizung aufgedreht für den Fall, dass dir kalt sein sollte, wenn du ankommst. Das Bad ist übrigens nebenan. Durch die Tür da", sie deutete auf die entsprechende.

Yami marschierte zur Heizung und stellte sie auf eine vernünftige Temperatur herunter, bevor er sich umsah. Das Zimmer war ziemlich groß dafür, dass es ein einfaches Gästezimmer war. Die helle Tapete harmonierte mit den ebenfalls hellen Möbeln aus Ahornholz, als da wären: Ein auf altertümlich gemachter, kleiner Schreibtisch, ein großer Wandschrank, in den seine Sachen mit Sicherheit drei Mal hineinpassen würden, einige kleine Regale mit Büchern und ein breites Himmelbett.

Beinahe ehrfürchtig nährte sich Yami dem Bett und setzte sich probeweise darauf. Er hatte schon immer mal in einem Himmelbett schlafen wollen. Ja, diese Ferien würden wohl doch besser werden als angenommen. Celeste sah ihn erwartungsvoll an.

„Wow, ein tolles Zimmer! Ich glaube, ich packe erst einmal meine Sachen aus, nehme dann eine Dusche und dann werde ich nach unten kommen. Habt ihr so etwas wie einen Salon? Ja? Gut, wartest du da auf mich? Ich werde in ungefähr einer halben Stunde nachkommen."

Das Kind schien etwas enttäuscht, zuckte dann aber mit den Schultern und schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Sicher, Cousin. Bis gleich." Dann war sie wie ein Wirbelwind aus dem Zimmer verschwunden. Yami seufzte, sah ihr lächelnd nach und entschied, dass das Auspacken warten konnte. Er würde sich erst einmal darum kümmern müssen, seinen Körper wieder zum Leben zu erwecken. Er griff sich die notwendigen Sachen aus seinen Reisetaschen und verschwand im Bad.

Lebendig und guter Dinge kehrte der Junge zehn Minuten später zurück, die Wangen nicht länger vor Kälte sondern von der heißen Dusche gerötet. Wenn er recht überlegte, hätte er es gar nicht besser haben können. Weit weg von zu Hause, weg von seinen Eltern und dafür bei Leuten, die ihn akzeptierten und bei seiner kleinen Cousine, die ihn geradezu vergötterte. Weihnachten zu Hause wäre dieses Jahr sowieso ein Desaster geworden, dachte Yami, während er sich eine Strähne aus dem Gesicht strich. 

Seine Eltern hatten vor einem Monat herausgefunden, dass er mit einem Jungen zusammengewesen war- eine Woche nachdem die Beziehung bereits beendet war. Und statt ihn zu trösten und ihm über seinen Trennungsschmerz hinweg zu helfen, hatten seine Eltern ihm Vorwürfe gemacht und ihn verurteilt.

Ich habe doch keine Schwuchtel großgezogen!

Deutlich hörte der Siebzehnjährige noch die zornige Stimme seines Vaters in seinen Ohren hallen. Seine Mutter hatte die ganze Zeit etwas von Enkelkindern gestammelt, während ihr Mann dabei war, den gemeinsamen Sohn zusammenzustauchen und irgendwann hatte sich Yami umgedreht, weil er es nicht mehr hören konnte, war in sein Zimmer gegangen und hatte seinen Eltern die Tür vor der Nase zugeknallt. Seitdem hatte zwischen ihnen Eiszeit geherrscht.

Sein Vater ignorierte ihn und seine Mutter schien jedes Mal in Tränen ausbrechen zu wollen, wenn sie ihn sah. Es hatte ein paar vorsichtige Anläufe gegeben, ihn mittels Überredung zu bekehren, aber Yami hatte sie alle schon aus Trotz abgeschmettert. Wenn sein Vater über ihn sprach, dann nicht mehr in dem Stolz wie früher. Nein, er beklagte sich über seinen missratenen Sohn. Yamis Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln.

Und er hatte immer gedacht, seine Eltern seien tolerant. Hatten sie selbst nicht immer wieder betont, dass er ihnen alles anvertrauen konnte? Und als sie ihn gefragt hatten, was mit ihm los war, ob er Liebeskummer hatte, hatte er ihn vertrauensvoll die Wahrheit gesagt. Und das war die Belohnung? Sein Vertrauen war bitter enttäuscht worden.

Er war fast froh gewesen, als sein Vater eines Abends in sein Zimmer gekommen und ihm mitgeteilt hatte, dass er die Weihnachtsfeiertage und überhaupt seine Ferien woanders verbringen würde. Dass sich Tante Eleanore und Onkel Peter (A/N: engl. Aussprache) bereit erklärt hatten, ihn aufzunehmen. Yami hatten den beiden trotz all seines Ärgers über sie, Geschenke da gelassen. Auch wenn sie ihm das Taschengeld gestrichen hatten ( So lange bis du wieder zur Vernunft gekommen bist, Junge ) und er heimlich einen Job hatte annehmen müssen, um sich die Weihnachtseinkäufe dieses Jahr leisten zu können.

Als Yami langsam die Treppe hinunter ging, hörte er Stimmen aus dem Salon. Seine Verwandtschaft war also endlich vom Einkaufsbummel zurückgekehrt. Dann würde er mal die Begrüßung über sich ergehen lassen.....

Zögernd schwebte seine Hand über dem Telefon. Er hatte diesen Moment bis nach dem Abendessen hinausgezögert. Seine Tante hatte ihn noch einmal nachdrücklich aufgefordert, zu Hause anzurufen und Bescheid zu sagen, dass er gut angekommen war. Obwohl Yami ziemlich sicher war, dass es seine Eltern nicht interessierte, hatte er sich schließlich breitschlagen lassen.

Entschlossen wählte er seine Nummer und drückte den Hörer etwas fester als nötig gegen sein Ohr. Es klingelte und klingelte, aber niemand hob ab. Vielleicht hatten sie die Nummer seiner Tante auf dem Display ihres schnurlosen Telefons gesehen und ahnten, wer sie anrief. Gerade, als er enttäuscht auflegen wollte, hörte er die brummige Stimme seines Vaters: „Ja, bitte?"

Yami räusperte sich. „Ich bin's." Schweigen antwortete ihm. „Ich wollte nur kurz Bescheid sagen, dass ich gut angekommen bin und ihr euch kein Sorgen um mich machen braucht."

„Gut", war die knappe Antwort und dann folgte wieder Schweigen. „Und wage es nicht, deine Mutter und mich morgen zu stören." Klick. Sprachlos starrte Yami den Hörer in seiner Hand an. Dann konnte er gerade noch dem zornigen Drang den Hörer auf die Gabel zu pfeffern widerstehen. Es war dumm gewesen, mehr zu erwarten. Er fluchte leise.

Plötzlich meinte er, jemanden aus den Augenwinkeln hinter sich im Raum stehen zu sehen. Wahrscheinlich Celeste, die noch eine Gute-Nacht-Geschichte von ihm hören wollte. Doch als er sich umwandte, war niemand da.

Yami zuckte mit den Schultern. Anscheinend hatte er sich verguckt. Passierte ja jedem einmal am Abend eines anstrengenden Tages. Als er hinauf zu seinem Zimmer gehen wollte, kam Celeste aus dem Salon geflitzt. „Yami! Yami, liest du mir noch etwas vor?"

Er war geneigt, sofort Ja zu sagen, beschloss dann aber, sie noch etwas zu necken. „Bist nicht schon zu alt für so etwas? Das ist doch nur etwas für kleine Kinder."

„Ich kann sonst aber nicht einschlafen. Ich habe Angst."

„Angst? Du kannst das Licht anlassen, wenn du willst. Ich mache es dann später aus."

„Das ist es nicht" Celeste lehnte sich vor und flüsterte ihm verschwörerisch ins Ohr: „Hier spukt es."

Yami lächelte belustigt. „Ach ja?

„Natürlich. Es spukt in allen alten Häusern."

„Wer sagt das?"

„Der Koch!"

Yami verkniff sich ein Lachen. „Na, wenn das so ist, kann ich dich natürlich nicht alleine lassen. Du gehst jetzt erst einmal ins Bad und in zwanzig Minuten komme ich nach und lese dir dann etwas vor, ja?"

Celeste nickte und rannte nach oben zu ihrem eigenen Zimmer, in dem sie und Yami bereits den Nachmittag verbracht hatten.

Yami seufzte, als er zwei Stunden später auf dem Weg zur Küche war. Morgen würde er sich definitiv nicht dazu überreden lassen. So viel stand fest. Es war leichter einen Stein zum Bluten, als Celeste zum Einschlafen zu bringen. Irgendetwas sagte ihm jedoch, dass er ihren großen blauen Augen auch morgen nicht widerstehen konnte. Wie immer. Er seufzte lautlos.

Als er die Küche betreten wollte, um sich ein Glas Saft gegen seinen trockenen Mund einzuschenken, erstarrte er mitten im Schritt. In der Küche befand sich ein Junge, den er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Seine stacheliges Haar war genauso dreifarbig wie Yamis, aber er war viel kleiner. Sicherlich einen Kopf; und dass obwohl Yami selbst auch nicht gerade groß war. Er hatte dem Größeren den Rücken zugewandt und schlenderte so verträumt durch den Raum, als würde er schlafwandeln, seine Hand strich über den hüfthohen Küchenschrank, als würde er damit geliebte Erinnerungen verbinden.

Yami legte den Kopf schief. Dieses Bild strahlte Ruhe aus, aber gleichzeitig verströmte der Junge eine seltsame Traurigkeit. Er führt seinen Rundgang durch die Küche fort und als Yami das Gesicht des Fremden erkennen konnte, fühlte er wie sich sein Herz zusammenzog. Die großen, violettfarbenen Augen, die einen unsichtbaren Punkt in der Unendlichkeit fixiert hatten und ihn gar nicht zu sehen schienen, waren trauriger, als alles, was er je zuvor gesehen hatte. Das junge Gesicht- fast noch das eines Kindes- war ernst und drückte denselben, herzzerreißenden Schmerz aus, wie seinen Augen. Was war das für ein seltsamer Junge?

Ohne zu zögern ging er jetzt lautlos an Yami vorbei, als wäre der Größere Luft, und kam ihm dabei so nahe, dass sich Yamis Härchen an den Armen aufstellten. Ihm stieg der flüchtige Geruch eines verregneten Frühlingsmorgens in die Nase, der ihn unwillkürlich die Augen schließen ließ, und dann war der andere vorbei. Als Yami endlich blinzelnd aus seiner Starre erwachte, war der Kleinere schon fast um die nächste Ecke verschwunden.

„Hey, warte!" Zu spät. Fluchend lief Yami ihm hinterher, doch als er um die Ecke bog, verharrte er abermals wie angewurzelt. Der Gang vor ihm war leer. Der Junge hatte doch nur ein paar Sekunden Vorsprung gehabt, wo war er jetzt hin? Wenn er ein Zimmer betreten hatte, hätte Yami mit Sicherheit noch die Tür gehen sehen. Er konnte sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!

„Suchst du etwas?"

Yami sprang vor Schreck beinahe aus seiner Haut und fasste sich mit einer Hand ans Herz, bevor er sich zu seiner Tante herumdrehte. „Uff! Hast du mich erschreckt!" Dann schwiegen sie sich einen Moment an. „Sag mal, wer ist eigentlich dieser merkwürdige Junge? Ich kenne ihn gar nicht."

Sie blinzelte irritiert. „Welcher Junge?"

Yami blinzelte genauso verwirrt zurück. „Na, der kleine. Mit den violetten Augen und dessen Haar fast aussehen, wie meine."

„Yami, ich weiß nicht, von wem du redest. Hier gibt es keine kleinen Jungen. Schon gar keine mit violetten Augen oder Haaren wie deinen."

Yami wollten einen Moment widersprechen, besann sich dann aber eines Besseren. „Vielleicht bin ich einfach nur übermüdet", gab er seufzend zu.

„Es war ein langer Tag. Du solltest zu Bett gehen."

„Ja...." Und damit wandte sich Yami ab. – Werde ich verrückt? Er war doch wirklich da, oder? Ich habe ihn gesehen.... ich habe ihn sogar riechen können........ – Unsicher darüber, was er gesehen hatte.. oder gesehen zu haben glaubte und was er davon halten sollte, machte sich der Siebzehnjährige bettfertig.

– Wie kann man nur so traurige Augen haben? – ging es ihm noch zusammenhangslos durch den Kopf, bevor er langsam in das Land der Träume abdriftete.

Am nächsten Tag hatte Yami bis zum Mittag geschlafen und hatte danach die ehrenvolle Aufgabe bekommen, seine Cousine bis zur Bescherung am Abend zu beschäftigen. Nicht, dass er sich beklagt hätte. Er hatte es gerne getan. Vielleicht sollte er später mal einen Beruf erlernen, der mit Kindern zu tun hatte, überlegte Yami, während er zusah, wie ein als Weihnachtsmann verkleideter Student aus der nahen Stadt, die Bescherung für seine Cousine übernahm, dann die Geschenke für den Rest verteilte und sich höflich und mir einem überzeugenden „Ho ho ho!" aus der Runde verabschiedete.

Yami sah auf seinen Schoß. Ein einsames Päckchen. Und ein zusammengerolltest Stück Papier, mit einer Schleife geschmückt- offensichtlich von seiner kleinen Cousine. Er entrollte es als erstes und musterte die Figuren darauf. Das Haus im Hintergrund sollte wohl die Villa darstellen, die beiden großen Leute waren vermutlich Tante Eleanore und Onkel Peter und das kleine braunhaarige Mädchen stellte mit ziemlicher Sicherheit Celeste selbst dar. Yami betrachtete die Darstellung von sich selbst. Seine Cousine schien sich besonders mit seinen Haaren viel Mühe geben zu haben.

Er lächelte und winkte sie zu sich heran. Celeste kam folgsam angelaufen und rutsche auf seinen Schoß.

„Das hast du sehr schön gemacht, Celeste. Danke schön." Er gab ihr einen keinen Kuss auf die Stirn und die Kleine strahlte mit dem Weihnachtsbaum um die Wette. Jetzt wandte sich Yami dem Päckchen zu. Nachdem er das Geschenkpapier fortgerissen hatte, hielt er eine seltsame, schwarze Box in der Hand. Er drehte sie einmal in dem Versuch, ihren Inhalt zu erraten, gab dann aber auf und öffnete sie. Darin lagen viele kleine, goldene Teile in verschiedener Form. „Was ist das?"

„Ein Puzzle. 1000-teilig. Eines dieser 3-D-Dinger, nur aus Gold. Der Verkäufer meinte, es habe die Form einer Pyramide und er hat uns versichert, dass es nach dem Zusammensetzen so stabil ist, dass du es sogar als Kette tragen könntest."

Ehrlich erstaunt sah Yami auf sein Geschenk herab. „Wow, danke!" Und nachdem sich auch sein Onkel, seine Tante und seine Cousine für ihre Geschenke bei ihm bedankt hatten, hatte Yami den Mut gefunden, die Frage zu stellen, die ihm auf der Seele brannte. „Was ist mit meinen Eltern? Haben sie... ich meine...." Seine Tante warf seinem Onkel einen Blick zu und Yami kannte die Antwort. Sie hatten keine Geschenke für ihn geschickt. Sie hatten beschlossen, ihn an Weihnachten, dem Fest der Familie und der Versöhnung, zu vergessen. Als gäbe es ihn gar nicht. Und ein Verbot anzurufen, hatte ihm sein Vater auch erteilt.

Und ganz entgegen seiner robusten Natur fühlte Yami, wie ihm plötzlich die Tränen in den Augen brannten. Er schluckte schwer und blinzelte sie fort. Warum taten ihm ausgerechnet seine eigenen Eltern so weh? Die Menschen, denen er bisher am meisten vertraut hatte und die ihm am meisten bedeuteten?

Celestes kleine Hand drückte seine. „Mami hat mir erzählt, dass deine Eltern gerade ganz böse auf dich sind, aber sie sind es bestimmt nicht mehr lange."

„Celeste hat recht", warf Onkel Peter ein. „Deine Mutter und dein Vater sind ein wenig stur, aber sie werden sich schon wieder einkriegen."

„Aber nicht mehr in diesem Leben", murmelte Yami bedrückt.

„Gib ihnen Zeit."

Yami nickte seiner Tante zu, aber mehr als Zeichen, dass er sie gehört hatte, als dass er ihr zu verstehen geben wollte, dass er ihr zustimmte, und stand dann auf. „Ich gehe auf mein Zimmer." Dann verließ er den Raum und spürte die besorgten Blicke der Zurückbleibenden in seinem Rücken. Langsam stieg er die Treppe hinauf und oben angekommen lehnte er sich nach wenigen Metern an die Wand. „Was habe ich auch erwartet?", fragte er den leeren Flur bitter. „Dass sie mit einem Strauß Blumen hier anklopfen und alles ist vergeben und vergessen?" Er schnaubte und lehnte seinen Hinterkopf gegen die Wand, bevor er zur Seite in den Gang blickte- und erstarrte.

Nur wenige Schritt entfernt von ihm stand dieser Junge von gestern und musterte ihn aus seinen traurigen Augen. Yami wagte nicht einmal zu atmen, aus Angst, ihn zu verschrecken, aber anscheinend war es nicht genug, bewegungslos zu verharren, denn plötzlich blickten violette Augen erschrocken in seine, als wäre der Junge sich plötzlich bewusst geworden, dass er beobachtet wurde. Und bevor Yami etwas unternehmen konnte, wirbelte der Kleinere auf dem Absatz herum und lief davon.

„Hey!", rief Yami ihm hinterher und lief ihm nach, als er nicht stehen blieb. Doch die Verfolgungsjagd endete schon nach wenigen Minuten, als der Flüchtende einfach durch die Wand auf seiner linken rannte. Einfach so. Ohne anzuhalten oder zu zögern. Und das Bemerkenswerte daran war, dass es ihm mit Leichtigkeit gelang, alle Naturgesetzte auszutricksen und einfach durch eine stabile Mauer zu verschwinden.

Yami blieb so abrupt stehen, als hätte ihm jemand ein Brett vor die Stirn geschlagen und starrte den Fleck an, durch den der Kleinere gerade entschwunden war. Vorsichtig nährte er sich der Wand und tastete sie ab. Vielleicht gab es ja einen Geheimgang oder so etwas?

Nein, der Stein unter seinen Fingern fühlte sich hart und sehr unnachgiebig an. Was zum Teufel war das für ein Trick gewesen?! Spielten ihm seine Sinne Streiche? War die Sache mit seinen Eltern vielleicht zu viel für ihn gewesen? Halluzinierte er? Yami biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Was wurde hier gespielt?

Oh, und dann war da noch etwas. Etwas, das Yamis Herz etwas schneller schlagen ließ. Das Verhalten des Jungen hatte sich verändert. Er hatte nicht mehr an ihm vorbei, sondern ihn angesehen. Ihm sogar in die Augen geblickt. Auch wenn er wie ein verängstigtes Kaninchen ausgesehen hatte.

– Ist er wirklich oder nur ein Fantasiegebilde? –

Am Nachmittag des darauffolgenden Tages hatte Yami etwas Zeit für sich. Seine Tante und sein Onkel waren mit seiner Cousine spazieren gegangen. Er saß an seinem Schreibtisch und versuchte, an seinem Aufsatz für Deutsch, den sie über die Ferien aufhatten, zu arbeiten, aber es wollte kein einziges Wort auf das weiße Stück Papier. Yami hatte einige Mal angefangen, diese Versuche aber wieder verworfen. Er konnte sich nicht konzentrieren. Statt des Aufsatzes dominierten violette Augen seine Gedanken.

Er hatte nicht noch einmal versucht, mit jemanden über diesen Jungen zu reden, weil ihm die merkwürdigen Blicke seiner Tante vom Abend seiner Ankunft genügt hatten. Schließlich entschied Yami, dass die Frage, ob er verrückt geworden war, wichtiger war, als diese dumme Hausaufgabe. Er legte seinen Kugelschreiber beiseite und trat ans Fenster um den Blick auf den zugefrorenen kleinen See im Park des Anwesens zu werfen. In der Nacht hatte es heftig geschneit und die ganze Landschaft lag unter einer zwanzig Zentimeter dicken Schneedecke, die im Sonnenlicht glitzerte.

Plötzlich klappte Yami die Kinnlade herunter. Dort unten am See, neben einer mächtigen, verschneiten Tanne, stand der Grund für seine Nachdenklichkeit. In denselben etwas altmodischen Sachen, die er auch schon im Haus getragen hatte. Yami fröstelte bei seinem bloßen Anblick. War ihm denn nicht kalt??

Und dann kam ihm noch etwas in den Sinn: Das war doch die ideale Gelegenheit, herauszufinden, ob er es mit einer Sinnestäuschung zu tun hatte. Niemand war hier, um ihn auszulachen oder schief anzusehen, falls dem so war. Er hetzte hinunter in die Eingangshalle, schlüpfte in seine Schuhe und rannte ohne die Schnürsenkel zuzubinden oder sich eine Jacke überzuziehen nach draußen. Der Schnee behinderte sein Vorankommen und es war bitterkalt, aber Yami war mit seinen Gedanken ganz woanders. Wenn der Junge nur nicht wieder auf geheimnisvolle Weise verschwand, bevor er ihn erreichte!

Zu seiner Erleichterung stand der Fremde immer noch an derselben Stelle und schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. –Jetzt oder nie! – Mit einem Satz sprang er ihn an und unter einem erschrockenen Aufschrei von beiden, gingen sie zu Boden; Yami kam über dem Kleineren zum Liegen und presste dessen Körper mit seinem eigenen gegen den Boden, um eine Flucht zu verhindern. Einen Moment sah ihn der andere angstvoll, beinahe panisch, an, dann wurde seine hübschen Augen vor Erstaunen kugelrund. „Du... du kannst mich berühren?", flüsterte er perplex.

Yami war etwas außer Atem und sein Gesicht von seinem kurzen Sprint und der Kälte gerötet. Er lächelte. „Natürlich. Bin ja schließlich kein Geist oder so etwas." Aus der Nähe war er sogar noch hübscher, entschied Yami und ließ seinen Blick über das zarte Gesicht mit den übergroßen Augen, den langen dichten Wimpern und den sanft geschwungenen Lippen gleiten.

Der andere zögerte kurz, dann lächelte er ebenfalls, auch wenn es so hauchzart war, dass man es kaum wahrnahm. „Nein, das bist du nicht." Seine Hände glitten über Yamis Schultern, als müsse er sich vergewissern, dass er nicht träumte. Dann füllten sich seine Augen unvermittelt mit Tränen.

Yami zuckte zurück. „Entschuldige! Habe ich dir weh getan?" Er stand hastig auf und streckte dem kleinen Engel im Schnee seine Hand entgegen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. Der Kleinere nahm an und wischte sich verlegen die Tränen aus dem Gesicht.

„Nein, nein. Alles, nur das nicht." Und als sich ihre Blicke trafen, hatte Yami das Gefühl, etwas getan zu haben, dass dem Jungen unendlich viel bedeutete und dass für einige Augenblicke sogar den traurigen Ausdruck aus seinen Augen wischte. Er konnte sich nur nicht erinnern, was. „Danke", wisperte der Kleinere, stellte sich etwas auf die Zehenspitzen und drückte Yami einen sanften Kuss auf die Wange.

Als dieser den Mund wieder zuklappte und sich von der Überraschung erholt hatte, war er allein. Verwirrt drehte er sich einmal um sich selbst, um einen Fehler auszuschließen, aber der Junge war definitiv verschwunden. Aber er war da gewesen. Daran gab es nichts zu rütteln. Yami spürte ja immer noch seine Lippen auf der Wange und die Stelle, an der sie sie berührt hatten, kribbelte angenehm. Und er hatte den Anderen doch auch unter sich gespürt. Da war ein Irrtum vollkommen ausgeschlossen. So verrückt konnte man gar nicht werden, dass man sich so etwas einbildete. Und warum zum Teufel schlug sein Herz, als hätte er einen Marathon hinter sich?

Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten, fiel sein Kinnlade hinunter. Du glaubst wirklich noch an Liebe auf den ersten Blick? Manchmal bist du schrecklich naiv, weißt du das? hatte sein Ex-Freund einst gespottet, doch nun hatte der Siebzehnjährige den Beweis dafür. Die Verletzlichkeit und die Traurigkeit des Jungen hatten ihn von Anfang an in ihren Bann gezogen und das Bedürfnis in ihm geweckt, ihn zu beschützen. Wenn er so weiter machte, würde Yami sich wirklich Hals über Kopf in dieses Mysterium auf zwei Beinen verlieben.

Nachdem er seine Cousine in den Schlaf gelesen hatte, ging Yami noch einmal hinunter zur Küche, um wieder etwas zu trinken, denn durch das Lesen war seine Kehle furchtbar trocken geworden. Auch dieses Mal war er wieder nicht allein dort. Der Koch und eines der beiden Dienstmädchen saßen am Küchentisch und unterhielten sich. Als er herein kam, grüßten sie ihn freundlich und setzten ihr Gespräch fort.

Yami versuchte höflich zu sein und nicht zu lauschen, während er sich ein Glas Wasser eingoss, doch konnte nicht anders, als aufzuhorchen, als das Dienstmädchen plötzlich kicherte. „Jetzt hör doch auf mit deinen Geistergeschichten!"

Schlagartig war Yamis Interesse erwacht. Hatte nicht auch Celeste erzählt, dass der Koch ihr gesagt habe, es spuke hier? Es interessierte Yami brennend, worum es in dieser „Geistergeschichte" ging, auch wenn er nicht an Geister glaubte. „Geistergeschichte? Welche Geistergeschichte?"

„Weißt du, vor fünfzig Jahren..."

„Oh bitte, jetzt erzähl dem Jungen nicht auch noch diesen Unsinn!"

Der Mann ließ sich nicht irritieren, sondern sprach weiter: „... gehörte das Haus einer Familie Mutou mit drei Kindern. Eines Tages verschwand das Jüngste, Yugi Mutou, plötzlich und war seitdem unauffindbar. Der Junge war immer etwas kränklich gewesen und hätte das Haus eigentlich nicht verlassen sollen, deshalb machten sich die Eltern große Sorgen. Man fand seine Leiche einige Tage später am See. Der Junge ist bei einem tragischen Unfall ertrunken und es wird gemunkelt, dass er immer noch ruhelos in diesem Haus umhergeht."

Yami war etwas enttäuscht. Er hatte etwas Spektakuläreres erwartet. „Ach wirklich? Na ja, die Geschichte ist nicht besonders einfallsreich. So oder so ähnlich lauten sie doch alle, diese Geschichten von Geistern, oder?"

Der Koch zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Aber es ist ein gutes Beispiel dafür, dass man seinen Eltern gehorchen sollte."

Jetzt fiel bei Yami der Groschen. „Ach, deshalb haben Sie es Celeste erzählt? Aus erzieherischen Gründen?" Yami lächelte und nach einem Grinsen vom Koch verabschiedete er sich aus der Runde, um zu Bett zu gehen. Doch kaum war seine Zimmertür hinter ihm zugefallen, beschlichen ihn leise Zweifel. Glaubte er wirklich nicht an Geister? Ein Junge war vor seinen Augen zwei Mal auf mysteriöse Art verschwunden und war einmal sogar schnurstracks durch eine solide Wand gelaufen. Das war schon merkwürdig, oder? Es war ein verrückter Gedanke, aber war der Kleine so überrascht gewesen, ihn berühren zu können, weil er ein Geist war?

Natürlich war Yami klar, dass das nicht gerade von gesundem Menschenverstand zeugte, aber bestand nicht vielleicht doch eine winzig kleine Chance, dass die Geschichte des Kochs wahr war? Er müsste wohl mit dem Jungen reden, um sich zu vergewissern, aber wie sollte er ihn finden? Er kam und ging ja, wie er wollte.

Sollte er vielleicht einmal rufen? Na ja, mehr als blamieren konnte er sich nicht, überlegte Yami. „Yugi? Yugi?!" Er hielt einen Moment den Atem an, aber nichts passierte. Dann ärgerte sich der Junge für seine Leichtgläubigkeit. Natürlich gab es keine.....

„Du kennst meinen Namen?", fragte eine sanfte Stimme neben ihm.

Yami hätte vor Schreck beinahe einen Herzanfall bekommen. „Himmel, wo kommst du denn her?!"

Yugi deutete hinter sich auf die Wand und sah ihn abwartend an.

„Oh... ähm.. ja, du willst sicher wissen, was ich von dir will, oder? Nun... das ist nicht ganz einfach zu erklären und es könnte sein, dass meine Frage etwas taktlos ist, aber: Bist du ein Geist?"

Der Kleinere legte den Kopf schief und sah so unglaublich putzig aus. „Ich bin tot, ja."

– Wie redet man denn bloß mit einem Geist? – fragte sich Yami einen Augenblick und hätte sich dafür im selben Moment ohrfeigen können. – Na, ganz normal, du Idiot! – Er gestikulierte zum Bett. „Willst du dich setzen?" Yugi zögerte einen Moment zu lange, um Yamis ehrenhaften Absichten nicht in Frage zu stellen. Yami blinzelte und sagte dann: „Ich werde dich nicht anrühren, versprochen." Daraufhin nahm der Kleinere am Bettrand Platz, während sich Yami im Schneidersitz in die Mitte setzte und ihn beobachtete. Na ja, wenn Yugi diese steife Sitzhaltung gemütlicher fand....

„Dann stimmt es also? Diese Geschichte von deinem Unfall?"

„Wenn man es Unfall nennen möchte, ja", antwortete Yugi ehrlich und für einen Moment war der Schmerz in seinen klaren Augen so deutlich zu sehen, dass es Yami ganz schwer ums Herz wurde.

„Wenn man...", echote der Größere überrascht. „Willst du damit sagen, es war Mord?"

Yugi versteifte sich noch mehr. „Ich will gar nichts sagen."

„Entschuldige", murmelte Yami und durch seinen gesenkten Blick sah er nicht, wie der Ausdruck in Yugis Augen wieder sanfter wurde. Der Kleinere krabbelte zu ihm hinüber und nachdem er kurz reglos verharrt hatte, berührte er zaghaft Yamis Schulter. Dieser blickte auf und fand das Gesicht des anderen nur wenige Zentimeter von seinem eigenen entfernt.

„Wie kommt es, dass du mich sehen und berühren kannst?"

Yami zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Uhm, wofür war eigentlich dieses Danke vorhin?"

„Oh", sagte der Kleinere leise und wurde etwas rot. Die Tagesdecke des Himmelbettes schien auf einmal ein wahnsinnig faszinierendes Muster zu haben. „Ich war so lange allein, verstehst du? Seit meinem Tod hat mich keiner sehen können. Ich wollte so gerne noch einmal von einem lebenden Wesen berührt werden. Ich wollte wieder Wärme spüren."

„Ich kann dir gerne einen Pullover leihen."

In Yugis Augen konnte Yami aufrichtige Zuneigung lesen. Sein Herz machte einen Satz in den Hals. Fühlte der Kleine etwa dasselbe wie er? Dann legte sich der allgegenwärtige Schleier der Traurigkeit wieder über das dunkle Violett. „Nein. Die Kälte kommt nicht von außen. Sie kommt von innen. Aus mir."

Und bevor Yami wusste, was er tat, hatte sein Körper eigenmächtig gehandelt und Yugi eng an sich gezogen. Und die Worte kamen auch wie von selbst: „Dann lass mich dich wärmen." Für einen Moment hielt der Kleinere ganz still, schmiegte sich für einige weitere Augenblicke an ihn und setzte sich dann wieder auf.

„Mach keine Angebote, die du nicht halten kannst." Wer hatte ihm nur so viel Schmerz zugefügt, dass er so verbittert war und sein Vertrauen in die Menschen verloren hatte? „Du solltest jetzt schlafen."

„Wann sehen wir uns wieder?"

„Warum willst du mich wiedersehen?" Verwunderung in seinen großen Augen, die ein Spiegel seiner Seele zu sein schien.

„Die Frage ist überflüssig. Willst du etwa wieder allein sein?"

„Dann ist es also Mitleid?", fragte Yugi verletzt und senkte den Blick.

„Nein." Sanft hob Yami den Kopf des Kleineren und sah ihm in die Augen. „Ich mag dich."

Etwas flackerte kurz in den violetten Opalen auf, zu kurz um es zu bestimmen. „Dann sehen wir uns morgen wieder. Ruf mich einfach, wenn du mich sehen willst."

„Darf ich dich zum Abschied küssen?"

Schon wieder diese Steifheit, die den kleineren Körper jedes Mal überfiel, wenn es um Nähe – insbesondere körperliche- ging. „Sicher." Der Ton klang, als traue er sich schlicht nicht, Nein zu sagen. Yami lehnte sich vor und als seine Lippen statt Yugis Mund seine Stirn berührten, fühlte er dessen Überraschung.

„Du musst lernen, Nein zu sagen, wenn du etwas nicht willst, Engel!"

Ein Aufreißen der Augen. „Wie- wie bitte? Wie hast du mich genannt?"

„Engel", erwiderte Yami mit einem unguten Gefühl. Warum reagierte Yugi so seltsam? „Stimmt etwas nicht damit? Soll ich dich anders nennen?"

„Nein... nein, es ist okay. Jemand in meinem Leben hat mich genauso genannt, aber... bei dir klingt es anders. Besser. Es ist okay", wiederholte er noch einmal nach längerem Nachdenken.

Yami hingegen fand es gar nicht okay, denn anscheinend verband sein kleiner Engel mit diesem Spitznamen unangenehme Erfahrungen. Er würde sich einen anderen einfallen lassen müssen.

„Gute Nacht. Träume süß", wisperte Yugi und einen Moment glaubte Yami, dass er ihn küssen wollte, doch dann stand er einfach auf und verließ das Zimmer durch die Tür- ohne sie zu öffnen. Yami starrte ihm noch lange hinterher. – So sanft und doch so von Einsamkeit und Kälte geprägt... –

„Hm, versuch das mal", meinte Yugi und zeigte auf eines der goldenen Puzzleteilchen die auf dem Boden verstreut lagen. Gleich nachdem er aufgestanden, geduscht und gefrühstückt hatte, war Yami in sein Zimmer geflitzt und hatte nach Yugi gerufen. Als er herausgefunden hatte, dass Yugi im Leben gerne gepuzzelt hatte, hatte er spontan beschlossen, sein Weihnachtsgeschenk mit ihm zu teilen.

„Auch nicht.... verflixt, ich habe noch nie ein so kompliziertes Puzzle gesehen!" Jetzt saßen sie bereits einige Stunden hier und hatten kaum zehn Teile beieinander.

„Was war das eigentlich an Heiligabend auf dem Flur?", fragte der Kleinere unvermittelt und betont beiläufig, während er sich augenscheinlich immer noch mit dem Puzzle beschäftigte.

„Oh, das. Es gab... gewisse Differenzen zwischen meinen Eltern und mir und sie haben mich über die Weihnachtsferien hier hin abgeschoben. Sie haben es nicht einmal für nötig gehalten, mir etwas zu schenkten." Damals war es furchtbar für ihn gewesen, aber jetzt erschien es lächerlich weit weg. Und mit Yugi neben ihm erschien es plötzlich nur noch halb so schlimm. Es war schon sonderbar.

Der Kleinere riss die Augen auf. „Was?! Was sind denn das für Eltern? Das muss aber ein schlimmer Streit gewesen sein."

„Sie konnten nicht akzeptieren, dass ich mit einem Jungen zusammen war." Zu spät fiel Yami ein, dass Homosexualität in Yugis Zeit ja noch etwas Anstößiges gewesen war. Er biss sich auf die Lippe und warf dem Jüngeren (A/N: Alter bei Tod zählt, nicht die Jahre danach) einen forschenden Blick zu.

Dieser sah ihn scheu an. „Du... du bist mit einem Jungen zusammen?"

„Nein, ich war. Dieser verwöhnte Millionärsbengel hat mit mir Schluss gemacht, weil er Interesse an seinem kleinen Bruder hatte." Yugi wurde weiß wie eine Kalkwand. „Alles in Ordnung?" Ein stummes Nicken. Der Kleinere griff auf nach einem Puzzleteil, probierte es und warf es wieder beiseite, als es nicht passte.

„Was hältst du von Hikari?"

„Wie bitte?"

„Als Spitzname. Was hältst du von Hikari?"

„Ich weiß nicht. Was bedeutet das?"

„Licht."

Er starrte Yami einige Minuten schweigend an und stammelte dann: „Licht? Warum Licht? Ich habe doch absolut nichts damit gemeinsam."

„Du bist genauso unschuldig und rein. Und weißt du, nicht alle Menschen sind in der Lage, das Licht zu sehen, dass ihre Dunkelheit erhellt."

„War das eine Metapher?"

Die Zeiger der Uhr rückten in dieser Sekunde vor auf Zwölf und in diesem Haus gab es Punkt Zwölf Mittag. „Ja", antwortete Yami, als er aufstand. „Denn du bist das Licht, dass meine Dunkelheit erhellt und nur ich kann dich sehen." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Ich hoffe, du bist noch da, wenn ich wieder vom Mittag komme." Liebevoll verwuschelte er Yugi die Haare und eilte dann nach unten, einen völlig überrumpelten und verblüfften Geist zurücklassend.

Gemütlich streckte sich Yami am nächsten Morgen und blinzelte verschlafen hinüber zur anderen Betthälfte, wo Yugi schlummerte. Sie hatten gestern Abend noch lange geredet. Yugi, der die ganze Zeit im Haus verbracht hatte, wollte wissen, was in der Welt so vor sich ging. Einige technische Neuerungen hatte er ja mitbekommen, aber das war ja längst nicht alles. Also Yami hatte erzählt und erzählt. Irgendwann hatte er gemerkt, dass sein Zuhörer eingeschlafen war. Er hatten einen Moment nicht gewusst, ob er nun geschmeichelt sein sollte, weil er so beruhigend auf Yugi wirkte, oder beleidigt, weil dieser ihn todlangweilig fand. Er entschied sich nach einem langen Blick auf die schlafende Gestalt für das Erste.

Er sah wirklich aus wie ein Engel, auch und vor allem wenn er schlief. Sein sonst zumeist trauriges und ernstes Gesicht war entspannt und der Mund leicht geöffnet. Yami verspürte den Drang, den Jungen neben sich wach zu küssen, aber er hielt sich zurück. Er wollte es langsam angehen lassen.

Und auch ohne eine solche Nachhilfe regte sich der Kleinere jetzt. Er steckte sich ausgiebig, räkelte sich kurz wie eine Katze und schlug dann die Augen auf- und fiel mit einem Aufschrei aus dem Bett. Yami sah besorgt über die Bettkante. „Alles in Ordnung?"

Yugi rieb sich über seine verstrubbelten Haare. „Ja. Ich bin es nur nicht gewohnt, neben jemandem aufzuwachen." Yami streckte überflüssigerweise die Hand aus, um ihm wieder aufs Bett zu helfen, aber zu seiner Überraschung nahm Yugi die Hilfestellung an. Und hätte er es nicht besser gewusst, hätte der verblüffte Junge glatt behauptet, der Jüngere hätte sich anschließend mit voller Absicht in seine Arme fallen lassen, obwohl es aussah, wie ein Missgeschick. Unterstrichen wurde diese These durch die Tatsache, dass Yugis Kopf einfach auf seiner Brust liegen blieb.

„Du tust mir gut", murmelte Yugi plötzlich und kuschelte sich enger an ihn.

„Was meinst du?"

„Ich war so lange alleine. Hatte keinen, mit dem ich reden konnte, keinen, der... der mich umarmt und geküsst hat, ohne mich in sein Bett zerren zu wollen, und keinen, bei dem ich mich so wohl und sicher gefühlt habe...."

Yami fühlte seine Brust vor Stolz schwellen. Vor lauter Glück wusste er nicht einmal, was er erwidern sollte. Er drückte seinen Engel einfach fester an sich und wusste, dass dieser verstehen würde.

Im Verlauf des Tages war Yugi verschwunden und Yami wusste nicht, ob er wieder kommen würde; er reagierte nicht auf Rufe. Unruhig tigerte der Junge in seinem Zimmer auf und ab. Unheimlich, wie schnell man sich an einen Menschen gewöhnen konnte. Wie schnell man ihn ins Herz schloss. Sie kannten sich eigentlich erst fünf Tage, aber es fühlte sich an, wie eine kleine Ewigkeit. Eine sehr angenehme Ewigkeit wohl bemerkt. Eine, die man gerne verlängern würde.

Gerade als er sich bettfertig gemacht und sich schweren Herzens damit abgefunden hatte, die heutige Nacht alleine zu verbringen, ploppte Yugi plötzlich aus der Wand. Er hatte Yami einmal erklärt, er könne das auch lautlos, aber dieses Plopp würde ihn daran erinnern, dass er Wirklichkeit und kein Traum war.

Sein Gesicht wirkte ernst und ängstlich. „Ich möchte reden. Hast du Zeit?", fragte er schüchtern.

Yami fragte sich, was los war. „Natürlich. Für dich immer. Worum geht's?"

„Um mein Leben... und meinen Tod. Ich... ich habe es so lange mit mir herumgetragen, ohne jemandem davon erzählen zu können.... und jetzt, wo du da bist, habe ich Angst davor. Aber ich bin so lange davon gelaufen..... ich habe keine Kraft mehr um diese endlose Flucht fortzusetzen.... Versprichst du mir, nicht böse auf mich zu sein und dich nicht vor mir zu ekeln?"

„Wieso sollte ich das?", wollte Yami ehrlich überrascht wissen und blickte Yugi in die schönen, jetzt aber sehr furchtsamen Augen. „Komm her." Er breitete die Arme aus.

Mit einem Satz hatte sich der Jüngere an ihn geklammert. Beruhigend strich Yami ihm durch das Haar. „Komm, wir setzen uns erst einmal aufs Bett. So. Und jetzt erzähl mal. Lass dir ruhig Zeit. Wir haben die ganze Nacht." Er küsste Yugis Kopf.

Der Kleinere atmete tief durch. „Ich hatte einen Bruder und eine Schwester. Und... wo fange ich am besten an? Das ist alles so furchtbar kompliziert." Yamis Hand strich in kleinen Kreisen über seinen Rücken.

„Ich hatte mich mit vierzehn in meinen Bruder verliebt. So!" Yugi sah auf, als erwarte er Abscheu von Yami. Dieser lächelte jedoch nur, streichelte ihn weiter und meinte: „Erzähl weiter, Hikari."

„Du kannst dir sicher vorstellen, in welchen Konflikt ich geriet. Ich meine, es war gesetzlich verboten, das eigene Geschlecht zu lieben. Und dann ausgerechnet meinen Bruder.... aber ich kannte ja auch niemand anderen. Sie ließen mich ja nicht aus dem Haus. Angeblich, weil ich so krankheitsanfällig war. In Wahrheit gab es schon damals eine ganze Menge Perverse, die es auf wehrlose Kinder abgesehen hatten und Mutter und Vater sagten mir oft, ich sei hübsch." Er machte eine Pause, schien nachzudenken.

Nun, da hatten seine Eltern wohl recht gehabt. Er war schön. Und er wäre ein leichtes Opfer gewesen, so zierlich und schutzlos wie er war. Aber ihn deshalb nicht aus dem Haus zu lassen, war ziemlich überzogen... es sei denn, die Eltern hatten eine begründete Angst, dass ihm jemand in der Nachbarschaft etwas antun könnte. „Wurde deine Liebe erwidert?", hakte Yami nach.

Ein kurzes Zögern. „Mein Bruder liebte mich nicht. Aber er liebte meinen Körper......." Eine lange Pause. „.... und er hat mir weh getan", flüsterte Yugi mit erstickter Stimme und klammerte sich noch fester an den Größeren.

Yami sank das Herz. Sein Engel wollte doch nicht sagen, dass.... Er spürte etwas Feuchtes an seinem Oberkörper. Tränen. Er schluckte schwer.

„Er kam nachts zu mir... wenn alle schliefen. Er hat mich gefesselt und dafür gesorgt, dass niemand meine Schreie hören konnte. Rücksichtslos hat er sich mir aufgezwungen und...  Yami, da war so viel Schmerz und so viel Blut...." Er wischte sich über das Gesicht. Seine Augen blickten für einige Minuten wieder so unfokussiert in die Ferne, wie damals, als Yami ihn das erste Mal in der Küche gesehen hatte. Mehr Tränen flossen über seine hellen Wangen und er senkte beschämt den Kopf.

„Shh... ist schon gut. Weine ruhig."

„Wegen dem Blut auf meinem Bett glaubten meine Eltern, ich hätte irgendeine Krankheit und sperrten mich in mein Zimmer, auch nachdem der Arzt nichts feststellen konnte. Sie nahmen mir meine Freiheit und ich war meinem Bruder hilflos ausgeliefert. Ich war nicht stark genug, um mich zu wehren und irgendwann habe ich kapituliert...." Seine Stimme war leise und stockend, etwas heiser von seinen Tränen.

„Warum hat du deinen Eltern nichts gesagt? Warum hast du das über dich ergehen lassen?" Yami hörte, dass seine Stimme von seinen Emotionen ungewöhnlich rau war.

Yugi weinte heftiger. „Ich habe ihn doch geliebt. Trotz allem. Ich konnte nicht aufhören. Und wer hätte mir schon geglaubt? Er war Vaters Lieblingssohn, erfolgreich im Beruf und verheiratet. Sein Frau lebte auch bei uns im Haus."

„Oh Yugi....." Yami drückte ihn fest an sich und wiegte ihn leicht hin und her, murmelte tröstende Worte. Als die Tränen langsam versiegten, sprach Yugi leise weiter. „Zwei Jahre später war er meiner wohl überdrüssig... ich war kein Reiz mehr für ihn, gebrochen wie ich war... vielleicht hatte er aber auch einfach Angst, ich könnte ihn verraten.... jedenfalls kam er in dieser Nacht in mein Zimmer und fragte mich, ob ich schwimmen gehen wolle. Ich antwortete, dass ich das Haus nicht verlassen dürfte und er zerrte mich dann einfach grob hinter sich her zu diesem kleinen Teich. Mein Bruder zog sich aus und wir wateten ins Wasser. Ich hatte Angst und wollte nicht. Ich fragte mich, warum ich meine Schlafsachen anbehalten sollte.... und kaum war ich bis zur Brust im Wasser, gab er mir die Antwort. Ohne Vorwarnung und ohne Erbarmen, drückte er mich unter Wasser. Ich kämpfte gegen seinen Griff, aber er war so viel stärker als ich und schließlich hat er....  er hat mich umgebracht...."

Yami fühlte ohnmächtige Wut. Er verstand nicht, wie ein Mensch seinem Engel so etwas antun konnte. Gut. Er war schön. Er war begehrenswert. Aber wie konnte man ihn mutwillig verletzen.... oder gar töten?? Das wollte nicht in seinen Kopf. – Verdammter Bastard! –

„Er hat mir alles genommen. Meine Unschuld, meinen Glauben in die Liebe und schließlich sogar mein Leben. Aber das war nicht das Schlimmste. Mit meinem Tod verlor ich endgültig alles, woran ich mich je geklammert hatte. Mein Gottvertrauen. Ich war wirklich tiefgläubig gewesen und meine Gebete haben mir ein bisschen geholfen diese schwere Zeit durchzustehen. In der Kirche haben sie gesagt, dass man Gott nach seinem Tod trifft." Wieder schlich sich dieser unbeschreibliche Schmerz in seine Augen. „Ich bin tot, Yami, und ich habe nichts gesehen. Nur Dunkelheit und Leere. Nicht Engel, sondern Einsamkeit war mein ständiger Begleiter. Es stimmt nicht, was sie uns erzählen.... Es gibt keinen Gott, wir sind allein." Seine Hand verkrampfte sich auf Yamis Brust und seine Fingernägel drückten in die Haut.

Yami fühlte wieder heiße Tränen auf seinem Oberkörper, als Yugi seinen Kopf dagegen lehnte. Sein Herz schien in tausend Teile zerspringen zu wollen, so sehr litt er mit dem zitternden Geschöpf in seinen Armen. „Nein, Yugi. Du bist nicht allein. Ich bin bei dir. Es ist egal, ob es einen Gott da draußen gibt. Wichtig ist, dass du bei mir bist. Das ist alles, was ich brauche, alles, was ich mir wünsche und ich will verdammt sein, wenn ich nicht versuche, dir die Wärme zu geben, nach der du dich so verzehrst."

Große, tränengefüllte Augen schauten zu ihm auf. „Meinst du das ernst?"

Ohne weitere Worte zu vergeuden, hob der Ältere Yugis Kopf ein wenig an und drückte seine Lippen ganz vorsichtig und mit aller Behutsamkeit auf die den Kleineren. Diesem entfuhr ein Laut der Überraschung und dann  glitten seine Hände zögerlich zu Yamis Schultern, um sich dort festzuhalten, während er sich zaghaft in den Kuss lehnte. Als sich Yami schließlich langsam von Yugis weichen Lippen trennte, waren die Augen des Jüngeren geschlossen.

Zu seiner eigenen Verblüffung war sein Gesicht nass von seinen eigenen Tränen.

„Warum weinst du?", fragte Yugi und berührte fassungslos die feuchten Spuren auf den Wangen des anderen.

„Weil es mir weh tut, dass du so leidest. Niemand hat das Recht einem anderen Menschen so viel Schmerz zu zufügen, dir am allerwenigsten. Du verdienst es auf Händen getragen zu werden, Hikari, und nichts anderes. Ich liebe dich, und ich meine es ernst."

Yugi rutschte noch etwas näher „Aber du kennst mich doch kaum."

„Ich habe schon immer auf die Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Du nicht?"

Yugi lächelte nur und fragte dann: „Kannst.... kannst du mich noch einmal küssen?"

Naa? *große Augen bekommt* Hat's euch gefallen?? Wenn ihr lieb seid und fleißig eure Meinnung schreibt, bekommt ihr den letzten Teil vielleicht schon diese Wochen *alle anstrahl* (Und nein, das ist keine Erpressung *gg*)