Das Haus war schon lange ein Dorn im Auge der Stadtverwaltung. Es war alt, heruntergekommen und nun hatte endlich ein bestochener Sachverständiger festgestellt, dass es einsturzgefährdet sei.
Es war gar nicht so leicht gewesen, die in der Umgebung wohnende Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es eine enorme Attraktivitätssteigerung des Viertels sei, wenn hier die neue Fischverarbeitungshalle gebaut würde. Ohne Zweifel würde der Bürgermeister in die Stadtanalen eingehen, als Held der Arbeitsplatzschaffung!
Dann war da noch der Museumsverein, wie der Bürgermeister die Initiative nannte, die sich gegen den Abriss des angeblich denkmalgeschützten Hauses aussprach. Jugendstil, sagten sie, doch der Bürgermeister kannte sich mit Ästhetik nicht besonders gut aus. Ihm gefiel eine Fischfabrik einfach besser, sie brachte wenigstens Profit.
Was war an diesem Haus schon besonderes? Seit Jahren stand es leer. Einst war es ein Kinderheim gewesen, aber daran konnten sich allerhöchstens noch die ältesten Bewohner des Viertel noch erinnern.
Nun endlich lag das Formular auf seinem Schreibtisch und der Bürgermeister grinste triumphierend, als er mit seiner Unterschrift des Abriss besiegelte. Es war ein Sieg in einer langen Amtszeit aus Misserfolgen, doch nun wendete sich das Blatt und die finanzielle Misere, in der er sich Befand.
Fische! Fische bedeuten Zukunft! Fish is Future!
Sechs bis acht Wochen später hatte der Bürgermeister das Geld beisammen und schickte ein Abrissunternehmen zu dem alten Haus.
Er selbst trug zur Feier des Tages seinen besten Anzug, der im krassen Gegensatz zu finanziellen Situation der Stadt stand. Vor einem wackeligen, hölzernen Rednerpodium hielt er eine herzzerreißende Rede, in der er beteuerte, es zu bedauern, das Haus abzureißen, aber gleichzeitig auf die fischig-goldene Zukunft hinwies und dabei die Worte „Fortschritt", „Arbeitsplätze", „Standortmanifestierung" und „Stadtkernsanierung" wesentlich häufiger nannte als „permanenter Fischgeruch", „Umweltvergiftung", „Minimalentlohnung".
Dann fiel das Gebäude zusammen wie ein Kartenhaus.
Die Arbeiter waren einige Tage mit der Beseitigung des Trümmer beschäftigt. Es dauerte deshalb so lange, weil es nicht nur Trümmer waren, die sie im Staub des ehemaligen Gemäuers fanden.
Ein Lehrling der Abrissbranche, einer der wenigen jungen Leute der Gegend, der im vergangen Jahr eine Lehrstelle gefunden hatte, weil das Abrissgewerbe die Zeichen der Zeit erkannt und geduldig wie Hyänen auf die unvermeidliche Abrisswelle im Rahmen der „Modernisierungsinvestitionen" gelauert hatte, fand etwas, das wohl ohne seine scharfen Augen - die ihm erst die Lehrstelle verschafft hatten - für immer verschüttet geblieben wäre: Ein goldener Becher.
„Ein seltsames Kinderspielzeug.", kommentierte der Polier, als der Junge das Artefakt zu ihm brachte und um eine Einschätzung bat.
Der Bürgermeister schien vom Pech verfolgt. Er saß hinter seinem Schreibtisch und raufte sich das schüttere Haar. Es hätte so schnell gehen können! Aber nun... Aber nun...
Sein Fischinvestor drohte bereits abzuspringen, wenn nicht endlich die Baustelle geräumte werden würde.
Doch zur großen Genugtuung der Bürgerinitiative blockierten nun schon seit einigen Tagen eifrig Archäologen die weitere Räumung der Trümmer. Sie vermuteten den Grundriss einer Burg oder eines Schlosses zu finden oder zumindest irgendetwas, das einen Hinweis darauf gab, was dieser Becher war und woher er stammte.
Niemand konnte die seltsame Verzierung des goldenen Bechers einer Epoche zuordnen. Es wurden nur sehr selten Dinge mit Dachsen geschmückt. Der Dachs war nicht unbedingt ein würdevolles oder erhabenes Tier.
Auch war das Wappen niemandem bekannt, dass unter den Fuß des Bechers ein gebrannt war. Man kannte kein Adelsgeschlecht, auf das dieser Becher passte.
Einzig konnte man feststellen, dass das Ding etwas eintausend Jahre alt war - und diese Erkenntnis hatte einen Laborwissenschaftler beinahe das Leben gekostet, denn der Becher schien sich mit elektrischer Energie aufgeladen zu haben, während man ihn untersuchte und schoss einen plötzlichen, scheinbar von persönlichem Hass herrührenden Blitz gegen den Wissenschaftler, der sich nur knapp unter seinen Schreibtisch stürzen konnte.
Unklar war man sich auch darüber um welches Material es sich bei diesem Becher handelte. Es sah aus wie Gold und alle Untersuchungen, die man nach der Blitzattacke noch wagte, deuteten darauf hin, dass es sich um Gold handelte, doch es fühlte sich nicht an wie Gold.
Jeder, der den Becher berührte, bestätigte, dass er offenbar körperliche Wärme nicht annehmen wollte und womöglich mit Gift eingerieben war, denn er fühlte sich nach längerer Zeit so an, als würde einem die Haut verätzt werden, wenn man den Kelch nicht losließ. Er fiel unzählige Male zu Boden, weil die Wissenschaftler das kalte Brennen, das sich sogar durch dicke Handschuhe schlich, doch behielt nie eine Beule zurück, was wiederum gegen weiches Gold als Material sprach.
Schnell geriet der Becher in den Ruf Unglück zu bringen, gar verflucht zu sein und ein paar der leichtgläubigen, ungebildeten Bewohner des Stadtviertels, in dem er gefunden wurde, verbreiteten Bald das Gerücht der Becher wurde von Außerirdischen zurückgelassen um die menschliche Rasse zu vernichten.
Tatsächlich ereigneten sich in den Tagen, das sich der Becher an der archäologische Fakultät befand ungleich viele Unfälle.
Der Doktorand, der kurz bevorstand zu promovieren, brach sich seinen Arm, sodass sich das Schreiben seiner Arbeit verzögerte und er den Abgabetermin verpasste. Die Laborgehilfin setzte die Kaffeeküche in Brand, als sie sich einen Kakao kochen wollte. Sie löschte den Band, in dem sie die Stichflamme, die aus dem Milchschaumautomaten geschossen war, mit einem Handtuch erstickte, dass sich als Gewebeprobe eines Funds nahe des römisch-schottischen Limes entpuppte und hernach zum größten Teil ruiniert war.
Die Universitätssekretärin verschlampte einen termingebundenen Brief und brachte die Fakultät um einen Zuschuss des Landes für ihre Arbeit.
Dieses Geld musste anderweitig an die Universität fließen und so wurde schließlich beschlossen, den unheilvollen Becher meistbietend zu versteigern.
Es war nicht möglich ihm seine Geheimnisse zu entlocken, also war er für die Wissenschaft wertlos geworden, für private Investoren jedoch möglicherweise nicht. Immerhin war das Ding einzigartig und so abgrundtief hässlich, dass es einfach einen hohen Preis erzielen musste.
Ein Museum wollte den Becher nicht erwerben. Natürlich war in Expertenkreisen bereits bekannt, dass der Becher offensichtlich Unglück brachte und es handelte sich ausgerechnet um recht abergläubige Experten.
Der Käufer schließlich nannte sich Lord Bratnell. Man kannte ihn und man freute sich über den Glücksfall, ihn als Käufer gewonnen zu haben. Er war neben einigen eher unangenehmen Charaktereigenschaften, die später näher beleuchtet werden sollen, vor allem eins: unvorstellbar und unverschämt reich und noch dazu mit einem unmöglichen Geschmack ausgestattet, der ihn in den Ruf brachte sogar einen verbeulten und rostigen Spucknapf zu kaufen, wenn man ihm nur einredete, dass das Ding antik und einzigartig war und mindestens 500.000 Pfund verlangte.
Er kaufte viel kitschigen und überteuerten Nippes und er war bekannt, der Vermarktung seines Lebensstils in den Medien nicht abgeneigt und sorgte somit dafür, dass bald das ganze Land davon wusste, dass er den einzigartigen Dachsbecher gekauft hatte, weil er ein großer Unterstützer und Förderer der Wissenschaft ist, der er mit diesem Kauf ordentlich unter die Arme gegriffen hatte. Vielleicht würde man mit Hilfe seines Geldes irgendwann die Geheimnisse seines Bechers entschlüsseln konnte. Er grinste für ein Titelfoto in die Kamera.
