"Nein! Neiiin!" Harry hämmerte mit seiner Faust gegen die schwere Holztür. Er konnte es nicht fassen. Es war so einfach. Wie hatte er darauf hereinfallen können? Wie dumm konnte man sein? Und das mit 15 Jahren. Er dachte, er sei klüger.
Das dachte ich auch.
Harry spürte, wie ein Schluchzen seine Kehle erklimmen wollte und er schaffte es nur schwer, es zu unterdrücken. Zudem war seine Kehle nun trocken und er dachte, er müsse ersticken.
Oh nein, das wäre zu einfach. Das hättest du nicht verdient, einen solch leichten Tod.
Langsam drehte Harry sich um. Sein Blick war leer. Er war Schuld. Er hatte sie alle ins Verderben geführt. Ron saß mit Hermine im Arm an die Wand gelehnt. Er war verdreckt. Hermine hatte einen zerfetzten Umhang an, durch den es an einigen Stellen rot leuchtete. Sie hatte sich an ihren Freund gelehnt und beobachtete Harry. Auf dem Tisch saßen Fred und George. Georges Gesicht, blutüberströmt, brannte sich in Harrys Gehirn.
Deine Schuld.
Fred starrte Harry an. Seine Augen waren stumpf. Ihr Glanz, der so fröhlich gewesen war, als er noch am Vortag gerufen hatte:"Wir zeigens dem alten Sack!", er war verschwunden. Ginny. Ihr Gesicht glänzte. Ihre Augen auch. Aber nicht lebensfroh, wie sonst. Nein. Sie glänzten beinahe verrückt und folgten Harrys Blicken, die über ihre Freunde glitten. Sie verfolgten jede seiner Bewegungen. Man hatte den Eindruck, Ginny sei ein Raubtier, dass nur darauf wartete, sich auf seine Beute- in diesem Fall Harry- zu stürzen.
Du hast sie auf dem Gewissen.
Luna saß auf dem Boden und blickte verträumt. Wann tat sie das nicht? Ihre hellen Haare waren grau von Schmutz und Asche und durch ihr Gesicht liefen Tränen. Schon seit Stunden. Sie wirkte alt. Traurig.
Du hast sie dazu gemacht.
Vor Luna kniete Neville, der beruhigend auf sie einsprach. Ab und zu strich er ihr übers Haar. Er selber trug kein Oberteil mehr, es lag in Fetzen auf dem Boden. Über Nevilles Rücken lief Blut. Und so wie die Tränen Lunas sich in ihrem Gesicht durch den Dreck ihre Wege bahnten, so taten es die Blutspuren auf Nevilles Rücken. Harry musste absurderweise denken:"Nevilles Rücken weint." Die meisten anderen schliefen. Harry suchte nach jemandem, der die Augen offen hatte, sah über die Reihen hinweg- Dean, Seamus, Cho, Katie, Angelina, Padma, Parvati, Zabini...- und stockte. Zabini? Ja, nachdem er näher getreten war- gefolgt von einem wirren Blick aus Ginnys Augen- konnte er sich überzeugen, dass auch Slytherins hier lagen.
ogar sie haben dir vertraut. Fühlst du dich jetzt besser?
Plötzlich zog ihn jemand am Arm. Als er sich umdrehte blickte er in blau-graue Augen. Sie sahen trostlos aus. Und gleichzeitig kämpferisch. "Potter, es ist nicht deine Schuld." Verwirrt sah Harry Malfoy an. Über dessen Lippen lief Blut. Dann schüttelte er den Kopf. Was sollte er schon erwidern. Es schien, als seien die Worte, die er vorher kannte alle aus seinem Kopf fortgeblasen. Vielleicht war es auch so. Vielleicht hatte ihn ein Fluch getroffen. Und nur das ewige Nein. war ihm geblieben, das wie ein furchtbares Echo durch seinen Kopf flog. Er ging zu Ron und Hermine, setzte sich neben sie. Er wollte sie trösten und er wollte getröstet werden. Plötzlich stand er vor ihm. Harry wusste nicht, warum er wusste,wer dieser Mann war- er hatte ihn doch noch nie gesehen- aber es war ihm egal. Voldemort starrte ihn an. Harry. murmelte er. Seine Stimme klang furchtbar. Hohl und doch durchdringend und zugleich rau. Harry. Komm schon. "Nein!" Hilflos griff Harry nach Ron- doch er war nicht da! Er lag neben Hermine, Hand in Hand und Blut lief über sein Gesicht. Er war tot. Sie waren alle tot. Und es war seine Schuld! Harry, wach auf. Er war nie da. "Nein." Jetzt komm. Wach auf. Du lebst in Träumen. Voldemort hob die Hand. Harry wusste sofort, was er wollte! Ihn schlagen! Ihn quälen bis auch er blutete. Er zuckte zusammen und presste die Augen zu. Doch statt einem Schlag spürte er- ein sanftes Streicheln in seinem Gesicht. Wach auf, Harry. Wach auf. Jetzt hatte er doch zugeschlagen. Die Berührung brannte und Harry schrie. Er schrie und schrie und dann wurde er leiser und flüsterte nur noch:" Nein."
Plötzlich spürte Harry, wie es wärmer wurde. Es roch... nach Frühling. Er glaubte, er sei nun auf dem Weg zu seinen Eltern und wenn er die Augen öffnete, würde er sie sehen...
Doch was er sah, als er dich Augen aufriss, waren Ron und Hermine. "Harry? Bist du jetzt wach?" Hermine flüsterte, als hätte sie Angst, ihn zu erschrecken. Er sah sich genauer um. Oh, das kannte er. Die Krankenstation. Um ihn herum standen nicht nur Ron und Hermine, sondern auch Dean, Seamus und Neville. "Warum bin ich jetzt wieder hier?" Er dachte, er würde genervt klingen, aber seine Stimme war nur... heiser. Harry musste husten und bat nach einem Glas Wasser. Sofort kam Madam Pomfrey herein. Sie zögerte keine Sekunde und rief:"Wenn Mr. Potter wieder wach ist, können sie jetzt alle in den Unterricht gehen." Ron wollte natürlich sofort protestieren, doch Madam Pomfrey hob eine Hand, zum Zeichen, er solle still sein. "Auch sie, Mister Weasley, Miss Granger. Sie sehen ihn ja nach dem Unterricht wieder, aber nun wird es Zeit, zu gehen. Außerdem scheint Mister Potter noch etwas Ruhe zu gebrauchen." Murrend gingen die Schüler, nicht ohne Harry noch zuzuwinken. Als alle weg waren, drehte sich Madam Pomfrey zu ihm um. "Also ,Junge, ich nehme an, Professor Dumbledore wird gleich hier sein." "Was? Wieso? Was habe ich denn gemacht?" Erschrocken sah Harry die Krankenschwester an. Diese seufzte und erklärte, während sie die umliegenden Betten machte:"Sie haben die ganze Nacht geschrien. Mister Weasley sagt, er habe versucht, sie zu wecken, doch sie seien nicht zu sich gekommen. Damit haben sie übrigens alle um ihren Schlaf gebracht." Missbilligend schüttelte sie den Kopf, als habe Harry dies extra getan. "Zwischendurch haben Sie wohl aufgehört zu schreien. Aber Sie haben immer wieder angefangen. Heute morgen schließlich holte Mister Weasley Miss Granger. Sie haben wieder versucht, sie zu wecken, aber es hat nicht funktioniert. Allerdings haben sie aufgehört zu schreien, nachdem Miss Granger ihnen eine saftige Ohrfeige verpasst hat. Und erst dann waren ihre Freunde so klug, sie hierher zu bringen. Sicherlich nur, um keinen Unterricht zu haben. Nun, ich habe ihnen einen Beruhigungstrank eingeflößt... und nun sind sie ja wach" Harry nickte und murmelte ein Danke, während er seine Gedanken dem Traum zuwandte. Denn er erinnerte sich wieder. Dann waren die Worte die "Voldemort" geflüstert hatte in Wahrheit die Worte gewesen, mit denen Ron versucht hatte, ihn zu wecken. Und der Schlag, von dem er dachte, er wäre sein Tod, war eine Ohrfeige von Hermine gewesen. Harry atmete erleichtert auf und ärgerte sich gleichzeitig, dass Dumbledore kommen würde. Schließlich war es nichts Wichtiges. Nur ein Albtraum. Er hatte ja nicht einmal im Kopf eines Todesser gesteckt- oder ähliches. Und als Dumbledore erschien, erklärte Harry ihm genau das. Lächelnd setzte sich sein Schulleiter auf das Bett neben Harrys und antwortete:"Harry,ich weiß,dass es "nur" ein gewöhnlicher Traum war. Allerdings hast du die gesamte Nacht geschrien und ich bin fasziniert davon, dass du es so lange ausgehalten hast. Magst du mir davon erzählen?" Und während Harry Dumbledore von seinem Traum berichtete- er ließ nichts aus- ging plötzlich die Tür zum Krankenzimmer auf und Harry hörte ein leises Ächzen. Madam Pomfrey lief sofort zu ihrem neuen Patienten und Dumbledore erhob sich vom Bett, auf dem er saß um Platz zu machen für- Malfoy. Er wurde von einem nervösen Neville gestützt, der sofort erklärte:" Mein Kessel hat... geblubbert. Und als Malfoy sich zu mir gebeugt hat, um mich zu beleidigen... da ist eine der Blasen geplatzt und ist direkt in sein Gesicht gespritzt. Er hat die ganze Zeit geschrien, aber man hat nichts gesehen. Dann hat Sna- ich meine, Professor Snape ihm eine Salbe auf das Gesicht geschmiert und gesagt, ich solle ihn hierhin bringen, weil er mich dann los sei. Und ich hab auch eine Verbrennung..." Er schob seinen Ärmel hoch, auf seinem Arm war ein riesiges Brandmal.
Nevilles Rücken weint blutige Tränen.
Aber er fügte schnell hinzu:"Ich bin allerdings ins Feuer gefallen, daher kommt das bei mir, es ist nicht dasselbe wie bei ihm." Madam Pomfrey, die in der Zwischenzeit, während Nevilles Bericht den stöhnenden Malfoy gebettet hatte, sah auf und winkte dann den Gryffindor zu sich, um ihm eine dicke Creme auf den Arm zu schmieren. Kurz darauf ging er auch schon wieder, und auch Dumbledore verabschiedete sich. Harry konnte in seinem Gesicht nicht lesen, ob sein Albtraum dem Schulleiter wichtig erschien. Madam Pomfrey stand kurz unschlüssig im Raum und sah dann streng auf die in den Betten liegenden Jungen. Mit strengem Blick erklärte sie:"Ich muss kurz weg und ich möchte nicht, dass Sie und Mister Malfoy sich streiten, wenn er wieder aufwacht!" Damit ging sie und Harry saß alleine auf seinem Bett in einem leeren Raum- nur mit Malfoy zusammen.
