Hinweis vor dem Lesen:

Dies ist das dritte Jahr meiner Helden. Um die Geschichte wirklich verstehen zu können, sollte man unbedingt Band 1 "Geheimnisse der Vergangenheit" und Band 2 "Das Geheimnis der Dementoren" lesen. Beide sind hier bei oder (mit Bildern) auf meiner Webseite (www.storyteller-homepage.de) zu finden. Außerdem erweitern wir auch als besonderes Special kontinuierlich das Hörbuch von Band 1.

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

- Kapitel 1 -

1 : 1

„Aufstehen, Schlafmützen!", riss Tarsuinns Stimme Toireasa aus dem Schlaf. Nachdem sie die halbe Nacht Winonas regelmäßigen Atemzügen gelauscht hatte, hatte sie das Gefühl, eben erst eingeschlafen zu sein. Sie seufzte frustriert.

„Und immer dran denken", fuhr der Junge lachend fort. „Ihr macht das freiwillig."

„Verzieh dich", maulte Winona und ein Kissen traf Tarsuinn. „Es gibt Menschen, die genießen ihren Schlaf."

„Mir doch egal", entgegnete er amüsiert. „Aber wenn ihr nicht in fünf Minuten aus dem Bett seid, habe ich die hochoffizielle Erlaubnis, euch mit einem Eimer kalten Wassers aufzusuchen. Kommt schon! Rica musste weg und wir sind auf uns allein gestellt."

Er schloss wieder die Tür.

„Könntest du mir bitte erklären, warum wir uns auf die Sache eingelassen haben?", stöhnte Toireasa und versuchte die verklebten Augen offen zu halten.

„Du wolltest mehr als nur ein Spiel bei der WM ansehen und ich wollte mir was kaufen."

„Und was?", fragte Toireasa in der Hoffnung, die Müdigkeit würde Winona eine Antwort entlocken. Denn was sie sich kaufen wollte, verschwieg sie seit einigen Tagen sehr erfolgreich.

„Wirst du schon sehen, wenn es so weit ist", wich Winona schnippisch aus. Ein kurzer Blick Toireasas gab ihr den kurzen Eindruck, dass die eh schon etwas dunklere Hautfarbe des anderen Mädchens noch dunkler geworden war. Doch dies konnte sie nicht wirklich erkennen, denn Winona stand mit Schwung auf und verschwand im Bad.

„Wieder kein warmes Wasser", konnte Toireasa ihre Freundin wenig später fluchen hören.

Jetzt musste auch sie grinsen und schaffte es endlich sich aufzusetzen. Solange keiner den Ofen anheizte, gab es in Cutters Zuflucht einfach kein warmes Wasser.

Wieder musste sie lächeln. Cutters Zuflucht war ein wenig hochgestochen. Cutters Bruchbude traf es viel besser. Okay – vielleicht war das etwas hart, denn die unterste der drei Etagen war noch ganz gemütlich. Jedoch schon in der zweiten Etage, ächzte jede Diele zum Gotterbarmen und der Putz rieselte von der Decke. Und die oberste Etage war gar abgeschlossen, damit sich ja niemand dahin verirrte.

Im Endeffekt konnte man aber Medir, dem Freund Ricas, keine Vorwürfe deshalb machen. Cutters Bruchbude war ein riesiges Anwesen, welches früher einmal die Residenz der gesamten Familie gewesen war. Doch jetzt gab es nur noch wenige Cutters und die meisten waren zerstritten. So lebte nur noch Medir hier und sein einzelnes Gehalt konnte kaum einen so riesigen Bau erhalten, obwohl er sich große Mühe dabei gab.

Toireasa schaute auf den Wecker. Vier Uhr vierunddreißig. Sie ging jetzt wohl besser ins Bad, denn sie war sich nicht sicher, ob Tarsuinn seine Drohung nicht wahr machen würde.

Nicht, dass es einen Unterschied ausmachte, denn im Bad war die Wassertemperatur auch nicht besser. Zumindest war man danach wach, ob man wollte oder nicht, und so saßen sie wenige Minuten später am Esstisch und ließen sich ein reichhaltiges und von Tarsuinn schon fertig vorbereitetes Frühstück schmecken.

„Wo ist Rica?", fragte Winona, während sie sich Unmengen Honig auf den Eierpfannkuchen träufelte.

„Mit den Teamleitern los, um mehr Portkeys vom Ministerium zu fordern", antwortete Tarsuinn. „Die Nasen haben uns letzte Nacht nur zwei kleine Ringe geschickt. Damit bekommt man gerade mal acht bis zehn Leute befördert und ihr wisst ja, wie viele Leute wir hier haben."

Toireasa verdrehte frustriert die Augen.

Vor drei Tagen war Rica im Ministerium gewesen um mit einigen Forschungszauberern etwas über ein Ding namens Kompuhter zu erzählen. Irgendwie wollte man herausfinden, wie man diese Dinger dazu bringen konnte, zu machen, was der Zauberer wollte.

Aber egal! Zumindest war es dazu nicht gekommen, denn man hatte Rica von den Forschern weggeholt, weil man sie zum Dolmetschen brauchte. Wie sich dann herausstellte, waren die Quidditch-Mannschaften von China und Japan (nebst Familienanhang und Fans) per Flohnetzwerk im Ministerium eingetroffen, ohne dass dort jemand davon gewusste hatte. Mit Hilfe Ricas brachte man jedoch in Erfahrung, dass der Mann, der vom Ministerium für die Unterbringung der beiden Mannschaften beauftragt worden war und der auch die Dolmetscher besorgen wollten, sich mit der Anzahlung abgesetzt hatte und auch die Pension gar nicht wirklich existiert hatte.

Leider hatte Rica die Gunst der Stunde erkannt und Cutters Bruchbude als Ausweichunterbringung angeboten. Natürlich für eine angemessene Entlohnung und ein wenig Hilfe bei der Reinigung und provisorischen Einrichtung der Zimmer. Damit schaffte sie in einigen Tagen mehr an dem Haus, als Medir in einigen Jahren. Leider gab das Ministerium nur ein wenig Starthilfe, danach musste Rica alles selbst in die Hand nehmen, und ihre erste Maßnahme war gewesen, Toireasa und Winona die Gelegenheit zu bieten, sich etwas hinzuzuverdienen. Und obwohl Tarsuinn ihnen abgeraten hatte, hatten sie beide angenommen, nachdem auch die Großeltern bzw. Eltern zustimmten. Was war auch so schlimm daran, an ein paar Tage Zimmermädchen spielen und dafür Geld zu bekommen? Inzwischen wusste es Toireasa.

„Wann kommt Rica wieder?", fragte sie.

Tarsuinn zuckte die Schultern, da er gerade den Mund voll hatte.

„Aber haben die Japaner heute Vormittag nicht ihr Spiel?"

„Mmh."

„Also kann es doch nicht so spät werden."

Wieder Schulterzucken und dann ein mühsames Hinterschlucken.

„Das Frühstück müssen wir aber wohl doch allein hinbekommen. Deshalb hab ich euch etwas früher geweckt. Wir machen gleich das Frühstück für alle und während ihr das serviert, muss ich bei Professor Lupin Tests schreiben, damit ich nächstes Jahr auch in die dritte Klasse komme."

„Aber wir verstehen die doch nicht", merkte Winona an. „Ich dachte ja eigentlich, die würden das irgendwann merken, aber die reden immer noch auf uns ein."

„Einfach lächeln", grinste Tarsuinn frech. „Und da du die Japaner übernimmst, Winona, vergiss die Verbeugung nicht. Rica meint, du könntest das gut, und ihr beide würdet in euren Zimmermädchenuniformen so süß aussehen."

Das war neben dem frühen Aufstehen ein weiterer wunder Punkt. Während Rica mit einem wunderschönen Kimono durch die Gegend trippelte und versuchte, ihren Gästen ein heimisches Gefühl zu geben, mussten die Mädchen in traditionellen englischen Zimmermädchenuniformen herumlaufen, um die abendländische Fremde zu vermitteln. Toireasa war inzwischen sicher hundert Mal fotografiert worden und hatte immer ein freundliches Gesicht machen müssen – dafür hatten sich aber auch einige fremdartige Münzen in ihre Taschen verirrt, die laut Tarsuinn einiges wert waren.

„Und wie sollen wir dafür sorgen, dass die Chinesen und Japaner sich auch weiterhin aus dem Wege gehen? Die hören doch nicht auf uns!", warf Toireasa ein und spielte damit auf gewissen Spannungen zwischen den beiden Gruppen an.

„Im Zweifelsfall könnt ihr mich ja aus der Prüfung holen. Aber im Grunde müsst ihr nur dafür sorgen, dass die jeweils in ihrem Flügel bleiben. Außerdem könnt ihr euch auch an einige der Kinder wenden. Ein paar können ein wenig Englisch."

„Das wird ein Desaster!", prophezeite Winona.

Doch damit hatte sie glücklicherweise Unrecht. Das Essen gelang, die Gäste standen erst spät auf und Rica war kurz darauf zurück, um das Kommando wieder zu übernehmen.

Gegen Mittag war es dann relativ ruhig im Haus, da die meisten Gäste entweder bei den Quidditchspielen waren oder ein wenig Sightseeing machten.

Toireasas war gerade dabei ein Zimmer zu reinigen, als Lachen aus dem Garten erklang. Neugierig ging sie zum Fenster und sah Tarsuinn mit einigen der kleineren Kinder spielen, denen es ziemlich egal zu sein schien, ob ihre Spielkameraden nun aus Japan, China oder Schottland kamen. Tarsuinn war gerade dabei zu zeigen, wie man einen mit Wasser gefüllten Ballon hoch in die Luft warf und wieder fing. Ein Spiel, das er von Toireasas Großvater Samuel gelernt hatte und das er inzwischen fast perfekt beherrschte. Doch eben nur fast. Ein Ballon platzte auf seinem Kopf und machte ihn und die umstehenden Kinder nass. Alle lachten herzhaft – nur Toireasa nicht.

„Das ist alles dein Werk", ließ Ricas Stimme direkt hinter ihr, sie zusammenzucken.

Sie wollte darauf etwas antworten, aber die Worte wurden von aufsteigenden Tränen erstickt. Gequält schaute sie zu der jungen Frau auf.

„Ach – nun wein doch nicht", sagte diese und deutete aus dem Fenster. „Das meinte ich doch gar nicht. Du solltest langsam darüber hinwegkommen."

„Wie soll ich denn?", schniefte Toireasa. Sie wusste auch nicht, woher das kam. War er in ihrer Nähe, fühlte sie sich gut, war sie allein, überkamen sie wieder Schuldgefühle.

„Dann schau noch einmal genau hin und versuch, dich an den Tarsuinn von vor zwei Jahren zu erinnern", erwiderte Rica ein wenig belehrend. „Glaubst du, damals hätte er mit unbekannten Kindern gespielt und wäre dabei so offen fröhlich gewesen?"

„In Hogwarts und mit Winona…"

„Ja, das stimmt. Da hat es begonnen", gab Rica zu. „Aber trotzdem ist es euer Verdienst, was du da siehst. Ich habe damit nichts zu tun."

„Aber du hast…"

„Ich hab aus ihm einen Jungen gemacht, der logisch denkt, alle Gefühle – auch die guten – beherrscht, sich seiner Stärken und Schwächen bewusst und sehr misstrauisch ist. Tarsuinn hatte in Hongkong keine Freunde, wenn man von Mishari-chan absieht und wenn er aus der Schule kam, hat er meist allein mit Messern gespielt. Das da unten ist nicht mein Werk, sondern das seiner Freunde."

Toireasas Stimmung hob sich nur unwesentlich.

„Aber wie kann er nur so fröhlich sein. Nachdem…nach Jack…nach Askaban…nach…"

„…nach einer Woche, in der er mich kaum schlafen ließ", ergänzte Rica und zog eine leicht widerstrebende Toireasa an sich. „Du solltest nicht denken, dass er gedankenlos ist. In der Woche, in der du dich in deinem Zimmer vergraben hast, durfte ich immer erst schlafen, wenn ihm die Augen zufielen. Er hat fast nur geredet und mir wirklich mehr erzählt, als ich im Nachhinein eigentlich wissen wollte. Er hat Medir sogar gefragt, ob es die Möglichkeit gibt, nur ein einziges Auge zurückzutransferieren, damit ihr beide sehen könntet,…"

Toireasa wollte etwas sagen, doch Rica ließ sich nicht unterbrechen.

„…aber leider sind nicht die Augen das große Problem dabei, sondern dass das Sehzentrum im Gehirn irreparabel beschädigt ist. Nachdem er das wusste, hat er seine Entscheidung getroffen und alles weitere abgehakt, und das solltest du auch endlich!"

„Ich kann das nicht."

„Natürlich kannst du! Du bist doch ein kluges Mädchen. Es gibt drei Regeln, nach denen du dich davon befreien kannst. Möchtest du sie wissen?"

Sie nickte.

„Gut. Also, wenn etwas schief gegangen ist oder man einen Fehler gemacht hat, darf man trotzdem nicht zögern, wenn man handeln muss. Musst du nicht handeln, dann überlege dir die Konsequenzen, die entstanden sind, und wie du sie zu deinem Vorteil nutzen oder deinen Fehler rückgängig machen kannst. Erst, wenn du das alles gemacht hast, darfst du dich schlecht fühlen, den Fehler analysieren und dann musst du die Vergangenheit abhaken. Denn ab einer gewissen Stelle fangen die Gedanken an sich im Kreis zu drehen und wenn du es nicht schaffst, diesen Kreislauf einfach anzuhalten, dann bleibt auch dein Leben stehen und du wirst niemals mehr vorwärts gehen."

„Aber wenn ich eine Lösung finde…"

„Die Lösung wird entweder von ganz alleine kommen oder niemals. Das ist kein Verbot eine Lösung zu suchen, es darf nur nicht dein richtiges Leben beenden. Wenn sich alles nur noch um deine Augen dreht, verlierst du den Blick für die Menschen, die dich lieben. Irgendwann wirst du in Tarsuinn nur noch den Schmerz und die Schuld sehen, statt den Freund, der dich braucht. Es gibt mehrere Arten blind zu sein, hast du das noch nicht begriffen?"

„Warum sagst du es mir nicht einfach?", sagte Toireasa und sie zitterte trotz dem warmen Sommerwetters. „Mein Vater war genauso. Er hat auch einen Fehler gemacht und sich nur im Kreis gedreht, als er verzweifelt versuchte, ihn wieder gut zu machen."

„Das sage ich überhaupt nicht, Toireasa", behauptete Rica fest. „Denn du hast diesen Fehler nicht gemacht. Filius und Tarsuinn haben dir das schon versucht zu sagen – niemand hier macht dir dafür einen Vorwurf und du solltest das auch nicht tun. Ich weiß, manchmal ist es schwer ein Geschenk anzunehmen, vor allem wenn es so groß ist. Aber wenn du es ablehnst, verletzt du Tarsuinn mehr, als du es dir vorstellen kannst."

„Wie willst du wissen, wie schwer das ist?", fragte Toireasa und heulte jetzt fast.

„Weil es mir nicht anders geht", erklärte Rica und zwang Toireasa sie anzusehen. „Beginne wieder zu sehen, Toireasa. Tarsuinn hat für dich verzichtet, aber auch für mich. Weißt du, wie oft ich mich frage, ob ich seinen Augen mein Leben oder meine Stimme verdanke? Und jedes Mal, wenn er nachts schreiend aufwacht, dann weiß ich, dass auch dies ein Opfer für mich ist."

„Ohne dich, könnte Tarsuinn überhaupt nicht…"

„Ich weiß. Aber was glaubst du, wie weh es mir tut, ihn zurechtzuweisen oder zu etwas zu zwingen, das er eigentlich nicht möchte. Doch genau wie du, muss ich damit weiterleben und das Beste daraus machen. Ihn zu verhätscheln, nur weil ich mich schuldig und verpflichtet fühle, wäre mit das Schlimmste, das ich ihm antun könnte. Und wenn du ihm das erzählst, red ich kein Wort mehr mit dir, klar?"

„Mmh", brachte Toireasa nur hervor und sah eine Träne in Ricas Auge.

„Irgendwo in der Welt stirbt ein Mensch an meiner Krankheit."

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Tante Gloria, Tante Gloria", begrüßte Rosa sie aufgeregt. „Caradoc hat ein Wort gesprochen."

„So?", fragte Gloria amüsiert-interessiert. Ihr Sohn war noch nicht einmal ein Jahr alt und soweit sie wusste, kam das Laufen vor dem Sprechen. „Was hat er denn gesagt?"

„Es klang wie: Bada-badaa", erklärte das Mädchen augenzwinkernd. „Das ist ein anderes Wort für Milchfläschchen."

Gloria nahm ihren kleinen Schatz aus dem Laufställchen.

„Hast du also Bada-badaa gesagt, mein Häschen?", fragte sie und rubbelte mit ihrer Nase gegen die Nase ihres vor Vergnügen quietschenden Caradocs.

Die Antwort war eine Folge sinnlosen Gebrabbels und ein wenig Sabber.

„Ah, ja", meinte Gloria. „Mit mir willst du also nicht reden."

Sie stellte ihn wieder zurück in seinen Laufstall. Solange er sich irgendwo festhalten konnte, stand er schon wie eine Eins. Aber nicht sonderlich lange, dann saß er wieder auf seinem Windelpaket.

„Schönen Abend mit deinem Mann gehabt, Tante Gloria?", fragte Rosa mit ihrer krächzenden Stimme und zwinkerte ein wenig anzüglich.

„Der Auftakt war nicht schlecht", sagte sie und wurde ernst. „Aber es endete nicht so wie angedacht."

„Oh, das tut mir Leid", meinte Rosa und meinte es offensichtlich ehrlich.

„Nicht, wie du denkst", wehrte Gloria ab. „Ich hab eine unangenehme Nachricht bekommen und ich dachte, du solltest sie von mir erfahren."

„Und?", fragte das Mädchen und runzelte die Stirn.

„Es geht um deinen Vater", erklärte Gloria. „Er ist vor wenigen Stunden gestorben."

„Dafür hättest du dir nicht den Abend versauen lassen müssen", erwiderte Rosa ungerührt.

„Ich dachte, du solltest es erfahren."

„Danke. Jetzt kann ich viel ruhiger schlafen."

Rosa stand auf und ging zum Fenster.

Nach einer Weile sagte sie leise: „Er hat Ma und mir das Leben zur Hölle gemacht. Ich empfinde nichts als Befriedigung. Ist es schlimm, dass ich mich nur deshalb schlecht fühle?"

Gloria trat zu ihr. Sie war ein wenig unschlüssig, was genau sie jetzt tun sollte. Aus dem Augenwinkel sah sie plötzlich Lucy neben Caradocs Ställchen auftauchen. Die Elfe machte machte einen wiegende Geste mit den Händen. Gloria nickte ihr dankend zu, dann trat sie zu Rosa und schlang die Arme um das Mädchen.

„Es gibt Eltern, auf die man einfach nicht stolz sein kann", flüsterte Gloria ihr ins Ohr und dachte dabei auch an ihre eigenen. „Und bei manchen ist es gut, wenn sie für uns zu Fremden werden. Dass du nichts für deinen Vater empfindest, macht dich nicht zu einem schlechten Menschen. Im Gegenteil – es macht mich sicher, dass du niemals so wirst wie er."

„Aber da ist noch meine Mutter."

„Auch da bin ich mir sicher, besteht keine Gefahr. Möchtest du wissen, was mit ihr ist?"

„Möchte ich?"

„Ich denke schon."

„Dann sag es mir."

„Sie hat vor zwei Wochen ihren Entzug abgeschlossen. Sie kämpft sich anscheinend wieder ins normale Leben zurück und scheint es auch wirklich zu wollen. Mr Noxius meint, wenn du es möchtest, gestattet er einen Besuch."

„Ich weiß nicht…", murmelte Rosa.

„Es würde ihr sicher helfen, wenn sie auf deine Vergebung hoffen kann. Lass dir mit deiner Entscheidung Zeit und überleg es dir. Denk zuerst daran, was für dich das Beste ist…"

„Wärst du mit dabei?", fragte das Mädchen unsicher.

Das war eigentlich etwas, was Gloria nicht wirklich wollte. Sie fand, sie würde sich schon fast zu sehr engagieren. Die Nähe und die Zuneigung, die sie für Rosa empfand, schienen ihr langsam ein wenig zu gefährlich. Sie machte sich jetzt schon unangenehme Gedanken darüber, wen sie als nächstes mit dem Hirnfresser strafen würde. Leider hatte sich ihr bevorzugter Kandidat – ein Mörder und Vergewaltiger – als nicht kompatibel herausgestellt. Langsam wurde die Zeit knapp.

„Wenn ich Zeit habe, dann werde ich auch da sein", versprach Gloria.

„Du hast sehr selten Zeit", merkte Rosa verlegen an.

„Mein Mann hat sich da auch schon beschwert", erwiderte Gloria wahrheitsgemäß und gleichzeitig versuchte sie, sich damit für ihre seltenen Besuche zu entschuldigen. „Ich arbeite einfach zu viel."

„Du hast mir noch immer nicht gesagt, als was du arbeitest", sagte Rosa.

„Wenn du sechzehn wirst", versprach Gloria und erkaufte sich so noch zehn Monate, in denen sie sich überlegen konnte, was sie sagen sollte oder konnte.

„Ich kann es kaum erwarten", gestand Rosa und das Mädchen schaffte es wieder zu lächeln. „Und wehe, es ist dann was absolut Langweiliges."

„Ich kann dir das Gegenteil garantieren", lachte Gloria.

„Bis dahin kannst du mir ruhig öfters Caradoc vorbeibringen", bot Rosa an. „Ich glaub, er mag mich genauso gern, wie ich dich."

„Falls ich dann noch ein Kind habe", lachte Gloria und drehte Rosa zu ihrem Baby, welches gerade mit Inbrunst auf einem Fuß herumkaute.

„Zumindest ist die Frage, wie vollständig", kicherte auch das Mädchen. „Aber hier im Haus würde das gar nicht auffallen."

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

„Bereit für Teil zwei der Tests?", fragte Professor Lupin. „Oder willst du dich erst mal abtrocknen?"

„Ach, ist schon okay, Professor", lächelte Tarsuinn. „Aber wenn Sie mir noch ein paar Sekunden geben könnten…?"

Er legte den Kopf schräg und begann auf einem Bein zu hüpfen. Sekunden später spürte er das Wasser aus seinem linken Ohr laufen und endlich verschwand dieser dumpfe Klang beim Hören.

„So", meinte er. „Was zuerst, Professor?"

„Geschichte. Und hör auf mich Professor zu nennen, Tarsuinn."

„Lupin-san?", fragte Tarsuinn.

„Ich hab das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst", sagte der Professor amüsiert.

„Reicht Ihnen nicht mein Respekt?"

„Den nehm ich natürlich lieber."

„Sehr schön. Wissen Sie, was ein Werwolf einem Vampir zum Abschied sagt?"

„Nein."

„Du kannst mir mal bei Vollmond begegnen."

Professor Lupin schnaubte einmal kurz amüsiert.

„Das ist kein guter Scherz", tadelte er eher mühsam.

„Würde denn ein Werwolf einen Vampir überhaupt anfallen", fragte Tarsuinn neugierig, ohne sich getroffen zu fühlen. „Ich meine, erkennt er ihn als Menschen und was würde dabei herauskommen?"

„Was denkst du?", fragte Lupin lehrerhaft.

„Ich denke, der Werwolf würde den Vampir ignorieren, solange dieser ihn nicht attackiert."

„Und warum?"

„Weil beide Krankheiten, beziehungsweise Flüche, sich auszuschließen scheinen. Es kann natürlich auch sein, dass sie um die Vorherrschaft kämpfen. Aber direkt können sie sich wahrscheinlich nicht infizieren, sondern nur töten."

„Könnte nicht auch ein Vampir entstehen, der sich zu Vollmond in einen Werwolf verwandelt?"

„Ich denke nicht."

„Warum?"

„Keine Ahnung. Nur ein Gefühl. Wissen Sie warum?"

„Nein, aber es funktioniert wirklich nicht. Anscheinend haben es ein paar Verrückte in der Vergangenheit schon mal ausprobiert und sind kläglich gescheitert."

„Kommt so was auch mal in Geschichte der Zauberei dran?", fragte Tarsuinn hoffnungsvoll.

„Nur, wenn Professor Binns mal unpässlich wird", bedauerte Lupin ironisch. „Wenn ich mich recht entsinne, kommen nach der Entwicklung der internationalen und nationalen Zauberergemeinschaft in der zweiten Klasse, noch zwei Jahre Kobold- und dann ein Jahr Riesenkriege an die Reihe."

„Na, klasse!", murmelte Tarsuinn genervt. „Ich bin mir sicher, Professor Binns tötet auch dieses Thema."

„Du solltest so etwas nicht sagen, Tarsuinn", wies Lupin ihn erneut zurecht und klang dabei diesmal deutlich ernsthafter bei seinem Tadel.

„Hatten Sie Professor Binns in Geschichte, Lupin-san?"

„Ja."

„Und was haben Sie während des Unterrichts gemacht?"

„Sicher habe ich dem Unterricht nicht gerade die volle Aufmerksamkeit geschenkt", erwiderte Lupin ehrlich und Tarsuinn war sich sicher, er lächelte dabei. „Aber ich habe dies inzwischen oft bereut und viel nachgeholt. Ein Muggel hat mal gesagt: Wer die Geschichte nicht kennt, ist verdammt, sie zu wiederholen. Oder so ähnlich."

„Aber wenn Geschichte so wichtig ist, warum lässt dann Professor Dumbledore zu, dass wir einen so miesen Lehrer haben, der kein Interesse an diesem Fach weckt? Eher im Gegenteil!"

Das kurzzeitige Schweigen des Professors war Tarsuinn Antwort genug.

„Ich muss zugeben, das ist eine interessante Frage, die du vielleicht Professor Dumbledore stellen solltest", sagte Lupin nachdenklich. „Ich denke, es wird schon einen Grund haben, auch wenn wir ihn nicht sehen."

„Ich ganz bestimmt nicht", lachte Tarsuinn laut auf. Es lag dabei keine Spur Bosheit in ihm. Er fand diesen Einwurf wirklich witzig. Das mochte daran liegen, dass er in letzter Zeit niemals am Tag eine Stimme hörte, die ihn zu etwas verführen wollte, was falsch war. Es war eine Befreiung. Alles, was nachts geschah, trennte er streng davon und es hatte mit seinem Leben während der Wachphase nichts zu tun.

Tarsuinn rechnete es Lupin hoch an, dass er nicht irgendwelche dummen Entschuldigungen anbrachte, sondern seine echte Belustigung erkannte.

„Ich hab irgendwie den Eindruck, du versuchst Zeit zu schinden", sagte der Professor stattdessen. „Könnte es sein, dass du versuchst, die Tests in den praktischen Fächern auf morgen zu verschieben?"

„Würde ich doch niemals", behauptete Tarsuinn, war aber ertappt worden. „Ich find es nur unfair, dass ich nicht richtig üben darf, aber den blöden Test dann mit meinem Zauberstab machen muss."

„Glaub mir, Professor Dumbledore und ich, wir werden deine Leistungen dementsprechend wohlwollend betrachten. Du hast es letztes Jahr doch auch geschafft, wieder Anschluss an deine Klassenkameraden zu bekommen."

„Ja, aber ich bin wirklich mies in Verwandlungen."

„Denkst du denn, ein weiteres Jahr in der zweiten Klasse würde dein Problem mit dem Fach beheben?"

„Nicht wirklich."

„Dann konzentrier dich einfach darauf, für dich eine Lösung zu finden", fand Lupin und atmete theatralisch durch. „So – und jetzt kommen wir endlich zu Geschichte. Vor dir liegt Papier und Feder. Schreib mir bitte einfach auf, was dir so alles zu der Entwicklung der internationalen und nationalen Zauberergemeinschaft einfällt. Am besten chronologisch geordnet."

Geschichte war ein Fach, das Tarsuinn schon immer gelegen hatte, und so war es überhaupt kein Problem für ihn, mit Daten, Einzelheiten und Schlussfolgerungen Seite um Seite zu füllen. Gegen Ende – als die Sache seiner Meinung nach immer mehr von revolutionären Ideen in Richtung Politik rutschte – schaltete sich sein Gehirn auf Autopilot und er begann über sein Zauberdilemma nachzudenken.

Nicht, dass er wirklich unzufrieden mit sich war. Er glaubte fest, dass alles, was die anderen konnten, auch für ihn möglich war. Er hatte ja im letzten Jahr herausgefunden, dass er die Magie nicht unbedingt mit Worten, Gesten, Glauben und Verstand steuerte, sondern mit der Beherrschung seiner Gefühle. Solange diese einfach blieben, fiel ihm das sogar sehr leicht. Besonders bei zerstörerischen und schützenden Zaubern war er zu Dingen im Stande, die weit über das Normale hinausgingen, auch wenn er oft Probleme mit der Kontrolle der Kraft hatte. Genauso war ihm in Askaban bewusst geworden, dass Magie für ihn viel lebendiger und greifbarer war als für die anderen, die Magie nur benutzten, sie aber niemals wirklich in sich spürten. Was er nicht verstand war, warum ihm dieses besondere Gespür beim Zaubern nicht wirklich weiter half, wenn es kompliziert wurde. Verwandlungen war für ihn, als würde er versuchen etwas zu erklären, wofür er keine Worte fand. Es war einfach so schwierig und so ernst, dass einem die nötige Lockerheit verloren ging.

Genau entgegengesetzt dazu verhielt es sich mit Zauberkunst. Dort brauchte es eher einen hohen Grad an Lockerheit und Vergnügen, dem man leichte Fesseln anlegte. So als würde man schweben und trotzdem nie den Kontakt zum Boden verlieren. Tarsuinn war nicht in der Lage so wenig Kontrolle über sich auszuüben.

Es war ein seltsames Dilemma. Tarsuinn sah sich selbst an einem Ort zwischen diesen beiden Fächern, den es eigentlich nicht geben sollte. Und dieser Ort war kein Grat – so wie seine geistige Stabilität – sondern eine tiefe Spalte, in der er steckte. Er hatte schon alles versucht um herauszuklettern, aber seine Fortschritte waren nur minimal gewesen und immer von verheerenden – meist schmerzhaften – Rückschlägen gefolgt. Außerdem fehlte ihm das halbe Jahr Schule merklich. Wenn er bedachte, was er mit dieser Zeit alles hätte anstellen können! Wenn es doch jemanden geben würde, der ihm helfen konnte. Professor Flitwick und Professor McGonagall hatten sich zwar wirklich Mühe gegeben…

Ich bin hier.

Tarsuinn ließ vor Schreck seine Feder fallen.

„Ist etwas?", fragte Professor Lupin.

„Nein", log Tarsuinn. „Nur ein Krampf."

„Dann schreib noch ein wenig, du hast noch eine Viertelstunde."

Tarsuinn nahm seine Feder wieder auf. Er hatte sich doch geschworen, sämtliche Stimmen zu ignorieren, die nicht zu ihm gehörten, und daran wollte er sich eigentlich auch halten. Egal ob er glaubte Marie-Ann zu hören oder auch nicht. Warum gingen ihm die drei Worte dann einfach nicht aus dem Kopf? Den letzten Absatz, den er in seinem Test schrieb, konnte man getrost vergessen, so sehr war er abgelenkt. Die Stimme hatte Erinnerungen in sein Bewusstsein gespült, die sehr unangenehm waren. Marie-Ann, oder zumindest ihren Geist, hatte er eingesperrt mit einem Haufen toter Verrückter.

Und sein Einhorn wurde von jemandem gequält. Das wusste er seit letzter Woche sicher. In einem Moment hatte er kurz nach Mitternacht noch mit Tikki gespielt und wenig später war er inmitten eines Waldes und im Schlafanzug wieder zu sich gekommen, weil sein Einhorn ihm verbot weiterzugehen. Es war ihm nicht möglich gewesen, sich gegen den Befehl zu wehren, auch wenn er es versucht hatte. Geleitet von Tikki war er danach wieder nach Haus geschlichen und hatte niemandem davon erzählt. Er wusste genau, dass das Einhorn ihn nicht für fähig hielt, es zu befreien, und, wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte es durchaus Recht. Beim ersten Mal hatte ihm nur das Überraschungsmoment und Glück geholfen. Beim nächsten Versuch würde er sicher schon erwartet werden. Schließlich hatte der alte Söldner in Askaban ja gesagt, dass Sir Oliver ihn mit der Entführung des Einhorns aus Hogwarts hatte herauslocken wollen. Vielleicht hatte er auch deshalb jetzt sein Einhorn gequält. Wenn Tarsuinn sich anmerken ließ, dass er den Schmerz des Wesens fühlen konnte, dann würde man dies vielleicht ausnutzen. Also versuchte er sich völlig normal zu geben und falls ihn jemand beobachtete, sollte niemand etwas bemerken. Bis jetzt schien dies zu funktionieren. Zum Glück – denn er hatte im Moment Angst davor, etwas tun zu müssen. Er wollte einfach nur normal sein. Nicht so wie…

„Lupin-san?", fragte er und legte die Feder beiseite.

„Ja? Bist du fertig? Du hättest noch fünf Minuten."

Tarsuinn musste nicht noch einmal mit den Fingern über das Geschriebene fühlen, um zu wissen, dass beim letzten Teil nur noch nicht zusammenhängender Quatsch stand.

„Ähem – den Wisch können Sie haben", erklärte Tarsuinn uninteressiert. Der größte Teil des Tests war sicherlich korrekt. „Ich frag mich bloß gerade, was Sie machen, wenn Sie hier fertig sind und ich Ihnen keinen Trank mehr brauen kann. Macht das dann wieder Professor Snape?"

„Wohl kaum", antwortete Professor Lupin nach kurzem Zögern.

„Warum?"

„Nun, wir sind nicht gerade Freunde."

„Aber in der Schule hat er doch auch geholfen."

„Da war ich Lehrer und der Schutz der Schüler und Professor Dumbledore verlangten es."

„Und wer gibt Ihnen sonst den Trank?", fragte Tarsuinn erstaunt. Winona hatte ihm zwar erzählt, warum Professor Lupin entlassen worden war – und wer mit seiner Indiskretion dafür gesorgt hatte – aber allein die Gefahr, die von dem Werwolffluch ausging, sollte doch eigentlich dafür sorgen, dass man über persönliche Abneigungen hinwegsah.

„Niemand", sagte Lupin. „Es gibt nicht viele, die ihn brauen können und er ist auch teuer."

„Ich könnte das auch weiterhin machen", bot Tarsuinn stolz an. „Sie müssen zugeben, ich kann das wirklich."

„Ja, das muss ich zugeben", gab der Ex-Lehrer amüsiert zu. „Aber du vergisst, ihr seid jetzt relativ arm."

„Mit dieser Schnapsidee von Rica werden wir ein wenig Geld verdienen."

„Wieso Schnapsidee?", fragte der Professor ehrlich verwundert.

„Weil die Quidditch-Teams sich früher oder später an die Gurgel gehen werden. Chinesen und Japaner hier zusammen einzusperren, ist wie einen Vampir zu einem romantischen Dinner zu zweit zu begleiten…oder Professor Snape zu bitten, ein wenig liebenswürdiger zu sein…oder Sie zu einem Mondscheinspaziergang zu überreden…oder…"

„Ist gut, ist gut!", unterbrach Professor Lupin resignierend. „Ich hab es kapiert."

„Aber das ist egal", nutzte Tarsuinn die Gelegenheit, wieder zum Thema umzuschwenken. „Was machen Sie, wenn das hier vorbei ist?"

„Ich tue das, was ich auch gemacht habe, als es den Trank noch nicht gab – ich sperre mich weg."

„Haben Sie dafür ein Haus? Mit so einem Raum, wie ich ihn habe?"

„Nicht direkt, ich bin eher eine Art Nomade. Immer auf der Suche."

„Nach was?"

„Interessanten Kreaturen. So verdiene ich mir auch manchmal mein Geld. Ich helfe den Leuten, wenn sie Probleme mit Irrwichten oder dergleichen haben."

„Bedeutet das, Sie sind eine Art Kammerjäger?"

Diesmal konnte Professor Lupin lachen.

„Man könnte es so nennen. Nur, dass ich halt durch die ganze Welt ziehe."

„Aber wo schlafen Sie dann an Vollmond? Stellt das Ministerium dafür Platz zur Verfügung?"

„Ja, das tun sie, aber im Grunde geht da keiner hin."

„Warum das?", fragte Tarsuinn verwirrt.

„Würdest du denn dem Ministerium so weit vertrauen, Tarsuinn?"

Er brauchte keine Sekunde, um entschieden den Kopf zu schütteln.

„Siehst du", fuhr Lupin fort. „Natürlich fragt sich jeder was passiert, wenn das Ministerium in der Vollmondnacht beschließt, alle Werwölfe weggesperrt zu lassen. Man ist ein wenig wehrlos, wenn man wieder zu sich kommt."

„Aber was machen Sie dann? Suchen Sie sich ein Fleckchen Erde, wo Sie hoffen niemandem über den Weg zu laufen?"

„Nein."

„Was dann?"

„Du bist aber hartnäckig", murmelte Lupin. „Reicht es nicht, dass ich nicht darüber sprechen will?"

„Bisher haben Sie das nicht so deutlich gesagt", erwiderte Tarsuinn spitzfindig. „Aber ich höre seit Tagen, dass Sie sich Sorgen machen. Ich glaube, Sie wissen nicht, was Sie eigentlich tun sollen. Das mit dem Kammerjäger ist auch keine ehrliche Option, nicht wahr?"

„Glaub mir, ich mache mir keine Sorgen um meine Unterbringung an Vollmond. Nur für den Rest der Zeit…na ja. Mal schauen, was sich ergibt. Vielleicht folge ich ja der Bitte eines Freundes und schau mich mal ein wenig in Albanien um. Es soll recht interessant da sein."

„Ich kann trotzdem für Sie den Trank brauen", bot Tarsuinn zum zweiten Mal an. „Rica wird mich wie einen Koch bezahlen und sie hat dem Ministerium einiges an Geld abgeknöpft, indem sie ihren Vorteil voll ausspielte."

„Ich danke dir für das Angebot. Wirklich!", erklärte der Professor. „Aber für Professor Dumbledore ist es nicht hilfreich, wenn ich dort gesehen werde. Es gibt Leute, die nur darauf warten, dass er einen Fehler macht. Es hat schon einiges an Ärger gebracht, dass ich im letzten Jahr euer Lehrer war."

„Dumbledore muss es ja nicht erfahren, dann kann er auch alles abstreiten", beharrte Tarsuinn.

„Dann wäre alles aber eher eine Frage des Zufalls. Ich darf das Gelände nicht mehr ohne Einladung betreten und dass ein Hogsmeade-Wochenende gerade einen Tag vor Vollmond stattfindet, wäre ein großer Zufall."

„Ich kann das Schloss verlassen, wann immer ich will", gestand Tarsuinn offen ein. Lupin war kein Professor der Schule mehr, wie er selbst immer wieder betonte.

„Habt ihr also einen der Geheimgänge gefunden?", fragte Lupin freundlich und ohne die Überraschung, die Tarsuinn eigentlich erwartet hatte. Darüber und über das Wort Geheimgang runzelte er ein wenig die Stirn.

„Vielleicht", sagte Tarsuinn deshalb schwammig.

„Und welchen habt ihr gefunden?"

Es gibt also mehrere, dachte Tarsuinn bei sich. Laut sagte er: „Wenn ich das sage, verraten Sie es vielleicht an Professor Dumbledore."

„Das traust du mir zu?", fragte Lupin gespielt verletzt.

„Das traue ich jedem verantwortungsbewussten Erwachsenen zu. Sie wären nicht mehr der Mann, der Sie als Lehrer waren, wenn Sie eine so besorgniserregende Information ignorieren würden."

„Und jetzt endlich täuschst du dich mal, Tarsuinn", lachte Lupin triumphierend, aber nicht verletzend. „Selbst wenn ich es Professor Dumbledore erzählen würde, was ich nicht tun werde, würde er wahrscheinlich nichts dagegen unternehmen."

„Warum?", erkundigte sich Tarsuinn verwundert.

„Weil die Geheimnisse des Schlosses und deren Erkundung, mit zur Zeit in Hogwarts gehören. Früher, in wilderen Zeiten, hatten die Geheimgänge, die versteckten Kammern, das unterirdische Labyrinth, die Höhle der gebrochenen Herzen sicherlich einen anderen, wichtigen Zweck, aber heute existieren sie vor allem, um neugierige, schnell gelangweilte und zu intelligente Kinder beschäftigt zu halten. Außerdem ist es eine relativ sichere Art, Abenteuer zu erleben und überschüssige Energien zu kanalisieren."

„Ob das wirklich gut ist?"

„Es funktioniert doch seit Jahrzehnten."

„Und warum haben Sie dann Hemmungen mein Angebot anzunehmen, wenn es doch so gut funktioniert?", grinste Tarsuinn unschuldig.

„Dich dazu zu ermutigen, ist nicht gerade verantwortungsbewusst."

„Sich unnötig dem Kontrollverlust hinzugeben auch nicht."

„Da kennst du dich ja aus", sagte der Professor ein wenig ungeschickt.

„Korrekt", bestätigte Tarsuinn trotzdem freundlich, denn er konnte Lupin verstehen. „Aber wenn Sie das stört, ich will auch eine Gegenleistung von Ihnen."

„Und die wäre?", fragte der Mann neugierig.

„Schauen Sie immer mal nach meiner Schwester, wenn ich nicht da bin", bat Tarsuinn.

„Sie hat doch genug Menschen, die sich um sie kümmern. Da bin ich überflüssig", meinte Lupin.

Entschieden schüttelte Tarsuinn den Kopf.

„Nein", widersprach er. „Medir ist anscheinend ein guter Heiler, aber meiner Meinung nach ein mieser Kämpfer und viel zu vertrauensselig. Die Kearys sind da zwar schon härter drauf, aber, soweit ich das verstanden habe, viel unterwegs. Während die Holts ein wenig distanziert Rica gegenüber sind."

„An den Darkclouds hast du nichts auszusetzen?", erkundigte sich Lupin ironisch.

„Außer, dass sie ihre eigenen Probleme mit der Familie haben – nein", lachte Tarsuinn. „Verstehen Sie bitte, Professor,…"

„…Lupin oder Remus…"

„…ich will nicht, dass Sie Bodyguard spielen, oder so. Nur ab und an nach dem Rechten sehen. Ich meine, in Hogwarts bin ich sicher, aber sie ist greifbar und jedem Zauberer gegenüber fast wehrlos."

Jetzt war es an Lupin, ein wenig zu lachen.

„Tarsuinn, glaubst du wirklich, du wärst der einzige intelligente Mensch auf der Erde?"

„Manchmal schon", entgegnete Tarsuinn und ärgerte sich, dass er den Mann nicht abfällig ansehen konnte.

„Dann solltest du dein Ego ein wenig zurückschrauben. Glaub mir, man hat schon ein wachsames Auge auf deine Schwester – genau wie auf dich."

Ein Finger berührte den kleinen Stein, den Tarsuinn an einer Kette um seinen Hals trug.

„Ich würde mich trotzdem besser fühlen, wenn Sie ab und an mal Hallo sagen", beharrte Tarsuinn uneinsichtig.

„Warum bist du so misstrauisch?", fragte Lupin und wurde sehr ernst. „Nimm es mir nicht übel, Tarsuinn, aber manchmal bist du ein wenig furchterregend erwachsen und auch ein wenig paranoid."

„Ich bin diesmal gar nicht dafür verantwortlich", verteidigte sich Tarsuinn. „Tikki ist die Besorgte. Sie will, dass Sie Rica beschützen."

„Tikki will das?", fragte Lupin in relativ neutraler Stimme.

„Ja."

„Und da bist du dir sicher?"

„Ich bin nur deshalb so alt geworden, weil ich auf sie gehört habe", erklärte Tarsuinn geduldig.

„Du sprichst ihre Sprache?", erkundigte sich der Professor ungläubig. „Aber das würde natürlich einiges erklären."

„Sagen wir es so", schränkte Tarsuinn leicht ein. „Ich verstehe einen Großteil dessen was Tikki sagt und umgekehrt ist es genauso."

„Und jetzt hat sie dir gesagt, ich soll auf Rica achten?"

„Ja."

„Bedeutet dies, du vertraust mir inzwischen?"

„Ich denke, Sie sind ein guter Mensch, Lupin-san, und weil Tikki Ihnen vertraut, traue ich Ihnen nun auch."

„Weiß deine kleine Freundin überhaupt, was ich bin?", merkte Lupin freundlich an.

„Sicher. Seit sie Sie kennt, nennt sie Sie Vollmondjäger. Ich denke, sie wusste es von Anfang an, aber ich hab immer Probleme Worte zu verstehen, die sie das erste Mal verwendet."

„Wie nennt sie denn Professor Snape?", fragte Lupin schalkhaft.

„Sie wollen doch nicht, dass ich beleidigende Worte benutze, oder?", kicherte Tarsuinn zur Antwort. Ihm ging da gerade eine kleine Auswahl durch den Kopf, von denen die meisten wirklich nicht nett, aber dafür kreativ waren.

„Nenn mir einen", bat Lupin.

„Nehmen Sie mein Angebot und den Preis dafür an?"

„Ja. Soweit es mir möglich ist. Aber den Trank werde ich nur in Anspruch nehmen, wenn es unumgänglich ist."

„Und natürlich werden Sie versuchen herauszubekommen, welchen geheimen Weg ich benutzen werde, nicht wahr?"

„Also, dies ist eine paranoide Unterstellung!", verteidigte sich Professor Lupin nachsichtig.

„Nur, wenn ich nicht richtig liege", meinte Tarsuinn möglichst cool.

„Gut, dann nennen wir es halt eine zufälligerweise zustimmende Unterstellung", lachte Lupin.

„Sie sind ein offenes Buch für mich", schloss sich Tarsuinn dem Lachen an.

„Dann hast du sicher vorhergesehen, dass wir jetzt mit dem Verwandlungstest weitermachen, nicht wahr?"

Tarsuinns Lachen gefror einen Augenblick auf seinen Lippen, dann verdrehte er genervt seine Augen. Ein Kunststück, das er dank der vielen Übung inzwischen gut beherrschte.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------

www.storyteller-homepage.de