Sic gorgiamus allos subjectatos nunc (WIR VERSPEISEN MIT FREUDE JENE, WELCHE VERSUCHEN UNS ZU BEZWINGEN.)
Personen : Krolock, Professor, Alfred, Herbert, Koukul, Sarah
Handlung: Bis zum Ball identisch... Krolock beißt zu. (Achtung Änderung: um Vampir zu werden muß Blut ausgetauscht werden. Hätte im Film/Musical stattfinden können, ohne dass Prof./Alfred es mitkriegen. Graf gibt Sarah nach dem bekannten Biß einen Kuß, beißt sich auf die Zunge...der Rest wäre Geschichte. Findet kein Blutaustausch statt, wäre Sarah zwar geschwächt, aber nicht in Gefahr, sich zu verwandeln, wie der Prof. so richtig feststellt.)
Warnung: Keine "Kuschelvampire"! Ein bißchen Romantik in Ehren kann keiner verwehren, aber meine Vampire dürfen auch mal die Zähne blecken und ihre dunklen Seiten ausleben. Das Un-Leben ist kein Honig - äh - Blut- Schlecken... und es gibt auch für Vampire Nächte, an denen sie mal mit dem falschen Fuß aus dem Sarg gekrochen sind und das (ungerechter Weise) an ihrer Umgebung auslassen.
Danke: Vielen Dank an Rebecca! Sie hat mein Werk in der Entstehungsphase gelesen, mich am Ball gehalten und mit Lob und interessanten Spekulationen über die Vorlieben eines gewissen Vampirs, sowie Fakten über Darsteller und Rolle versorgt.
Disclaimer: Tanz der Vampire und die auftretenden Figuren sind leider nicht auf meinem Mist gewachsen. Es gibt eine Menge andere Leute, die die Rechte an dem Musical und dem Film besitzen und damit sicher auch Geld machen. (Um nur einige zu nennen: R. Polanski, J. Steinman, M. Kunze) Das ganze ist aus Liebe zu einem guten Film und einem wundervollen Musical entstanden. Der Titel stammt von den "Addams" und ist deren Credo/Motto. The Addams Family ( Charles Addams)
Feedback: Sehr gerne, ich würde mich freuen, solange ihr ein wenig auf meinen Stolz Rücksicht nehmt und Kritik immer konstruktiv bleibt. Laßt mich wissen, was ihr von der Geschichte haltet ().
Es war ein prachtvolles Fest. Schon seit Jahrzehnten hatten die Säale und Hallen des Schlosses nicht mehr so vor Leben pulsiert. Licht und Wärme schienen die Schatten aus den Ecken des alten Gemäuers zu vertreiben. Und in mitten des bunten Treibens vergnügten sich die Vampire. Sie schienen die Festlichkeit genau wie Blut in sich aufzunehmen, ihre grauen Gesichter wurden von der Wärme des Kerzenscheins zum Leben erweckt und der stumpfe Ausdruck in den Augen der Veteranen wicht einem beinahe schon kindlichen Entzücken. Der Graf schaute zufrieden über die fröhlich Masse seiner Untergebenen. Heute Nacht würden sie alle das Gefühl auskosten, lebendig zu sein. Die Musik, wie ein Pulsschlag allgegenwärtig, verstummte als er in die Mitte seines Gefolges trat. Wohlwollend ließ er seinen Blick über die versammelten Gestalten fallend. Selbst sein Sohn, der sich in den letzten Jahren immer mehr zurück gezogen hatte, schien von der Stimmung verzaubert. Die Ankunft seiner bezaubernden Gäste war wirklich ein Glücksfall und möglicherweise sogar ihre Rettung gewesen. Zum ersten Mal seit Jahren war seine Ansprache nicht nur ein tröstender Halt für seines gleichen, sondern ein Versprechen... und Hoffnung auf eine Zukunft. Und dann betrat SIE den Saal. Ihr Erscheinen wurde mit einem allgemeinem Seufzen der Begierde kommentiert. Doch sie war sein! Keiner hatte das Recht ihm die erste Wahl unter den Opfern zu nehmen. Und widerstrebend fügte sich die Masse. In diesem Jahr musste keiner befürchten leer auszugehen. Das Fest nahm seinen Lauf. Der Graf gab sich ganz der Musik hin, genoß jeden Moment an der Seite seiner Begleiterin, begierig jede Sekunde der Vorfreude auskostend. Er wollte den Genuß so lange wie möglich dehnen. Zu schnell wich das Hochgefühl, Leben in sich zu spüren, wieder der Ernüchterung. Noch war er unschlüssig, ob er seine reizende Begleiterin zu einer seiner Gefährtinnen machen sollte. Er hatte bereits zu oft die Enttäuschung verspürt, wenn ein solch liebliches Geschöpf vom Tode erwachte. Selbst makellose Schönheit entschädigte nicht für den Zauber der Vergänglichkeit. Er musterte sie sorgfältig. Wohlerzogen senkte sie ihren Blick, um ihn jedoch dann neugierig unter ihren Wimpern anzusehen. Sie schien auf seinen Kuss zu warten, seine Umarmung zu fordern. Einen Wunsch, den er ihr gerne erfüllte. Sie ließ sich widerstandslos in seine Arme schließen. Er atmete tief ein, versuchte diesen Moment festzuhalten. Sein Hunger wuchs und die Kontrolle entglitt ihm. Sanft küsste er sie auf die Stelle, an der er ihren Puls fühlen konnte, dann biss er zu. Leben erfüllte ihn, er fühlte sich berauscht. Undeutlich schien er einen protestierenden Aufschrei in der Menge zu hören. Chagall? Um die Kontrolle kämpfend, trennte er sich von der Quelle der Ekstase. Die Nacht war noch jung und er würde noch bis zum Morgengrauen Zeit haben, eine Entscheidung zu treffen. Wie durch einen warmen Nebel nahm er seine Umgebung war. Musik und Leben, Begierde und Blut lagen in der Luft. Beschwingt folgte er den strengen Regeln des Tanzes. Seine Schritte waren sicher. Die Vampire wirbelten in einem Strudel aus Licht und Farben durch den Saal. Doch dann, eine Störung. Eine Disharmonie im Gefüge ihres Tanzes. Die Tänzer hielten in der Bewegung inne, die Musik verstummte. Und vor ihren Augen wurde der Verrat sichtbar: ein Spiegel, verhasster Entlarver ihrer Natur, offenbarte ihnen die Gefahr in ihrer Mitte. Der Graf trat vor, um die Sterblichen, die es gewagt hatten, ihn um den Preis der Nacht zu betrügen, zu strafen. Doch plötzlich: ein stechender Schmerz. Peinvoll bohrte er sich in sein Innerstes, betäubte seine Sinne. Taumelnd zog er sich vor dem Kreuz zurück. Koukul! Wo war sein Diener? "Weg damit!" keuchte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. "Die Zähne gewetzt und ihnen nach!". Sein Hofstaat gehorchte. Erleichtert sank er zu Boden. Das Leben seiner Feinde war verwirkt, sie sollten noch bevor die Sonne aufging um ihren Tod betteln.
Aus dem Schatten einer Nische im Hintergrund beobachtete Herbert seinen Vater. Dies war der Moment, auf den er schon seit Jahrzehnten wartete. Die Gelegenheit, endlich aus dem Schatten seines Vaters herauszutreten. Keiner würde es in Zukunft wagen, hinter vorgehaltener Hand über ihn zu sprechen, die Furcht würde sie verstummen lassen. Endlich würde er in der Lage sein, sich Respekt zu verschaffen und nicht länger auf den Schutz des alten Grafen angewiesen. Vorsichtig schlich er sich an die auf dem Boden kauernde Gestalt an. Unter normalen Umständen hätte sein Alter dem Grafen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil gebracht, aber in seinem desorientierten Zustand bemerkte er erst, als es aus Herberts Griff kein Entkommen mehr gab, was dieser vorhatte. Herbert senkte seine Zähne brutal in den Hals seines Vaters, das Blut strömte köstlich in seinen Mund. Der Graf leistete verzweifelt Widerstand, aber die Stärke seines Sohns nahm im gleichen Maße zu, wie der Blutverlust ihn selbst schwächte. Herbert genoß das Gefühl der Überlegenheit, als die Gestalt in seinem Griff ihren Widerstand aufgab und in seinen Armen erschlaffte. Doch trotz aller Jahren als Vampir hatte er seine menschlichen Gefühle noch nicht vollständig verloren. Vatermord war selbst dem Wesen der Dunkelheit, das er seit nunmehr Jahrhunderten war, unmöglich. Aber Gnade war keine Option für einen Vampir, der die Herrschaft anstrebte. Er lauschte und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Keiner der anderen Vampire schien die Szene beobachtet zu haben. Herbert hob die erstaunlich leichte Gestalt seines Vaters auf die Schulter und schlich verstohlen in die Eingeweide des Schlosses. Tief unter der Erde gab es Kerker und Verliese, an denen ein früherer Schloßherr großen Gefallen gefunden hatte. In einer steinernen Kammer ließ er seine Last zu Boden sinken und befestigte eine lange Kette, die an einem Metallring in der Wand eingelassen war am Fuß der reglosen Gestalt. Er verschloß die dicke Tür sorgfältig und machte sich auf, seine Untertanen bei ihrer Rückkehr angemessen zu begrüßen.
Kurz vor Sonnenuntergang trafen die ersten Vampire wieder im Schloß ein. Keinem von ihnen war es gelungen, den Schlitten der Flüchtigen einzuholen. Einige wußten jedoch zu berichten, dass Koukul dicht aufgeschlossen hatte. Herbert hörte sich mit eisiger Miene die Meldungen der Mißerfolge an. Sein Zorn schien wie eine Wolke um ihn zu schweben. Einige der Boten würde heute zum ersten Mal in ihrem Leben als Untote den Morgen begrüßen. Finster musterte er die Menge die erstaunt und eingeschüchtert vor ihm stand. Ein wohl choreographierter Wutausbruch machte auch dem letzten unter ihnen deutlich, wer von nun an das Sagen im Schloß hatte. Nur zu bereitwillig halfen ihm die Vampire, die hofften, seinen Zorn von sich zu lenken können, ihre unglücklicheren Kameraden auf die Zinnen des Schlosses zu schaffen. Dort wurden sie gefesselt dem unbarmherzigen Tag überlassen. Befriedigt zog Herbert sich in die - nun erschreckend leere- Gruft zurück. Sein Schlaf war nicht die todesgleiche Trance, die er kannte. Zum ersten Mal, seit er das Leben hinter sich gelassen hatte, plagten dunkle Träume seine Ruhe.
Als sich der Osten rötete, glaubten sich die drei Flüchtigen endlich in Sicherheit. Sarah war erschöpft in Alfreds Armen eingeschlafen, der seinerseits ebenfalls mit der Müdigkeit kämpfte. Professor Abronsius lenkte das Gespann und schien über unerschöpfliche Energie zu verfügen. Aber auch er war nur ein Mensch. Als er die Erschöpfung seines treuen Assistenten sah und der Sonnenaufgang Sicherheit versprach, zügelte er das Pferd als im Schatten der Bäume eine Hütte im Wald auftauchte. Eigentlich war es mehr ein Unterstand von der Art wie ihn Waldarbeiter oder Förster benutzen, aber dies war nicht die Zeit, um auf Luxus zu bestehen. Er stieß Alfred vorsichtig an und die beiden trugen Sarah hinein. Das Lager war seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden, doch dankbar gönnten sie sich die dringend benötigte Ruhe. "Schlaf nur, mein Junge, ich werde wachen!" versicherte der Professor seinem Gehilfen, der müde lächelnd den Kopf auf seine Arme legte und zu Sarahs Füßen auf dem Fußboden einschlief. "Die heutige Jugend!" brummelte Abronsius vor sich hin "kaum wird ein anständiges Tagewerk von ihr verlangt, sind sie zu erschöpft, um die Augen offen zu halten." Gutmütig lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand, um den Schlaf seiner beiden Schützlinge zu bewachen. Doch auch der Professor war nur ein Mensch und so schlossen sich bald seine Augen und in dem kleinen Unterstand war nur noch sein zufriedenes Schnarchen zu hören.
Koukul fror. Der eisige Wind pfiff durch seine Kleidung und der Schnee unter seinen Füßen knirschte. Aber falls nötig, würde er der deutlichen Schlittenspur bis ans Ende der Welt folgen. Sein Herr hatte es befohlen und Koukul gehorchte. Der Morgen dämmerte bereits und noch immer führte die Spur vor ihm durch den Schnee. Mit letzter Kraft beschloß er, noch eine Stunde zu folgen und dann eine Pause einzulegen. Doch schon bald konnte er in der Ferne einen kleinen Unterstand erkennen. Das Pferd stand angeschirrt und nicht abgerieben mit dem Schlitten davor. Auch dafür würden die Sterblichen dem Graf bezahlen, in diesem Punkt war Koukul sich sicher. Der Erfüllung seiner Aufgabe so nahe, mobilisierte er noch einmal seine Kräfte. Tatsächlich, sein Ziel lag direkt vor ihm. In der kleinen Hütte schliefen die drei Verfolgten friedlich. Der Bucklige zog ein Seil aus einer der Taschen seines Fellgewands und näherte sich erstaunlich leise für einen Mann mit seinen Proportionen, dem Professor. Ehe dieser realisieren konnte, was geschah, befand er sich schon gefesselt und geknebelt zu Füßen des Verfolgers. Hilflos musste er mit ansehen, wie Koukul mit Alfred und Sarah ebenso verfuhr. Zufrieden brummend kontrollierte des Grafen Diener noch einmal die Fesseln seiner Gefangenen, um dann erschöpft auf das Lager zu sinken. Nach nicht einmal drei Stunden erwachte er schnaufend und unartikulierte Laute von sich gebend wieder. Er musste sich beeilen, wenn er seinem Herrn bei Sonnenuntergang die Flüchtigen zu Füßen legen wollte. Grob verlud er drei auf den Schlitten und lenkte das Pferd durch den Schnee zum Schloß. Dort angekommen brachte er die drei Menschen in einem mit Stroh ausgelegten Verlies unter und beschloß, sich bis Sonnenuntergang noch ein paar Minuten Schlaf zu gönnen.
Ein schmerzvoller Tritt weckte Koukul aus seinen Träumen. Der Sohn seines Meisters stand mit angewidertem Gesicht über ihm. "Wach' auf Mißgeburt! Wie kannst du es wagen, mir ohne die Gefangenen unter die Augen zu treten??" Fluchend und tretend trieb der verwöhnte Bengel ihn auf den Hof. Koukul versuchte, ihm mitzuteilen, dass die drei Gesuchten sich bereits im Verlies befanden, aber sein Peiniger machte nicht einmal den Versuch das undeutliche Gestammel aus seinem Mund zu verstehen. Um sein Leben fürchtend, stieß Koukul den Sohn des Grafen von sich und floh hinunter den Keller des Schlosses, Herbert immer dicht auf den Fersen. Am Eingang des Verlies' wies er auf das Guckloch in der dicken Tür. Gelangweilt sah sein Verfolger hinein und konnte einen kleinen Laut der Überraschung nicht unterdrücken, als er die Gesuchten an die Wand gekettet vorfand. Beiläufig tätschelte er Koukul den Kopf, wie einem Hund der ein Kunststück vollbracht hat, und öffnete die Tür mit einem Schlüssel, den er aus seinem Gewand hervor zog. Einem Schlüssel, der eigentlich nur im Besitz des Herrn des Schlosses sein sollte. Was war hier los? Koukul war nicht dumm. Argwöhnisch musterte er den Vampir, der sich lächelnd vor den Gefangenen aufbaute. So also sah die Lage aus. Er würde seinem Platz im Schloß neu verdienen müssen. Seufzend verschwand er unauffällig in den Gängen des Schlosses, um über seine neue Situation nachzudenken.
Herbert konnte sein Glück kaum fassen. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit war es Koukul tatsächlich gelungen, die Verräter einzufangen. Er hatte den Dreien zwar keine Träne nach geweint und hätte sich auch damit begnügt, den Diener zu strafen, aber dies bot sogar noch bessere Möglichkeiten. Darüber hinaus war der Jüngere der beiden Wissenschaftler wirklich zum anbeißen. Einen solchen Leckerbissen bekam man nicht alle Tage zwischen die Finger. Sein Lächeln würde breiter und raubtierhafter, als er Alfred genauer musterte. Dessen Augen weiteten sich angstvoll, als könne er die Absichten des Vampirs in dessen brennenden Augen lesen. Ohne auf das Zetern des alten Professors zu achten beugte Herbert sich über die zusammengekauerte Gestalt. Er atmete tief ein und genoß das Aroma der Furcht das von Alfred ausging. Beinahe zärtlich strich er mit einem Finger über die Wange des Wehrlosen. Dieser drehte den Kopf beiseite, preßte die Lippen zusammen und versucht seine Angst nicht zu zeigen. Köstlich! Während er mit dem Finger über die Ader am Hals strich näherte er sich mit den Lippen dem Ohr des zitternden Menschen. "Du bist mein!" hauchte er sanft in dessen Ohr. Spöttisch blitzen seine Augen auf, als er das Zusammenzucken bemerkte. Danach zog er sich wieder zurück um sein Opfer mit Ängsten und Vorahnungen in der Dunkelheit zurück zu lassen.
"Was wird er tun? Was kann ich tun?" Alfred suchte Rat bei seinem Mentor. Seine Verzweiflung und Ängste ließen seine Stimme schwanken. "Professor?" Doch dieser weigerte sich schon seit geraumer Zeit, die Fragen seines Assistenten zu beantworten. Das Schweigen des Mannes, der sonst nie um eine These verlegen war, nährte Alfreds Furcht. In seinem Inneren verdrängte sie alle noch verbliebenen rationalen Gedanken. Flucht. Kampf. Sein Selbst reduzierte sich immer mehr auf die grundlegenden Instinkte. Leise wimmernd rollte er sich in einer Ecke zusammen und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen.
Das Wimmern des jungen Mannes durchdrang die Überlegungen des Professors. Wie konnte er seinem Protegé raten, wenn er selbst zum ersten Mal in seiner Karriere am Ende seiner Weisheit angelangt war? Auf seine Weise war er ebenso hilflos wie sein Gehilfe. Doch dieser wortlose Ruf nach Hilfe konnte nicht ignoriert werden. Seine Existenz und sein Rat waren die letzte Rettung für Alfred, bevor dieser sich selbst aufgab. "Jetzt aber, Junge, das ist aber kein Grund sich dermaßen würdelos aufzuführen." versuchte er Alfred zu trösten "Eine Drohung ist noch lange kein Todesurteil. Sonst hätten meine lieben Kollegen in Königsberg mich schon lange unter die Erde gebracht. Wer wird sich denn so gehen lassen? Na siehst du! Also reiß dich mal am Riemen und gebrauche deinen Verstand, wie du es von mir gelernt hast! Und überhaupt, wenn du jetzt aufgibst, wer wird denn dann Chagalls Tochter retten, häh?" Bei diesen Worten richtete sich Alfred erschrocken auf. "Sarah?!" "Bleib ruhig, Junge, sie ist hier. Allerdings ist sie bisher noch nicht wieder aufgewacht. Der Blutverlust durch den Biß und unsere Flucht müssen sie enorm erschöpft haben. Laß' sie schlafen, sie wird früh genug das Scheitern unserer Flucht feststellen müssen." Traurig sank Alfred wieder in das Stroh ihres Verlieses. Er hatte versagt. Seine Versprechen waren gebrochen und die Hoffnung auf eine Zukunft mit der lieblichen Tochter des Wirts... war für ihn unerreichbar geworden. "Welche Hoffnung gibt es schon noch?" murmelte er leise. "Ich sollte es lieber gleich zu Ende bringen. Auf mich ist einfach kein Verlaß! Es tut mir so leid Professor, ich bin eine einzige Enttäuschung für sie." "Nicht doch Junge, du magst noch nicht perfekt sein, aber du zeigst doch ganz gute Ansätze! Du hast keinen Grund jetzt aufzugeben." Abronsius versucht ermunternd zu klingen und den Lebenswillen seines Schützlings zu wecken. "Keinen Grund?!" Eine Spur von Zorn schlich sich in die Stimme des Jungen. Ein gutes Zeichen, besser als die erschreckende Gleichgültigkeit, fand der Professor. "Ich habe sogar einen sehr guten Grund! Haben sie gesehen, wie mich der... der... Sohn seiner Exzellenz angesehen hat? Das ist ein Schicksal, dass Sie nicht von mir verlangen können! Bitte Professor, was kann ich tun?" Was, in der Tat? Abronsius war wieder um eine Antwort verlegen. "Sieh es doch mal so, Junge, du hast einen gewissen Einfluß auf ihn. Das ist etwas, dass man vielleicht nutzen könnte... ja, das wäre ein guter Plan. Was meinst du?" "Ein Plan?" Hoffnung regte sich in Alfreds Stimme. "Sie meinen, wir sind doch noch nicht verloren?". "Verloren ist nur der, der die Hoffnung bereits aufgegeben hat." orakelte der Professor weise.
Stöhnend regte sich in einer benachbarten Zelle unterdessen eine weitere Gestalt. Der Graf erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit und schlug die Augen auf. Der Schlaf des Tages hatte ihm keine Erholung gebracht, der Blutverlust ließ ihn zittern, als die Kälte des Gemäuers, welche ihn unter normalen Umständen nicht beeinflußt hätte, in seine Knochen kroch. Jeder Muskel seines Körpers schien zu schmerzen und dieser Schmerz war nur ein blasses Abbild der Wut und Enttäuschung, die er auf Grund des Verrats seines Sohnes fühlte. Ein Geräusch in der, selbst für seine Augen undurchdringlichen Dunkelheit der Zelle, ließ ihn aufmerksam lauschen. Jemand kam mit schweren Schritten die Treppe des Verlieses herab und öffnete eine benachbarte Zellentür. Sollte er nicht der einzige Gefangene sein? Welcher seiner Höflinge mochte wohl loyal genug sein, um zu dem gefallenen Oberhaupt zu stehen? Die ernüchternde Antwort lautete: Keiner. Der Graf konnte undeutlich Worte aus dem Nebenraum wahrnehmen und erkannte die erzürnte Stimme des Professors, der sarkastisch feststellte, dass die Küche in diesem Schloß auch schon einmal besser gewesen sei... Ich habe meine 'Gäste' wenigstens immer zuvorkommend behandelt, dachte der Vampir. Die Verliese waren zu Zeiten seiner Herrschaft nur den untreuen oder verräterischen Angehörigen seiner eigenen Gattung vorbehalten. Er lächelte bitter und stellte fest, dass nicht einmal 24 Stunden vergangen waren und er und sein Erzfeind sich am selben Ort in den gleichen Schwierigkeiten befanden. Was mochte ihn erwarten? Unter seines gleichen war es eine übliche Praxis durch den Tod des Anführers die eigene Position zu verbessern. Nicht üblich war hingegen, einen potentiell gefährlichen Konkurrenten nicht aus dem Weg zu räumen. Warum hatte Herbert ihn noch nicht den Strahlen der Sonne überlassen? Geschwächt wie er war, wäre dies für den jüngeren Vampir kein Problem gewesen. Erschöpft kauerte sich der Graf in eine Ecke und beschloß, der Dinge die kommen mochten, zu harren.
"Sarah?" Vorsichtig stieß Alfred die neben ihm liegende Gestalt an. "Sarah! Komm schon, bitte wach auf. Du musst etwas essen, ich kann dich jetzt nicht verlieren." Furcht schlich sich in die Stimme des jungen Mannes, als die Reaktion auf seine Berührung ausblieb. "Professor, sie wacht nicht auf, was soll ich tun?" wandte er sich Hilfe suchend an den älteren Mann. "Laß mich einmal sehen, Junge!" Der Professor kroch näher an die reglose Gestalt heran und stieß sie vorsichtig an. Tastend suchte er in der Dunkelheit nach dem Puls der Frau. "Alles in Ordnung Alfred! Wir müssen sie wohl nur ordentlich wachrütteln und dann dafür sorgen, dass sie genügend Nahrung zu sich nimmt. Außerdem braucht sie mehr Wärme! Kümmere dich um sie, ich werde einmal sehen, was von dem Fraß, den der Bucklige uns vorgeworfen hat genießbar ist." Alfred nickte dankbar und beugte sich wieder über Sarah. Vorsichtig rieb er ihre Hände und versuchte die Schlafende aus ihren Träumen zu reißen.
Kälte. Eisige Kälte, die ihren Körper umschlang war das erste was sie wahrnahm. Nein! Nicht! Vergeblich versuchte sie zu dem Ort zurückzukehren, an dem sie Frieden gespürt hatte. Eine beharrliche Stimme schien sie von dort fort zu rufen, lockte ihr Bewußtsein an den Ort der Kälte. Sarah hatte Angst! Was war geschehen? Waren sie nicht in Sicherheit? Ihre Finger bewegten sich und erwiderten schwach den Druck einer Hand.
"Sarah!" Die Erleichterung war deutlich in Alfreds Stimme zu hören, als Sarahs Finger seine Hand schwach drückten. Vorsichtig half er der Geschwächten, sich aufzusetzen und wich keinen Zentimeter mehr als unbedingt notwendig von ihrer Seite. "Wie fühlst du dich?" Besorgt musterte der junge Mann die blasse und zitternde Frau, die sich jetzt mit einem desorientierten und verwirrten Blick umsah. "Alfred?" Ihre Stimme war so leise, dass er sie beinahe nicht verstehen konnte. "Sssssssh! Ganz ruhig, ich bin hier. Komm, trink' einen Schluck." Vorsichtig setzte er ihr den tönernen Wasserkrug an die Lippen, den Koukul zusammen mit dem Essen gebracht hatte.
Sarah war durstig. Ihr Mund erschien ihr ausgetrocknet und dankbar nahm sie einen Schluck der klaren, kalten Flüssigkeit zu sich. Noch nie war ihr Wasser so köstlich erschienen. Sie nahm einen weiteren Schluck. "Langsam, langsam!" ertönte eine Stimme neben ihr. "Sie werden sich verschlucken, wenn sie nicht aufpassen!". Sarah drehte den Kopf und bemerkte an ihrer Seite die Gestalt des alten Professors, welcher sie kritisch musterte. "Nun, Kindchen, wie fühlen sie sich?" Alles was sie darauf erwidern konnte, war ein Krächzen, dass sich ihrer Kehle entwand. Erschrocken hielt sie inne. "Das wird schon wieder werden, etwas zu trinken und Ruhe und bald werden wir uns wieder an ihrer Stimme erfreuen können!" versicherte ihr der Professor nach einem prüfenden Blick. "Dann wollen wir doch einmal sehen, was die Küche heute zu bieten hat. Los doch Junge, mach dich nützlich und trage der jungen Dame auf." befahl Abronsius augenzwinkernd seinem Assistenten. Gemeinsam machten sie sich über die karge Mahlzeit her, wobei Alfred darauf achtete, dass Sarah einen großen Teil von seinem Anteil bekam.
Hunger. Ein bodenloses Verlangen schien seinen Geist zu erfüllen. War dies sein Schicksal? In dieser Zelle gefangen, von der Leere in seinem Inneren aufgezehrt zu werden, bis er endlich in ein erlösendes Koma fallen würde? Es war ein langes und schmerzhaftes Ende seiner bewußten Existenz, die doch ewig dauern sollte. Der Graf konnte die Grausamkeit seines Sohnes nicht fassen. Nie in seiner Existenz hätte er einen anderen Vampir für fähig gehalten, eine solch diabolische Folter zu ersinnen.
Herbert fühlte sich einsam. Seine Untergebenen schienen es für sicherer zu halten, ihm und seinen unberechenbaren Launen aus dem Weg zu gehen. Die wenigen Vampire, denen das nicht möglich war, schienen vor Angst beinahe gelähmt zu sein. Rastlos patrouillierte er durch sein Anwesen auf der Suche nach Beschäftigung für seine Gedanken. Beinahe gleichgültig schlug er im Vorübergehen einen jungen Pagen, der sich beim Nahen des langhaarigen Vampirs zitternd in eine Ecke des Hofes verkrochen hatte. Warum? Herbert wollte die Achtung und den Respekt seines Gefolges, ihre Loyalität. Furcht war ein Mittel zu herrschen, doch es war ein Mittel, dass den jungen Vampir ermüdete und nicht befriedigte. Doch seine früheren Versuche, die Anerkennung der anderen Vampire zu gewinnen hatten immer mit Spot und Gelächter geendet. "Es muss einen Weg geben. Vater hat ihn gefunden und beschritten, ich werde es ebenfalls können!" schwor sich der neue Herrscher des Schlosses. Sein Vater! Er musste eine Entscheidung treffen. War er bereit auch die letzte Brücke zu seiner Menschlichkeit niederzureißen und den älteren Vampir zu vernichten? Nein! Er konnte es nicht, selbst wenn es eine Schwäche darstellte, die ihn sein Leben kosten konnte. Also musste er sich bald eine Lösung einfallen lassen, denn lange würde der ehemalige Schlossherr nicht mehr ohne Nahrung existieren können. Ein Glück, dass Koukul die Flüchtlinge wieder eingefangen hatte. Abrupt drehe sich der junge Graf um und stürmte wieder in das Hauptgebäude. In seinem Raum des Schlosses klingelte er nach dem Diener. Koukul erschien und schaute Herbert vorsichtig und fragend an. Zum ersten Mal erschien seine Gegenwart dem Sohn des Grafen angenehm, denn der Bucklige musterte ihn zwar vorsichtig, aber nicht voller Panik, wie es die anderen Bewohner des Schlosses taten. "Bring' mir den Professor, Koukul!" befahl er dem Diener und schaute ihm wohlwollend nach, als dieser sich ohne zu fragen humpelnd entfernte.
Die drei Gefangenen im Verlies planten unterdessen ihr erneutes Entkommen. Sarah, immer noch schwach, aber nicht länger desorientiert, war von den beiden Männern über die Umstände, die zu ihrer erneuten Gefangennahme geführt hatten, aufgeklärt worden. Sie hatte bisher nicht das Gefühl gehabt, eine Gefangene des Grafen gewesen zu sein, auch wenn Alfred steif auf diesem Standpunkt beharrte. Ihre gegenwärtige Lage ließ sich jedoch nicht leugnen. "Wir haben Seine Exzellenz seit unserer Ankunft hier nicht mehr gesehen und sein Schatten, Koukul, folgt jetzt Herbert. Vermutlich hat ein Kampf um die Rangordnung stattgefunden. Faszinierend, es wäre eine Herausforderung ihr Verhalten zu erforschen...wenn man nur..." die Worte des Professors verloren sich, als seine Gedanken diesem neuen Pfad folgten. "Professor!" Alfreds drängende Stimme brachte Abronsius wieder in die Gegenwart zurück. "Verzeiht, Kinder, ich konnte noch nie einer Herausforderung widerstehen. Was wissen wir... und wie können wir dieses Wissen nutzen... Der alte Graf von Krolock scheint seine Position verloren zu haben, es ist zweifelhaft, ob er noch lebt." Bei diesen Worten sah Sarah erschrocken zu dem Professor, dieser fuhr jedoch fort, ohne es zu bemerken. Nur Alfred machte ein besorgtes Gesicht. Hatte der Vampir immer noch einen solchen Einfluß auf seine Angebetete? "Es ist wahrscheinlich sicher, dass der neue Herr sein Sohn, dieser Herbert, ist. Nun, Alfred, du hattest den meisten Kontakt zu ihm, was kannst du uns über ihn sagen?" "Ich?" Alfred schluckte "Wie kommen sie darauf, dass ich mehr über ihn wissen könnte, als sie?" Bei dem Gedanken an eine gewisse Begegnung fühlte er, wie ihm das Rot in die Wangen stieg. "Stell' dich nicht dümmer als du bist, Junge, das steht dir nicht. Du weißt, was ich meine. Er scheint Gefallen an dir gefunden zu haben und hat deine Nähe gesucht. Ich hoffe, du hast die gute Gelegenheit genutzt, ihn zu studieren. Diese Möglichkeit bietet sich ja leider nicht jedem!" seufzend schüttelte der Professor den Kopf. Er wäre nur zu gerne bereit gewesen, die Aufdringlichkeit des Vampirs zu ertragen, wenn sich ihm dafür die Gelegenheit geboten hätte, seine Theorien in der Praxis zu überprüfen. Die Wissenschaft war eine Göttin, die Opfer forderte, aber auch reich belohnte. "Ich weiß nicht, Meister, wenn ich in seiner Nähe war schien er ein wenig ... fixiert ... zu sein. Ich hatte alle Hände voll zu tun, seine Zähne von meinem Hals fern zu halten. Ich glaube nicht, dass uns das, was ich über ihn weiß hilfreich ist." Sarah verdrehte die Augen. Sah' er es denn nicht? Genau das war die Chance, die sie brauchten. Ein verlangender Blick, ein Seufzen... und Herbert wäre zu allem bereit. Denn in einem war sie sicher: Der Sohn des Grafen suchte in Alfred einen Gefährten und keinen Sklaven, sonst würde der junge Student schon lange nicht mehr in ihrer Mitte weilen.
Schwere Schritte in Gang ließen die drei Gefangenen innehalten. Ein Schlüssel wurde im Schloß gedreht und die Tür schwang langsam auf. Koukul betrat die Zelle. Zielstrebig bewegte er sich auf den Professor zu und packte den alternden Wissenschaftler am Kragen des auf dem Ball gestohlenen Anzugs, der unter dem Aufenthalt in der mit Stroh ausgelegten Zelle bereits stark gelitten hatte und befreite ihn von der eisernen Kette, die ihn fesselte. Abronsius wand sich im Griff des stärkeren Mannes. Verstimmt begann er gegen die Behandlung zu protestieren. Auch Alfred fiel ein, doch Koukul stieß den jungen Mann in eine Ecke des Raumes, wo er mit dem Kopf gegen die Wand schlug und verstummte. Ärgerlich runzelte der Diener die Stirn. Das würde seinem Herrn nicht gefallen. Ohne auf das Gezappel des Professor zu achten, befreite er den jungen Mann ebenfalls und warf ihn sich über die Schulter. Dann verließ er den Kerker. Sorgfältig verschloß er die Tür und machte sich daran, seine Last wie befohlen in das Zimmer Herberts zu bringen.
Sarah hatte Angst. Einsam kauerte sie sich in eine Ecke der auf einmal furchtbar leeren Zelle. Was mochte mit den beiden geschehen? Hätte sie ihnen helfen oder es gar verhindern können? Kälte, Hilflosigkeit und Furcht ließen sie zittern. Sie würde sterben. Es gab kein Entkommen für sie. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass es besser gewesen wäre, in der dunklen Umarmung des Grafen zu sterben, als in der Einsamkeit dieses Kerkers. Eine erste Träne glitzerte in ihren Augen. Schließlich konnte sie sich nicht mehr beherrschen. Laut aufschluchzend gab sie sich ganz ihrem Elend hin. Tränen und der Schmutz der Zelle verschmierten ihre Wangen. "Warum? Warum ich?" wiederholte sie immer wieder als sie von heftigem Schluchzen geschüttelt wurde.
In einer anderen Zelle regte sich ebenfalls eine zusammengekauerte Gestalt. Die Geräusche eines sich wehrenden Opfers, gefolgt von einem dumpfen Schlag an die Wand seiner Unterkunft hatten die fiebrigen Hunger-Fantasien des Grafen unterbrochen. Angestrengt versuchte er, sich auf das Geschehen in der Nachbarzelle zu konzentrieren, doch seine Gedanken entglitten ihm immer wieder. Ein Tropfen Blut nur, ein einziger Schluck... alles würde er geben... heiß und verlockend... sinnlich... Aufstöhnend schlug er seine Fänge in seinen eigenen Arm, doch sein Verlangen blieb unbefriedigt. Auf einmal nahm er ein Geräusch wahr, dass seine Aufmerksamkeit forderte: ein leises Schluchzen,. Mit Mühe konzentrierte er sich auf die gleichmäßige und verzweifelte Anklage. Das Schluchzen entwickelte sich zu einem Weinkrampf, in der Vergangenheit oft ein Zeichen für eine bevorstehende Mahlzeit. Unbewußt leckte sich der Graf die Lippen. "Warum?" vernahm er eine weibliche Stimme. Sarah? Dunkel erinnerte er sich an die bezaubernde Tochter des Wirtes. Sie hätte Sein seien sollen. Nur eine Wand trennte ihn von der Frau, deren Blut er gekostet hatte. Die Erinnerung an den Geschmack ihres Lebens, die Süße ihrer Unschuld und das trunkend machende Aroma ihres Verlangens raubte ihm fast den Verstand. Verzweifelt begann er an der Kette zu reißen, die seinen Fuß mit der Wand seiner Zelle verband.
Koukul ließ den bewußtlosen Alfred unsanft auf das Bett in den Gemächern seines neuen Herrn fallen. Dann zerrte er den Professor auf den wartenden Vampir zu und stieß in vor dessen Füßen zu Boden. Der blasse junge Mann musterte den Wissenschaftler verächtlich. "Du bist ein armseliges Exemplar unter den Menschen, wie konntest du meinen Vater hintergehen ... und besiegen? Was ist deine Macht?" sinnierte er, ohne eine Antwort zu erwarten. "Nicht ich habe ihm den Untergang gebracht, er selbst hat ihn herbeigeführt, indem er Euch vertraute!" erwiderte der Professor wütend. "Was seid ihr für ein Sohn, euren eigenen Vater zu ermorden?" "Was kümmert euch sein Tod, ist dies nicht auch euer Ziel gewesen? Und wie kann man jemanden ermorden, der nach eurer Theorie bereits tot ist? Ihr meßt mit zweierlei Maß und habt kein Recht, mich zu verurteilen, alter Mann!" Ärgerlich presste Herbert die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Abronsius hatte es geschafft, ihn die Kontrolle verlieren zu lassen. "Vielleicht revidiert ihr euer Urteil über meine Grausamkeit auch noch..." zischte er leise und drohend. "Koukul, paß' auf Alfred auf bis ich zurück bin!" Mit diesen Worten packte er den Professor am Kragen und zerrte ihn hinter sich aus dem Zimmer.
Koukul seufzte erleichtert auf. Er hatte Fragen bezüglich Alfreds Bewußtlosigkeit gefürchtet, aber die Anklage des Professors hatte den emotionalen Vampir hart getroffen und Koukul einige dauerhaften Narben erspart. Vermutlich würden diese bald den Körper eines anderen Menschen zieren. Koukul zuckte mit den Schultern und machte es sich auf dem Boden vor dem Bett bequem, um den jungen Mann besser im Auge behalten zu können.
Eilig schritt Herbert durch die Gänge und Treppen des Schlosses hinunter zu den Verliesen, den Professor unsanft mit sich ziehend. Dieser begann schon bald nach Luft zu schnappen, als er mit dem Tempo des Vampirs nicht länger Schritt halten konnte. Sein Protest verstummte vollständig, als er immer mehr außer Atem geriet. Zielstrebig führte ihn sein Feind wieder hinunter in die Gewölbe des Schlosses. Hinter der Tür, von der er vermutete, das sie in ihre Zelle führte, konnte er ein leises Wimmern vernehmen. "Was habt ihr mit dem Mädchen getan?" keuchte er. Doch Herbert ignorierte ihn und öffnete eine benachbarte Zellentür. Mit einem kräftigen Stoß schob er den Professor in die Dunkelheit und schloß die Tür.
Helligkeit zwang den Grafen dazu die Augen zu schließen. Er hatte sich so auf die Geräusche aus der Nachbarzelle konzentriert, dass er das Nahen einer anderen Person nicht bemerkt hatte. Ärgerlich schalt er sich für seinen Leichtsinn. Eine solche geistige Abwesenheit konnte ein Todesurteil für einen Vampir bedeuten. Eine Gestalt stolperte in die Dunkelheit seiner Zelle und die Tür wurde verschlossen. Der Graf konnte den Herzschlag der Person wie Donner in seinen Ohren hören, seine ganze Welt beschränkte sich auf dieses Leben verheißende Geräusch. Bewußt atmete er tief ein. Seine Sinne waren erfüllt von der Präsenz des Lebens. Die Gestalt tastete vorsichtig in der Dunkelheit herum. "Armseliges menschliches Wesen", dachte er. Hier gab es kein Entkommen. Geduckt schlich sich der Graf an sein Opfer heran. Die Kette an seinem Fußgelenk klirrte über den Boden und das Geräusch irritierte den Vampir. Ärgerlich fauchend versuchte er den lästigen Gegenstand abzuschütteln, jedoch erfolglos. Nun gut, die Kette war lang genug, um ihm das Durchschreiten der ganzen Zelle zu erlauben. Das Schicksal des Menschen war besiegelt.
Mit vorsichtig nach vorne ausgestreckten Händen untersuchte Abronsius seine neue Umgebung. Die Dunkelheit war für seine Augen undurchdringlich, aber die Geräusche sagten dem Professor, dass noch ein weiteres Wesen in seiner Nähe weilte. Das Klirren einer über den Boden schleifenden Kette legte nahe, dass er sich bei der Person ebenfalls um einen Gefangenen handelte. "Hallo?" fragte Abronsius mutiger, als er sich in der Dunkelheit fühlte. Keine Antwort, nur die Haare in seinem Nacken richteten sich auf, als er eine sich nähernde Präsenz fühlte. "Wer ist da? Mein Name ist Professor Abronsius." versuchte er es ein zweites Mal. "Wir hatten bereits das Vergnügen!" fauchte eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit. "Exzellenz?" Abronsius war sich nicht sicher, in diesem tierhaften Geräusch die Stimme des Grafen wiedererkannt zu haben. Ein eisiger Schauer fuhr ihm über dem Rücken, als ihm bewußt wurde, in welcher Gefahr er sich befand. Vorsichtig wich er rückwärts zurück, bis er die massive Holztür in seinem Rücken spürte.
Herbert eilte durch die hohen Gänge des Schlosses zurück. In seinem Gemach fand er wie er erhofft und erwartet hatte den bewußtlosen Alfred, treu von Koukul bewacht, vor. Er warf einen verlangenden Blick auf die reglose Gestalt, dann befahl er dem Diener: "Schür' ein Feuer im Kamin, Koukul. Meinem Gast soll es an nichts fehlen. Die Kälte des Verlieses muss aus seinen Knochen vertrieben werden." Zärtlich strich er dem jungen Mann über die Stirn und zog erschrocken die Hand zurück. "Seine Haut ist ganz klamm. Koukul, bring sauberes warmes Wasser und einen heißen Tee!" Brummend und grunzend machte sich der Diener daran, die Befehle auszuführen. Herbert verfluchte sein mangelndes Wissen über menschliche Physiologie. War das, was er tat das Richtige? Er wollte den jungen Mann nicht verlieren. Als Koukul humpelnd eine große Schüssel warmes Wasser brachte und wieder verschwand, um Holz für ein Feuer zu holen, nahm er ein weiches Tuch und begann Alfred sanft den Schmutz aus dem Gesicht zu waschen. Nachdenklich betrachtete er das reglose Gesicht und prägte sich jedes Detail ein.
"Sarah!" Ein Lächeln umspielte Alfreds Mundwinkel, als er langsam das Bewußtsein wieder erlangte. Die Augen fest geschlossen haltend entspannte er sich und genoß das Gefühl der zärtlichen Reinigung. Ein weiches Tuch fuhr leicht über seine Stirn, eine sanfte Hand strich ihm einige Haarsträhnen aus den Augen. Alfred fühlte sich geborgen und glücklich. Sein Lächeln wurde immer entspannter und gelöster.
Herbert starrte fassungslos auf das Lächeln, das Alfreds Gesicht aufleuchten ließ. Eifersucht nagte an ihm. Er wußte, dass dieses Strahlen nicht ihm galt. "Eines Tages werde ich dieses Lächeln auf sein Gesicht zaubern!" schwor sich der Vampir während er damit fortfuhr Alfred zu waschen. Unterdessen schürte Koukul ein knisterndes Feuer im Kamin und Wärme erfüllte den Raum. Brummend verschwand der Diener um den gewünschten Tee zuzubereiten. Als er mit der dampfenden Tasse zurückkam stellte Herbert zufrieden die Waschschüssel beiseite und machte sich daran, den jungen Mann vorsichtig ganz zu Bewußtsein zu bringen. "Alfred!" An den Schultern des Menschen rüttelnd wiederholte er dessen Namen wieder und wieder bis dieser widerstrebend die Augen öffnete. Als er Herbert über sich gebeugt sah, fuhr er erschrocken auf und wich rückwärts an die Stirnseite des Bettes zurück. Abwehrend streckte er eine Hand aus. Herbert fühlte sich verletzt, zeigte jedoch keine Regung, als er Alfred ansprach. "Aber Alfred, was soll das? Was glaubst du denn, was ich von dir will? Komm, trink einen Schluck, dann wirst du dich gleich besser fühlen!" Er streckte dem verängstigten jungen Mann die dampfende Tasse entgegen und versuchte, so harmlos wie es ihm möglich war zu wirken.
Alfred musterte den Vampir mißtrauisch. Der dampfende Tee war verlockend. Die Augen immer auf Herbert gerichtet griff er nach der Tasse und zog sich sofort wieder in eine weiter entfernte Ecke des Bettes zurück. Als er sich sicherer fühlte, atmete er den Duft des Tees tief ein und nahm einen vorsichtigen Schluck der heißen Flüssigkeit. Ein Brennen erwärmte ihn und diese angenehme Hitze erfüllte seinen Körper. Koukul hatte dem Getränk wohlmeinend auch noch einen kräftigen Schluck Rum beigefügt und Alfred trank den Tee so schnell es ging. Dann sank er zufrieden seufzend und entspannter wieder tiefer in die weichen Kissen des großen Bettes.
Herbert betrachtete ihn zufrieden. Es schien, der junge Wissenschaftler fand sich mit der Situation ab. Er wirkte entspannt und gelöster, als er ihn bisher gesehen hatte. Er schien die Augen kaum offen halten zu können. "Keine Angst, keiner wird dir ein Haar krümmen." murmelte der Vampir leise, als er sah, wie Alfred den Kampf gegen die Müdigkeit der letzten Tag verlor und die Augen schloß. "Mach bekannt, dass jeder, der ihn anrührt die Sonne aufgehen sehen wird!" wies er Koukul an, der erleichtert den Raum verließ und somit den Launen des Schlossherrn aus dem Weg gehen konnte. Herbert gestattete sich ein Lächeln. Er war dem Ziel seiner Träume nahe. Vorsichtig, um Alfred nicht zu wecken, kroch er auf das Bett und legte sich neben den jungen Mann. Er atmete den Duft von Blut, Furcht und Unschuld tief ein und schloß entspannt die Augen.
Furcht. Rein und intensiv ging ihr betörendes Aroma von dem Professor aus und erfüllte all seine Sinne. Sein Hunger war nicht zu kontrollieren. Bedrohlich näherte er sich der dürren Gestalt. Abwehrend ausgestreckte Hände ließen ihn nicht für eine Sekunde inne halten. Grob zog er Abronsius zu sich heran. Er liebte die Macht über seine Opfer, liebte es zu spüren, wie er ihren Widerstand überwand, ihre Hingabe gewann. Doch jetzt waren solch subtile Methoden nicht von Bedeutung. Nur das Verlangen nach Nahrung war in seinen Gedanken. Ohne auf den Wortschwall des Professors zu achten, griff er in dessen weißes Haar und bog den Kopf des Mannes zur Seite, so das sich ihm dessen Kehle schutzlos darbot. Fest hielt er die sich windende Gestalt in seinem Griff. Mit der Zunge tastete er über den verlockenden Hals des Mannes, bis er das Pochen des Pulses fühlen konnte. Noch einen Moment konnte er sich zurückhalten und genoß den Rhythmus des Lebens.
Der Professor verdoppelte seine Anstrengung, sich aus dem festen Griff des Vampirs zu befreien, doch vergebens. Er konnte seinen eigenen Herzschlag -schnell und panisch- und das Blut in seinen Ohren rauschen hören. Sein wissenschaftlicher Verstand sagte ihm, dass dies allein schon ein unwiderstehlicher Köder für den offensichtlich halb verhungerten Vampir sein musste. Das Wesen, das ihn in diesem Verlies töten würde, hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem aristokratischen Grafen, der seine Gäste so zuvorkommend aufgenommen hatte, was der Wissenschaftler auf eine Art der Unterernährung zurückführte. Auch wenn das trieb- und tierhafte Verhalten des Vampirs eine seiner Theorien über die Bedeutung von Blut für diese Spezies erhärtete, bedauerte Abronsius, diese Erkenntnis mit dem Leben bezahlen zu müssen. Als er die Anspannung im Körper des Vampirs fühlte, bereitete er sich auf seinen Tod vor.
Krolock konnte genau spüren, in welchem Moment der Professor seinen Widerstand aufgab. Triumphierend schlug er dem Menschen seine Fänge in den Hals. Blut füllte seinen Mund und berauschte ihn. Brutal verbiß er sich in seinem Opfer, jeder Schluck erfüllte ihn mit neuem Leben. Seine Gier hatte ihn tiefer und ungenauer als es seine Gewohnheit war, zubeißen lassen, so dass das kostbare Elixier schneller floß, als er es schlucken konnte. Schon bald tropfte das Leben des Professors von seinem Kinn und färbte Vampir und Opfer in der Farbe des Blutes. Eilig schluckend versuchte der Graf, soviel wie möglich des kostbaren Lebenssafts zu trinken. Schwer atmend ließ er schließlich von seinem Opfer ab, als dessen Herzschlag sich verlangsamte. Beinahe zärtlich strich er noch ein letztes Mal mit der Zunge über die klaffende Wunde, die seine Zähne im Hals des Mannes hinterlassen hatten. Er ließ die leichte Gestalt zu Boden sinken und nahm Abschied von einem würdigen Gegner.
Trotz des brutalen und barbarischen Angriffs des Vampirs hatte Abronsius nicht das Bewußtsein verloren. Er spürte den Schmerz, als sich die Zähne des Grafen in seinen Hals bohrten. Doch er hatte keine Angst vor dem Tod. Er spürte wie sein Leben aus ihm heraus gesaugt wurde. Seine Glieder wurden immer schwerer und bald machte sich in seinem Körper eine Müdigkeit und Taubheit breit, die nur noch den pochenden - aber erstaunlicher Weise nicht unangenehmen - Schmerz an seinem Hals zuließ. Sein Geist schien klarer und leichter zu sein, als je zuvor und seine Gedanken analysierten jede Reaktion genau. Genau wie er es an Hand von Erzählungen immer vermutet hatte, aber nie beweisen konnte, gab das Opfer, sobald es einmal gebissen worden war, jeden Widerstand auf. Benommen fühlte er, wie sein sich fremd anfühlender Körper zu Boden gelegt wurde. Trotz der Dunkelheit sah er den Grafen, der ihn scheinbar nachdenklich musterte. Von den Fesseln seines alternden Körpers befreit löste sich sein Bewußtsein von seinem Leib. Er nahm wahr, wie sich die nicht länger bedrohlich wirkende Gestalt des Vampirs über seinen Körper beugte. Dann wand er sich ab.
Von Krolock sah nachdenklich auf den schemenhaft in der Dunkelheit zu erkennenden, zerbrechlich wirkenden Körper des Professors herab. Er war in der Tat ein würdiger Gegner gewesen, seine Hartnäckigkeit hatte ihn überleben lassen, wo stärkere und mächtigere Männer vor ihm gescheitert waren. Am Ende hatte es ihm dennoch nichts genutzt, aber Abronsius war nicht von Krolock, sondern vom Schicksal besiegt worden. Die Gedanken des Grafen wandten sich wieder seiner Lage zu. Vielleicht waren diese Hartnäckigkeit und Entschlossenheit genau die Qualitäten, die er bei einem Verbündeten brauchte. Er hatte nicht vor, den Rest seiner Existenz der Gnade seines Sohnes ausgeliefert zu sein. Entschlossen beugte er sich über die reglose Gestalt. Gerade noch rechtzeitig, wie er erleichtert feststellte. Ohne noch einmal zu zögern biß er sich in sein Handgelenk und ließ einige Tropfen des rot aus der Wunde tretenden Blutes auf die Lippen des Professors fallen.
Ein unerträglicher Schmerz zwang Abronsius in seinen Körper zurück zu kehren. Als sei ein Nerv seines Bewußtseins noch immer mit seinem Leib verbunden, war es ihm unmöglich, diesen hinter sich zu lassen. Jeder Versuch, diese letzte Leine zu durchtrennen lies sein Ich zusammenzucken. Das Band wurde immer unnachgiebiger. Als er sich endlich der Erkenntnis stellte, dass es ihm unmöglich war, seine körperliche Existenz hinter sich zulassen, gab er jeden Widerstand auf. Das Gefühl kehrte in seinen Leib zurück und er nahm seine Umgebung wieder mit seinen Sinnen wahr. Der Geschmack von Blut auf seinen Lippen riß ihn in die Realität zurück. Zornig erkämpfte er sich wieder die Kontrolle über seinen Körper und richtete sich auf. Er spürte einen Druck in seinem Oberkiefer und fuhr mit der Zunge über seine neuen Fänge. Wütend über den Verlust seiner Sterblichkeit kam er auf die Beine und stakste ungelenk auf den Grafen zu, bereit seine Enttäuschung und Wut scharf zu artikulieren. Erschrocken hielt er inne, als er das bösartige Zischen vernahm, das sich seiner Kehle entwand und sank ungläubig zu Boden.
Vorsichtig näherte sich der Graf dem neugeborenen Vampir. Nur noch dunkel konnte er sich an die Verwirrung und Hilflosigkeit nach dem ersten Erwachen erinnern. Beschwichtigend hob er die Hände und versuchte den verwirrten Professor zu beruhigen. Doch dieser war in seinen eigenen Gedanken gefangen. Schon befürchtete er, Abronsius' Geist verloren zu haben und einen hirnlosen, lebenden Leichnam geschaffen zu haben. Doch dann hob dieser den Kopf und schaute den Grafen mit einem klaren - und anklagendem - Blick an.
Die ersten Strahlen der Morgensonne weckten in den Vampiren des Schlosses Müdigkeit und ließen sie ihre sicheren Gräber und Särge aufsuchen. Im Verlies schliefen zwei erschöpfte und widerwillige Leidensgenossen in einer Ecke ihrer Zelle. Keiner der Beiden wußte, was die folgende Nacht für sie bereit hielt, aber die Müdigkeit ließ sie schnell mitten in einer erhitzten Debatte in einen todesgleichen Schlaf sinken.
Herbert rollte sich auf dem weichen und angenehm warmen Lager zur Seite, vergrub sein Gesicht seufzend in den Kissen und setzte seinen Schlaf fort. Selbst Koukul sank erleichtert nach der langen Nacht auf seine Strohmatratze in der Tischlerei und schloß die Augen. Bald war sein Schnarchen über den ganzen Hof zu vernehmen.
Zwei der Bewohner des Schlosses weckte die aufgehende Sonne jedoch mit ihren Strahlen.
Sarah war, von ihren Tränen erschöpft, in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Die Sonnenflecken, die durch die winzige Öffnung in ihrer Zelle hereinfielen und den Stein erwärmten, weckten sie und gaben ihr Hoffnung. Entschlossen wischte sie sich mit einem Stück Stoff ihres ruinierten Ballkleides Schmutz und Tränen aus dem Gesicht und untersuchte ihre Zelle. Die lange Kette an ihrem Fußgelenk schränkte ihre Bewegungsfreiheit innerhalb der kleinen Zelle kaum ein. Kräftig rüttelte sie an der verschlossenen Tür, doch diese und das schwere eiserne Schloss stellten sie vor ein nicht zu überwindendes Hindernis. Die kleine Öffnung in der Wand, durch die sie ein wenig blauen Himmel erkennen konnte, war nicht nur unerreichbar sondern auch viel zu klein um zu entkommen. Der einzige Weg aus ihrem Kerker führte für sie durch die verschlossene Tür und diesen Weg konnte sie nicht ohne Hilfe beschreiten. Sorgenwolken trübten den Schein ihrer Hoffnung, als sie über ihre Chancen, den verkrüppelten Diener zu überwältigen, nachdachte. Was war mit Herbert? Bei jedem anderen mochte sie mit einer Mischung aus Koketterie und Naivität erfolgreich sein, aber der Sohn des Grafen hatte ihr bisher keinen zweiten Blick gegönnt. Traurig dachte sie an die zuvorkommende Höflichkeit Seiner Exzellenz. Als die Sonne immer höher stieg bemerkte sie zum ersten Mal wie hungrig sie war. In der Schale, in der Koukul ihre letzte Mahlzeit gebracht hatte, fanden sich nur noch einige spärliche Reste. Glücklicherweise war noch ein wenig des abgestandenen Wassers in dem Krug. Die schale Flüssigkeit erschien ihr köstlicher als jeder Wein, den sie bisher nur selten hatte probieren dürfen. Rastlos begann sie in der Zelle auf und ab zu schreiten. Ihre Fluchtchancen erneut überdenkend, fielen ihr die Ereignisse der gestrigen Nacht ein. Sie hatte seit dieser Zeit kein Lebenszeichen ihrer beiden Gefährten mehr vernommen. "Hoffentlich leben die Beiden noch!" dachte sie. "Keiner von beiden sollte für meine Rettung sterben." Sie dachte an den unbeholfenen jungen Mann, dessen fröhliches Lächeln und dessen humorvollen Augen sie vor wenigen Tagen zum ersten Mal gesehen hatte. "Alfred... wenn du noch lebst, das habe ich nicht gewollt! Ich wollte dich nie verletzen, das musst du mir glauben! Ich mag dich, wirklich, du konntest mir nur nicht geben, was ich suchte... aber dein Leben, das würde ich nie von dir fordern!" Traurig setzte sie sich wieder auf den Boden. Ihre Selbstvorwürfe nagten an ihrem Gewissen. Hatte ihre Lust auf Abenteuer, ihre Rebellion und die Suche noch den verbotenen Geheimnissen der Nacht alle Personen, die ihr nahe standen in den Untergang geführt?
Alfred spürte Wärme. Genüßlich drehte er sich und vergrub sich tiefer in den weichen Laken des Bettes. Einige Zeit später öffnete er seufzend die Augen einen Spalt weit. Durch ein Fenster sah er die aufgehende Sonne. Die ersten Strahlen malten helle Flecken auf den staubigen Teppich des Zimmers. Im Licht der Morgensonne konnte er deutlich die verblaßten Farben der zerschlissenen Bettvorhänge erkennen. Sich tiefer in die weichen Decken des Bettes einwickelnd, erfreute sich Alfred an den in den Sonnenstrahlen tanzenden Staubkörnern. Neben sich nahm er eine ebenfalls tief in die Laken gewickelte Gestalt war. Sie schien fest zu schlafen. Alfred beugte sich zur Seite, um einen Blick auf das Gesicht der schlafenden Person zu werfen. Erschrocken fuhr er zurück und fiel beinahe aus dem Bett, als er erkannte, wer sein Bettgefährte war. Dieser schien seine Umgebung jedoch nicht wahrzunehmen sondern zog sich im Schlaf nur das Laken wieder über den Kopf. Alfred konnte eine gewisse Faszination nicht unterdrücken. Der schlafende Vampir befand sich in einer hilflosen Lage, konnte ihm jetzt in keiner Weise gefährlich werden. Im Gegenteil, zum ersten Mal hatten sich ihre Rollen vertauscht. Vorsichtig zog er die Decke wieder vom Gesicht des Schlafenden und studierte dessen Gesichtszüge. Im Schlaf wirkte der Vampir wesentlich jünger und gelöster, da das verlangende und bedrohliche Glühen, das Alfred fürchtete, in seinen Augen fehlte. Beinahe konnte er nicht glauben, dass der Mann, der so friedlich schlief, ein Vampir war. Doch die Blässe seiner Haut und das fehlende Atmen waren eindeutig. Alfred erlaubte sich für einen Moment die Gedanken wandern zu lassen. Was hatte den gutaussehenden, wie er sich insgeheim eingestehen musste, Mann dazu gebracht, dieses Leben zu führen? Hatte er eine Wahl gehabt? War es sein Vater gewesen, der ihm das angetan hatte? Erschrocken hielt er in seinen Überlegungen inne. Er schalt sich für sein Mitleid und seine Faszination für das Monster, das sein Leben vermutlich in wenigen Stunden beenden würde. Doch noch hatte er eine Chance zur Flucht. Die Sonne war seine Verbündete, ihr Schein eine tödliche Waffe. In den letzten Minuten waren die Strahlen über den Fußboden immer weiter auf das Bett zu gekrochen, bald würden die ersten auf den ruhenden Vampir fallen. Alfred stellte sich vor, wie die sengenden Strahlen Herberts Fleisch zersetzen würden. Er erschauerte. Ein gräßliches und qualvolles Ende. "Nein," dachte er traurig, "selbst wenn mein Leben davon abhängt, ich kann es nicht! Was bin ich nur für ein Vampirjäger, der Professor wäre so enttäuscht, aber es ist mir einfach unmöglich. Wie kann ich einem intelligenten Wesen so etwas antun? Es fühlt sich für mich wie Mord an, einen Vampir zu töten." Traurig musterte er die stille Form im Gewirr der Decken. "Vermutlich wirst du meine Schwäche verspotten." sprach er die reglose Gestalt an. Dann stand er auf und zog die schweren, vom Alter fadenscheinigen Vorhänge vor dem Fenster und die zerschlissenen Bettvorhänge zu, um den schlafenden Vampir vor dem Sonnenlicht zu schützen.
Am Mittag erwachte Koukul. Er blinzelte in den Sonnenschein und genoß die Ruhe. In den wenigen Mittagsstunden war er der Herr des Schlosses. Schwerfällig erhob er sich und begann, die Nahrungsvorräte zu kontrollieren. Nur noch wenig stapelte in den hölzernen Regalen. Er machte sich daran, drei Schüsseln mit Brei zu füllen, eine für sich und zwei für die beiden überlebenden Sterblichen. Genüßlich aß er seine Mahlzeit und griff dann nach den beiden abkühlenden Schalen, um sie zu den Gefangenen zu bringen.
Im Verlies öffnete er die massive Zellentür, hinter welcher die Tochter des Wirtes gefangen saß. Sie sah ihn furchterfüllt an. Die junge Frau wich in eine Ecke der Kammer zurück, als er den Raum betrat. Aus großen Augen verfolgte sie jede seiner Bewegungen. Er stellte die Schüssel auf den Fußboden und wollte die Tür wieder verschließen, als sich die Gefangene zu seinen Füßen auf die Erde warf. "Bitte, laß mich nicht hier!" Flehte sie ihn an und griff nach seiner schwieligen Hand "Hilf' mir, ich weiß, dass du seiner Exzellenz immer treu warst. Du kennst mich, ich war sein Gast. Bitte, um seinet Willen!" Seufzend löste Koukul ihren Griff und schüttelte den Kopf. Er versuchte ihr verständlich zu machen, dass nicht mehr der Wille seines Herrn das Schloß regierte, aber das verzweifelte Mädchen schien seine Worte nicht zu verstehen. Er gab ein paar tröstende Laute von sich und verließ entschlossen die Zelle. Dann machte er sich auf den Weg, um auch Alfred eine Schüssel mit Nahrung zu bringen. Erschrocken stürmte er in den Raum, als er die Gestalt des Grafensohns in die Decken des riesigen Bettes gehüllt erblickte. Die Gefahr in der sich sein neuer Herr befand ließ ihn vor Sorge hastig ins Zimmer stolpern und die Schüssel und der lauwarme Brei fielen zu Boden.
Von dem Geräusch aufgeschreckt, fuhr Alfred auf. Die langen Stunden hatten ihn in der Dunkelheit des Zimmers eindösen lassen. Als er Koukuls heran stürmende Gestalt wahrnahm, hielt er schützend seine Hand vor sich. "Ich habe ihm kein Haar gekrümmt, Ehrenwort!" versicherte er dem scheinbar aufgebrachten Diener ängstlich. Dieser warf einen prüfenden Blick auf den schlafenden Vampir, packte dann den jungen Wissenschaftler und schleifte ihn aus dem Raum. Grob schob er ihn in ein benachbartes Zimmer und Alfred hörte, wie sich ein Schlüssel quietschend im Schloß drehte.
Koukul war wütend. Wie hatte er vergessen können, den Sarg des Schlossherrn zu schließen und dafür zu sorgen, dass dieser sich auch in Sicherheit vor den gefährlichen Strahlen der Sonne befand? Herbert hatte schon früher die Gefahr des Sonnenaufgangs unterschätzt oder vergessen und seiner eigenen Sicherheit in dieser Beziehung nur beiläufiges Interesse entgegen gebracht. Sein Vater hatte den jungen Mann - gelegentlich sogar mit sanfter Gewalt- daran erinnern müssen, den Sarg auszusuchen, wofür er jedoch nie Dank geerntet hatte. Nachdem er die unmittelbare Gefahr, die von Alfred ausging beseitigt hatte, machte Koukul sich daran, das Lager Herberts für den friedlich schlafenden Vampir sicher zu machen. Zu seinem Erstaunen musste er jedoch feststellen, dass er kaum etwas tun konnte, das nicht bereits getan worden war. Nachdenklich kontrollierte er den Raum ein zweites Mal und säuberte den Brei-verschmierten Teppich so gut er es vermochte. Dann verließ er den Raum leise. In Gedanken versunken wanderte er dann wieder zurück in die Küche, um noch einmal ein Frühstück für den Gefangenen zu zubereiten.
