Dies ist eine Fortsetzung der Serie "Roswell", von Fans geschrieben. Die weiteren Episoden findet ihr auf http/www.roswell-germany.de/virtuell4/
Virtuelle 4. Staffel - Episode 1
Flucht ins Ungewisse
Geschrieben von
Nur-Bjoern
PROLOG
Hi! Ich heiße Maria DeLuca und komme aus
Roswell, New Mexico. Ich nehme mal an, die meisten von euch werden
mich schon kennen, aber für alle, bei denen das nicht der
Fall ist, werd ich schnell noch mal erzählen, was in den
letzten Jahren alles passiert ist.
Alles begann vor drei Jahren
an einem 18. September in einem kleinen Café in Roswell.
Ich hatte gerade Schicht als Kellnerin, zusammen mit Liz, meiner
besten Freundin, als es geschah. Liz wurde von einem Mann
angeschossen und wäre sicher gestorben, wenn nicht Max, ein
Junge von unserer Highschool, sie gerettet hätte. Damals
wusste ich natürlich noch nicht, was er in Wirklichkeit war,
aber ich hab's ziemlich schnell erfahren. Max war ein
Außerirdischer, und seine Schwester Isabel und sein Freund
Michael noch dazu. Sie sind alle bei dem Absturz '47 auf die Erde
gekommen.
Und damit fing das ganze Chaos erst richtig an.
Natürlich hat sich das FBI brennend für die Sache
interessiert und Agenten geschickt, und seitdem sind wir praktisch
ständig auf der Flucht. Max hat sogar schon einmal selbst auf
dem Seziertisch gelegen, aber wir konnten ihn retten.
Und als
ob das noch nicht genug wäre, mischten sich auch noch böse
Aliens in die Sache ein. Ihr müsst nämlich wissen, Max
ist sowas wie der König auf seinem Planeten, aber als dort
ein Krieg ausbrach und er und die andern starben, wurden sie mit
Hilfe von menschlicher DNS geklont und auf die Erde geschickt. Zur
Sicherheit... Und die bösen Aliens haben natürlich auch
ihre Leute hierher geschickt, aber die waren natürlich nicht
so gut an die Atmosphäre angepaßt und mussten deshalb
selbstgezüchtete Häute tragen, um überleben zu
können. Wirklich eklig diese Dinger. Gottseidank sind sie
jetzt alle tot.
Das war natürlich noch nicht alles, ein
bisschen Liebesdrama muss schon noch sein. Liz hat sich damals
Hals über Kopf in Max verliebt, als der sie gerettet hat. Und
die beiden waren auch richtig glücklich zusammen, bis dieses
vierte Alien aufgetaucht ist. So eine blonde Schnepfe, die
behauptet hat, sie wäre Max' Frau aus seinem vorherigen Leben
und sie beide wären füreinander bestimmt. Ich kann wohl
ganz ehrlich sagen, niemand von uns konnte sie wirklich
leiden.
Tess war ein echtes Miststück und hatte nur den
Plan, von Max ein Kind zu bekommen und dieses auf ihren Planeten
zurückzubringen, damit es dort Thronfolger werden konnte. Und
irgendwann hat sie es dann auch geschafft und mit Max geschlafen.
Sie wurde schwanger und hat uns vorgespielt, das Kind würde
sterben, weil es auf der Erde nicht überleben kann. Das war
natürlich gelogen. Sie hat nämlich diese komische
Fähigkeit, die Gedanken der Leute zu manipulieren.
Wie dem
auch sei, es musste also eine Möglichkeit gefunden werden,
damit Tess, Max und die anderen nach Hause zurück können.
Und dafür ließ sie heimlich unseren besten Freund Alex
an der Übersetzung eines Alien-Buches schuften. Natürlich
hat sie seine Gedanken verändert, damit er nicht mehr weiß,
was er getan hat. Und sie hat ihn damit getötet... Aber sie
hatte das Buch.
Am Ende ist sie gottseidank allein nach Hause
geflogen, weil Liz, Kyle und ich grade noch bemerkt haben, was
Tess getan hat, und daraufhin wollten Max, Michael und Isabel
nicht mehr mit.
Tja, mit Tess ist natürlich auch Max' Baby
verschwunden, also hat er nach einem Weg gesucht, Kontakt mit
seinem Sohn aufzunehmen. Eine Straftat, ein Raumschiff und einen
Formwandler später hatte er nichts erreicht und geglaubt, er
würde seinen Sohn nie wiedersehen. Und dann steht sie wieder
vor der Tür...
Tess kommt wieder zurück, bringt
dutzende von Leuten um und sprengt sich am Ende selbst in die
Luft. Wenigstens einmal hat sie etwas richtig gemacht.
Aber
natürlich hatten wir damit das gesamte Militär und alle
möglichen Leute auf den Fersen. Die Explosion einer
Militärbasis bleibt schließlich nicht unbemerkt. Und
als Liz in einer Vision sah - Ja, in einer Vision. Liz hat nämlich
neuerdings auch solche komischen Alienkräfte, weil Max sie
damals geheilt hat - dass sie, Max und die andern auf der
Abschlussfeier ermordet werden sollen, da blieb uns gar nichts
anderes übrig, als Roswell, unsere Eltern und alle andern zu
verlassen, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen...
Trois Étranger, Kanada
6. Dezember
2002
Ein altes viktorianisches Haus thront auf einem kleinen Hügel. In einigen Fenstern brennt noch Licht. Leichter Rauch quillt aus dem Schornstein, während eine dünne Schneedecke die Landschaft ringsherum bedeckt. Es ist dunkel, und in einiger Entfernung neben einem kleinen Wäldchen sind die Lichter einiger weniger Häuser zu erkennen, die sich zu einem winzigen Dorf zusammenkauern. Wenn jemand Reißaus vor der Zivilisation nehmen wöllte, dann käme wohl kaum ein anderes Fleckchen auf der Erde in Frage, als dieses.
Im Haus. Marias Zimmer.
Es ist dunkel, abgesehen vom Schein der Kerzen auf dem kleinen
Tisch neben dem Bett. Und auch wenn es sich um ein Doppelbett
handelt, wird doch schnell klar, dass hier nur eine Person wohnt.
Die Decke und die Laken sind nur auf einer Seite völlig
zerwühlt, während sie auf der anderen glatt und
unberührt daliegen.
Maria sitzt im Halbdunkel auf ihrer
Seites des Bettes. Sie hat ihre Gitarre auf dem Schoß und
spielt leise eine Melodie. Abgesehen von ihrem Haar, welches jetzt
in einem dunklen Rot leuchtet, hat sich kaum etwas verändert,
seit wir sie das letzte Mal gesehen haben.
Vielleicht fragt ihr euch, wie es mich hier hoch in den Norden verschlagen konnte, in diese Einöde. Und ich sag es gleich, das war nicht meine Idee.
Sie steht langsam auf und geht zur Tür hinaus auf den
Flur. Das Innere des Hauses scheint erst vor kurzer Zeit renoviert
worden zu sein. Die Wände sind in dunklen, warmen Farben
gestrichen, und die Holzbalken an den Decken sehen aus, als wären
sie gerade erst eingebaut worden, obwohl das Haus mit Sicherheit
die 100 längst überschritten hat.
Maria tastet sich
vorsichtig zur Treppe voran, die ins Erdgeschoß
hinunterführt. Sie braucht längst kein Licht mehr, um
den Weg zu finden, dafür wohnt sie schon zu lange hier.
Am
Fuß der Treppe hört sie leise den Fernseher aus dem
Wohnzimmer. Ein alter Schwarzweiß-Film läuft, während
es sich Liz und Max mit einer Schüssel Popcorn auf dem Sofa
davor gemütlich gemacht haben. Das Programm ist ihnen
höchstwahrscheinlich völlig egal, denn zwischen ihren
leidenschaftlichen Küssen haben beide nur Augen für den
andern.
Maria schmunzelt leicht vor sich hin und begibt sich
zur Küche.
Liz hat den Vorschlag gemacht, das Land zu verlassen. Solange das
FBI, das Militär, und Was-weiß-ich-wer-noch hinter uns
her waren, schien das auch am vernünftigsten. Ich persönlich
hätte ja eine wärmere Gegend vorgezogen. Wo man auch mal
rausgehen kann, ohne gleich von Wölfen gefressen zu werden...
Aber in Mexiko gibt es nunmal kein so gutes College.
Liz und
Max haben sich in Montreal an der Uni eingeschrieben. Liz hat
ihren Traum, Molekularbiologin zu werden, wohl immer noch nicht
aufgegeben, und Max ist schwer mit seinem Medizinstudium
beschäftigt. Was sollte aus einem Heiler auch anderes werden
als ein Arzt.
Die beiden waren in den letzten Monaten gradezu
unzertrennlich. Ich freu mich ja für sie... ganz ehrlich.
Aber manchmal geht einem dieses ewige Geschmuse schon ganz schön
auf die Nerven. Besonders wenn man selbst in keiner Beziehung
steckt.
Mal abgesehen von dieser Heiß-kalt-heiß-kalt-Beziehung,
die ich mit Michael führe.
Michael sitzt gerade am Küchentisch, blättert in der Zeitung und schlingt mit einem großen Löffel eine Schüssel Cornflakes in sich rein, als Maria herein kommt. Beide schweigen, aber Michael hebt den Kopf und blickt ihr hinterher, während sie den Kühlschrank öffnet, einen Saftkarton herausnimmt und sich ein Glas einschüttet. Als sie sich zu ihm umdreht, wandern seine Augen schnell zurück zur Zeitung, aber sie hat es bemerkt.
Als wir im Sommer aus Roswell weg sind, war es erstmal ziemlich
komisch für Michael und mich. Die ganze Fahrt zusammen im Van
und dann hier im Haus, das war schon ziemlich anstrengend. Wir
haben ziemlich wenig miteinander geredet, weil keiner von uns den
ersten Schritt machen wollte.
Inzwischen ist es ein bisschen
besser geworden. Wir gehen zusammen ins Kino, kuscheln abends auf
dem Sofa vorm Fernseher, wir küssen uns und manchmal gehn wir
auch ein Stückchen weiter. Aber keiner von uns hat den Mut,
auszusprechen, was alle andern längst wissen... und wir
auch... Wir sind zusammen. Wir haben eine Beziehung.
Aber
warten wir mal ab wie's weitergeht...
Auf dem Rückweg macht Maria einen kurzen Umweg zum Wintergarten. Sie blickt durch das Glasfenster der Tür und sieht eine dunkle Gestalt völlig zusammengekauert auf einem der Korbstühle. Sie ist in eine dicke Wolldecke gekuschelt, und eine Tasse mit heißer Schokolade steht vor ihr auf dem Tisch, während sie regungslos durch die großen Fenster in die Nacht hinaus starrt.
Isabel hat es vielleicht am schwersten von uns allen. Wir haben
alle jemanden bei uns, der uns hilft, der uns liebt. Sie hat
niemanden. Ich bin sicher, sie denkt oft darüber nach, was
gewesen wäre, wenn Jesse mitgefahren wäre.
Wahrscheinlich macht sie sich Vorwürfe. Vielleicht kommen die
beiden ja irgendwann wieder zusammen, aber ich glaube nicht
daran.
Am Anfang haben sie einige Male miteinander telefoniert.
Isabel hat ihm nicht gesagt, wo wir sind oder wo wir hinwollten.
So ist es sicherer für ihn. Ich weiß, es ist besser,
wenn er nicht bei uns ist, wenn er nicht in diesen ganzen
Alien-Strudel mit hineingerissen wird... Aber was wird aus Isabel?
Soll sie vielleicht für immer allein bleiben?
Vorsichtig, um Isabel nicht zu stören, entfernt sich Maria von der Tür und geht wieder die Treppe hinauf.
Und ich will natürlich auch Kyle nicht vergessen. Er wohnt
nicht hier bei uns im Haus, das war ihm zu eng. Er wohnt unten im
Ort und hat eine Autowerkstatt eröffnet. Michael hilft ihm
manchmal, wenn irgendwas nicht zu reparieren ist... Manchmal ist
so ein Außerirdischer eben doch zu was gut.
Und daher
wundert euch auch nicht, woher wir das tolle Haus haben und Liz
und Max das Geld für's College. Wozu sollte man auch die
Molekularstruktur ändern können, wenn man es dann nicht
ausnutzt.
Die Menschheit ist uns schließlich noch was schuldig.
AKT I
Etwas außerhalb von Roswell
31. Mai
2002
15:47 Uhr
Ein alter blauer VW-Bus rast den Highway entlang in Richtung Norden.
Im Wagen.
Es ist still, abgesehen vom leisen Brummen des Motors. Kyle
sitzt am Steuer. Die Straße vor ihm ist völlig leer. Er
nimmt sich die Zeit, nach rechts zum Beifahrersitz zu schauen, der
gerade von Isabel besetzt ist. Sie sieht ihn nicht an und blickt
weiter schweigend aus dem Seitenfenster in die vorbeiziehende
Wüste hinaus. Ihr Augen sind noch immer gerötet, aber
sie hat aufgehört zu weinen.
Er dreht sich um zu den
andern. Michael sitzt auf dem Sitz hinter Isabel. Er hat die Augen
geschlossen, aber er schläft nicht. Keiner kann schlafen in
Zeiten wie diesen. Er hebt vorsichtig eine Hand und streicht sanft
über Marias Kopf, der auf seiner Brust ruht. Sie rückt
noch etwas näher an ihn heran und schließt ebenfalls
für einen kurzen Moment die Augen.
"Hallo",
durchbricht Kyles Stimme endlich die Stille. Maria hebt etwas
erschrocken den Kopf. "Ich weiß, im Moment ist hier das
große Schweigen angesagt, aber langsam sollte mal jemandem
einfallen, wo wir hinwollen. Ich kann schließlich nicht ewig
gradeaus fahren."
Isabel wendet ihm kurz den Kopf zu, sagt
aber kein Wort. Michael schüttelt ebenfalls nur den Kopf.
"Ich hab keine Ahnung. Frag doch mal Mr. und Mrs. Evans,
falls unsere zwei Turteltauben nicht zu beschäftigt
sind."
Als Reaktion stößt ihm Maria leicht
ihren Ellbogen in die Seite und folgt mit ihren Augen seinem
Blick. "Lass die beiden in Ruhe."
"Hey!"
beschwert sich Michael, "Wir sind hier grade mitten auf der
Flucht, wir haben keine Zeit für Flitterwochen."
Ein
neuerlicher Stoß in die Rippen bringt ihn zum Schweigen.
"Hör auf, Michael. Du musst doch nicht alles von Max
bestimmen lassen. Du wolltest doch sowieso immer selbst alles
entscheiden."
Michael liegt die bissige Erwiderung schon
auf der Zunge, als der Van auf einmal langsamer wird. Alle,
einschließlich Max und Liz, blicken überrascht nach
vorn.
"Was ist los?" ruft Liz.
Kyle dreht sich
nach hinten um. "Wir haben angehalten."
"Und
warum zum Teufel haben wir angehalten?" entgegnet Michael
ungehalten.
"Weil wir an einer Kreuzung sind. Es gibt drei
Möglichkeiten, wo ich hinfahren könnte, aber ihr seid
leider so mit Streiten beschäftigt, dass ich immer noch keine
Antwort habe. Also hab ich angehalten", antwortet Kyle
ruhig.
Bevor einer der anderen etwas sagen kann, ergreift Liz
schnell das Wort. "Fahr nach rechts, Kyle."
"Nach
rechts?" fragen alle automatisch und sehen Liz verwundert an.
"Aber da geht's nach Norden", fügt Maria
hinzu.
"Richtig", antwortet Liz, "Warum sollten
wir nicht nach Norden fahren?"
"Weil mein Dad gesagt
hat, er hält uns den Weg nach Arizona frei, und Arizona liegt
im Westen", entgegnet Kyle.
Liz kramt eilig eine Landkarte
aus der Tasche neben sich und geht damit nach vorn. Max und Maria
setzen sich zu ihr, während die andern ungeduldig
warten.
"Hier", sagt Liz und deutet nach kurzem
Suchen auf die Karte. "Da sind wir grade. Wenn wir nach links
fahren, kommen wir nach Mexiko. Das könnt ihr gleich
vergessen, da wartet das FBI garantiert schon an der Grenze auf
uns." Alle nicken. "Also fahren wir nach rechts, in den
Norden."
"Du willst nach Kanada?" setzt Michael
ihren Gedankengang fort.
Liz sieht ihn etwas verwundert an.
"Ja. Ich hab mir gedacht, wir fahren nach Kanada."
"Is'
das nicht 'n bisschen weit?" fragt Maria weiter. "Und
kalt?"
"Das sind knapp zweieinhalbtausend Kilometer.
Wenn wir uns abwechseln und Tag und Nacht durchfahren, sind wir in
maximal 3 Tagen da", versucht Kyle Liz zu helfen.
"Genau",
antwortet diese schnell. "Keiner wird glauben, dass wir
soweit durch's Land fahren, obwohl wir doch auch gleich nach
Mexico verschwinden könnten. Also wird uns hoffentlich
niemand verfolgen. Außerdem wär'n wir dann in Kanada
und dort findet uns das FBI bestimmt nicht so schnell." Und
zu Maria gewandt: "Und so kalt ist es dort auch nicht. Du
frierst dir schon nichts ab. Und die Leute sprechen dort
wenigstens unsere Sprache, zumindest ein paar."
"Hey,
ich hab nichts dagegen", sagt Kyle. "Ein neues Leben
kann man schließlich überall beginnen."
"Was
ist mit dir, Maria?" fragt Liz ihre beste Freundin, in der
Hoffnung, diese würde sich dem Vorschlag anschließen.
"Liz,
solange ich endlich mal wieder meine Ruhe habe und nicht von
irgendjemandem gejagt werde, ist mir alles recht. Ich bin dabei."
Liz lächelt erleichtert.
"Michael?" fragt Kyle
sogleich weiter.
"Ich kann nicht sagen, dass ich irgendwas
gegen Kanada habe. Ich wollte schon immer mal dahin, aber aus
irgendeinem Grund hat's nie geklappt. Tja, also, ich bin auch
dabei."
Er sieht Maria kurz an und hofft, in ihrem Blick
irgendeine Reaktion erkennen zu können, aber sie wendet
schnell ihre Augen ab.
"Dann bleibt nur noch Isabel",
wirft Maria ein.
Sofort richten sich alle Blicke nach vorn.
Isabel, die die ganze Unterhaltung bisher schweigend verfolgt
hatte, bemerkt nach einigen Sekunden die fragenden Blicke der
andern und erwacht aus ihrer Erstarrung. "Was ist?"
"Hey
Izzy, wir wissen, dass du im Moment 'ne Menge im Kopf hast, aber
wir können diese Entscheidung nicht ohne dich treffen. Also,
kommst du mit?" fragt Max sanft.
Isabel senkt kurz den
Blick, sie seufzt laut und scheint nachzudenken. Dann wendet sie
sich wieder dem Seitenfenster zu. "Was auch immer."
Max
sieht nachdenklich zu seiner Schwester, die sich auf ihrem Sitz
zusammenkauert hat und regungslos vor sich hinstarrt.
Liz lehnt
ihren Kopf an seine Schulter und flüstert ihm ins Ohr: "Sie
kommt darüber hinweg. Lass ihr Zeit."
Kyle blickt für
einige Momente unentschlossen zu Isabel, dann fasst er sich ein
Herz, legt einen Gang ein, startet erneut den Motor und fährt
los - in Richtung Norden...
Roswell, New Mexico
Zur selben Zeit
Haus der Evans. Wohnzimmer.
Ein heftiges Pochen erschüttert die Vordertür des
ehemaligen Zuhauses von Max und Isabel.
Mr. und Mrs. Evans
stehen etwas erschrocken, aber doch gefasst vom Sofa auf. Beide
sehen sich kurz an, bevor sie zur Haustür gehen und
öffnen.
"Mr. Philip Evans und Mrs. Diane Evans, ich
verhafte sie hiermit im Namen der Vereinigten Staaten!"
begrüßt sie die harte Stimme eines Mannes im schwarzen
Anzug. "Machen sie bitte keine Schwierigkeiten und folgen
uns."
Philip Evans nickt einverstanden, aber ohne einen
kleinen Kampf will er nicht aufgeben. "Wie lautet die
Anklage?"
Der Mann, der ganz klar als FBI-Agent zu
erkennen ist, sieht ihn leicht genervt an. "Die Anklage
lautet auf Beihilfe zu mehrfachem Mord und Beteiligung an der
Planung einer terroristischen Aktion."
"Terroristische
Aktion?" Mrs. Evans sieht ihn verblüfft an. "Was
denn für eine Aktion?"
"Kommen sie mit, dann
wird ihnen alles erklärt." Der Mann winkt einen anderen
Agenten zu sich, der bisher fast umbemerkt im Hintergrund
gestanden hat. "Agent McCain, nehmen sie die beiden in
Gewahrsam und lesen sie ihnen ihre Rechte vor!"
Momente
später sitzen die Eltern von Max und Isabel mit Handschellen
gefesselt auf der Rückbank eines FBI-Dienstwagens und werden
weggefahren.
Haus der Valentis. 1 Stunde später.
Gerade zurück von seinem Ausflug in die Wüste betritt
Jim Valenti sein Haus und wird sogleich vom Klingeln des Telefons
empfangen.
Er hängt zögernd seinen Hut neben die Tür
und geht zur Kommode im Flur, um den Hörer abzunehmen. Obwohl
er weiß, dass er seinem Sohn und den anderen einen
beruhigenden Vorsprung verschafft hat, bringt er es nur mühsam
fertig, an den Apparat zu gehen.
Und seine Zweifel erweisen
sich als durchaus berechtigt, als er erfährt, was unterdessen
vorgefallen ist.
"Verhaftet? Wann?" sind seine ersten
Worte, nachdem er die Neuigkeiten gehört hat. Während er
brav auf die Antwort wartet, nimmt er einen Zettel zur Hand und
notiert sich das wichtigste. "Die Evans, die Parkers und
Jesse Ramirez. Wo hat man sie hingebracht?"
Einen Moment
später legt er auf und vergisst dabei sogar, sich beim
Anrufer zu bedanken. Gedankenverloren wählt er sofort eine
neue Nummer.
"Ja?" meldet sich Kyles Stimme kurz
darauf am anderen Ende.
Nördlich von Roswell, New Mexico
Einige
Minuten früher
Im Van.
Völlig ahnungslos über die Vorkommnisse in Roswell
fährt unsere Gruppe weiterhin zügig den Highway entlang
in Richtung Norden.
Bis auf Kyle, der noch immer am Steuer
sitzt, nehmen fast alle eine Mütze Schlaf zu sich. Selbst
Isabel hat es geschafft, etwas Ruhe zu finden, auch wenn ihre
Augen weiterhin stark gerötet sind und sie immer wieder
unruhig auf ihrem Sitz herumrutscht.
Nur einer ist wach
geblieben. Max sitzt wieder mit Liz zusammen ganz hinten auf der
letzten Bank. Liz hat ihren Kopf an ihn gelehnt, und er drückt
sie sanft mit seinem Arm an sich. Seine Augen sind allerdings
nicht bei ihr, sondern blicken hinaus auf die endlose
davonziehende Straße hinter ihnen.
Und in seinem Kopf
geht es ebenfalls nicht so ruhig zu, wie es den Anschein hat. Auch
wenn es im Moment so aussieht, weiß er doch, dass die Flucht
noch nicht zu Ende ist. Nein, sie wird mit Sicherheit noch um
einiges aufregender und gefährlicher werden. In Gedanken malt
er sich all die schrecklichen Dinge aus, die noch passieren
können, und irgendwie will es ihm nicht so recht gelingen,
diese dunklen Schatten völlig beiseite zu
schieben.
Minutenlang starrt er grübelnd aus dem Fenster,
bis er endlich genug hat, aufsteht und nach vorn geht.
"Kyle,
wenn du nichts dagegen hast, fahr ich mal ein Stückchen."
"Hey,
ich schaff das schon", entgegnet Kyle beiläufig.
Max
seufzt einen Moment. "Ja, aber ich hab grad 'ne Menge Sachen
im Kopf und bräuchte mal eine kleine Ablenkung."
"Schon
klar", antwortet Kyle und bringt den Wagen zum Stehen. "Dann
hab ich wenigstens ein bisschen Zeit, um selber meinen trüben
Gedanken nachzuhängen." Als er etwas widerstrebend
seinen Platz verlässt, fügt er noch hinzu: "Kann ja
auch mal ganz lustig sein."
Keine Minute später sind
sie wieder unterwegs. Kyle hat den Platz hinter Max in Beschlag
genommen, die Füße hochgelegt und gerade die Augen
geschlossen, als das Handy in seiner Tasche laut klingelt und alle
im Wagen mit einem Mal hellwach sind.
Eilig kramt er das
Telefon hervor, blickt kurz auf's Display und drückt
vorsichtig den Knopf. "Ja?" meldet er sich gleich
darauf.
"Leute, wir haben ein Problem!" verkündet
er kurz danach, nachdem er wieder aufgelegt hat.
"Was ist
los? Wer war das grade?" beginnt Michael sofort ihn
auszufragen.
Das war mein Vater. Er sagt, das FBI hat Liz',
Max' und Isabels Eltern verhaftet, und Jesse gleich dazu."
"Wir
fahren zurück!" meldet sich plötzlich Isabel
zurück, die bis dahin während der gesamten Fahrt
praktisch kaum ein Wort gesagt hat. Alle sehen überrascht zu
ihr. "Wir können sie doch nicht einfach dem FBI
überlassen."
AKT II
Zurück im Wagen.
"Wir können nicht zurückfahren, Isabel. Du hast
doch gesehen, was bei der Abschlußfeier los war",
versucht Liz sie ruhig zu überzeugen.
Isabel ist den
Tränen nahe. "Ich weiß, ich weiß. Aber wir
können Jesse doch nicht einfach im Stich lassen. Er sollte
nicht mitkommen, damit er nicht in Gefahr ist, aber jetzt ist er
in Gefahr!" schluchzt sie laut.
Max sieht die andern
traurig an. Am liebsten würde er Isabel jetzt in die Arme
nehmen und ihr sagen, dass alles gut wird. Aber es wäre
gelogen und es hätte auch nicht geholfen.
Und vielleicht
hatte Isabel ja recht. Er hat den weißen Raum selbst erlebt,
er weiß, wozu Menschen fähig sind, wenn sie sich etwas
Unbekanntem gegenüber sehen. Dann haben sie Angst, und wer
Angst hat, kann unberechenbar sein.
Und trotz aller Zweifel
kann Max nur eines zu seiner Schwester sagen, so schwer es ihm
auch fällt.
"Wir können nicht zurück,
Izzy."
Er setzt sich auf den Platz hinter Isabel, nachdem
Michael ihn bereitwillig geräumt hat, und sieht ihr fest in
die Augen. Mit der anderen Hand streicht er zärtlich über
ihr Haar.
"Jesse und unsere Eltern schaffen das. Sie sind
doch Anwälte, die wissen, was man in so einer Situation tut.
Das FBI hat doch nichts gegen sie in der Tasche. Die wollen uns
nur Angst machen."
"Aber...", bringt Isabel
mühsam hervor.
"Es wird ihnen nichts passieren, ich
versprech es", beruhigt sie Max.
Sie weiß, dass Max
Recht hat, aber es ist einfach so frustrierend, rein gar nichts
tun zu können. Enttäuscht lässt sie den Kopf sinken
und wendet sich ab.
Max blickt unentschlossen in die Runde,
aber keiner der anderen kann ihm wirklich helfen.
In einem Hubschrauber.
Laut dröhnend rast ein Hubschrauber der Polizei von Santa
Fe durch den Himmel. Der Mann im zweiten Sitz blickt angestrengt
durch das Fenster und beobachtet die Straße, die sich unter
ihnen erstreckt, während der Pilot routiniert den Helikopter
steuert und ab und an undefinierbare Kommentare in sein Funkgerät
abgibt.
Stunden zuvor haben beide wie gewohnt ihren Dienst
angetreten, bis man ihnen plötzlich den Auftrag gab, nach
Roswell zu fliegen. Der Befehl war kurz und knapp gewesen: "Suchen
sie sämtliche Straßen aus der Stadt hinaus nach einem
blauen VW-Bus älteren Baujahrs ab."
Und nun kreisten
sie seit knapp einer Stunde in immer größer werdenden
Kreisen um Roswell herum, bislang allerdings erfolglos.
"Das
ist Schwachsinn!" flucht der Pilot lauthals. "Das ist,
als würde man 'ne Nadel im Heuhaufen suchen", ruft er
dem Mann neben sich zu, um die Rotoren zu übertönen.
Als
er wieder nach vorn blickt, bemerkt er plötzlich ein kurzes
Aufblitzen am Horizont auf der schnurgeraden und ansonsten absolut
menschenleeren Straße durch die Wüste. Er wartet einen
Moment ab, ob er sich auch nicht geirrt hat, und ein abermaliges
Blitzen bestätigt seinen Verdacht.
Er stößt
seinen Partner aufgeregt mit der Hand an und zeigt nach vorn.
Jetzt kann auch der sehen, was da auf der Straße unterwegs
ist.
"Ich schätze, da haben wir unsere Nadel
gefunden", ruft er lachend.
Ein unbekannter dunkler Raum.
Eine vereinzelte Lampe müht sich verzweifelt, Licht in das
Dunkel des karg eingerichteten Zimmers zu bringen, aber mehr als
ein schwaches Dämmerlicht kommt nicht zustande.
Und genau
in der Mitte des Raumes, an einem einfachen Tisch aus Holz sitzt
Jesse Ramirez, Isabels Ehemann, und wartet ungeduldig auf das, was
auf ihn zu kommen mag. Mit den Fingern trommelt er immer wieder
nervös auf seinen Beinen.
Zehn qualvolle Minuten später
öffnet sich endlich die Tür und ein großgewachsener,
eigentlich viel zu junger Mann tritt herein. In äußerster
Ruhe setzt er sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des
Tisches.
Jesse hat das Warten längst satt und beginnt
sofort zu sprechen, "Wieso werde ich hier festgehalten?"
Der
andere antwortet ihm nicht, stattdessen lehnt er sich seelenruhig
zurück und beobachtet Jesse aufmerksam. Vielleicht will er
ihn nur nervös machen, vielleicht hat er gar kein Druckmittel
in der Hand, aber es zeigt offensichtlich Wirkung.
Jesse
schüttelt verzweifelt den Kopf. Er weiß nicht, was man
von ihm will, welche Beweise gegen ihn vorliegen, um was es
überhaupt geht, aber er wird mit jedem Augenblick, den er
untätig herumsitzen muss, nervöser und nervöser.
Fast
entfährt ihm ein Seufzer der Erleichterung, als der Mann vor
ihm endlich anfängt zu sprechen.
"Ihr Name ist Jesse
Ramirez?"
Jesse nickt und sieht ihn ob der völlig
überflüssigen Frage leicht verwundert an. "Ja",
ist seine lapidare Antwort.
"Sie sind verheiratet mit
Isabel Evans?" fährt der andere ungerührt
fort.
"Sollten sie das nicht wissen." Jesses Stimme
nimmt einen etwas gereizteren Ton an, als die Rede auf Isabel
kommt.
Der Mann gegenüber scheint es nicht zu bemerken.
"Was können sie uns über ihre Frau sagen?"
"Ich
liebe Isabel, ich habe sie geheiratet und mehr werd ich dazu nicht
sagen. Punkt!" entgegnet Jesse leicht unwirsch.
"Wo
hält sich ihre Frau momentan auf?" kommt ohne Zögern
die nächste Frage.
Jesse überlegt einen Moment,
bervor er antwortet. Vielleicht einen Moment zu lange, denn schon
schüttelt sein Befrager wissend den Kopf.
"Sie wollte
mit ein paar Freunden auf eine Party", lügt er
notgedrungen. "Sie wissen schon, den Schulabschluß
feiern und sowas."
"Wissen sie, wo sie
hinwollten?"
"Ich hab keine Ahnung."
Langsam
wird Jesse in die Ecke gedrängt. "Finden sie es nicht
merkwürdig, dass ihnen ihre eigene Frau nicht sagen will, wo
sie hinfährt?" hakt der andere sofort nach.
Jesse
muss in die Defensive gehen. "Ich hab nicht gesagt, dass sie
es mir nicht sagen will. Ich hab halt nur nicht
gefragt."
Siegessicher spielt der Mann gegenüber
seinen ersten Trumpf. "Wie kommt es dann, dass sowohl Mr. und
Mrs. Evans, als auch Mr. und Mrs. Parker, die sie mit Sicherheit
kennen werden, einstimmig ausgesagt haben, dass ihre Frau gerade
mit fünf ihrer Freunde in einem blauen VW-Bus auf dem Highway
unterwegs ist."
Für einen Moment hebt Jesse den Kopf
und sieht den Mann verblüfft an, dann dämmert es
ihm.
"Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden."
Der
andere ist clever, das ist Jesse klar, aber er ist außerdem
jung und unerfahren und hält sich vermutlich peinlich genau
an das Protokoll für FBI-Verhöre: Spiel alle Beteiligten
gegeneinander aus und mach ihnen Angst. Nur eins ist klar, diesmal
wird es nicht klappen.
Der Mann nickt zufrieden und holt
sogleich ein Photo aus seiner Tasche. Es ist bereits ein wenig
abgegriffen an den Seiten, offenbar weil es schon viele Leute zu
Gesicht bekommen haben, aber trotzdem ist die Person darauf klar
zu erkennen. Er schiebt es langsam auf dem Tisch zu Jesse
hinüber.
"Kennen sie diese Frau?"
Jesse nimmt
das Bild in die Hand und betrachtet es. Es wurde ganz
offensichtlich von einer Überwachungskamera geschossen und
zeigt eine junge, blond-gelockte Frau, die gerade versucht von
einer Militärbasis zu fliehen. Natürlich hat er diese
Frau schon mal gesehen, wenn auch nur flüchtig. Nur muss er
das dem anderen ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
"Nie
gesehen" antwortet er kurz und schiebt das Photo
zurück.
Ungerührt steckt der andere es zurück in
seine Tasche. "Dann können sie uns sicher erklären,
wieso diese Frau am Abend vor der Explosion auf der Rogers Air
Force Base in Begleitung von Max Evans versucht hat, eine
Straßensperre in Roswell zu durchbrechen, und daraufhin vor
der Polizei geflohen ist."
"Was soll das?"
entgegnet Jesse gespielt entrüstet. "Ich habe ihnen
schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wer diese Frau ist. Ich hab
sie noch nie in meinem Leben gesehen. Und es geht mich auch nichts
an, mit welchen Leuten sich Max Evans abgibt. Er ist nur mein
Schwager, mehr nicht."
"Nun, Mr. Parker hat
ausgesagt, diese Frau mehrmals im Haus ihrer Eltern und zusammen
mit ihrer Frau gesehen zu haben. Was können sie uns darüber
sagen?"
Wieder ein Trick. Jetzt zu schweigen, wäre
auch eine Antwort, also weiterlügen. "Glauben sie nicht,
ich würde mich daran erinnern, wenn ich diese Frau kennen
würde."
Der Mann gegenüber lächelt. "Da
bin ich mir sicher."
Bevor die Befragung weitergehen kann,
öffnet sich erneut die Tür. Eine junge rothaarige Frau
schaut kurz herein und nickt dem Mann, der sich umgedreht hat,
vielsagend zu. "Ein Anruf für sie", mehr sagt sie
nicht.
"Das wär dann alles, Mr. Ramirez. Sie können
jetzt gehen", sagt dieser daraufhin, während er bereits
aufsteht und den Raum wieder verlässt.
Jesse bleibt völlig
verwirrt am Tisch sitzen und sieht ihm hinterher.
Im Wagen.
Auch Michael hat den Hubschrauber, der ihnen folgt, natürlich
längst bemerkt, nicht zuletzt wegen des ohrenbetäubenden
Lärms, den dieser verbreitet, und er blickt aufmerksam aus
dem Fenster, um etwas erkennen zu können.
"Tja, sieht
so aus, als hätten wir Gesellschaft bekommen", bemerkt
er beinahe gelassen.
"Und was machen wir jetzt?"
fragt Kyle.
Max schaut vom Lenkrad herüber. "Wir
fahren weiter wie bisher. Vielleicht ist es ja nur ein Zufall.
Aber zur Sicherheit könnten wir uns ja mal anhören, was
die da draußen so zu sagen haben."
Seinen Worten
folgend nimmt er seine rechte Hand vom Lenkrad und hält sie
über das Radio neben sich. Ein helles Licht unter seiner
Handfläche verrät den Einsatz seiner Alienkräfte.
Einige
Sekunden lang ist lediglich statisches Rauschen zu hören und
alle senken schon enttäuscht die Köpfe, als auf einmal
eine Stimme ertönt: "... fahren nördlich auf der
54, kurz hinter Ancho."
Eine andere Stimme bestätigt:
"Nördlich auf der 54. Verstanden. Abstand halten und
folgen. Roger und Ende."
"Roger", antwortet der
Pilot. Dann wird es wieder still.
Es dauert fast eine Ewigkeit,
in der sich alle Insassen des Wagens geschockt und fragend
ansehen, dann meldet sich Max wieder zu Wort.
"Wir sollten
jetzt bloß nichts überstürzen", beginnt er
ruhig. "Es war doch eh nur eine Frage der Zeit, bis sie uns
finden. Wir müssen uns jetzt halt nur überlegen, was wir
tun sollen."
Er schaut sich um. Alle zucken ahnungslos mit
den Schultern.
"Der Hubschrauber folgt uns immer noch,
also können wir nicht anhalten und uns irgendwo verstecken",
fährt er fort. "Also gehen wir in die
Offensive."
"Offensive?" ruft Maria entsetzt,
und die Blicke der anderen sprechen eine ähnliche
Sprache.
"Ja", antwortet Max knapp. "Wenn die
uns haben wollen, dann kommen wir einfach zu ihnen. Und ich hab
auch schon einen Plan, was wir dann machen..."
AKT III
Weiter im Norden an derselben Straße.
Wütend brüllt der General seinen Leuten Befehle zu,
während diese gerade einen großen LKW quer auf der
Straße parken, um auch die letzte Lücke in der Sperre
zu stopfen. Etliche Soldaten springen von der Ladefläche des
Truppentransporters und nehmen hinter der Straßensperre mit
ihren Waffen Aufstellung.
Einige Meter entfernt unterhält
sich ein hochrangiger Militärpolizist mit einem trotz der
Hitze wieder ganz in Schwarz gekleideten Agenten vom FBI.
Der
Agent nimmt sein Funkgerät vom Ohr und wendet sich dem
Soldaten zu. "Der Hubschrauber hat sie im Blick. Sie müssten
in knapp 10 Minuten hier durchkommen."
"Was ist, wenn
sie vorher abbiegen?" fragt der MP ruhig.
"Die
sollten inzwischen mitgekriegt haben, dass sie nirgends hinfahren
können, ohne dass wir's erfahren. Die kommen hier lang."
Der
Soldat nickt, aber vollkommen überzeugt hat ihn das noch
nicht. "Und sie glauben, die lassen sich von einer
Straßensperre aufhalten. Dieses Typen sind einfach in eine
Militärbasis reinspaziert und haben sie in die Luft
gejagt..."
"Ich weiß!" unterbricht ihn
wütend der andere. Er stellt sich direkt vor den Soldaten und
blickt ihn von oben herab an. "Aber jetzt habe ich das
Kommando und ich werde diesen Pennern so in den Arsch treten, dass
sie sich noch wünschen werden, sie hätten sich in
Roswell eine Kugel eingefangen!"
Mit diesen Worten
schreitet er aufgebracht und hochnäsig von dannen und bleibt
neben einem Jeep stehen, der hinter der Straßensperre
geparkt ist. Zufrieden betrachtet er noch einmal die Aufregung um
sich herum.
Inzwischen sind alle möglichen Fahrzeuge
versammelt, um die heranrasenden Aliens auch tatsächlich
stoppen zu können. Mehrere große Armee-Trucks bilden
die vordere Front, einige Dienstfahrzeuge des FBI die zweite Reihe
und überall dazwischen sind Soldaten postiert. Einem würdigen
Empfang steht also nichts mehr im Wege.
Und auch die Umgebung
ist perfekt gewählt, beglückwünscht er sich in
Gedanken selbst. Links der Straße zieht sich eine haushohe
Felswand über mehrere Kilometer Länge, die sich nur
umgehen ließe, wenn man einen stundenlangen Umweg auf sich
näme.
Und auf der anderen Seite klafft ein Abgrund von
ungefähr 50 Metern Tiefe im Boden, der es zwar mit dem Grand
Canyon nicht aufnehmen kann, einen Sturz aber doch sehr unsanft
beenden würde.
Eine kleine Staubwolke am Horizont zieht
plötzlich seine Aufmerksamkeit auf sich.
"Showtime",
sagt er laut zu sich selbst.
Derweil im Van.
"Und du bist dir auch ganz sicher, dass das funktioniert,
Max?" fragt Michael noch einmal nervös, als in der Ferne
die Straßensperre auftaucht.
Alle haben sich jetzt um Max
herum im vorderen Teil des VW-Busses versammelt. Liz hält
seine rechte Hand fest in ihrer, während alle gespannt durch
die Frontscheibe in die Ferne blicken.
"Wenn's nicht
klappt, brauchen wir uns wenigstens keine Gedanken mehr machen,
wie's danach weitergehen soll", witzelt Kyle und versucht zu
lachen, aber er verstummt sofort, als er sieht, wie wenig den
anderen gerade nach Humor zumute ist.
"In der Theorie
sollte es funktionieren", antwortet Max leise, "aber in
der Praxis konnte ich es natürlich noch nicht
ausprobieren."
"Du bist dir also nicht sicher!"
ruft Michael aufgebracht vom Fahrersitz.
"Ich bin mir
sicher", flüstert Max und blickt wieder hilfesuchend
seine geliebte Frau an, die noch immer seine Hand hält. Liz
lächelt zurück.
"Wenn wir alle
zusammenhalten..." Ihr Blick wandert nacheinander von einem
zum anderen. Auf allen Gesichtern ist deutlich die Angst zu spüren
vor dem, was kommen mag, aber sie sieht auch die übergroße
Zuversicht darin, auch diesen Tag glücklich überstehen
zu können.
"Wenn wir alle zusammenhalten, dann
schaffen wir es!"
Alle sechs reichen sich die Hand,
während der Wagen ungebremst dem drohenden Unheil entgegen
fährt.
An der Straßensperre.
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht beobachtet der
leitende FBI-Agent das Geschehen. Durch die Straßensperre
könnte nicht einmal eine Maus schlüpfen, geschweige denn
ein altersschwacher VW-Bus. Die Aliens haben nicht die geringste
Chance, soviel steht fest.
Zuversichtlich gibt er den Soldaten
Befehle. "Anlegen und zielen! Gefeuert wird auf mein
Kommando!" schreit er lauthals.
Etwa drei Dutzend Soldaten
bringen beinahe gleichzeitig ihre Gewehre in Anschlag. Und alle
sind auf den immer noch kleinen blauen Punkt gerichtet, der sich
ihnen langsam auf der leeren Straße nähert.
Der
Agent nimmt zum wiederholten Mal sein Fernglas zur Hand. Deutlich
sieht er jetzt den näherkommenden Bus und die ängstlichen
Gesichter der sechs Jugendlichen, die es solange geschafft haben,
immer wieder dem FBI, der Polizei und all ihren Verfolgern zu
entgehen, und die nun doch endlich ihre gerechte Strafe erhalten
werden.
Der blaue Wagen vor seinen Augen wird größer
und größer. Inzwischen kann er schon in die Augen
seiner Gegner schauen und glaubt, ihre Angst regelrecht spüren
zu können. Er nimmt das Fernglas herunter und lächelt
zufrieden.
Der VW-Bus kommt unaufhaltsam näher.
500
Meter...
400 Meter...
Der Agent hebt langsam die Hand...
300
Meter...
200 Meter...
"Feuer!" ertönt der
Ruf, und wie ein Donnerschlag werden gleichzeitig über 30
Gewehre abgefeuert.
Dutzende Geschosse durchsieben
augenblicklich die Vorderseite des Busses, der trotz all des Chaos
stur seinen Weg fortsetzt, bis die nächste Salve seine Räder
zerfetzt. Sofort bricht das Gefährt unkontrollierbar zur
Seite aus und rast in den Abgrund.
Der Lärm einer
Explosion und eine Flammensäule von beinahe hundert Metern
Höhe sind das Letzte, was aus der Tiefe dringt. Dann herrscht
mit einem Mal Totenstille.
Momente später rennen sämtliche
Soldaten und Agenten auf den Rand des Abhangs zu und spähen
neugierig und geschockt in die Tiefe, wo nur noch die in alle
Himmelsrichtungen verstreuten und teilweise brennenden Trümmer
des abgestürzten Fahrzeugs zu erkennen sind. Niemand hätte
diese Hölle überleben können.
AKT IV
Einige Meter entfernt.
Vorsichtig lugt Marias kastanienbrauner Haarschopf hinter einem
Felsen hervor. Und auch wenn sie ihn schon kennt, haut sie der
Anblick, der sich ihr bietet, fast von den Beinen. Rauchende und
grotesk verbogene Metallteile, teilweise völlig verbrannte
und zerfetzte Teile von Sitzen und Armaturen, alles liegt weit
verstreut am Boden der Schlucht. Ein brennender Autoreifen
verbreitet dunklen Rauch und einen bestialischen Gestank. Einige
Trümmer haben es sogar bis in die unmittelbare Nähe der
Gruppe geschafft, die sich der Vorsicht halber doch einige hundert
Meter entfernt hat.
"Mann, da hätt' ich nicht drin
sitzen wollen!"
Sie dreht sich wieder zu den andern um,
die sich hinter ihr ebenfalls so dicht wie möglich an die
Felswand gepresst haben, um von oben nicht entdeckt zu
werden.
"Aber wir haben da drin gesessen", murmelt
Michael noch immer leicht mitgenommen von dem Abenteuer.
"Ich
weiß." Maria nickt langsam. "Ich weiß."
Dann sieht sie Max streng an. "Tu sowas nie wieder."
"Wieso?"
drängt sich Kyle dazwischen. "Das war doch wie 'ne
kostenlose Achterbahnfahrt... nur eben mit der ganzen Todesangst."
Er lacht vorsichtig.
"Wirklich witzig, Kyle." Liz
tritt ihm kurz gegen das Schienbein. Erstens damit er ruhig ist
und nebenbei noch, weil sie am liebsten genau dasselbe gesagt
hätte. Noch immer kann sie spüren, wie Fluten von
Adrenalin durch ihre Adern gepumpt werden.
Sie atmet tief durch
und ergreift sofort wieder die Initiative. "Los, kommt!
Verschwinden wir, bevor noch jemand merkt, wie wenig tot wir
wirklich sind."
Einige Minuten früher
Im VW-Bus.
Alle sechs Insassen haben sich an den Händen gefasst. Bis
auf Michael, der mit einer Hand noch immer den Wagen steuert,
haben sie die Augen geschlossen und konzentrieren sich so fest,
dass es fast den Anschein hat, sie würden schlafen.
Sekunden
später formt sich ein durchscheinender, hellgrüner
Schild, der sich langsam ausdehnt, bis die gesamte Gruppe
vollkommen eingehüllt ist.
Und das keinen Augenblick zu
früh, denn schon treffen die ersten Kugeln die Vorderseite
ihres Gefährts und das Inferno bricht los.
Max hat diese
Kräfte schon früher benutzt und hofft jetzt nur noch,
dass er stark genug ist, um auch wirklich alle beschützen zu
können. Einen Fehler kann er sich nicht erlauben.
Als der
Wagen in den Abgrund stürzt, wird die ganze Gruppe
schlagartig nach vorn geworfen. Alle purzeln übereinander,
aber der Schutzschild federt sie sanft ab.
Momente später
folgt der brutale Aufprall. Gewaltige Kräfte reißen den
Bus in Sekundenbruchteilen auseinander wie ein Spielzeug, und eine
riesige Explosion lässt eine Flammensäule steil in den
Himmel schießen. Würde der Schutzschild jetzt auch nur
für eine Millisekunde versagen, wäre das Schicksal der
Aliens und ihrer Freunde besiegelt. Dann wäre alles
vorbei.
Doch er hält. Und es ist nicht Max' Kraft allein,
die ihn zusammenhält. Es sind die gemeinsamen Energien aller,
ihre Zuversicht und ihr Mut, die ihm diese Macht verleihen.
Wie
ein großer Gummiball wird die grüne Kugel einige Meter
in die Luft geworfen, und während ringsherum alles in ein
gespenstisches blutrotes Licht getaucht ist, dirigieren Michael,
Isabel und Liz sie mit ihren Fähigkeiten sicher hinaus aus
der Gefahr.
Etwas mehr als einhundert Meter entfernt sinkt sie
zu Boden, und im selben Moment löst sich die grüne Hülle
auf, als Max völlig am Ende seiner Kräfte
zusammenbricht.
Trois Étranger, Kanada
6. Dezember
2002
Im Haus.
Maria legt langsam die letzten Schritte in ihr Zimmer zurück und schließt leise die Tür hinter sich. Nachdem sie das Glas in ihrer Hand auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett abgestellt hat, setzt sie sich wieder, nimmt erneut ihre Gitarre und beginnt zu spielen.
Als wir dem FBI erstmal unseren Tod vorgetäuscht hatten, ging
der Rest ziemlich einfach. Ein kleiner Marsch zur nächsten
Stadt, von dort mit dem Bus nach Santa Fe und mit einem geliehenen
Auto weiter nach Kanada. Das FBI hat vermutlich Tage gebraucht, um
die ganzen Trümmer von dem Bus zu untersuchen. Wir hätten
auch fliegen können, aber das Risiko wollten wir nicht
eingehen. Wer weiß schon, wo überall unsere Steckbriefe
rumhängen.
Und Jesse, die Evans und die Parkers sind
längst wieder frei. Kyles Dad hat uns alles berichtet.
Wahrscheinlich war es so, wie Max vermutet hat, und sie wollten
uns einfach nur erpressen.
Das Haus zu finden hat uns noch mal
zwei Tage gekostet und die "Renovierung", trotz der
Alienkräfte, fast zwei Wochen. Naja, wenn von 5 Leuten jeder
seinen Senf dazugibt, wie alles aussehen soll, dann dauert das
eben.
Aber es hat sich gelohnt. Und wenigstens hat jetzt jeder
sein eigenes kleines Reich, wo ihn niemand stören kann.
Als
wir fertig eingerichtet waren, haben Liz und Max natürlich
auch noch richtige Flitterwochen bekommen. Die beiden waren an den
Niagara-Fällen, romantischer geht's kaum. Besonders viele
Photos haben sie nicht gemacht, aber das war irgendwie klar.
Maria steht langsam auf, legt die Gitarre beiseite und geht zum Fenster. Sie betrachtet die Landschaft vor ihrem Fenster, die dünne weiße Kruste, die alles sanft einhüllt, die schneebedeckten Bäume, die warmen einladenden Lichter der Häuser in der Ferne.
Wie ihr seht, geht es uns gar nicht mal so schlecht. Ich weiß zwar nicht, wie die Zukunft aussieht, ob es immer so leicht sein wird oder ob uns da draußen schon wieder irgendwer auf den Fersen ist... aber eins weiß ich... ich bin glücklich.
Sie blickt aus dem Fenster und lächelt.
ENDE
Die weiteren Episoden findet ihr auf http/www.roswell-germany.de/virtuell4/
