Anmerkung: Diese Geschichte steht in keinerlei Beziehung zu meiner ersten FanFic „Der Weg des Schwertes". Kommentare sind wie immer erwünscht. '

Kapitel 01 - In Gedanken.

Die Schulglocke läutete und die jungen Männer und Frauen verließen das Schulgebäude. Es war das letzte Weihnachtsfest, dem Heiji, Kazuha und ihre Freunde innerhalb dieser Mauern entgegen sehen würden. In nicht mal einem Jahr würden sie alle ihren eigenen Wegen nachgehen.

Wie jeden Tag schlugen Heiji und Kazuha gemeinsam ihren Weg nach Hause ein. Der Schnee hatte die Weihnachtsstimmung endgültig in die Stadt getragen und alles in eine weiße Decke gehüllt. Verträumt ging Kazuha eine Weile neben ihrem besten Freund her. Zusammen mit ihrem Vater würde sie auch dieses Jahr an Heiligabend wieder bei den Hattoris sein.

So war es schon seit Jahren, genauer gesagt, seit dem Tod ihrer Mutter vor zwölf Jahren. Damals war Kazuha gerade erst 7 Jahre alt gewesen. Es war ein Wintertag vor Heiligabend. Ihre Mutter war auf dem Weg nach Tokio zu Bekannten gewesen, doch sie kam nie an, denn ein Schneesturm holte sie ein. Es kam zu vielen Unfällen während dieser Zeit. Lackschäden, zerbeulte Türen, brennende Autos und verrußte Metallkäfige. Blaue Flecken, leichte Kratzer, Schnittwunden, gebrochene Knochen, bewusstlose Menschen und leblose Körper. Polizei, Feuerwehr, Notärzte und Krankenwagen hatten bis in den nächsten Morgen pausenlos gearbeitet, um zu retten, was noch zu retten war. Kazuha hatte die Nacht bei Heiji und dessen Mutter verbracht, denn sowohl ihr Vater als auch Herr Hattori waren im Einsatz. Übermüdet und erschöpft kamen sie am frühen Morgen des nächsten Tages wieder zurück. Beide waren auffallend schweigsam und als Kazuha den Grund dafür erfahren hatte, war sie in Tränen ausgebrochen und aus dem Haus gerannt. Ohne Mütze, ohne Schal, ohne Jacke. Ihr Vater hatte sie schließlich auf einem alten Spielplatz gefunden, wo Heiji und sie früher immer mit ihren Müttern gewesen waren. Er hatte sie in seine Arme genommen, in ihre Winterjacke gehüllt und zusammen hatten sie geschluchzt und geweint, bis Herr Toyama schließlich sein kleines Mädchen nach Hause getragen hatte. Shizuka hatte sie darauf am Abend zu sich und ihrer Familie eingeladen, da sie nicht wollte, das ihre Freunde den Heiligabend allein verbringen würden. Es war nicht wie sonst ein Abend der Musik, Geschenke und fröhlicher Augenblicke. Doch wie sollte er auch?

Seit jenem Tag besuchte Kazuha jedes Jahr mit ihrem Vater die Grabstätte. Es war schon fast ein Ritual, bevor sie zu den Hattoris gingen, würden sie einen Kranz am Grab niederlegen und eine Kerze anzünden, um dann ihren Gedanken an frühere Tage nachzuhängen. Den Tod seiner Frau hatte ihr Vater nie verkraftet und sich zur Ablenkung in seine Arbeit gestürzt. Shizuka konnte Kazuhas Mutter nicht ersetzen, doch nach und nach waren die Hattoris zu einer zweiten Familie für sie geworden. Kazuha konnte sich auf die Hilfe von Heijis Mutter verlassen, doch oft, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wusste, besuchte sie das Grab ihrer Mutter. Das war in letzter Zeit immer häufiger gewesen, denn zur Zeit befand sie sich in einem absoluten Gefühlschaos und wusste einfach nicht, wo sie Heiji hinstecken sollte. Was bedeutete er ihr? Was bedeutete sie ihm? Waren sie einfach nur gute Freunde? Nein, sie waren mindestens wie Geschwister. Doch war da nicht eigentlich viel mehr?

Es gab Tage, an denen schienen sie so fern voneinander zu sein, dass es ihr im Herzen weh tat. Sie schrieen sich gegenseitig an und jedes Gespräch endete im Streit. Sie wusste nicht, was sie ihm beweisen wollte, aber sie weigerte sich, alles hinzunehmen, wie er es wollte – das hatte sie als kleines Kind oft getan. Hatte mit ihm Räuber und Gendarm gespielt, statt wie andere Mädchen mit ihren Puppen, doch sie waren den alten Kinderspielen längst entwachsen. Die Wut stieg in ihr hoch, wenn Heiji die Mädchen hinterher liefen und sie sah, wie er es genoss. Wie oft hatte sie mit ihm deswegen gestritten? Zu Recht hatte er ihr vorgehalten, dass auch sie sich nicht ärgerte, wenn ihr die Jungs hinterher sahen. Das Ende der Diskussion hatten sie nie erreicht. Insgeheim gestand sie sich ein, dass ihr all die Jungs eigentlich völlig egal waren. Warum sah sie Heiji noch immer nur als das Mädchen, mit dem er zusammen im Sandkasten gespielt hatte? Wann würde er endlich anfangen, sie als das zu sehen, was sie war? Eine junge Frau, die täglich an seiner Seite war und sich die größten Sorgen machte, wenn er sich mal wieder in Gefahr gestürzt hatte...

„Kazuha?" – „Mh?"

Heiji schaute sie mit fragendem Blick an. „Bist du in Ordnung?" Kazuha stieg die Röte ins Gesicht. Nein, sie sollte sich nicht lächerlich machen, es war unmöglich, dass er ihre Gedanken lesen konnte.

„Na klar, was soll schon sein?"

„Sag du es mir."

Kazuha machte keine Anstalten, etwas zu sagen. Nach einer Pause führ er schließlich fort.

„Du bist schon die ganze Zeit so abwesend. Mit deinen Gedanken bist du doch wieder ganz woanders. Und zugehört hast du mir wahrscheinlich auch nicht..."

Zugehört? Er hatte mit ihr gesprochen? Nun saß sie in der Falle. Leugnen war zwecklos, irrsinnig und völlig überflüssig. So wie Heiji sie nun angrinste, musste auch er das erkannt haben. Doch von einem Moment auf den nächsten änderten sich seine Gesichtszüge und er schaute sie ernst und nachdenklich an.

„Hast du wieder an deine Mutter gedacht?"

Ungläubig schaute Kazuha ihn nun an. Ja, sie hatte tatsächlich an ihre Mutter gedacht, das tat sie um Weihnachten oft. Aber seit wann war er feinfühlig genug, das zu bemerken? Ihr blieben die Worte im Halse stecken, ein nicken musste reichen.

„Willst du heut schon zum Grab? Ich meine nur, meine Mum wollte mir nachher das Auto geben, weil wir doch noch keinen Baum haben und ..."

„Das wär lieb, danke. Dieses Jahr darfst du dich also um den Baum kümmern?"

„Jep, Dad sieht nicht ein, dass er jetzt, wo ich ja fahren kann, extra von Arbeit früher losfährt, um sich darum zu kümmern. Frei nach dem Motto ‚Der Junge ist doch kräftig genug.'"

Kazuha lachte. Heizo Hattori war nicht gerade das Paradebeispiel eines liebevollen Vaters und trat seinem Sohn immer mit etwas Distanz entgegen. Das war sogar fast dem ganzen Jahrgang bekannt. Doch Kazuha hatte auch schon andere Seiten an Heijis Vater gesehen, wenn Heiji in Gefahr war, auch wenn er ohne Frage seine eigene Art hatte, sich Sorgen zu machen.

Das Lachen klang Heiji wie Musik in den Ohren. Er hatte kein Problem, wenn sie ihn anschrie oder sauer auf ihn war, aber der nachdenkliche, traurige Ausdruck auf ihrem Gesicht schmerzte ihn. Er kannte den Grund dafür nicht und wusste auch nicht, wieso ihm das Herz warm wurde, wenn er sie so lachen sah.