Sei gegrüßt!

Du hast es also gewagt dich auf diese Mary Sue der besonderen Art einzulassen? Nun, dafür kann es nur zwei Gründe geben: Entweder du weißt bereits von meiner Leidenschaft und weißt somit auch, was dich erwartet oder du bist einfach nur unglaublich neugierig. Wie dem auch sei, wie immer gilt: So gut wie nichts mein Eigentum, der Großteil gehört mal wieder Herrn Professor Tolkien und ein bisschen kann sogar Herr Peter Jackson sein Eigen nennen.

Na, dann viel Vergnügen! 

Widmung:  Für den Piraten im blauen Jackett (wie auch immer du heißen magst), für den ach so besonderen Ork da draußen (wann werde ich dich finden?) und für alle hässlichen Entlein, die sich nicht in Schwäne, sondern in Brathähnchen verwandelt haben.

Es war einmal an einem Freitag in Mittelerde, da rannte eine finster aussehende Gestalt in einem Kapuzenmantel durch den nächtlichen Düsterwald. Sie stolperte unentwegt über heimtückische Wurzeln und bei jedem Stolperschritt klirrte das Kettenhemd und der Schwertgriff stieß mit einem leisen „klonk" dagegen. Schnaufend wie ein altes Walross lehnte sich die hoch gewachsene Gestalt an einen Baum. Plötzlich huschte etwas an ihr vorbei und keine Sekunde später wurde ein Pfeil direkt auf ihr Herz gerichtet. „Hahaha!", lachte der Elb triumphierend, aber immer noch edel. „Hab ich dich endlich, elender Dieb! Nun sieh dem Tod ins Auge und stirb wie ein Mann, wenn du das letzte bisschen Würde in deinem verkommenen Körper erhalten willst." Zu seiner Verwunderung brach der Dieb in meckerndes Gelächter aus und deutete auf die Gewandung des Elben. Der trug die Schande natürlich mit Würde, doch seine spitzen Ohren wurden feuerrot und glühten in der Dunkelheit. Er war nämlich vor wenigen Minuten aus dem Bett gezerrt worden und hatte nur Zeit gefunden, seine Waffen umzulegen. Und ein Elb mit Nachthemd, Filzpantoffeln und Schlafzimmerblick büßt mindestens zwei Drittel seines eindrucksvollen Äußeren ein. „Stirb, Nichtswürdiger!", schrie er außer sich vor Zorn und war drauf und dran die Sehne des Bogens loszulassen, als sein Gegenüber lässig den Pfeil aus seiner Hand pflückte und entzwei brach. „Also, so was!", rief der Elb entrüstet, was in der Gemeinsamen Sprache so viel bedeutet wie: „Du bist das fieseste Dreckschwein, das mir je begegnet ist!" Beleidigt legte er den Bogen auf den Boden. „Jetzt hab ich überhaupt keine Lust mehr!", schmollte er. Der Fremde kicherte irrer als ein Dutzend Pixies mit Schluckauf. Und mindestens genauso hoch. „Also, wirklich! Und du willst ein Mann sein?", spottete der Elb. Er selbst spielte kokett mit einer seiner güldenen Locken und zupfte am rosa Spitzensaum seines Nachthemds. Der Andere hörte abrupt auf zu lachen. „Nein, will ich nicht!", antwortete er mit ungewöhnlich hoher Stimme und warf mit einer weit ausholenden Gebärde den Mantel zurück. Das Gesicht blieb jedoch weiterhin unter der Kapuze verborgen. Die Augen des Elben weiteten sich auf Handtellergröße beim Anblick des Körpers des, pardon, der Fremden. Die Haut war leicht gräulich und schimmerte schuppig im Mondlicht. Die Füße steckten in grausam wirkenden, klobigen Stahlkappenstiefeln. Das kurze Lederröckchen bedeckte leider nicht allzu viel von den kräftigen Oberschenkeln, die in den dicken Strumpfhosen knirschend aneinander rieben (Die Fremde neigte leicht zu X-Beinen). Den Oberkörper bekleidete eine raffinierte Kombination aus Kettenhemd und Korsett. Dieses Wunderwerk aus Schnüren, Riemen und Nieten sorgte dafür, dass der Bauchspeck gleichermaßen nach oben und nach unten weggedrückt wurde, was zur Folge hatte, dass der Bauch erfreulich flach wirkte. Hingegen drohte der nun beängstigend vergrößerte Brustvorbau aus den dafür vorgesehenen Eisenkörbchen zu quellen. Der Neid grapschte mit seinen langen giftgrünen Fingern nach dem Elben. Oh, wie er sich auch so ein Korsett wünschte! Wie gern er damit vor den anderen Kriegern angeben würde! Ob es das wohl auch in Pink gab? Mit einer gekonnten Bewegung zog die Diebin das Schwert. „Tut mir leid, aber ich werde dich umbringen müssen", entschuldigte sie sich. „Das macht nichts", versicherte ihr der blonde Schönling, „du wirst sowieso nicht dazu kommen." Er zog einen zierlichen, mit Runen und Edelsteinen verzierten Dolch aus seinem linken Pantoffel. „Tod der Diebin!", rief er und stürmte vor. „Tod der blonden Stabheuschrecke!", grölte diese und preschte ebenfalls los. Dabei verrutschte ihre Kapuze ein wenig. Das Mondlicht traf auf das alte schartige Schwert und beleuchtete das angetrocknete Blut. Der Elb erstarrte mitten im Lauf. Sein Mund war zu einem stummen Schrei der Verblüffung und Furcht geöffnet. Der Grad der Verblüffung nahm zu, als das Schwert zwischen seine Rippen glitt, sich den Weg durch seine Eingeweide bahnte und schließlich mit einer hinterhältigen Umdrehung herausgezogen wurde. Sterbend brach er zusammen. Doch er hatte noch genug Speichel, um der Korsettträgerin mit einem hasserfüllten Blick zuzuzischen: „Du kriegst nie einen Mann!" Daraufhin hauchte er endgültig sein strahlendes Lebenslicht aus und der rosa Spitzensaum färbte sich dunkelrot. Die Mörderin steckte ihre Waffe weg und rückte ihre Kapuze zurecht. „Abwarten", murmelte sie.

„Endlich daheim!" Der Kapuzenmantel flog in die hinterste Ecke der zugigen Höhle, das Kettenkorsett folgte. Die junge Frau warf sich auf ihr Lager aus Fellen und rauen Decken und atmete tief durch. Ihr Name war Marianne Susanna de Fortisqueu. Aber da sie keine Adlige war, wurde sie von allen nur Mary Sue gerufen. Sie war das wohl mysteriöseste junge Ding von ganz Isengard. Und dort waren die jungen Dinger bekanntermaßen nicht gerade zahlreich. Zwei Dinge beschäftigten die Orks, Kobolde und anderen Schreckgestalten, die dort hausten am meisten. Da gab es einerseits die ungewisse Abstammung Mary Sues. Einige behaupteten, sie wäre der verschollen geglaubte Nachkomme von Azog, dem größten Orkhelden, der je gelebt hatte, andere glaubten, sie wäre das ungewollte Erzeugnis einer Beziehung zwischen einem Ork und einer Elbe. Und wieder andere vertraten die Ansicht, sie wäre einfach vom Himmel gefallen. Ein weiteres Thema, über das sich die Kreaturen Morgoths gerne die großen Mäuler zerrissen, war ihr Antlitz, genauer gesagt, wie es denn eigentlich aussah. Dieses verbarg Mary Sue nämlich vor den anderen, nie sah man sie ohne ihre tief ins Gesicht gezogene Kapuze. Man munkelte, sie besäße Zauberkräfte und hätte sich bei einem Selbstexperiment grausam verunstaltet, sodass ihr nun Tentakel aus der Nase und Petersiliensträußchen aus den Ohren sprossen. Und unter einigen Schwachköpfen grassierte das Gerücht, sie wäre der zehnte Nazgûl. Nun saß Mary Sue auf den mottenzerfressen Fellen und schüttete den Sack mit dem Diebesgut vor sich aus. Besonders viel war es nicht, schließlich betrieb sie die Gaunerei nur hobbymäßig (hauptberuflich war sie Söldnerin), aber es war für jeden etwas dabei. Ein Amulett mit Schutzrunen für sie, ein Pergament mit alten geheimnisvollen Schriftzeichen für Saruman, den Herrn und Meister, ein versilberter Handspiegel für Lurtz, gewissermaßen ihr Waffenbruder, und natürlich eine abgeschlagene Elbenhand für Uglúk. Ach ja, Uglúk… Wenn sie nur an seinen missgestaltetes, vierschrötiges Gesicht und die betörende Reibeisenstimme dachte, bekam sie Gänsehaut auf den Fußknöcheln. Hauptmann Uglúk, der Uruk-Hai mit den längsten und gelbsten Zehennägeln, die Fleisch gewordene Versuchung, die stank wie zwei ausgewachsene schwitzende Ziegenböcke, die sich in einer Güllegrube gewälzt hatten. Mary Sue seufzte verzückt und setzte ein schwachsinniges, für Verliebte jedoch typisches, Grinsen auf, während sie hinter dem Abfallhaufen ein kleines Buch, Feder und Tinte hervorholte. Dieses streng geheime Dokument beinhaltete ihre literarischen Ergüsse, die ihr immer einfielen, wenn sie an den Uruk dachte. Oder auch einfach nur Berichte von ihren Zusammentreffen mit ihm, die sie eigentlich täglich hatte, denn Isengard war klein und schließlich war er ihr Vorgesetzter. Da stand zum Beispiel: „Uglúk ist heißer als die Lava im Schicksalsberg und schärfer als eine frisch geschliffene Streitaxt." Oder: „Heute hat er mich angeniest. Ich glaube, er erwidert meine Gefühle." Nun schrieb sie mit krakeliger Schrift: „Ich hoffe, ihm gefällt sein Geschenk. Er kann es benutzen, wenn er jemandem eine runterhauen will, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Oder als Briefbeschwerer. Vielleicht schreib ich ihm mal einen Brief. Ob er…" Weiter kam sie nicht, denn der zerfetzte Vorhang vor dem Höhleneingang wurde beiseite gerissen und herein trat Lurtz, der Uruk-Hai. In Windeseile hatte sich Mary Sue in ihren Mantel gehüllt und ihr Gesicht unter der Kapuze verborgen. „Was machst du denn hier?", fauchte sie ihn an. „Was wohl?", knurrte er zurück. „Ich renn mir die Hacken ab, weil der Hauptmann wissen wollte, wo du seit Tagen steckst." In Mary Sues Magen tanzten zwanzig Fledermäuse einen wilden Foxtrott. „Er hat nach mir gefragt?", piepste sie. „Hm." Lurtz inspizierte das Diebesgut und hängte sich das Amulett um den Hals. Mary Sue nahm davon keine Notiz. „Er will wissen, wo ich bin! Er vermisst mich!", jubelte sie überglücklich. „Lass das gefälligst!", rief sie plötzlich und nahm Lurtz die Halskette ab, an der er probeweise geknabbert hatte. Stattdessen drückte sie ihm den Handspiegel in seine schmutzige Pfote. „Da! Das ist für dich!" Lurtz begann angesichts des Geschenks zu strahlen. Wenn es einen Uruk-Hai gab, den an Eitelkeit nichts übertraf, dann war es Lurtz. Er verbrachte Stunden damit, seine Rüstung auf den allgemeinen Charakter seines Äußeren abzustimmen, das heißt, sie kräftig einzusauen und er hatte es fertig gebracht, sich eine Knochenhaarspange anzufertigen, was ihm erlaubte, sein zotteliges Haar zu einem Zopf zusammenzufassen. Dass er dabei wie ein Idiot aussah, traute sich nur deshalb niemand zu sagen, weil Lurtz gleichzeitig auch der reizbarste Uruk-Hai weit und breit war. Entzückt begutachtete er seine deformierte Nase und fuhr sich durchs Haar. „Schöner Uruk-Hai", brabbelte er dabei unablässig, „schöner Lurtz." Mary Sue hatte inzwischen ihr Korsett angelegt und war nun mit dem Waffengürtel beschäftigt. „Ich bringe Sharkû ein Pergament mit Elbengekrakel. Vielleicht ist es ja nützlich." „Aber wenn ich nicht mit dir zurückkomme, beißt Uglúk mir den Kopf ab!", murrte Lurtz und betrachtete sich beim Nasebohren. „Unsinn, das sagt er nur so! Hat er das jemals gemacht?" „Ja. Erinnerst du dich nicht mehr? Letzte Woche, als Ashnotz zu laut gehustet hat, da…" „Schon gut!", Mary Sue   stopfte energisch die elbischen Aufzeichnungen in ihre Tasche. „Ich werde mich beeilen!"

Keuchend stieg sie die vielen hundert Stufen von Orthanc hinauf. Sie fragte sich, wie so ein alter Mann wie Saruman, oder Sharkû, wie die Orks ihn liebevoll nannten, so was tagein, tagaus mitmachte, ohne einen Kreislaufkollaps zu erleiden. Aber er musste sich vorher ja auch nicht durch eine Horde übereifriger Wachen schlagen. Die Wachen im Turm waren ihr schon immer so lieb wie Leibweh gewesen. Sie hielten sich für die crème de la crème Isengards, weil sie so lange Sätze wie „Der Meister gibt keine Audienzen!" und „Wir haben den Befehl niemanden durchzulassen, also verzieh dich, du Kröte!" fehlerfrei und ohne Stottern aufsagen konnten. Mary Sue konnte darüber nur lachen. Und zwar genauso wie sie gelacht hatte, als sie der ersten Wache den Kopf abgeschlagen und ihn einem weiteren Wächter an die Stirn gedonnert hatte. Jetzt warf sie ihn zum Zeitvertreib in die Luft oder balancierte ihn auf der Nasenspitze, bis sie vor der Tür zum Labor des Zauberers stand. „Manchmal ist so ein Dickkopf ganz nützlich", dachte sie und kickte den Schädel aus dem schmalen Fenster. Sie sah ihm hinterher und nickte zufrieden, als er auf den Boden traf und platzte wie eine überreife Melone. Aus Gewohnheit zog sie die Kapuze noch tiefer in ihr Gesicht, dann klopfte sie an die Ebenholztür. „Wer stört?", krächzte es ungehalten von drinnen. Gleich darauf hustete die Person Ekel erregend und eine herrische, wohlklingende Tenorstimme wiederholte: „Wer ist da?"  „Verzeiht, Gebieter! Ich bin es, Mary Sue, und ich bringe Euch die Schriften eines Elben." Die wohlklingende Stimme schwieg eine Weile, dann sprach sie: „Tritt ein!" Mary Sue stieß die Tür auf und betrat das Laboratorium, in dem es nach Schwefel, Moder und gewaltiger Autorität roch. Dort, auf einem schwarz gestrichenen Stuhl im Stil des Ersten Zeitalters, saß Saruman in seiner schmutzigweißen Robe, die er, da er die Flecken nicht mehr raus bekam, einfach vielfarbig nannte. Sein langer weißer Bart streifte den mit Zetteln voller komplizierter Formeln übersäten Tisch. Die junge Frau verneigte sich und übereichte ihm ihr Stück Papier mit den Worten: „Für Euch gefunden, für Euch gestohlen!" „Elbische Poesie war das nicht gerade!", meinte der Zauberer und glättete das Pergament mit einer seiner Gichtklauen. „Verzeiht, Gebieter!" „Wo hast du es her, Mary Sue?" Blinzelnd hielt Saruman das Schriftstück auf Armeslänge von sich entfernt, um es zu entziffern. Schade, dass in Mittelerde noch keiner auf den Gedanken gekommen war, eine Brille zu erfinden. „Gerade frisch aus dem Düsterwald!", entgegnete sie stolz und hoffte auf ein wenig Lob. Sie hoffte vergeblich. Sharkû riss verblüfft die Augen auf. „Also, das… es ist…" stammelte er. „Ja?" Mary Sue tänzelte aufgeregt um ihren Meister herum. „Was ist es, mein Gebieter?" Saruman überflog nochmals die ersten Zeilen. „Es ist… es ist…" Resigniert seufzend ließ er das Blatt sinken. „Ein Kochrezept." „Oh…" Die Söldnerin senkte enttäuscht den Blick, was Saruman natürlich nicht sehen konnte. „Verzeiht, Gebieter", entschuldigte sie sich schon zum dritten Mal in wenigen Minuten. „Nicht schlimm", seufzte er. „Wenigstens kann ich jetzt behaupten, Elbisch kochen zu können." Er deutete auf die Tür. „Du kannst gehen." Doch Mary Sue blieb wie angewurzelt stehen. Sie hatte sich an den überheblichen Wachen vorbeigekämpft und sich aberhunderte Stufen hoch gequält. Und jetzt sollte sie einfach wieder verschwinden, ohne auch nur das kleinste bisschen einer Belohnung erhalten zu haben? Oh nein, mein Herr, mit jeder anderen hätte er das machen können, aber nicht mit Mary Sue! „Mein Gebieter, ich finde, ich habe eine Belohnung verdient", begann sie. „So, findest du?", schnarrte Saruman verächtlich. Er erhob sich und machte Anstalten, in den Nebenraum zu verschwinden. Sie versperrte ihm den Weg. „Ich habe mich ins Feindesland begeben, habe mein Leben aufs Spiel gesetzt und für wen?" Sie holte tief Luft. „Für Euch!" „Nun", erwiderte Sharkû unbeeindruckt, „dann gebe ich dir den morgigen Tag frei." „Was?", fragte Mary Sue fassungslos. „Du hast richtig gehört. Du hast einen Tag Urlaub. Amüsier dich, spiel mit deinen kleinen Orkfreunden im Matsch, aber lass mir gefälligst meine Ruhe!" Damit lief er an ihr vorbei in den kärglich eingerichteten  Raum, in dessen Mitte sich der Sockel mit dem Palantir befand. Doch so leicht gab sich die sturköpfige Kriegerin nicht geschlagen. „Das ist keine richtige Belohnung!", schnaubte sie. „Und wenn schon", murmelte Saruman, während er sich an dem Stein zu schaffen machte. „Wenn ich keine Belohnung kriege", zeterte Mary Sue, „dann schreie ich eine halbe Stunde lang!" und zum Beweis stieß sie einen schrillen Schrei aus, der das Gehör des Zauberers auf eine harte Probe stellte. Das Gleiche wiederholte sie eine Oktave höher. „Aufhören!", brüllte Saruman gegen die Lärmbelästigung an. „Aufhören! Ja, du kriegst ja deine Belohnung!" So schnell, wie Mary Sue ihren Sirenengesang angestimmt hatte, so schnell verstummte sie wieder „Na, also", sagte sie freundlich und kicherte piepsig mit mädchenhaft gekreuzten Beinen. „Weiber!", brummte der Zauberer in seinen glücklicherweise sehr dichten, schalldämpfenden Bart. „Also schön", seufzte er an die junge Frau gewandt, „was willst du? Schmuck? Schöne Kleider? Anderen weibischen Krimskrams?" „Nichts dergleichen." Mary Sue umkreiste neugierig den Palantir und wollte ihn berühren, zuckte aber zurück, als der Stein laut und unhöflich „Finger weg!", sagte. „Ich will, dass du mir mit deiner Kristallkugel eine ganz bestimmte Frage beantwortest." „Erstens", dröhnte Saruman salbungsvoll, „ist das ein Palantir und keine Kristallkugel. Und zweitens zieht kein anständiger Zauberer eine lächerliche Kugel zu Rate." „So? Was dann?" Zu Mary Sues großem Erstaunen holte ihr Gebieter plötzlich einen Satz Spielkarten, ein Pendel und ein paar Teeblätter aus der Luft. „Na… was anderes eben."

„Nun, meine Liebe", Sarumans Stimme troff vor übertriebener Höflichkeit, „stell mir deine Frage!" Sie saßen an einem kleinen Tischchen, über das ein violettes Tuch voller seltsamer Zeichen ausgebreitet worden war, der Zauberer auf seinem schwarzen, antiquarischen Stuhl, die Söldnerin in einem ausrangierten Koboldsessel, in den sie ihr nicht gerade zierliches Hinterteil gequetscht hatte. „Wohlan!", rief Mary Sue, weil sie fand, dass es sehr vornehm klang und weil sie überlegen musste, wie sie ihre Frage am besten formulierte ohne dass es allzu peinlich klang. „Naja, da ist dieser eine Uruk-Hai…", fing sie an und hätte sich im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen. Sarumans süffisantes Lächeln sprach Bände. „Ich verstehe", grinste er schmierig. „Na, dann wollen wir mal, was?" „Ja, das wollen wir", antwortete sie hoheitsvoll. „Aber sei dir darüber im Klaren, dass die Geister in Rätseln sprechen", warnte Sharkû mit betont geheimnisvoller Miene. Daraufhin legte er die Spielkarten dergestalt auf den Tisch, dass sie, bei genauerem Hinsehen ein Kaninchen darstellten, das allem Anschein nach einem tollwütigen Oliphanten begegnet war. Darüber goss er eine Tasse Tee  und schwenkte schließlich noch das Pendel ein paar Mal im Kreis. „Hm…hm-hm", brummte er dabei und machte damit einem Ent Konkurrenz. „Und?" Mary Sue hopste auf ihrem unbequemen Sitz auf und ab. „Hm…" Saruman legte die Fingerspitzen aneinander und sah sie durchdringend an, dann blickte er wieder auf den Unrat, den er über das Tischtuch verstreut hatte: „Die Karten sprechen von einem Uruk-Hai… er ist groß und breitschultrig… sein Haar zerzaust, seine Zähne gelb… und er stinkt." „Das ist er!", rief Mary Sue freudig aus. „Das ist er ganz bestimmt!" „Er wird so sehr in Liebe zu dir erglühen, dass der Boden unter seinen Schweißfüßen schmilzt.", prophezeite der Zauberer. „Oh! Wirklich?", quietschte das burschikose Fräulein ihm gegenüber hocherfreut. „Die Karten lügen nicht!", bestätigte Saruman. „Dann… dann… habt tausend Dank, Gebieter! Entschuldigt!" Es gab einen gehörigen Knall, als der Sessel umkippte, dann noch einen, als die Tür zuflog. Weg war sie. Kopfschüttelnd  schlurfte Saruman zurück zu dem dunklen Raum mit dem dunklen Stein. Plötzlich leuchtete der Palantir feuerrot auf und ein wirklich ungemütlich aussehendes, böse blickendes flammendes Auge erschien. „Ist dieses nervige Monster endlich weg?", fragte es vorsichtig nach allen Seiten spähend. „Ja, ich denke schon", Saruman lauschte dem Geräuschpegel auf der Treppe. „zumindest klingt es so, als würde sie gerade sämtliche Stufen hinunterfallen. „Recht so", knurrte das Auge voll grimmiger Genugtuung. „Jaja, sehr recht, Sauron, Herrscher der Erde!", nickte der Zauberer bekräftigend. „Schleimer!", betitelte ihn Sauron. „Ja, Sauron, großer Meister, gewiss!" Das Auge verdrehte sich stöhnend. „Warum hast du ihr nicht die Wahrheit gesagt?", wollte es plötzlich wissen. „Ganz einfach, oh, Herr und Meister! Sie hätte mir den Turm zusammengebrüllt." „Hm… wie wahr, wie wahr", sinnierte Sauron. „Ja, nicht wahr, Herrscher der Erde?" „Sei still, du Pfeifendeckel!" „Ja, Herr, gewiss doch, Herr…"

Mary Sues Herz klopfte bis zum Rand ihrer Kapuze. Sie fasste in ihre Tasche und stellte erleichtert fest, dass sich die Elbenhand trotz des süßlichfaulen Geruchs noch immer glatt und fest anfühlte. Nichts wäre ihr peinlicher als Uglúk eine verschrumpelte und vertrocknete Hand zu schenken. Sie hörte ihn bereits kommen, gemessenen Schrittes ging er an den Kriegern vorbei und die raue Stimme ließ hier und da aufmunternde Worte erklingen: „Los, bewegt euch, ihr Maden! Wird's bald? In Reih und Glied, ihr Schweine, und Klappe halten oder ich schneid euch eure verlogenen Zungen raus!" Der Söldnerin lief ein wohliger Schauer über den Rücken. Nein, das war kein Schauer, das war heißer, stinkender Atem, der über ihre Wirbelsäule strich. „Na, meine süße Sue", lispelte es. Sie blickte starr geradeaus. „Hau ab, Gurdrug!", zischte sie eisig. Doch kaum einen Wimpernschlag später stand er schon vor ihr. Gurdrug, knochig, hohläugig, sabbernd, widerlich. Er war nur ein einfacher Ork, konnte eigentlich nicht mit den großen Uruk-Hai mithalten. Trotzdem stand er bei jedem Appell brav stramm, meist möglichst nahe an Mary Sue. „Ich sag es nur noch einmal: Hau ab!", fauchte sie gereizt. „Aber ich liebe dich!", jammerte er, streckte die magere Hühnerbrust heraus und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, also ungefähr bis zu Mary Sues Brustbein. „Nein, du kriegst nur keine ab und gräbst aus Verzweiflung jede an", berichtigte sie ihn. „Nein, diesmal ist es ernst, ehrlich!", beteuerte Gurdrug. Dabei versuchte er, mit seinen tief liegenden Augen verführerische Blicke auszusenden. Diese prallten jedoch an seiner Herzensdame ab wie Pfeile an einer Steinmauer. „Mach dich vom Acker, bevor Uglùk kommt!", befahl Mary Sue ungeduldig. Schon konnte sie die strohähnlichen Haare ihres Angebeteten ihn der leichten Brise wehen sehen. „Willst du mich mal ohne Rüstung sehen?", schnaufte der Ork lüstern und wollte seine spitze Nase zwischen die Eisenkörbchen stecken. „Nein", sagte sie ehrlich und schob ihn bestimmt weg. „Is' was?" Lurtz schob sich durch die Reihen der Uruk-Hai. Er sah aus, als hätte er ein Vogelnest auf dem Kopf. Mary Sue kniff die Augen zusammen und betrachtete ihn genauer. Es war ein Vogelnest. „Wie siehst du denn aus?", rutschte es ihr heraus. Lurtz rümpfte die Nase. Wahrscheinlich hielt er sie für eine komplette Dilettantin. „Schön", erwiderte er hochnäsig und zupfte ein paar Zweige zurecht. „Naja", murmelte Mary Sue und hinderte Gurdrug gleichzeitig darin, unter ihren Mantel zu schlüpfen. „Wie kuschelig, wie heimelig!", keckerte der kleine Ork vergnügt. „Ich würde doch gerne an deinem Vergnügen teilhaben, Gurdrug!", knurrte die rettende Bassstimme drohend. „Was ist denn so kuschelig, hä?" Mary Sue seufzte erleichtert. Uglúk, ihr Uglúk, war ihren stummen Hilfeschreien gefolgt. Begleitet von Mauhur, nach Lurtz der stärkste Uruk-Hai und Uglúks ständiger Begleiter. Währenddessen war Gurdrug ziemlich weit davon entfernt erleichtert zu sein. „Mein Hauptmann", winselte er kriecherisch, „es ist nicht so, wie es aussieht." Der oberste der Uruk-Hai entblößte schadhafte, jedoch immer noch messerscharfe Reißzähne. „Wie ist es dann?", knurrte er noch eine Spur kehliger und Mauhur grunzte dazu wie ein wütender Eber. Es bereitete der Söldnerin große Freude, zuzusehen, wie das Herz des orkischen Casanovas seinen gewohnten Platz verließ und in den zweifelhaften Genuss der Rutschpartie in Richtung Hose kam. „Wir können sie uns ja teilen…", schlug er zaghaft vor und deutete mit dem Kopf auf Mary Sue. Im nächsten Augenblick hing er gut einen halben Meter über dem Erdboden und schnappte nach Luft. „Ich teile nicht mit einer Made!", klärte ihn Uglúk auf. Sein Griff um Gurdrugs Hals verstärkte sich. „Wenn ich sie will, dann gehört sie mir allein!" „Sehr richtig!", ereiferte sich Mary Sue. Lurtz bedachte sie lediglich mit einem Seitenblick und schüttelte den Kopf. Natürlich nur ganz vorsichtig, damit das Nest nicht verrutschte. Mit einem undefinierbaren Laut irgendwo zwischen einem Grunzen und einem Lachen schleuderte Uglúk den schmächtigeren Ork durch die Luft, ließ los und beobachtete selbstzufrieden wie er quiekend davonsegelte. Mauhur klatschte begeistert in die Hände: „Du hast es immer noch drauf! Wirfst die Maden immer noch am weitesten." Der Hauptmann nickte nachdrücklich, nicht ohne seinem Gefährten jedoch ein Zähnefletschen zu schenken, was bei Orks als Lächeln durchging. Daraufhin verschränkte er die Arme vor der Brust und trat auf Mary Sue zu: „Hör mal, ich dulde keine…" Die Vermummte witterte ihre Chance. Sie fiel auf die Knie und hielt ihm ihre verwesende Trophäe entgegen. „Nehmt dies zum Dank und als Zeichen meiner Loyalität!", murmelte sie ergeben. Uglúk wirkte irritiert. Hilfe suchend sah er sich nach Mauhur um, doch der zuckte nur mit den Schultern. „Ich wollte natürlich sagen: Nimm das Ding, bist eh der Stärkere!", verbesserte sich Mary Sue sogleich. Das leuchtete dem großen Uruk-Hai ein. Er packte die Elbenhand, beschnüffelte sie ausgiebig und biss den kleinen Finger ab. Seine Schlitzaugen weiteten sich überrascht. „Hier, riech mal!" Er hielt Mauhur die zarte weiße Hand unter die Nase. Auch er machte große Augen. „Düsterwaldelb", stellte er erstaunt fest, „ungefähr 2500 Jahre alt, Linkshänder, Haare in der Mitte gescheitelt, Vorliebe für Wiesenklee, Silberschmuck und Sommertage." „Verdammt gutes Bouquet", meinte Uglúk und Mauhur grunzte seine Zustimmung. Einerseits glücklich, dass ihr Präsent Zustimmung fand, andererseits überrascht, dass Uglúk Worte wie „Bouquet" beherrschte, blickte die junge Frau ihren Schwarm erwartungsvoll an. Dieser wusste nicht so recht, was er nun sagen sollte. Wenn er sich bedankte, würde man ihn als Weichei abstempeln. Uruk-Hai bedankten sich nicht, das war widernatürlich. Wenn er nichts sagte, würde sie ihn hassen. Und es war nicht gerade ratsam, von solch einer talentierten Kriegerin gehasst zu werden. Schließlich klopfte er ihr zaghaft, dennoch lobend auf die Schulter und murmelte ein „Gut gemacht, Soldat!" Kurz darauf hatte er wieder Haltung angenommen und die gewohnte Reibeisenstimme donnerte: „Nimm dieses lächerliche Ding vom Kopf!" Trotz seiner Proteste und Flüche musste Lurtz zusehen, wie sein modischer Akzent im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten wurde. „Irgendwann kommt der Tag, an dem ich dem Kotzbrocken die Augen rausquetsche und sie dann in seinen verdammten…", grollte der, wie bereits erwähnt, äußerst reizbare Uruk-Hai, als seine Kameradin sich verliebt seufzend an seinen Arm hängte, um nicht vor Glückseligkeit umzukippen. „Er hat sich bei mir bedankt", gurrte sie. „Bedankt!?" Lurtz traute seinen großen Ohren nicht. „Das war kein Dank. Ein bisschen Getätschel und irgendwas dahingesagt. Ist das Dank?" „Ja", hauchte Mary Sue, bevor sie ohnmächtig auf dem Boden aufschlug.