Die geheimnisvolle Lady

Es ist der Tag vor Allerheiligen. Elizabeth Bennet bricht sich den Fuß im herbstlichen Park von Pemberley, das sie zufällig mit Mr. und Mrs. Gardiner besucht. Gegen ihren Willen muß sie sich auf Pemberley auskurieren, jedoch sehr zur Freude Mr. Darcys. Die Begegnung mit einer geheimnisvollen Dame, die niemand sonst zu kennen scheint, verändert ihre ganze Zukunft... Regency, passend zur Jahreszeit ein bißchen mysteriös und unwirklich...

Kapitel 1

Pemberley, 31. Oktober 18xx

„Au!" schrie Elizabeth Bennet schmerzgepeinigt und überrascht auf, als sie sich plötzlich auf dem nadelbedeckten Waldweg wiederfand – auf dem Bauch liegend und alle Viere von sich gestreckt. Sie hatte die Wurzel nicht gesehen, die sich heimtückisch quer über dem ganzen Weg ausbreitete und sie zu Fall gebracht hatte. Mühsam richtete sich die junge Frau auf, suchte Halt an einem Baumstamm, um wieder aufzustehen, doch der Schmerz fuhr ihr mit solcher Gewalt in den verstauchten Knöchel, daß sie wieder zu Boden sank. Tränen schossen ihr in die Augen.

Hervorragend, dachte sie mürrisch, muß ich mir ausgerechnet im Park von Pemberley den Knöchel verknacksen! Verdammt, verdammt, verdammt! Das tat vielleicht höllisch weh! Durch ihren Schmerzensschrei alarmiert, kamen Mr. und Mrs. Gardiner in diesem Augenblick auch schon herbeigeeilt. Sie hatten noch einen besonders schönen Teil des riesigen Parks bewundert und waren ein Stück hinter Elizabeth zurückgeblieben, als sie ihren Schrei hörten. „Lizzy!" rief Mrs. Gardiner erschrocken aus und kniete sich neben ihrer Nichte nieder. „Was ist geschehen, Kind?" Elizabeth deutete schweigend auf ihren verletzten Knöchel. „Verstaucht," brummte sie und wischte sich ungeduldig zwei Tränen von der Wange.

„Du Arme," tröstete ihre Tante. „Wie sollen wir dich jetzt bloß nach Lambton zurückbekommen? Edward, vielleicht solltest du im Herrenhaus um Hilfe bitten!" „Nein!" rief Elizabeth erschrocken und ihre Verwandten starrten sie verblüfft an. Elizabeth errötete. „Nein," sagte sie, diesmal ein wenig ruhiger. „Es geht schon. Wenn du mich stützt, Onkel, kann ich langsam humpeln. Wir müssen die Darcys nicht mit solchen Kleinigkeiten belästigen." „Lizzy, es ist viel zu weit! Das kommt gar nicht in Frage. Edward, wenn du..." Sie schwieg, als ein Mann in Gärtnerkleidung näherkam und höflich grüßte. „Kann ich helfen?" fragte er hilfsbereit, als sein Blick auf die verletzte Elizabeth fiel. Mrs. Gardiner schaute ihn dankbar an. „Oh ja, sehr gerne. Wir müssen meine Nichte irgendwie nach Lambton bringen."

Der Gärtner kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Das ist sehr weit, Madam. Wir sollten die Miss zunächst ins Haus bringen. Mrs. Reynolds kann dann entscheiden, was zu tun ist." Elizabeth wollte protestieren, doch sie konnte sich nicht durchsetzen. Der kräftiggebaute Gärtner nahm sie kurzerhand auf den Arm und schleppte sie durch das kleine Waldstück über den Rasen zum prachtvollen Anwesen der Darcys. Seine verletzte Fracht war jedoch wütend. Sie wollte nicht ins Haus, sie wollte es dieser Mrs. Werauchimmer nicht gestatten, über sie zu entscheiden und sie wollte vor allem Mr. Darcy nicht über den Weg laufen! Das war ihre größte Sorge. Nicht auszudenken, wenn er sie hier sah... auf seinem eigenen Grund und Boden! Was für eine unsägliche Idee war es überhaupt gewesen, Pemberley zu besuchen! Sie hatte vorher schon gesagt, daß sie nicht in die Nähe des Hauses kommen wollte, unter keinen Umständen – und jetzt wurde sie geradewegs hineingetragen! Argh!

Der freundliche Gärtner setzte Elizabeth in einem hübschen, luftigen Salon ab, wo sie von der Haushälterin, Mrs. Reynolds, in Empfang genommen wurde, tippte grüßend an seine Mütze und ging wieder an seine Arbeit. Die ältere Dame, von den Gardiners bereits über den Vorfall informiert, rang die Hände und machte viel Aufhebens um Elizabeths Knöchel. „Oh Miss, ich hoffe, sie sind nicht allzu schlimm verletzt? Ich habe vorsichtshalber gleich nach Doktor Myers senden lassen, er wird in Kürze eintreffen, seien sie unbesorgt. Liebe Güte, Mr. Darcy wird außer sich sein, wenn er erfährt, daß sich ein Besucher auf seinem Grundstück verletzt hat!"

Elizabeth hatte dem Wortschwall ungeduldig zugehört und verschaffte sich nur langsam Gehör. „Bitte, Madam, bitte lassen sie mich einfach gehen, es gibt keinen Grund, den guten Doktor zu behelligen. Mir geht es gut, ich kann gut auf einem Bein..." „Oh nein, Miss, das kommt überhaupt nicht in Frage!" unterbrach Mrs. Reynolds. „Ich lasse sie in eines der Zimmer bringen, dort können sie in Ruhe warten, bis Doktor Myers kommt. Sie brauchen auf alle Fälle jetzt Ruhe, meine Liebe!"

Die Haushälterin duldete keinen Widerspruch und Elizabeth wurde, mit Zustimmung ihrer Verwandten, in ein Zimmer im ersten Stock gebracht. Mrs. Reynolds höchstpersönlich begleitete sie, inzwischen von den Gardiners über ihre Bekanntschaft mit dem Herrn des Hauses informiert. Die gute Haushälterin, erfreut über die „Freunde" ihres Herrn, teilte ihnen bedauernd mit, daß ihr Master leider nicht anwesend war und in den nächsten Tagen erst zurückerwartet wurde – sehr zu Elizabeths Erleichterung. Widerspruchslos ließ sie sich in einen großen, sehr bequemen Sessel am Fenster verfrachten und versprach, dort brav zu ruhen und auf den Doktor zu warten. Die Gardiners und die Haushälterin ließen sie alleine zurück.

Elizabeth schaute sich neugierig in dem hübsch eingerichteten Zimmer um. Ein wirklich sonniger, freundlicher Raum. Wie überhaupt alles, was sie bisher von Pemberleys Interieur gesehen hatte, äußerst ansprechend war. Erlesen, aber nicht pompös eingerichtet. Das mußte man Mr. Darcy lassen, er hatte einen sicheren, ausgezeichneten Geschmack. Dieses Zimmer hier war ebenfalls äußerst behaglich. Das große Bett machte einen komfortablen, einladenden Eindruck, die restliche Einrichtung deutete darauf hin, daß eine Frau diesen Raum bewohnte. Edle Hölzer, zarte Möbelstücke, flauschige Teppiche. Ein Bildnis an der Wand über dem Kamin erregte Elizabeths Aufmerksamkeit. Sie kniff die Augen zusammen, da sie ja nicht aufstehen konnte, um es von nahem anzuschauen, doch sie war ziemlich sicher, daß es sich um ein Porträt Mr. Darcys handelte. Ein Kinderbild. Der junge Fitzwilliam Darcy, der einen Welpen, war es ein Bordercollie? im Arm hielt und den Künstler schüchtern anlächelte. Es war ein reizendes, anrührendes Bildnis.

Elizabeth betrachtete das Porträt eine zeitlang und verlor sich in ihren eigenen Gedanken. Mr. Darcy. Was würde er wohl dazu sagen, wenn er sie hier antraf? Liebe Güte, es wäre ihr unendlich peinlich! Was er wohl von ihr halten würde! Einfach uneingeladen wie eine neugierige Sommerfrischlerin durch seinen Park zu stapfen. Sie seufzte leise auf. Glücklicherweise war er nicht anwesend und würde es auch so bald nicht sein. Sie hatte gerade nochmal Glück gehabt! Mrs. Reynolds würde ihm sicherlich davon berichten, aber bis dahin wären sie schon wieder auf dem Weg zurück nach Hertfordshire und sie würde Mr. Darcy niemals wiedersehen.

Die letzten Strahlen der Nachmittagssonne lugten über die hügelige Landschaft und tauchten den Raum in ein goldenes, unwirkliches Licht. Elizabeth starrte wehmütig aus dem Fenster. Niemals wiedersehen... wieso störte sie der Klang dieser Worte? Wieso machten sie sie traurig? Sei nicht albern, Lizzy, schalt sie sich selbst. Aus welchem Grund solltest du ihn denn überhaupt wiedersehen? Du hast ihn in Rosings abgewiesen, und nach Mr. Bingleys Abreise hat er in Hertfordshire auch nichts mehr zu tun... warum stört dich das plötzlich so sehr, Elizabeth Bennet...?

Sie konnte und wollte sich diese Frage nicht beantworten und versuchte entschlossen, die unerfreulichen Gedanken an den Herrn von Pemberley aus ihrem Kopf zu verbannen. Er war Vergangenheit. Dieses Thema war eindeutig abgeschlossen. Punkt. Sie mußte sehen, daß sie von hier verschwand! Wo blieb denn dieser Doktor nur! Müdigkeit und Erschöpfung überkam sie. Was für eine idiotische Idee, zu Fuß nach Pemberley zu marschieren! Seufzend ließ sich Elizabeth in den bequemen Sessel zurücksinken und schloß für einen Moment die Augen. Wenn doch der Doktor nur bald käme...!

Kurze Zeit später hörte sie, wie die Tür vorsichtig geöffnet wurde. „Hier bist du ja, meine Liebe!" erklang eine erleichterte Stimme, leise Schritte kamen eilig näher und wenige Augenblicke später spürte sie einen Arm, der sich liebevoll um ihre Schultern legte.