Hallo, ihr Lieben. Da bin ich wieder mit einer weiteren Übersetzung. Die Geschichte heißt im Englischen "Caving In" und ist von Froody. Sie besteht aus zwei Kapiteln und ist natürlich wieder eine Lily/James-Geschichte. Ich hoffe sie gefällt euch genauso gut wie mir. Über Reviews zur Geschichte und zur Übersetzung freue ich mich natürlich immer. Also viel Spaß beim Lesen. Alles Liebe, eure Melissa.
Seit ihrer Einführung in die Zauberwelt hatte Lily viele Dinge gelernt. Sie hatte sogar so, so viele Dinge gelernt, dass sie gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Nach der Tatsache, dass Magie mehr als nur Fiktion war, war wahrscheinlich eines der wichtigsten Dinge, die Lily gelernt hatte, dass der Klang von James Potters Stimme grundsätzlich Schwierigkeiten bedeutete.
Potters Stimme: ein Auslöser für Chaos, Unordnung und im allgemeinen Unheil. Sie war laut. Sie machte einen verrückt. Und was noch schlimmer war, sie war unbestreitbar attraktiv. Sie hatte einen vollen angenehmen Klang, voller Lachen und verspielter Jungenhaftigkeit. Sie gab den Befehl eines Schulsprechers mit Leichtigkeit wieder und war unübertroffen darin, aufwendige Ausreden zu erfinden, wenn er auf frischer Missetat erwischt wurde. Den einzigen Makel, den Lily wirklich an dieser Stimme finden konnte war die Tatsache, dass sie James Potter gehörte.
Leider war das ein Makel, über den sie nicht hinwegsehen konnte.
Es war die pure Ungerechtigkeit, dass so eine schöne Stimme dem größten Idioten überhaupt gehörte. Potter verhielt sich mittlerweile nicht mehr ganz so sehr wie ein Idiot - manchmal sogar überhaupt nicht – aber Lily war sich des schlummernden Trottels hinter dieser Stimme bewusst. Trotzdem reichten nur ein bis zwei Wörter von Potter aus, um ihren Bauch in einen Sack voll Zischender Zauberdrops zu verwandeln. Es war eine unwillkommene Entwicklung, die sich erst vor kurzem ergeben hatte, der sie aber nicht nachgehen wollte.
All dies trägt dazu bei Lilys heftige Reaktion zu erklären, als eine körperlose Stimme sie auf halbem Weg in einem verlassenen Korridor im Ostflügel ansprach.
„Hallo?"
Sie zuckte zusammen und ihre Bücher fielen ihr aus den Armen. Das Herz war ihr in den Hals gehüpft und sie klammerte das letzte Buch an ihre Brust – Der Ratgeber für Schulsprecherinnen: Wie man die Gefahren des Alltags abwendet, 3. Auflage– und drehte den Kopf hektisch in alle Richtungen.
Die Stimme sprach erneut, diesmal lauter.
„Hallo? Ist da jemand?"
Da war niemand, soweit Lily das sehen konnte. Der Korridor war genauso verlassen, wie er es auch vor einigen Sekunden gewesen war. Der einzig sichtbare Anwesende war eine recht unschöne Statue von Gregor dem Kriecher und der hatte noch nie zuvor die Absicht gezeigt, sich nach Sperrstunde mit Schulsprecherinnen zu unterhalten.
„Ich kann dich da draußen atmen hören, okay? Sag doch was!"
Mit pochendem Herzen wippte Lily von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste natürlich zu wem diese Stimme gehörte – schon beim ersten Wort hatte sie es gewusst – aber die Tatsache, dass ein unsichtbarer James Potter nach ihr rief, erweckte in ihr nicht das Bedürfnis zu antworten. Sie hatte die Gesellschaft des Schulsprechers bereits lange genug ertragen müssen, um diese Situation nicht verdächtig zu finden. Das war ein Streich in Planung und Lily hatte nicht vor, hier zu bleiben und das Opfer eines Streichs zu werden.
Und ihr Bauch hatte kein Recht dazu, so aufgeregt zu flattern.
Lily sammelte ihre Bücher vom Boden auf, drehte sich schwungvoll um und machte sich daran den Korridor zu verlassen.
„Wenn du noch da bist… bitte. Bitte sag etwas."
Lily geriet ins Stocken und blieb stehen. Die Stimme – Potters Stimme – klang schon fast verzweifelt. So hatte sie sich noch nie angehört. Es war beunruhigend und was noch schlimmer war, es machte es Lily unmöglich noch länger zu zögern. Sie hatte Hilferufe noch nie ignorieren können, auch wenn sie von verhassten Schulsprechern kamen.
Sich komplett dessen bewusst, dass sie damit Potter direkt in die Hände spielte, drehte sich Lily um. Der Korridor war noch genauso verlassen wie zuvor. Sie blickte hilfesuchend zu Gregor den Kriecher, aber die Statue hielt keinerlei Ratschlag für sie bereit.
„Potter?", fragte sie vorsichtig. Sie hoffte der Streich wurde schnell und relativ schmerzlos vonstattengehen, nicht wie diese Sache mit den Federn, die achtundvierzig Stunden lang hielt und die den Rumtreibern so viel Spaß bereitete.
„Lily?"
„Tja, es ist bestimmt nicht Mrs Norris."
„Merlin sei Dank bist du es."
Potter klang mehr als erleichtert, Lily konnte dasselbe nicht von sich behaupten. Sie begann so langsam zu ahnen, dass Potter in irgendwelchen Schwierigkeiten steckte und in vielerlei Hinsicht war das eine Erleichterung und in anderer Hinsicht, die mit dem Flattern ihres Bauches zu tun hatte, nicht. Wenn Potter einen guten Grund hatte unsichtbar zu sein, wollte Lily ihn unbedingt hören.
„Potter."
„Ja?"
„Wo bist du?"
„Ah. Ich dachte mir, dass du das fragen würdest."
„Eine kluge Schlussfolgerung."
„Ich wette, du bist überrascht mich hier anzutreffen. Und das auch noch am Abend eines phänomenal erfolgreichen Quidditchspiel."
„Wirklich angetroffen hab ich dich ja noch nicht? Ich wurde nur von deiner körperlosen Stimme belästigt."
„Belästigt ist ein hartes Wort."
„'Körperlos' ist das interessantere Wort, findest du nicht?"
„Da muss ich dir wohl Recht geben."
Lily presste die Bücher an ihre Brust. Sie spürte wie ihre Nervosität langsam in etwas Schärferes verwandelte. Es fühlte sich an wie Frustration, es fühlte sich an wie Zorn und es fühlte sich angenehm bekannt an. Sie ließ sich voll und ganz darauf ein.
„Potter, wenn du mir nicht in genau fünf Minuten sagst, wo du steckst, pfeife ich nach Filch und du wirst die wahre Bedeutung des Wortes ‚belästigt' erfahren."
Ein tiefes Seufzen erklang irgendwo zu Lilys Linken. Sie drehte sich triumphierend um und blinzelte ins Gesicht von Gregor dem Kriecher.
„Ich habe versucht nach Filch zu pfeifen. Hat nicht funktioniert."
„Hast du das?"
„Pfeifen, Rufen und so gut wie alles bis auf das Läuten einer Kuhglocke. Er muss wohl am anderen Ende des Schlosses sein, genauso wie alle Professoren. Ich habe einen Höllenlärm gemacht."
Lily wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie hatte noch nie davon gehört, dass ein Schüler freiwillig versucht hätte, die Aufmerksamkeit von Filch auf sich zu ziehen. Selbst die Rumtreiber hatten sich dass nicht getraut – zumindest nicht bis heute Abend. Etwas Seltsames ging hier vor.
Lily lud ihre Bücher auf dem Boden ab, schenkte dem Ratgeber für Schulsprecherinnen einen bösen Blick und richtete sich wieder auf. Es half alles nichts. Wenn Potter sich in eine außergewöhnlich verzwickte Lage gebracht hatte, sah es ganz so aus, als wäre es an Lily ihm da wieder rauszuhelfen.
„Raus damit, Potter. Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiß, was du jetzt schon wieder angestellt hast."
Erneut erklang ein tiefes Seufzen. „Sieh mal, Lily. Es ist – ähm – ein wenig peinlich. Könntest du... Sag einfach Sirius, dass er herkommen soll, in Ordnung?"
Lily stemmte die Hände in die Hüften. „Sag es ihm selbst."
„Ich bin gerade nicht wirklich dazu in der Lage, Evans."
„Warum nicht?"
„In Ordnung, in Ordnung. Wenn du unbedingt die Wahrheit wissen willst…"
Lily wartete.
„Ich stecke in dem Gang hinter der Statue fest, das ist alles.", beendete er rasch seinen Satz, wobei seine Stimme viel von ihrem Charme und ihrer Gelassenheit verlor. „Er ist eingestürzt, als ich gerade hinausklettern wollte. Und hier bin ich nun. Deshalb kannst du mich nicht sehen. Und ich hatte gehofft noch etwas Würde bewahren zu können, aber das war's wohl."
Es dauerte einen Moment, bis sie seine Rede wirklich registrierte, aber dann erfolgte ihre Reaktion unmittelbar. Es gab nur eine angemessene Reaktion und die war Panik, also dachte sie, sie sollte es mit einer anderen versuchen.
„Du Idiot!"
„Wie bitte?"
„James Potter, du blöder, blöder, grenzenlos blöder Idiot!"
„Ich nehme an, das ist fair, aber unter diesen Umständen – "
Lily wollte davon nichts wissen. Entgegen ihrer höchsten Anstrengungen, machte sich die Panik in ihr bemerkbar. „Du willst mir also sagen, dass du schon die ganze Zeit hinter dieser blöden Kriecher-Statue feststeckst? Und statt mir die wichtigen Tatsachen mitzuteilen hast du versucht deine Würde zu bewahren, eine Würde, die nebenbei bemerkt, nur in deinem Kopf existiert? Merlin! Ich muss los! Ich werde Hilfe holen, warte hier – "
Lily stakste durch die Bücher, die sie irgendwie im Korridor verteilt hatte und hatte es ein paar Meter weit geschafft, als diese blöde Stimmte wieder erklang und sie wie angewurzelt stehen blieb.
„Warte."
Es war seine Schulsprecherstimme, die starke, fordernde Stimme. Lily reagierte automatisch. Sie lehnte an der gegenüberliegenden Wand und drehte sich mit einem Fluch auf den Lippen und bebender Brust um.
„Warte?"
„Warte. Du darfst mich nicht – Ich will nicht, dass du gehst."
Lily atmete zu schnell und lehnte an einem Wandbehang. Sie verbarg ihre Verwirrung hinter einem finsteren Blick.
„Bist du bescheuert?", blaffte sie. Sie war irgendwie unangenehm berührt und bemühte sich sehr, die Schärfe in ihrer Stimme beizubehalten. „Halb Hogwarts ist über deinem Kopf zusammengestürzt. Ich muss los und Hilfe holen. Ich gehe jetzt."
Sie bewegte sich nicht vom Fleck.
„Nein, das tust du nicht.", sagte Potter und er sagte es mit solcher Überzeugung, dass Lily wusste, dass es wahr war. „Du bleibst hier. Und das Schloss ist nicht über meinem Kopf zusammengestürzt, nur der Ausgang ist versperrt. Also hör auf, so in Panik zu geraten."
Lily zwang sich durch die Nase auszuatmen, stieß sich von der Wand weg und richtete sich auf. Sie fühlte sich ganz und gar nicht mutig, aber sie weigerte sich, sich von ihrer Angst übermannen zu lassen. Sie ging direkt auf Gregor den Kriecher zu und warf einen Blick hinter den Sockel der Statue. Vom Korridor aus nicht zu erkennen, war dort die unverwechselbare Silhouette eines Ganges verborgen. Noch unverwechselbarer waren die Gesteinsbrocken, die den Zugang versperrten. Tja, wenn Hogwarts schon zusammenbrach, dann machte es zumindest keine halben Sachen. Und Potter steckte immer noch dahinter fest…
Sie nieste.
„Lily!"
Lily wischte sich verlegen über die Nase und presste eine Hand gegen den, ihr am nächsten, staubbedeckten Stein.
„Was?"
„Willst du vielleicht eine Lawine auslösen?"
„Vielleicht."
„Das könnte ein tödliches Ende haben, denkst du nicht?"
„Was, hast du etwa erwartet, dass ich dich rette? Hast du denn gar nichts aus unserer langen und qualvollen Geschichte gelernt?"
„Ich bin ein furchtbarer Schüler, wenn ich kein Interesse habe etwas zu lernen, Evans. Aber ich werde mir etwas mehr Mühe geben, wenn du versprichst nicht noch einmal zu niesen."
Lily grinste, aber ihr Lächeln verblasste schnell, als sie sich Potter vorstellte, wie er alleine auf der anderen Seite des mit Gesteinsbrocken versperrten Ganges feststeckte. Sie hatte sich nie wirklich gut mit dem Trottel verstanden, aber wie so viele Dinge in der Zauberwelt, hatte auch ihr Mitgefühl keinen Aus-Schalter. Und Potter war gar nicht so schlimm, wie sie sich immer einredete.
Und seine Stimme rief bei ihr ein leichtes Zittern hervor.
„Wenn das ein Geheimgang ist, Potter, warum läufst du dann nicht zum anderen Ende und gehst dort hinaus?", fragte sie frei heraus und mit der Absicht diesem ganz bestimmten Gedanken ein Ende zu setzen, so lange sie es noch konnte.
Seine Antwort war so nonchalant, dass Lily am liebsten geschrien hätte. „Ich kann nicht. Der Gang ist auch hinter mir eingestürzt."
„Oh." Lily hatte noch einiges dazu zu sagen, fühlte sich im Moment aber nicht dazu in der Lage.
„Ja. Die besten Aussichten haben wir, denke ich, wenn du den Zugang freisprengst."
„Was? Ich?"
„Nein, mein Kumpel Gregor da draußen. Ja, du! Und du beeilst dich besser damit."
Bestürzt ließ Lily den Blick über die Wand aus Trümmern wandern, die Potter von der Sicherheit trennte. „Sieh mal, ich denke nicht, dass ich die richtige Person bin, um - "
Jetzt war Potter an der Reihe zu blaffen. „Bei Merlin, Evans. Abgesehen von mir und Sirius bist du Klassenbeste und obendrein noch Schulsprecherin. Jetzt zück deinen Zauberstab und spreng mich hier raus, ja? Wenn mir irgendwer helfen kann, dann bist du das."
„Ich kann nicht - "
„Du kannst."
„Aber - "
„Ich vertraue dir." Seine Stimme war ruhiger geworden. „Komm schon, Lily. Es ist niemand anders in der Nähe und wer weiß, wie lange der Gang noch standhält bis mir die Decke auf den Kopf fällt. Es ist, als würde ein verfluchtes Damoklesschwert über mir hängen."
Lily schüttelte frustriert den Kopf. Es gab genügend potentielle Desaster hier, um die Traum-Tagebücher für Wahrsagen ein ganzes Jahr lang zu füllen. Was, wenn sie etwas falsch machte? Was, wenn sie es richtig machte, aber die Wucht der Sprengung, das anrichtete, was ihr Niesen nicht geschafft hatte und eine Lawine hervorrief? Was, wenn –
„Ich vertraue dir, Lily.", wiederholte Potter und unterbrach damit ihre panischen Gedanken mit seiner sanften Stimme, die sie dazu brachte ihren Zauberstab aus der Tasche zu ziehen, bevor sie überhaupt wusste, was sie da tat. Sie trat gut zwei Schritte von dem versperrten Gang zurück und hob ihren Zauberstab. Als sie sich aufrichtete, war sie fest entschlossen. Ihre Finger zitterten nur minimal, als sie begann zu sprechen.
„Potter!"
Das war es was sie schrie, den Zauberspruch ganz vergessen, als der Lärm über sie hereinbrach. Eine riesige Folge von Einstürzen brach in dem Moment los, als Lily ihren Mund geöffnet hatte. Sie stand wie angewurzelt da und ihr Herz setzte einen Moment aus. Und dann war der Einsturz vorüber. Und dann –
„James!"
Lily fiel auf die Knie in dem Haufen stechender Trümmer und begann die Steine von dem Gang wegzuschaufeln. Sie war sich kaum darüber bewusst, was sie tat; sie griff einfach nur mit ihrem Händen in den Haufen und räumte Steine weg. Ihr Zauberstab war irgendwo hingerollt. Sie konnte ihn nicht finden, als sie sich schließlich wieder an ihn erinnerte. Vollkommen in Panik dauerte es einige Minuten, bis sie überhaupt die Rufe wahrnahm, die von hinter den Gesteinsbrocken kamen.
„Lily! Bist du verletzt? Antworte mir! Lily!"
„James!", krächzte sie voller Erleichterung, vergaß wieder völlig ihren Zauberstab und kroch nach vorne. „Mir geht's gut! Mir geht's gut. Bist du in Ordnung? Was ist passiert?"
Ihr Herz pochte zwar in ihren Ohren, aber Lily entging nicht das schmerzerfüllte Ächzen auf der anderen Seite des Schutthaufens. Die strahlende Erleichterung in ihrem Gesicht verblasste sofort.
„Was ist los? James? Potter!"
„Nichts, ich – ah. Merlin. Ich bin nur... etwas unmittelbarer gefangen, wenn man es so sagen will. Mit ein paar Steinen auf meinen Beinen, aber nichts mit dem ich nicht klar käme. Nur eine Fleischwunde. Wer braucht denn schon Beine?"
Er machte eine Pause und ihm schien klar zu werden, dass Lily diese Neuigkeiten vielleicht nicht so leichtfertig aufnahm, wie er es beabsichtigt hatte.
„Es geht mir gut. Wirklich. Ich habe etwas Schmerzen, das ist alles."
Lily schien sich nicht mehr daran erinnern zu können, wie man Wörter bildete. Etwas Nasses traf ihre Hand und sie erschrak. Sie sah hinab und stellte fest, dass ihr Umhang tränengetränkt war und ihre Fingernägel zerfetzt und blutig waren. Alles um sie herum war grau von dem Staub.
„Weißt du,", redete James gesprächig weiter und zwang damit Lilys Augen zurück zu den Gesteinsbrocken hinter denen sie ihn vermutete, „ich denke ich kann Licht vom Korridor sehen. Das konnte ich vorher nicht, aber ich nehme an, dieser Einsturz eben – den ich übrigens deinem Niesen zuschreibe – hat einige Trümmer aus dem Weg geräumt. Also haben wir eigentlich Fortschritte gemacht."
Lily schniefte verlegen und schaffte es schließlich ihre Stimmbänder wieder einzusetzen. „Wen von uns beiden versuchst du eigentlich mit deinem Geplapper abzulenken?"
Der Anflug eines trockenen Lachens war in James Stimme zu hören, als er antwortete. „Uns beide, denke ich."
Lily brachte ein dünnes Lächeln zustande. Es verblasste sofort wieder, als sie ihren nächsten Gedanken fasste und sie kam schmerzerfüllt auf die Beine.
„Was mache ich hier? Ich sollte Hilfe holen! Ich hätte mich nie von dir überreden lassen sollen zu bleiben. Idiot!"
James hustete und Lily hielt sofort inne. Seine Stimme war zwar noch genauso fordernd wie zuvor, aber nun angespannt vor unterdrücktem Schmerz.
„Wir haben das doch schon geklärt, Evans. Du gehst nirgendwo hin. Entweder setzt du dich jetzt hin wie eine gute Schulsprecherin, oder ich komme raus und helfe nach."
„Das ist nicht witzig."
„Da könntest du Recht haben."
Trotz der ruhigen Autorität in James blöder Schulsprecherstimme und der Tatsache, dass sich ihre Beine anfühlten, als würden sie gleich genauso zusammenbrechen wie der Gang, schaffte Lily es irgendwie auf den Beinen zu bleiben. Sie war die einzige, die in der Lage war etwas zu unternehmen. Sie war die einzige Schulsprecherin hier, die die Gefahren des Alltags abwehren konnte.
Blödes bescheuertes Buch.
„Du brauchst einen Heiler.", sagte sie und keine Spur von Panik war mehr in ihrer Stimme zu finden. „Du brauchst magische medizinische Versorgung und Dumbledore und lebenslanges Nachsitzen dafür, dass du Fuß in diesen unbestreitbar verbotenen Geheimgang gesetzt hast, der sonstwohin führt. Mach dir keine Sorgen, Potter: wenn du hier rauskommst, wirst du jede Menge Zeit mit mir verbringen. Ich werde dich nämlich mit siebzehn verschiedenen Stufen Schmerz verhexen, weil du mir so viel Stress bereitet hast. Aber jetzt muss ich erst mal los und Hilfe holen."
„Bleib."
„Nein."
„Bitte."
„Ich verspreche mich zu beeilen."
Lily hatte sich schon an Gregor vorbeigeduckt, als James erneut nach ihr rief.
„Ein Patronus wäre viel schneller. Es dauert eine Ewigkeit bis du einen Professor findest. Schick eine Nachricht mit deinem Patronus von hier aus."
Lily kam schlitternd zum Stehen und ein Gefühl von Unsicherheit durchströmte ihre Venen. Sie knetete ihre Hände und blickte von der Statue zum anderen Ende des Korridors und wieder zurück.
„Du hast die Theorie studiert, ich weiß, dass du das hast. Dumbledore hat uns davon in unserem letzten Schulsprechertreffen erzählt. Es gibt keinen effizienteren Weg eine Nachricht zu übermitteln, als mit einem Patronus. Und du bist die beste Zauberkunstschülerin der ganzen Schule. Es schmerzt mein Ego das zuzugeben, aber es ist wahr. Denk darüber nach."
Nach einem Moment nickte Lily. „Du hast Recht. Du hast Recht.", wiederholte sie lauter, eilte zurück und blickte auf die Gesteinsbrocken, die James vor ihrer Sicht verbargen. „Es gibt keine Garantie dafür, dass ich rechtzeitig einen Professor finde." Ihr kam ein Gedanke. „Aber – "
„Nichts aber."
Und James hatte schon wieder Recht. Lily war gerade wieder eingefallen, dass sie ihren Zauberstab verloren hatte, als sie ihn auch schon halb unter dem Sockel der Statue begraben fand. Sie hob ihn auf und empfand Geborgenheit bei dem vertrauten Gewicht in ihrer Hand.
Der Patronus-Zauber: leichter gesagt, als getan.
„Komm schon, Evans.", schimpfte sie mit vor Konzentration verzerrtem Gesicht. „Du hast es schon mal hingekriegt. Eine glückliche Erinnerung und die Zauberformel. Ganz einfach. Flitwick liebt dich nicht grundlos."
„Sollte ich eifersüchtig sein?"
Lily blickte böse zu dem Geheimgang. „Solltest du nicht eigentlich gerade sterben?" Sie kniff die Augen zusammen und versuchte eine glückliche Erinnerung zu finden. Es musste eine wirklich glückliche sein, so hell, dass sie die Dunkelheit vertreiben konnte.
In der Vergangenheit hatte sie die Erinnerung an ihr erstes Treffen mit Severus und der Erkenntnis, dass Magie real war, verwendet. Sie war jetzt nutzlos und unwiderruflich beschmutzt von dem hässlichen Ende ihrer Freundschaft. Also musste sie auf glückliche Erinnerungen aus den ersten Jahren auf Hogwarts zurückgreifen.
Als sie die Möglichkeiten durchging, eine Erinnerung ruiniert durch Sev, eine andere durch ihre Schwester, wurde sie immer gestresster und alles an was sie denken konnte war James und die Tatsache, das er verletzt war, Schmerzen hatte und das seine Beine von Gesteinsbrocken zerquetscht wurden und sie brauchte diese Erinnerung jetzt, irgendeine –
Mit einem hörbaren Schluchzen gab sie auf. „Ich – Ich kann nicht! Ich kann nicht denken. Keine glücklichen Erinnerungen. Ich bin zu – zu – "
Als sie ihr Gesicht in den Händen vergrub, spürte sie, wie ihre Haut vor Beschämung prickelte. Warum konnte es nicht irgendwer, irgendwer anders sein, als James Potter? Sie wollte nicht, dass er sie so schwach sah. Sie wollte nicht, dass er Schmerzen hatte. Sie wollte ihm nur eine reinhauen und sicherstellen, dass er in Sicherheit war.
„Es tut mir Leid.", brachte sie schließlich mit zu Boden gesenktem Blick hervor. „Es tur mir so Leid."
Potters Stimme war im Gegensatz zu ihrer stark und laut. „Das muss es nicht. Tu musst dich nicht entschuldigen, du blöde Kuh. Du bist brillant. Und ich bin es auch. Also machen wir eine Minute Pause und versuchen es später wieder. Denn zusammen sind wir doppelt brillant und wer kann dem schon widersprechen?"
„Niemand."
„Was war das?"
„Niemand.", wiederholte Lily und lächelte durch ihre Tränen hindurch. „Wenn wir zusammen sind, liegt uns die Welt zu Füßen, nicht war?"
„Oder in diesem Fall auf unseren Füßen."
„Idiot."
„Lehrers Liebling."
Lily atmete zitternd aus und wischte mit den Händen über die feuchte Haut unter ihren Augen. „In Ordnung, alles klar. Wir werden – wir werden uns hinsetzen und du wirst reden. Ich würde wirklich gerne erfahren, was dich dazu gebracht hat, in diesem bescheuerten Geheimgang herumzulungern."
„Ich habe einen Kasten Butterbier besorgt."
Lily zog eine Grimasse mit dem Blick auf den blockierten Eingang. „Red keinen Quatsch. Butterbier bekommt man nur in…" Sie brach mitten im Satz ab, als sie die Erkenntnis traf. „Oh."
„Genau. In Hogsmeade. Das ist einer der Geheimgänge, die schlaue Schüler in ihrem zweiten Jahr entdecken, meine liebe Schulsprecherin."
Die liebe Schulsprecherin prustete. „Und ich dachte es wäre einer dieser Geheimgänge, die über idiotischen Schülern in ihrem siebten Jahr zusammenstürzen, Schulsprecher."
„So spricht man nicht mit einem sterbenden Mann, Evans. Ich werde dich als Geist heimsuchen, wenn du so weiter machst."
„Nein, danke. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen. Aber nur damit ich das richtig verstehe, du bist nach Hogsmeade gewandert, um Getränke für die Siegesfeier zu besorgen, richtig?"
„Haargenau."
„Und das Verlangen für Butterbier war stark genug, um dafür dein Leben zu riskieren?"
„Das würdest du gar nicht fragen, wenn du das Spiel gesehen hättest. Es war unglaublich, Lily. Eines der besten überhaupt. Ich sag dir was, wenn ich hier unten den Löffel abgebe, behält man mich zumindest für meine überragenden Fähigkeiten als Quidditchkapitän in Erinnerung."
„Eingebildeter Trottel.", murmelte Lily. Ihr mildes Lächeln im genauen Gegensatz zu ihren Worten. „Genauso wird deine Grabinschrift lauten. ‚Hier liegt James Potter, eingebildeter Trottel bis zum Schluss.' Sie werden deinen Grabstein mit Butterbier und Schnatzen schmücken."
„Das hoffe ich doch. Und nenn mich nicht eingebildet; sonst muss ich weinen. Das ruiniert die Fotos."
„Welche Fotos?"
„Die Fotos für die Sonderausgabe des Tagespropheten anlässlich meiner Rettung."
„Vielleicht für die Tatortfotos der Auroren, du Blödmann."
„Vielleicht. So oder so, bis dahin hast du eine tolle neue Erinnerung für den Patronuszauber."
Es herrschte Stille; offensichtlich wartete James auf eine Antwort. Auf der anderen Seite der Trümmer war Lily bei dieser Erinnerung an die vor ihr liegende Aufgabe wieder in Stress verfallen. Sie biss sich auf die Lippe. Vielleicht sollte sie jetzt loslaufen und Hilfe holen, bevor James sie wieder davon abbringen konnte.
„Ich hoffe du denkst gerade nicht das, was ich glaube, dass du denkst, Evans.", unterbrach James Stimme ihre Gedanken mit gespielter Missbilligung. „Bist du eine Gryffindor oder ein Meerschweinchen? Eine Schulsprecherin oder eine Hufflepuff? Eine Hexe oder eine – "
„Hörst du denn nie auf zu reden?"
„Ich höre nie auf Hoffnung zu haben, so sieht es aus. Und das solltest du auch nicht. Und ich wette, ich wette, wenn wir hier sitzen und uns glückliche Erinnerungen für dich überlegen, taucht dieser Nachrichtenüberbringer-Patronus wie aus dem Nichts auf, ganz wie Zauberei. Und jetzt sag mir: Warum kannst du nicht einfach die Erinnerung an meinen nackten Körper verwenden? Oh, du brauchst nicht schüchtern sein. Du bist mit voller Absicht ins Vertrauensschülerbad geplatzt, gib es zu."
Lily prustete entrüstet und die Worte „unabsichtlich" und „grauenhaft" tauchten am häufigsten in ihrer Tirade auf. „Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt die Sache zu vergessen! Nicht mal wenn es um Leben oder Tod ginge wollten wir darüber sprechen. Und du warst ja noch nicht einmal nackt!"
„Das stimmt – ich hatte Unterhosen an. Tja, das war's dann damit. Wir ändern das, sobald ich hier raus bin, ja?"
Lily stöhnte laut und Lily trat gegen die Wand aus Trümmern. Sie stürzte durch die Wucht des Tritts zusammen und Lily sprang mit einem Schrei auf.
„James!"
„Kannst es kaum erwarten, was?", hustete er von der anderen Seite. „Nein, mach dir keine Sorgen, mir geht's gut. Um genau zu sein – um genau zu sein, kann ich dich sehen!"
Lily warf sich in die Wolke aus Staub und mit schmerzhaft tränenströmenden Augen fuhr sie mit den Fingern über den Zutritt zu dem Gang. Sie fand eine kleine Öffnung, rammte ihre Hand hinein und zerschrammte sie dabei bis zum Ellbogen. „Wo bist du? Ich kann nicht - "
Sie vergaß alle Worte, als etwas ihre Hand packte. Es fühlte sich an wie eine andere Hand. Es fühlte sich an wie James' Hand. Sie schloss sich um ihre Hand und drückte, als wolle sie nie wieder loslassen und Lily drückte genauso fest zurück.
Frische Tränen kullerten ihr über die Wangen.
„Siehst du? Ich hab mir das nicht ausgedacht.", sagte er heiser, wobei jedes Wort von einem Husten begleitet wurde. „Ich persönlich bevorzuge ja die Muggelmethode bei der der Prinz die holde Jungfrau rettet, aber meine Lungen sind weniger begeistert. Du wirst mir vielleicht den Kuss des Lebens geben müssen, sobald du mich hier rausgezogen hast."
„Ist das alles was ich für dich bin? Eine Art Anti-Dementor?"
„Du hast es erfasst."
„Tja, gut dass das jetzt geklärt ist.", sagte Lily, die bis zum Ellbogen in den Trümmern steckte und ihr fiel ein Stein vom Herzen. James war am Leben, am Leben und drückte ihre Hand und irgendwie gab es nun neuen Raum für Hoffnung, weil seine Hand in ihrer lag und seine Stimme trotz allem weiterplapperte. Lily hatte geglaubt, diese Stimme würde ihren Bauch zum Flattern bringen, aber die Wirkung seiner Hand übertraf das bei weitem. Tatsächlich – tatsächlich fühlte sie eine solche Hoffnung und ein solches Glück, dass sie einfach –
„Expecto patronum!", schrie sie und beobachtete wie eine große silberne Tiergestalt aus der Spitze ihres Zauberstabs hervorbrach und davongaloppierte. Sie umklammerte James' Hand so fest, dass er wahrscheinlich neben neuen Beinen auch noch einen neuen Arm brauchen würde.
„Willst du es so früh schon beenden, Evans? Und ich dachte wir würden uns amüsieren."
„Ich hab es geschafft.", hauchte sie und ignorierte ihn völlig. „Ich hab es geschafft! Ich hab nicht darüber nachgedacht, ich hab einfach nur die Worte gesagt. Und es war eine Hirschkuh. Das war es vorher noch nie. Sie war... wunderschön."
Der Druck seiner Hand um ihrer wurde mit jedem Wort fester. Als James sprach, klang er seltsam ehrfürchtig.
„Eine Hirschkuh?"
„Ein Hirsch. Ein weiblicher Hirsch."
Und dann griff eine weitere Hand nach der ihren und Lily glaubte eine ganze Patronus-Hirschfarm beschwören zu können - aber das musste sie nicht. Im nächsten Moment sah sie Dumbledore und McGonagall um die Ecke biegen, er mit Schlafmütze und sie mit Haarnetz.
McGonagall zischte, als sie die Situation vor sich erfasste und ihr Gesicht wurde leicht grau vor Schock.
„Miss Evans, kommen Sie sofort von dort weg."
Lily schüttelte den Kopf und deutete mit ihrer freien Hand schwach auf die Wand aus Trümmern. „James – Potter – er ist dahinter gefangen – "
McGonagalls Augenbrauen verschwanden unter ihrem Haarnetz. Sie machte eine plötzliche Bewegung nach vorne, so als ob sie den Schulsprecher mit bloßen Händen dort rausholen wollte, aber Dumbledore hielt sie mit einem ruhigen Wort zurück. Die Hauslehrerin trat zurück, die Lippen besorgt zusammengepresst und zog lediglich ihren Zauberstab aus ihrem Morgenmantel mit Schottenmuster.
„Es ist in Ordnung, wirklich.", sagte Lily und zog an James' Hand, um ihn zum Reden zu bringen und zu beweisen, dass sie sich das nicht alles ausgedacht hatte und sie die beiden aus einem Grund hergerufen hatte. „Er ist am Leben. Aber er ist verletzt. Gesteinsbrocken sind auf seine – seine Beine gefallen, als der Gang eingestürzt ist."
James bestätigte ihre Aussage bereitwillig und die reine Erleichterung spiegelte sich auf McGonagalls Gesicht wieder.
„Ich bin sehr erfreut, dass sie meine Patronustheorie anwenden konnten, Miss Evans.", begann Dumbledore und blickte wohlwollend auf seine staubbedeckte Schulsprecherin. „Der Zauber hat auf alle Fälle seinen Nutzen als Nachrichtenüberbringer bewiesen."
„Ich bin weniger erfreut darüber, dass der Quidditchkapitän von Gryffindor als Versuchsperson für die Bestätigung dieser Theorie herhalten musste.", sagte McGonagall und ihre Erleichterung verwandelte sich in Tadel. „Wie sehen Ihre Beine aus, Potter?"
„Stramm und braungebrannt, Professor. Prächtig. Großartig. Sie scheinen sich dazu entschieden haben getrennte Wege von meinem Körper zu gehen, aber abgesehen davon ist alles prima."
„Ich denke ein Ausschluss von der Schule wäre angemessen, Albus.", sagte McGonagall in einer Tonlage, die Potter nicht umhin konnte zu hören. Lilys Inneres presste sich vor plötzlicher Beunruhigung zusammen, bis sie den Schalk bemerkte, der hinter den Brillengläsern der Professorin blitzte. „Oder vielleicht sollten wir Argus erlauben einige seiner bewundernswerten Instrumente wieder hervorzuholen."
„Wenn er mit den Zehenschrauben anfängt, werde ich nichts spüren können, Professor."
Lily war damit beschäftigt sich zu wünschen, sie könnte die Zehenschrauben persönlich an dem vorlauten Blödmann anwenden, der an ihrer Hand hing, weswegen sie erschrak, als Dumbledore ihr seine Hand hinhielt und darum bat von dort wegzukommen. Sie starrte dumpf von den Professoren zu dem blockierten Gang und schaffte es erst von den Trümmern wegzukommen, als James Finger aus ihrem Griff glitten.
In dem Augenblick, in dem McGonagall das Blut sah, das Lilys Arm bedeckte, schickte sie sie in den Krankenflügel.
„Aber es ist nur ein Kratzer – "
„Tun Sie Ihren Professoren den Gefallen, Miss Evans."
Lily wandte sich bittend an Dumbledore. Seine Augen hinter den Halbmondgläsern waren hart, auch wenn sie funkelten und sie wusste es hatte keinen Wert mit ihm zu diskutieren. Und was sollte sie auch sagen? Sie sorgte sich um den Schulsprecher? Ihre Abscheu für James Potter war in nur einer Nacht in sich zusammengebrochen? Sie wollte ihn nicht alleine lassen?
Dumbledore presste seine Fingerspitzen zusammen und schenkte ihr ein sanftes Lächeln. „Ich versichere Ihnen, wir haben Mr Potter schon bald in einem Stück da raus."
Lily raffte ihre Entschlossenheit zusammen, nickte und begegnete diesen klaren blauen Augen mit einem scharfen Blick. „Lassen Sie sich ruhig etwas Zeit, Professor. Ich musste heute Abend eine Menge durchmachen. Und wenn er während der Bergung zufällig ein Bein verliert, werde ich kein Wort darüber gegenüber dem Ministerium verlieren."
Dumbledore gluckste erheitert; McGonagall schnaubte zustimmend. James' Reaktion übertraf die der beiden noch, er blieb still und schwieg, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben. Lily hörte seine Dankbarkeit deutlicher heraus, als hätte er Peeves darum gebeten es durch einen magisch verbesserten Muggle-Lautsprecher beim Frühstück in der Großen Halle zu verkünden.
Mit einem etwas zittrigen Atemzug voller Erleichterung und verebbter Panik, drehte Lily dem Trümmerhaufen ihren Rücken zu und machte sich daran, an Gregor vorbei in Richtung Freiheit zu gehen – aber irgendwie konnte sie sich nicht dazu durchringen diesen ersten Schritt zu machen. Sie blickte zurück und sah, wie Dumbledore und McGonagall ein wissendes Lächeln tauschten. Ihr stieg die Hitze ins Gesicht, aber sie stand immer noch da und starrte hilflos auf die Wand aus Steinen.
Sie wollte sich verabschieden. Sie wollte mit James reden. Sie wollte das lächerliche Geplänkel mit ihm weiterführen. Sie hatten es vorher noch nie geschafft so lange ein normales Gespräch zu führen und sie wollte nicht, dass es endete, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte. Sie wollte, dass James das wusste, aber sie fand die Worte nicht.
Alles was sie tun konnte, war dazustehen, mit brennenden Wangen und mit McGonagall, die dieses komische schnalzende Geräusch mit ihrer Zunge machte.
„Lily?"
Es war James.
„Bis du noch da?"
Ohne Vorwarnung breitete sich ein Lächeln auf Lilys Gesicht aus.
„Ja."
Sie wippte auf den Füßen und kämpfte gegen den Drang an zurückzurennen und wieder nach James' Hand zu greifen. Ein Schlag auf den Kopf: das war die einzige Erklärung dafür.
„Du solltest dich besser auf den Weg in den Krankenflügel machen. Du musst in Topform sein, wenn du den Eid erfüllen willst, den du vorhin geschworen hast."
Es war sehr leicht zu vergessen, dass ihr Schulleiter und ihre Hauslehrerin jedes Wort hören konnten, das gesagt wurde.
„Welcher Eid?"
„Du hast versprochen für immer bei mir zu bleiben, Evans. Ich kann es kaum erwarten diese – wie war das noch gleich? – siebzehn verschiedenen Stufen Schmerz kennenzulernen."
Lily verdrehte die Augen. „Idiot."
„Ich mag die Kosenamen, die du mir gibst wirklich sehr. Und jetzt zieh Leine. Wenn sie jetzt mit dem Graben anfangen finden sie vielleicht noch ein paar Fetzen meiner Würde."
Mit einem zittrigen Lächeln, über das sie keine Kontrolle hatte, drehte Lily sich um und verschwand in den verlassenen blinzelte im Kerzenlicht, seufzte und beschwor ihre auf dem Boden zerstreuten Bücher in ihre Arme. Sie fühlte sich als würde sie sie kaum noch brauchen.
In ihren fast sieben Jahren auf Hogwarts hatte Lily viele Dinge gelernt – mit Sicherheit genug, um damit die vierte, fünfte und sechste Auflage von Der Ratgeber für Schulsprecherinnnen: Wie man die Gefahren des Alltags abwendet mühelos füllen zu können. Magie war real und James Potters Stimme war gefährlich. Aber Lily war noch nie jemand gewesen, der vor der Gefahr davonlief. Sie war mutig und irgendwie brillant, genau wie der bescheuerte Idiot da hinten unter den Trümmern.
Und sobald sie fertig damit war ihn gründlich dafür zu verhexen, was sie wegen ihm durchmachen musste, würde sie ihn vielleicht sogar am Leben lassen. Oder seine Hand halten.
Lily setzte sich in Richtung Krankenflügel in Bewegung und warf nur noch einen kleinen Blick zurück.
