Das Granatapfeldilemma- und andere Schwierigkeiten
Das Granatapfeldilemma- und andere Schwierigkeiten
Prolog
Betrachtet das Erwachen des Frühlings und das Erscheinen der Morgenröte! Die Schönheit offenbart sich denjenigen, die betrachten.
Khalil Gibran, Sämtliche Werke
Die warmen Strahlen der Frühlingssonne tanzten zwischen den immergrünen Zweigen der Zypressen und brachen sich glitzernd in den Wassermassen des Teiches, der von den darin planschenden und vergnügt kreischenden Nymphen aufgewühlt wurde. Kichernd und juchzend bespritzten sie sich gegenseitig mit dem angenehm warmen Wasser.
Persephone saß ein wenig abseits von all dem Trubel, im Schatten einer blühenden Kastanie und drehte eine frisch gepflückte Butterblume zwischen den Fingern. Sie mochte die Art, wie die kleinen gelben Blütenblätter im Licht schillerten und glänzten und so ganz unaufdringlich die schlichte Blüte in ein kleines funkelndes Kunstwerk verwandelte. Es war diese einfache schlichte Schönheit, die sie besonders ansprach. Anders als die statische Goldüberladene Pracht des Olymps.
Sie krauste missmutig die Stirn, als sie an ihren letzten und einzigen Besuch auf dem allerheiligesten Versammlungsort der Hohen Götter dachte. Ihre Mutter hatte sie ihre gesamte Kindheit über von den anderen Göttern ferngehalten und ihr immer wieder versichert, es sei am besten für sie eine friedliche Kindheit zu verleben, im Einklang mit der Natur und fern von den Ränken der dekadenten Götter des Olymps.
Zunächst hatte es Persephone nichts ausgemacht, auf der abgeschotteten Insel zu leben, die sich Demeter als Ruhe- und Zufluchtsort auserkoren hatte. Sie kannte nichts anderes und war sich der engen Grenzen ihres kindlichen Paradieses nicht bewusst. Sie war glücklich tagein tagaus mit den quirligen Nymphen zu spielen, dem betörend schönen Flötenspiel des bocksbeinigen, aber stets gut gelaunten Pan zu lauschen oder einfach, auf dem Rücken in der Sonne liegend, die vorbeiziehenden Wolken zu beobachten und ganz im Einklang mit dem langsam schlagenden Herzen Gaias zu atmen.
Doch so unvermeidlich wie die Jahreszeiten wechselten und der Kreislauf des Lebens fortschritt, desto unvermeidlicher war es, dass sie sich fragte, was es noch gab, außerhalb ihrer kleinen Welt.
Oh, natürlich wusste sie über die Zusammensetzung der Welt bescheid. Jeden ihrer göttlichen Verwandten kannte sie durch die anschaulichen Beschreibungen ihrer Mutter so gut, als wäre sie seit eh und je unter ihnen gewesen und nicht eine Exilantin in dem wahrscheinlich schönsten Käfig der Welt. Denn das war es, was ihre Heimat für sie geworden war. Ein schöner goldener Käfig, der sie einschränkte und zurückhielt.
Abwesend strich sie eine störende goldblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein schiefes kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen, als sie daran dachte, wie aufgeregt sie gewesen war, als ihre Mutter ihr mit besorgtem Gesicht verkündet hatte, sie müsste sie zur nächsten Versammlung auf den Olymp begleiten. Zu sagen, sie wäre aufgeregt gewesen, hätte dem Freudentanz den sie aufgeführt hatte nicht auch nur annähernd genüge getan. Jubelnd war sie über die blumenübersähte Wiese getanzt und hatte sich ausgelassen mit ihrer Freundin Cleo im Kreis gedreht, bis beide lachend ins kniehohe, duftenden Gras gefallen waren.
Damals hatte sie die Erzählungen ihrer Mutter noch für Übertreibungen gehalten, die sämtliche männlichen Götter als ihren Trieben unterworfenen Schürzenjäger schilderte, die ein ebenso ernsthafte Bedrohung für ein tugendhaftes junges Mädchen darstellten, wie anhaltende Dürreperioden für die Ernte. Auch die Göttinnen waren nach Demeters Ansicht bis auf wenige spröde Ausnahmen, mit einer lasterhaft lockeren Moral gesegnet- alles in allem ein Umgang, der ihrer geliebten Tochter nur Verderben bringen konnte.
Persephone seufzte. Wie enttäuscht sie gewesen war, als sie entdecken musste, dass alles, was ihre Mutter ihr über die anderen Götter erzählt hatte, der Wahrheit entsprach! Und einige waren sogar noch verkommener als Demeter sie dargestellt hatte. Wenn sie nur an Zeus - diesen perversen alten Lüstling - dachte, verspürte sie den dringenden Wunsch ihm kräftig in die Lenden zu treten. Ihre Mutter hatte sie entsetzt angesehen, als sie ihr von dieser Idee erzählt hatte, und gemurmelt, sie wisse ja nicht, was sie da rede! Sie sollte dem Göttervater den gebührenden Respekt erweisen!
Persephone vermutete, dass es allein der Gedanke an Zeus legendären Zorn war, der ihre Mutter so ungewohnt unterwürfig reden ließ, doch danach war Demeter nicht mehr von ihrer Seite gewichen. Und sie war zum ersten Mal in ihrem Leben froh über die gluckenhafte Art ihrer Mutter.
Wenn sie daran dachte, dass Zeus nicht der einzige Mann gewesen war, der ganz offensichtlich Interesse – oder besser „schmutzige Gedanken" wie ihre Mutter es mit versteinerte Miene ausgedrückt hatte- an ihr gezeigt hatte, konnte sie verstehen, wieso einige Göttinnen es vorzogen keusch zu leben und ihr Jungfräulichkeit vehement verteidigten.
Doch auch wenn sie nicht sagen konnte, dass ihr die mehr oder weniger plumpen Annäherungsversuche von Apollon und Ares gefallen hatten- Artemis verächtliche Abneigung gegen das männliche Geschlecht konnte sie nicht teilen.
Gerne hätte sie das Angebot des Kriegsgottes angenommen ihn einmal zu besuchen, um seine Waffenkammer und die Trainingsräume zu besichtigen- er hatte, scheinbar zufällig, ihr Gespräch mit Artemis mitgehört und als sie das beeindruckende Jagdmesser der Göttin bewunderte, die Gelegenheit genutzt sich ihr vorzustellen.
Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Es war wohl kaum möglich den Kriegsgott nicht als das zu erkennen, was er war- er trug seine Rüstung mit dergleichen Selbstverständlichkeit, wie Hephaistos seine Schmiedeschürze und war als einziger stets mit Schwert und Dolch bewaffnet gewesen. Es fiel schwer, ihn sich ohne seine Waffen und Rüstung vorzustellen, doch Persephone vermutete, dass er sich selbst ohne Zögern voller Freude in die Schlacht stürzen würde, wenn man ihn mitten beim Baden stören würde. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Augen über den athletischen Körper des Kriegsgottes wanderten und sie musste zugeben, dass die Vorstellung eines nackten Ares der sich mit Eifer auf seinen Gegner stürzte etwas beunruhigend Faszinierendes hatte. Sie spürte sich eine verräterische Röte auf ihren Wangen ausgebreitet hatte.
Dem durchdringenden Blick von Ares war dies nicht entgangen, und ein undeutbares – ja fast schon siegreiches Lächeln hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet. Doch ehe Persephone auf sein Angebot eingehen konnte hatte Demeter, die die Szene mit dem besorgten Blick einer beschützenden Mutter beobachtet und alarmiert die Anzeichen bemerkt hatte, beschlossen, dass es höchste Zeit war einzugreifen und war energisch auf Ares zu marschiert, wie eine wütende Henne , die ihre Küken vor dem Fuchs verteidigt und fest entschlossen war diesen Ungleichen Kampf zu gewinnen. Und so unwahrscheinlich es auch schien- als die Erntegöttin mit wütend gefurchter Stirn und stahlhartem Blick entschlossen auf den Kriegsgott zu marschierte, wich dieser unwillkürlich einen Schritt von Persephone zurück.
Ares hatte genügend Erfahrungen im Umgang mit Frauen, um zu wissen, wann es sicherer war, einer wütenden Mutter aus dem Weg zu gehen, die die Tugend ihrer Tochter gefährdet sah und fest entschlossen war diese mit allen verfügbaren Mitteln zu verteidigen. So beschränkte er sich lediglich darauf, sein Angebot noch einmal zu wiederholen, ehe er sich zu Dionysos gesellte, der auf einem Diwan lag, mit glasigem Blick zu den verheißungsvollen Kurven von Aphrodites Seidenschleierverhüllten Brüsten hinaufspähte und selig vor sich hin lächelte, während Hebe ihm aus einer verzierten Amphore Wein nachschenkte.
Demeter hatte keinen Augenblick vergeudet- der Vorfall hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet- der Olymp war einfach ein viel zu gefährliches Pflaster für ihre kleine Kore! Ein unschuldiges Mädchen wie sie, war viel zu leichte Beute für die lüsternen Götter.
Ehe Persephone hatte protestieren können, hatte Demeter sie am Arm gepackt und zu ihrem Streitwagen geschleift und nur wenig später nach diesem doch recht peinlichem überhasteten Aufbruch waren sie nach Enna zurückgekehrt. Demeter hatte die ganze Zeit über gejammert, dass sie ja gleich gewusst hätte, wie dieser Besuch enden würde und immer wieder beteuert, Persephone müsse sich nicht ängstigen, sie würde sie schon beschützen. Persephone hatte es vorgezogen zu schweigen; sie wusste ihre Mutter wäre mehr als entsetzt und würde nicht verstehen, dass sie es nicht schlimm gefunden hätte, noch ein wenig länger dort zu bleiben. Dekadent und lüstern hin oder her- sie war nicht dumm, sie wusste ganz genau, dass auch Ares mehr im Sinn gehabt hatte, als ihr lediglich einen Gefallen zu tun.
Jetzt, nachdem sie selbst erlebt hatte, was ihr entging, erschien ihr die Beschränkung ihrer Heimat noch greifbarer.
„ Hey, Kore!", erklang die helle Stimme ihrer Freundin Cleo und riss sie aus ihren Gedanken.
„Hör auf rum zu sitzen und Trübsal zu blasen- das Wasser ist warm und der Tag viel zu schön, um ihn mit Grübelei zu vergeuden!" Die Nymphe hatte die Hände in die schlanken Hüften gestemmt und sah sie tadelnd an.
„Ich komme gleich", antworte sie. Persephone wusste aus Erfahrung, dass die Nymphe nicht aufgeben würde, ehe sie ihren Willen bekommen hatte- und nach ihrer Auffassung waren Spiel und Spaß die einzige gute Art einen Tag zu verbringen. Vorsichtig stand sie auf und schüttelte ihre Füße, die vom langen Sitzen eingeschlafen waren, bis sie lediglich nur noch unangenehm kribbelten. Gerade wollte sie zum Teich hinüber gehen, da fiel ihr Blick auf die Butterblume, die sie achtlos auf den Boden hatte fallen lassen.
Sie mochte keine Verschwendung - und besonders mochte sie es nicht Pflanzen unnütz sterben zu lassen. Rasch hockte sie sich hin und bohrte mit dem Zeigefinger ein kleines Loch in den weichen Erdboden. Geübt steckt sie den Stiel der Blume hinein und klopfte die Erde darum fest. Es kostete sie nur ein Tröpfchen ihrer göttlichen Macht, um der bereits absterbenden Pflanze neues Leben einzuhauchen. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, als sie fühlte wie die Blume neue zarte Wurzeln austrieb und sich in die Erde eingrub.
Zufrieden stand sie auf und schlenderte zu den noch immer ausgelassen badenden Nymphen hinüber.
Gerade als sie die Schließe ihres Kleides öffnen wollte, fühlte sie das Herannahen einer fremden Präsenz. Alarmiert sah sie sich um. Doch außer ihr, Cleo und deren Freundinnen war niemand da. Sie schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte sie sich geirrt.
Seitdem sie vom Olymp zurückgekommen war, hatte sie bereits ein paar Mal das seltsame Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, doch immer wieder hatte sie keine Hinweise finden können, dass es wirklich jemanden gab, der ihr nachspionierte. Wenn sie darüber nachdachte war der Gedanke an sich schon lächerlich. Wer sollte sich auch die Zeit nehmen, sie heimlich zu beobachten? Und vor allem , warum? Der Gedanke war so absurd, dass sie lachen musste.
Noch immer lachend, schlüpfte sie aus ihrem Kleid und sprang mit einem lauten Kampfschrei in den Teich, dass die Nymphen kichernd und kreischend auseinander stoben.
Kaum war sie wieder aufgetaucht, schwamm Cleo herüber, um sie unterzutauchen. Schnell hatten auch die anderen Gefallen an dem neuen Spiel gefunden und es entbrannte eine wilde Wasserschlacht. Und so bemerkte niemand, wie sich die Zweige des Fliederbusches sacht im Wind bewegten. Das wäre nicht weiter auffällig gewesen- wenn der Flieder nicht an einer absolut Windgeschützten Stelle gewachsen wäre…
