Es war wieder einer dieser Abende, an denen Tony DiNozzo nichts anderes mit sich anfangen zu wusste, als ziellos durch die Gegend zu wandern, auf der Suche nach einem Plätzchen, wo er sinnlos ein Glas Bier nach dem anderen hinterkippen konnte.
In der letzten Zeit tat er genau dies des Öfteren, in der Hoffnung, so sein Gedankenchaos ordnen zu können.
Er hatte sich angestrengt. Er hatte es wirklich versucht. Er war nett. Er hatte aufgehört, sie zu kabbeln. Er hätte keine dummen Bemerkungen über Filme gemacht und er hatte sie auch nicht korrigiert, wenn sie einmal wieder ein Wort in der englischen Grammatik durcheinander warf. Doch selbst diese Wandlung seines Selbst schien sie nicht zu beeindrucken. Ließ sie völlig kalt.
Es war zum Verrücktwerden.
Was zum Henker sollte er denn noch tun? Er hatte sich schon mehr als hundert Mal bei ihr entschuldigt, hatte ihr versucht, seine Sicht der Dinge zu erklären. Aber sie hatte sich jedes Mal von ihm abgewandt, wenn er auch nur in ihre Richtung sah.
Dabei waren die Ermittlungen doch schon längst vorbei und er war entlastet.
Er hatte Michael Rivkin aus Notwehr erschossen. Er hatte keine andere Wahl gehabt.
Jeder schien das zu verstehen.
Jeder, außer Ziva.
Sicher – sie sah es von einem ganz anderen Standpunkt aus. Sie war zu diesem Zeitpunkt mit Rivkin zusammen gewesen. Sie schien Gefühle für ihn zu haben, von denen Tony nicht verstand, wieso sie diese für einen solchen Dreckskerl überhaupt hatte.
Liebe macht blind, kam es ihm in den Sinn. Wahrscheinlich war es dass, was Ziva davon abhielt, die ganze Sache im rechten Licht zu betrachten.
Und dennoch...Tony hasste es, von ihr angeschwiegen – ja regelrecht gemieden zu werden.
Dabei wollte er ihr doch nur beweisen, was für ein Mistkerl Rivkin tatsächlich war. Dass er nicht der war, der er vorgab, zu sein. Dass er Ziva nur benutzt hatte.
Viel zu viele Gedanken und noch immer nicht der geeignete Ort gefunden, um sie zu vergessen. Verzweifelt fuhr Tony sich durch seine kurzen Haare und blieb für einen kurzen Moment in der Dunkelheit stehen, während die Passanten hinter ihm unbeachtet an ihm vorbeieilten.
Es war alles so verwirrend.
'Das werde ich dir nie verzeihen.', hatte sie zu ihm gesagt, kurz bevor er sich einer knallharten Vernehmung unterziehen musste.
Ziva hatte damals hinter dem Sichtschutz zugesehen. Das hatte Gibbs ihm im Nachhinein erzählt.
Sie hatte keine Miene verzogen, als er in die Mangel genommen wurde. Hatte nicht den Hauch einer Regung gezeigt.
'Du hast ihn getötet. Das werde ich dir nie verzeihen.', echote es erneut in seinem Kopf.
Tony setzte seinen Weg fort. Bog in eine kleine Seitenstraße ein. Und fand endlich das, wonach er gesucht hatte. Das kleine Lokal befand sich im Kellergeschoss eines mehr oder weniger abrissfälligen Hauses.
Er wurde in eine sanfte Wärme gehüllt, als er die schwere Tür öffnete und eintrat.
Zielstrebig suchte er sich einen Platz an der Bar und bestellte sich ein Bier. Der Geruch von Zigarettenrauch schien ich nicht zu stören. Tatsächlich verspürte er sogar selbst gerade den Drang nach einer guten kubanischen Zigarre. Es war schon Jahre her, als er das letzte Mal eine geraucht hatte.
Seine Gedanken schweiften zum heutigen Arbeitstag. Er war – wie immer – mehr als fünf Minuten zu spät zum Dienst erschienen. Nicht, weil sein Wecker versagt hatte oder er im Stau gestanden hatte sondern weil er mehr als zehn Minuten in seinem Auto gesessen hatte und an einer Idee gefeilscht hatte, um sich mit Ziva gutzustellen.
Im Endeffekt war es für die Katz gewesen. Kaum hatte er das Großraumbüro betreten hatte Ziva ihre heitere Unterhaltung mit McGee unterbrochen, war an ihren Schreibtisch zurückgekehrt und hatte sich dann hinter einer Akte verkrochen. Dass dies nur eine Reaktion war, um ihn nicht ansehen oder ansprechen zu müssen konnte er daran sehen, weil sie den Ordner verkehrt herum gehalten hatte.
Den ganzen Tag arbeiteten beide nebeneinander her. Sie sprachen nur dann, wenn sie etwas gefragt wurden, miteinander gab es rein gar keine Konversation.
Tony atmete tief durch, als er den ersten Schluck von seinem Bier trank. Und dann noch einen. Und noch einen. Er setzte das Glas erst ab, als mehr als die Hälfte weg war.
„Sie haben es wohl eilig?", fragte ihn eine rauchige Stimme.
Tony trank demonstrativ erneut – dann ließ er das Glas laut auf den Tisch aufkommen und drehte sich um.
Blickte in das Gesicht eines Mannes. Eines Mannes, der eigentlich am anderen Ende der Welt an seinem Schreibtisch sitzen sollte.
Tony verschluckte sich an seinem letzten Schluck Bier und hustete mehrmals.
„Sie?", fragte er dann.
