Wolfsgefühl
-Oneshot-
Zusammenfassung:
Remus' Leben wird von den Mondphasen bestimmt. Seit seinem fünften
Lebensjahr hat er mit Abneigung und Unverständnis zu kämpfen.
Doch als er glaubt, endlich Freunde gefunden zu haben, scheint es,
als würden sie hinter sein gut gehütetes Geheimnis
kommen…
Disclaimer:
Der Wolf und die anderen Chaoten gehören immer noch nicht mir,
denn dann würden sie ein glücklicheres Leben führen,
als JKR es für sie vorgesehen hat.
Warning:
vielleicht
ein bisschen traurig
Rating:
Wer HP lesen kann, kann das hier auch lesen.
Anmerkung/Notiz:
Danke an jettie, für die unglaubliche Geduld und Ausdauer beim
Betan, für die Hilfe bei vielen Formulierungen, Erkennung meiner
"doch"-Sucht und nicht zuletzt für den Titel!
Dankeschön, auch wenn du das hier wahrscheinlich nicht lesen
wirst
Und noch ein Danke an Rumtreiberin, für Lob und
Mutmachen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Liebe meines Lebens
(„!") vergessen konnte
Natürlich würde ich
mich über Kommentare freuen.
Viel Spaß (hoffentlich).
Er
friert, schlingt die Arme fest um seinen schmalen Körper, auch
wenn es wehtut. Der metallische Geschmack nach Blut, seinem eigenen
Blut, widert ihn an, genauso wie die Wolfshaare in seinem Mund. Sein
Hals ist trocken, er hustet heftig und gewaltige Wellen des Schmerzes
brechen über seinem Körper hinein. Alle Knochen tun ihm
weh, wie nach einem Bruch, über seine Brust zieht sich ein
langer, brennender Kratzer, aus dem Blut austritt. Der harte Boden
drückt schmerzhaft auf die Wunde am Rücken, wo er sich so
heftig gekratzt hat, dass es ihm vorkommt, als wäre die Haut
komplett abgeschabt. Er wimmert leise, versucht, seine zitternden
Glieder unter Kontrolle zu bringen, indem er sich noch enger
zusammenkauert und kraftlos nach der dünnen Decke greift, die
nur Zentimeter außerhalb seiner Reichweite liegt. Tränen
quellen aus seinen gereizten Augen, vermischen sich mit dem Blut auf
den Wangen und malen ein schauriges Muster auf sein Gesicht.
„Mummy",
flüstert er leise. Dann wird es schwarz um ihn.
Der
Geruch nach frisch gewaschener Wäsche dringt in seine
empfindliche Nase, helles Licht blendet ihn und schmerzt in seinen
gereizten Augen. Er dreht sich stöhnend auf die Seite, alles tut
ihm weh, egal, welche Liegeposition er sich aussucht. Zögerlich,
ganz vorsichtig, öffnet er die Augen und hält sich
schützend eine Hand vor das Gesicht. Er blinzelt, bis er endlich
etwas sehen kann, doch dann zuckt er erschrocken zurück, als er
den blutigen Verband um seine Hand entdeckt.
Laute Schritte hallen
vom Flur zu ihm ins Zimmer, sie kommen immer näher, bis das
leise, hohe Quietschen des Türknaufs in seinen Ohren dröhnt,
kurz bevor die Tür aufgestoßen wird. Mary, seine Mutter,
betritt den Raum mit einem Tablett auf dem Arm. Verschiedene Flaschen
befinden sich darauf und Remus rümpft unwillig die Nase. Er
hasst diese Gebräue. Vorsichtig stellt seine Mutter die Gefäße
auf dem Schreibtisch aus Eichenholz ab und streckt die Hand nach dem
dünnen Vorhang aus, der vor dem einzigen Fenster in diesem
kargen Raum hängt und will ziehen.
„Nein!", flüstert
Remus erstickt und kneift die Augen fest zusammen in der Erwartung,
stechende Kopfschmerzen aufgrund der Helligkeit zu spüren. Doch
seine Mutter schnellt zu ihm herum und sieht ihn prüfend an.
„Du
bist wach!", stellt sie fest, greift nach dem Tablett auf dem
Schreibtisch und bringt es zu Remus ans Bett. „Du weißt ja,
erst der grüne, dann der rote und zum Schluss…"
„Mummy!",
sagt er mit weinerlicher Stimme und sieht sie an. Mit gelben
Wolfsaugen, wie er weiß, seitdem er sich nach der Verwandlung
einmal im Spiegel gesehen hat.
„Remus?", meint sie in einem
fragenden Tonfall, aber er ist sich sicher, dass er anders klingt.
Anders als vor drei Monaten. Anders, in seinem vorherigen Leben.
Müder und geschaffter, gleichgültiger und verletzter als
früher. Doch Remus sagt nichts dergleichen.
„Mummy, muss
ich die Tränke wirklich nehmen? Die schmecken nicht."
„Du
musst!", stellt sie klar und füllt den grünen Trank in
ein bereitstehendes Glas.
„Ich will nicht!"
„Herrgott,
Remus, jetzt mach nicht so ein Theater! Du weißt, wie schwierig
es ist, diese Tränke aus dem Mungos zu beziehen. Willst du
nicht, dass es dir besser geht?", fährt seine Mutter ihn an
und ihm steigen Tränen in die Augen. Ob es an ihrem barschen
Tonfall liegt, oder an seinen Verletzungen, die plötzlich so
viel stärker zu brennen scheinen, als wollen sie ihn daran
erinnern, warum er hier liegt, warum er dieses Gesöff schlucken
muss und warum seine Mutter ihn wütend ansieht, weiß er
nicht.
Sie erhebt sich, streicht ihr Kleid glatt und will gehen,
aber Remus hält sie auf.
„Mummy?", fragt er zaghaft und
streckt die schmerzenden Arme nach ihr aus. Seine Mutter mustert ihn
ausdruckslos, ehe sie den Kopf schüttelt und hinausgeht. Remus
greift nach dem ekligen Gebräu und ist versucht, es durch den
Raum zu werfen, doch stattdessen trinkt er und schluckt und lässt
sich mit tränenden Augen in die Kissen zurückfallen.
Leise
Stimmen schallen aus der Küche in den Flur. Remus schleicht auf
Socken über den abgenutzten Parkettboden. Eigentlich sollte er
schon längst schlafen, doch er hat auf seinen Daddy gewartet,
der von einer, wie er immer zu sagen pflegt, wichtigen
Reise zurückgekehrt
ist. Vorsichtig überbrückt Remus die letzten Meter zur
Küchentür und presst neugierig ein Ohr an das Holz.
„Wie
hat er es diesmal überstanden?", dröhnt die tiefe Stimme
seines Dads durch die Tür.
„Ich nehme an, so gut, wie man
es eben überstehen kann", erwidert seine Mutter scharf. Eine
kurze Pause entsteht, ehe Remus' Dad so leise spricht, dass er ihn
draußen vor der Tür ihn fast nicht verstanden hätte:
„Du
hast es immer noch nicht akzeptiert!"
Ein dumpfes Geräusch,
als würde eine Tasse zu hart auf einem Holztisch
abgestellt.
„Akzeptiert? Wie soll ich so etwas jemals
akzeptieren! Mein eigener Sohn, ein Monster."
„Mary…"
„Ich
weiß nicht, wie du damit so gut klarkommst."
„Ich liebe
meinen Sohn!", hört Remus seinen Dad heftig antworten.
„Willst
du mir vorwerfen, ich würde es nicht tun?", keift seine Mutter
und Remus macht sich vor der Tür ganz klein. Plötzlich will
er nicht mehr wissen, wie es seinem Dad geht, plötzlich wünscht
er sich, er würde wie ein braver Junge im Bett liegen und darauf
warten, dass Daddy hineinkommt und sich zu ihm an die Bettkante
setzt, durch seine Haare streicht und beruhigend auf ihn einredet.
Wie immer.
„Wenn du es tun würdest, dann würdest du
dich endlich damit abfinden!"
„Ich liebe meinen kleinen,
unschuldigen Remus. Und nicht diese Bestie. Ich habe ein großes
Eingeständnis gemacht, als ich dich heiratete, John. Meine ganze
Familie war gegen dich, hat mich gefragt, ob ich irre wäre,
etwas mit einem Zauberer anzufangen, das würde mir nur Ärger
und Sorgen bereiten. Ich habe sie ausgelacht, weil ich dich liebe. Es
war mir egal, dass du anders bist. Doch jetzt… Unser Sohn… Schau
ihn dir an, John! Einmal im Monat wird er zu einem Monster!"
„Du
sagst es!", fährt John seine Frau an. „Einmal im Monat, für
geschätzte zwölf Stunden. Was ist mit den restlichen Tagen
des Monats? Ist er dann nicht dein kleiner, süßer Remus,
dein Junge, den du schon immer haben wolltest? Er kann nichts dafür,
verdammt!"
Seine Mutter schweigt, während Remus draußen
vor der Tür auf dem Boden hockt, sich die Hände auf die
Ohren presst und wünscht, er wäre nie auf die Idee
gekommen, zu lauschen.
„Ich gehe jetzt meinen Sohn begrüßen!",
sagt sein Daddy heftig und ehe Remus reagieren kann, wird die Tür
geöffnet und John sieht ihn schockiert an.
„Remus!", sagt
er atemlos und hockt sich neben ihn auf den Boden. „Remus, du
solltest… Ich dachte, du wärst…" Remus schüttelt den
Kopf und schluchzt, sodass sein Dad schweigt, ehe er die Arme
ausstreckt und ihn vom Boden hochhebt.
„Scht, ganz ruhig,
Kleiner, ganz ruhig. Pass auf, ich bring dich jetzt ins Bett und
erzähle dir von meiner Reise, okay?" Er scheint keine Antwort
zu erwarten, stattdessen trägt er Remus den ganzen Weg in sein
karges Zimmer mit dem viel zu großen Schreibtisch und legt ihn
in das zerwühlte Bett. Er selbst lässt sich auf den Knie
nieder, streicht beruhigend durch Remus' Haare und wischt ihm die
Tränen vom Gesicht.
„Mummy meint es nicht so", flüstert
er seinem Jungen zu. „Sie braucht ein bisschen Zeit."
„Warum
umarmt sie mich nicht mehr, Daddy? Mag sie mich nicht mehr?", fragt
Remus mit tränenerstickter Stimme.
„Doch, doch natürlich
mag sie dich. Sie kann nur noch nicht mit dem umgehen, was dir
passiert ist, verstehst du?" Remus nickt, obwohl er nicht genau
weiß, wozu er seine Zustimmung gibt. Er weiß nur, dass es
weh tut und dass es für all seine Probleme zuständig
ist.
„Ich hasse den Wolf!"
Dampfwolken fegen über
seinem Kopf hinweg. Überall hört er Gemurmel, Lachen und
Rufe von anderen Kindern. Aufgeregt schiebt Remus zusammen mit seinem
Dad den schweren Gepäckkarren vor sich her und schaut sich
schüchtern um.
„Du wirst eine großartige Zeit in
Hogwarts haben, glaub es mir, Kleiner. Die beste Zeit deines Lebens",
verkündet sein Dad, als er anhält und auf eine Tür des
Zuges deutet.
„Sieh mal, da ist noch ein freies Abteil! Ich
bringe deinen Koffer hinein!" Remus nickt und sieht zu, wie sein
Dad mit aller Mühe versucht, das schwere Gepäckstück
anzuheben, ehe er doch den Zauberstab zückt und den Koffer mit
Hilfe der Magie hineintransportiert. Remus wendet sich seiner Mum zu,
die misstrauisch versucht, den gesamten Bahnsteig im Auge zu
behalten, ehe sie bemerkt, dass ihr Sohn sie ansieht.
„Nun denn,
ich wünsche dir einen guten Start in die Schule!", sagt sie
und bringt ein Lächeln zustande.
„Danke, Mum!", antwortet
er und lächelt ebenfalls. Er wünscht sich, er hätte
eine Idee, worüber er mit ihr sprechen kann, doch ihm fällt
nichts ein. Er kommt sich dumm vor, einfach nur dazustehen und zu
lächeln, während sie sich umsieht. Dumm und
unerwünscht.
„So, wir wären soweit. Du kannst
einsteigen, Remus!" Sein Dad ist zurückgekehrt und legt ihm
eine Hand auf die Schulter.
„Danke, Daddy!", antwortet Remus
und umarmt ihn zum Abschied.
„Pass auf dich auf, mach nicht zu
viel Unsinn und sei schön fleißig!", gibt sein Dad ihm
noch mit auf den Weg, ehe sich Remus seiner Mutter zuwendet und die
Arme ausstreckt. Aber sie macht keine Anstalten, auf ihn
zuzukommen.
„Auf Wiedersehen, Remus!", sagt sie und winkt.
„Ich wünsche dir alles Gute!"
Langsam lässt Remus
die Arme sinken und sieht seine Mum verstört an. Warum…? Er
kann nichts dafür! Er kann nichts dafür und trotzdem
ignoriert sie seine Bitten nach Geborgenheit und nach Zuneigung. Wie
in den ganzen, verdammten Jahren seit dem Biss. Remus wendet sich
abrupt ab. Er will nicht, dass sie seine Tränen sieht.
„Remus!"
Eine leise Stimme dringt in sein Bewusstsein und auf einen Schlag ist
er hellwach. Ruckartig richtet er sich auf, sodass die Person ihm
gegenüber erschrocken zurückweicht. Remus atmet schwer,
sein Herz schlägt rasend schnell und sein Laken ist zerwühlt
und verschwitzt. Er muss geträumt haben.
„Tut mir Leid!",
sagt die Person, die ihn geweckt hat und kommt vorsichtig wieder
näher, bis Remus das Gesicht von Sirius erkennt, der das Bett
gegenüber von seinem hat. „Ich wollte dich nicht erschrecken,
aber du hast dich so herumgeworfen und gewimmert im Schlaf und ich
dachte, es wäre besser, dich aufzuwecken…"
Remus nickt
zögerlich und fährt sich über die müden
Augen.
„Habe… habe ich auch etwas erzählt? Im Schlaf,
meine ich."
Sirius sieht ihn forschend an, ehe er sagt:
„Nun
ja, du hast etwas gesagt, so was in die Richtung wie: ‚Warum
umarmst du mich nicht mehr? Warum nicht?'"
Remus schweigt. Was
soll er auch groß dazu sagen? Er wäre jetzt wirklich gerne
alleine, doch Sirius lässt sich auf seiner Bettkante nieder und
fragt: „Wer umarmt dich nicht mehr?" und klingt dabei wirklich
interessiert. Remus mustert ihn skeptisch. Normalerweise vertraut er
fremden Menschen – und fremd, das ist Sirius noch für ihn –
so etwas Persönliches nicht an. Trotzdem, da ist etwas in
Sirius' Augen und in seinem ganzen Auftreten, das Remus sein
Misstrauen vergessen lässt.
Außerdem,
sagt er sich, wirst
du in der nächsten Zeit sowieso nicht mehr einschlafen
können!
„Meine
Mum", antwortet er Sirius also leise. „Meine Mum hat mich das
letzte Mal umarmt, als ich ungefähr fünf Jahre alt
war."
„Warum?", fragt Sirius und große, dunkle Augen
unter dichten Wimpern mustern ihn mit unverhohlener Neugier.
„Das
geht dich nichts an!", faucht Remus, presst sich an die kalte Wand
in seinem Rücken und verschränkt die Arme vor der schmalen
Brust.
„Okay, es ist deine Sache", erwidert Sirius, nicht
beleidigt, nicht enttäuscht aufgrund Remus' Zurückweisung.
Dieser ist das nicht gewohnt, blickt Sirius überrascht an und
vergisst, abweisend zu sein. Die nervtötende Neugier der meisten
Leute, die seine Narben begaffen, macht ihn wütend und daher hat
schon früh damit angefangen, eine stabile Schutzmauer um sich zu
errichten, um alles abzuschirmen. Denn er hat keine Lust auf das
Starren der Menschen, die verstohlenen Blicke aus den Augenwinkeln,
das Tuscheln hinter vorgehaltener Hand.
Sirius reißt ihn aus
seinen Gedanken, indem er es sich neben ihm auf dem Bett bequem
macht. Remus wirft ihm einen misstrauischen Blick zu und rutscht ein
Stück beiseite, aber dieser scheint es als Einladung zu sehen,
noch mehr Platz beanspruchen zu dürfen und schon liegt er noch
näher bei ihm und Remus bleibt vorsichtshalber still
sitzen.
„Meine Mum hat mich noch nie umarmt, so weit ich mich
erinnern kann", sagt Sirius nachdenklich und Remus hebt erstaunt
den Blick.
„Wirklich nicht? Warum?"
„Es ist einfach nicht
üblich", erklärt Sirius in einem beiläufigen Tonfall
und wickelt sich eine seiner dunklen Haarsträhnen um den Finger.
„Ich glaube, aus meiner Familie hat mich noch nie jemand umarmt…
Doch, meine Lieblingscousine Dromeda, aber die war schon immer
ziemlich abgedreht im Gegensatz zur restlichen Familie. Ich mochte
sie."
„Mochtest?", fragt Remus und denkt an das
Schlimmste.
„Ja, ich habe sie seit gut fünf Jahren nicht
mehr gesehen. Sie hat sich entschieden, einen Muggel zu heiraten.
Deswegen wurde sie aus der Familie verstoßen."
„Warum?"
„Du
weißt nicht viel von der Zaubererwelt, oder, Remus Lupin?",
fragt Sirius skeptisch und Remus schweigt darauf, weil er nicht weiß,
worauf der andere Junge hinaus will.
„Bist du muggelstämmig
oder ein Halbblut?", will Sirius wissen.
„Spielt das eine
Rolle?", knurrt Remus und sieht ihn misstrauisch an. „Gehörst
du etwa auch zu dieser Sorte Zauberer, die…"
„Aha!", sagt
Sirius triumphierend. „Du scheinst ja doch ein wenig Ahnung zu
haben. Halbblut, nehme ich also an?"
Gegen seinen Willen nickt
Remus.
„Es spielt keine Rolle. Für mich nicht",
beantwortet Sirius Remus' offengebliebene Frage. Eine Weile
schweigen sich die beiden Jungs an.
„Warum bist du noch wach?",
fragt Remus. „Oder habe ich dich geweckt, weil ich…"
„Ach
was, so eine Kleinigkeit kann mich nicht vom Schlafen abhalten!",
grinst Sirius und streicht sich das schwarze Haar aus dem Gesicht.
„Ich konnte nur irgendwie nicht einschlafen, mir gehen zu viele
Dinge durch den Kopf…"
„Ach wirklich?", hakt Remus nach.
„Was für Dinge? Bist du aufgeregt wegen des ersten Schultags
morgen?"
Sirius winkt lässig ab und sagt: „Quatsch, da
freue ich mich schon drauf. Nein, ich habe nur ein bisschen Angst vor
der Eulenpost morgen früh. Weißt du…" Sirius dreht
sich auf die Seite und schaut Remus direkt an. „Meine ganze Familie
war in Slytherin und sie haben erwartet, dass ich ebenso dahin komme.
Aber irgendwie war ich schon immer anders als alle. Ich konnte diese
ganzen steifen Abendessen mit der ach so würdevollen Familie
einfach nicht leiden. Und ich mochte Dromeda zu gerne, ich glaube,
sie hatte einen schlechten Einfluss auf mich. Oder einen guten?",
sagt er nachdenklich.
Remus schweigt. Er würde gerne etwas
sagen, das Sirius aufmuntert, etwas in die Richtung: Deine
Eltern werden es schon akzeptieren, schließlich sind es deine
Eltern!
Doch seine eigenen Erfahrungen halten ihn davon ab. Sirius gähnt
und erhebt sich umständlich.
„Ich denke, ich sollte jetzt
schlafen!", sagt er und nickt zu seinem Bett. Er hat bereits den
halben Weg zurückgelegt, als er sich noch mal umdreht.
„Gute
Nacht, Remus!"
„Gute Nacht, Sirius", erwidert dieser und
vergräbt sich unter seiner Decke. „Schlaf gut!"
Remus
geht zusammen mit seinen Freunden über das mondbeschienene
Schlossgelände. Es ist kalt draußen und er würde
frieren, wenn nicht die anderen drei bei ihm wären. Er läuft
zwischen Peter und Sirius und ist zu glücklich, um sich zu
fragen, was sie sich zusammen mit James ausgedacht haben, dass er
hier nach draußen muss in dieser Eiseskälte. Aber er fühlt
sich wohl und geborgen und lässt die Dinge einfach auf sich
zukommen.
Schließlich machen sie am Ufer des Sees halt.
Sirius setzt einen Fuß auf die dünne Eisschicht, die
gefährlich knackt.
„Nicht!", sagt Remus und Sirius lacht.
„Nicht so besorgt, Kleiner", spottet er. „Ich werde euch
noch lange erhalten blieben, was solltet ihr denn ohne mich, ohne
Sirius Black, machen?" Er grinst Remus breit an, doch als er James'
Blick auffängt, wird sein Gesicht sofort wieder ernst. Remus
sieht vom einen zum anderen und dann zu Peter, der stur auf die
dunkle Fläche des Sees starrt.
„Was ist los?", fragt
Remus irritiert. „Was habt ihr auf einmal?"
Sirius legt den
Kopf in den Nacken und betrachtet den Himmel. Remus folgt seinem
Blick. Der Mond lächelt unschuldig als schmale Sichel in dieser
samtschwarzen Nacht. Aber nur kurze Zeit später fühlt Remus
einen durchdringenden Blick auf sich ruhen.
„Gut, dass der Mond
noch nicht so voll ist. Ich schlaf schlecht, wenn es so hell ist. Wie
geht es dir da, James?", fragt Sirius.
Remus' Glücksgefühl
verfliegt schlagartig und macht einer dunklen Vorahnung Platz und er
ist sich nicht sicher, ob er will, dass seine Freunde
weitersprechen.
„Seh ich genauso", antwortet James und wendet
sich herausfordernd an Remus. „Und du?"
Remus antwortet
nicht. Er ist erstarrt, eine seltsame Taubheit macht sich in seinem
Innern bemerkbar. James kommt langsam auf ihn zu und greift seine
Schulter.
„Rem, wir wollten dich etwas fragen. Also… Nicht
erschrecken, wir wollen dir klarmachen, dass… du solltest wirklich
nicht auf die Idee kommen, wir würden…"
„Ach, lassen
wir dieses verfluchte Drumherumgerede!", ruft Sirius ungeduldig.
„Rem, bist du ein Werwolf?"
Plötzlich wird Remus kalt.
Der warme Kokon, den er seinen Freunden zu verdanken hat, scheint
sich aufgelöst zu haben. Der eisige Wind fährt durch seine
Haare, kriecht durch seine Kleidung und Remus beginnt zu zittern.
James' Hand auf seiner Schulter fühlt sich kalt an.
„Wie…
wie habt ihr…?", stottert er und versucht mit aller Macht, die
Tränen zurückzuhalten.
„Das… Das war nicht so
schwer", erklärt Peter leise. „Du musst zugeben, deine
Ausreden waren nicht gerade die besten!"
Remus nickt und fährt
sich mit der Hand über die Augen. Er fühlt sich leer und
sein ganzer Köper brennt, als wollen die unzähligen Narben
ihm klar machen, dass sie, sie allein, für diese Situation
verantwortlich sind, dass er nicht normal ist.
„Nun, dann…
dann werde ich mal gehen", murmelt Remus, entzieht sich James'
Griff und läuft los.
„Rem!", ruft Sirius ihm hinterher
und Remus erkennt aus den Augenwinkeln, dass er ihm folgen will, doch
James erwischt ihn am Umhang und schüttelt leicht den Kopf. Ohne
sich noch einmal umzudrehen, läuft Remus auf die hell
erleuchteten Fenster des Schlosses zu. Seine Schluchzer verhallen in
der Dunkelheit.
Remus hat den Kopf im Kissen vergraben. Die
Tränen hinterlassen einen salzigen Geschmack auf seinen Lippen
und er friert. Sie wissen es. Sie wissen es, obwohl er sich alle Mühe
gegeben hat, es geheim zu halten, damit er nicht gemieden wird, damit
er endlich auch einmal Freunde haben kann. Jetzt ist es vorbei. Er
schluchzt leise, als er wütende Stimmen hört.
„Gib ihm
noch einen Moment Zeit!", erkennt er James' Stimme und die, die
ihm antwortet, stammt eindeutig von Sirius.
„Ihn noch länger
alleine lassen? Ihm noch mehr Zeit geben, um sich die schrecklichsten
Dinge auszumalen? Vergiss es, Kumpel. Ich geh jetzt zu ihm rein, wenn
du noch ein wenig warten willst, bitte!"
Die Tür zum
Schlafsaal wird aufgestoßen und kracht gegen die
Wand.
„Remus!", sagt Sirius laut. Schritte nähern sich
dem Bett und die Vorhänge werden aufgerissen, doch Remus wendet
den Kopf ab. Die Matratze neben ihm senkt sich, als Sirius sich dort
niederlässt.
„Dreh dich um!", fordert er leise, aber
Remus weigert sich.
„Soll ich gehen?"
Remus reagiert nicht,
doch gerade, als Sirius sich erheben will, schüttelt er heftig
den Kopf und sagt: „Nein!"
Sirius bleibt sitzen und wartet und
Remus ist dankbar für seine Gegenwart. Er will nicht allein
sein, nicht schon wieder.
„Ist das der Grund, warum deine Mum
dich nicht mehr umarmen wollte?", fragt Sirius nach einer langen
Zeit des Schweigens und Remus richtet sich ruckartig auf.
„Du
hast geweint", stellt Sirius nach einem Blick in das Gesicht seines
Freundes fest und Remus wischt sich verlegen über die Augen.
„Warum hast du geweint?"
Remus ist sich nicht sicher, ob diese
Frage ernst gemeint ist oder nicht. Er ist nur davon überzeugt,
dass der Grund offensichtlich ist und darum sagt er:
„Kannst du
dir das nicht denken?"
Sirius schüttelt heftig den Kopf,
sodass seine schwarzen Haare durch die Luft wirbeln.
„Wer will
schon etwas mit einem Werwolf zu tun haben?", fragt Remus deshalb
und senkt den Blick. „Ich bin ein Monster." Er will sich
abwenden, doch plötzlich sind da Arme, die sich um seinen
mageren Körper schlingen und ihn sacht drücken.
„Rem,
du Idiot. Wir
wollen
etwas mit einem Werwolf zu tun haben und zwar mit dir. Siehst du, ich
kann dich umarmen, obwohl ich die Wahrheit kenne!"
Zögerlich
erwidert Remus die Berührung, auch wenn Sirius' lange Haare
ihn im Gesicht kitzeln. Eine unbändige Erleichterung durchfließt
ihn und gibt ihm das Gefühl, eine süße, heiße
Schokolade getrunken zu haben. Die Kälte geht, hinterlässt
nichts weiter als eine Erinnerung und ihm wird wieder warm, wohlig
warm in der Gegenwart seines Freundes.
