Disclaimer: Charaktere, Orte, sowie sonstige Gegenstände oder Sachverhalte, die euch bekannt vorkommen, gehören nicht mir. Ich habe nur die Frechheit besessen sie bei
JK Rowling auszuleihen.
Ein ganz besonders lieber Dank gilt meiner Beta Lapislazuli.
Wahrnehmungsstörungen
Kapitel 1
„Longbottom!", brüllte der Tränkemeister und legte zeitgleich, mit einem Schwenk seines Zauberstabs, einen Kühlungszauber über den Kessel. Leise, aber dafür umso bedrohlicher, fuhr er fort: „Was haben sie sich dabei gedacht, als sie die zerriebene Minze statt der gehackten Veilchenwurzel dem Trank zugefügt haben?"
„Entschuldigen Sie, Sir. Ich…ich habe nicht…nicht gesehen...", stotterte Neville, bevor er barsch von Snape unterbrochen wurde.
„Nicht gesehen? Was soll das heißen, nicht gesehen? Zaubertränke erfordert soviel mehr als nur das Sehen was man macht." Resignierend atmete der dunkle Zauberer tief ein, bevor er die Luft geräuschvoll wieder ausstieß.
„Haben sie eigentlich irgendetwas gelernt in den sieben Jahren in denen ich sie unterrichtet habe? Beim Tränkebrauen muss man seine fünf Sinne beieinander haben. In drei Wochen beginnen ihre Abschlussprüfungen und ich rate ihnen diese zu bestehen, denn ich kann für nichts garantieren, sollte ich sie ein weiteres Jahr in meinem Klassenraum ertragen müssen."
Insgeheim musste Hermine, die wie immer neben Neville saß, ihrem Lehrer Recht geben. Die beiden Zutaten waren doch nun wirklich nicht zu verwechseln. Sie sahen selbst in zerkleinertem Zustand anders aus, dazu fühlten sie sich auch anders an, von dem Geruch ganz zu schweigen. Sie selbst hatte schon in ihrem ersten Jahr gelernt hochkonzentriert am Kessel zu arbeiten und auf derartige Dinge zu achten. Es war ihr sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. Aber Neville hatte, wie viele ihrer Mitschüler auch, bis heute nicht begriffen, worauf es bei diesem Zweig der Magie ankam. Zu Beginn des siebten Schuljahres hatte sie nach und nach aufgehört ihrem Tischnachbarn Hilfestellung zu leisten. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern damit er endlich lernte für seine Arbeit selbst verantwortlich zu sein und auch selbstständig Tränke zu brauen. Schließlich würde sie ihm in den Prüfungen auch nicht beistehen können.
Snape hatte sich mit beiden Händen vor Neville auf den Arbeitstisch gestützt und blickte verärgert auf den verängstigten Schüler. „Miss Granger!" Es war kaum mehr als ein Flüstern doch die Stille im Klassenraum trug seine Worte bis in den letzten Winkel. Ohne Sie auch nur eines Blickes zu würdigen, sondern die vor Zorn funkelnden Augen weiterhin auf den eingeschüchterten Neville gerichtet, fuhr er fort: "Kommen Sie nach vorn vor die Klasse. Sie werden hoffentlich in der Lage sein ihren Mitschülern begreiflich zu machen, worum es geht."
Hermine konnte ein Stöhnen so gerade eben noch unterdrücken. Was hatte sie denn mit der ganzen Sache zu tun, fragte sie sich. Und vor allem, was sollte sie jetzt dort vorn tun, oder besser gefragt, was hatte der Professor mit ihr vor? Etwas zögernd stand sie auf und ging an ihm vorbei, bis sie kurz vor seinem Pult stehen blieb.
Sie drehte sich um und erschrak. Snape stand direkt vor ihr, nur einen kleinen Schritt entfernt. Sie hatte nicht bemerkt, wie er ihr gefolgt war.
Er fasste sie bei den Schultern, drehte sie herum und schob sie vor den ersten Arbeitstisch, auf dem noch ein halbfertiger Trank brodelte. Die Zutaten lagen daneben, teilweise vorbereitet, teilweise befanden sie sich noch in ihrem Urzustand. Sie stand direkt vor der Klasse, ihren Mitschülern zugewandt und wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gesagt, sie würden kollektiv die Luft anhalten.
Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass sie selbst den Atem anhielt und ließ diesen so geräuschlos wie möglich entweichen.
Eine Sekunde später schnappte sie wieder nach Luft, als ein schwarzes Tuch ihr die Sicht nahm.
„Nur die Ruhe, Miss Granger", sagte Snape kühl, doch ein Hauch von Amüsiertheit war unverkennbar aus seiner Stimme herauszuhören, „das gehört zur Demonstration."
Er stand direkt hinter ihr und verknotete den Stoff an ihrem Haupt. Sie konnte seine Körperwärme fühlen und ein Gedanke schoss durch ihren Kopf, der sagte, dass er ihr physisch noch nie so nah gekommen war. Dann hörte sie seine Stimme und war für einen Moment irritiert, da er plötzlich neben ihr stand.
„Ich werde Ihnen nun zeigen, dass es beim Tränkebrauen auf alle ihre Sinne ankommt, nicht nur auf das Sehen. Und damit es auch der Letzte von Ihnen begreift: Der Mensch kann fühlen, das nennt sich Tastsinn oder auch haptische Wahrnehmung. Hören ist die auditive, riechen die olfaktorische und schmecken die gustatorische Wahrnehmung."
Kurze Zeit hörte Hermine gar nichts, dann sprach Snape weiter, die Worte voller Hohn.
„Das Sehen nennt man visuelle Wahrnehmung, aber offensichtlich gibt es in dieser Klasse einige Schüler die an Wahrnehmungsstörungen leiden und bei denen der ein oder andere Sinn verkümmert zu sein scheint. Nicht wahr, Mr. Longbottom?"
Hermine hörte ein leises Räuspern und das Knarren eines Stuhls, als ob jemand unruhig darauf herumrutscht. Fast hätte ihr Neville Leid getan, wenn sie nicht durch seine Unachtsamkeit in diese Lage geraten wäre. Sie klammerte sich mit beiden Händen an der Kante des Tisches, zum Einen, um ihre Hände stillzuhalten, zum Anderen hatte sie das Gefühl zu schwanken. Die ganze Sache war schon unangenehm genug und das Letzte was sie wollte war, das Gleichgewicht zu verlieren und vor aller Augen auf dem Boden aufzuschlagen
Eine Bewegung neben sich ließ sie ihre Konzentration wieder auf ihre unmittelbare Umgebung richten. „Miss Granger, Sie werden jetzt den Trank fertigstellen. Ich möchte, dass Sie ihren Mitschülern erklären was Sie tun und wie Sie zu ihren Schlussfolgerungen kommen. Beschreiben Sie alles, was Ihnen Ihre Sinne mitteilen."
Hermine dachte im ersten Moment sie hätte sich verhört, doch dann begann sie zu analysieren welche Möglichkeiten sie hatte. Langsam führte sie die Hände Richtung Kessel bis sie die Wärme an ihren Handflächen spüren konnte. Die Rechte hob sie, um in der Luft nach dem Löffel zu tasten, mit dem sie die Konsistenz und somit eventuell den Fertigungsstand feststellen konnte. Sie beugte sich leicht vor, immer darauf bedacht dem Kessel nicht zu nahe zu kommen, um sich nicht zu verbrennen und versuchte über ihren Geruchsinn weitere Informationen zu sammeln.
„Der Trank befindet sich in einem leicht dickflüssigen Zustand, ähnlich Sirup, er müsste jetzt eine hellgrüne Farbe angenommen haben. Die aufsteigenden Dämpfe und deren Geruch lassen darauf schließen, dass nur noch die letzten drei Zutaten zugegeben werden müssen. Da die abstrahlende Hitze mir zu hoch erscheint, würde ich an dieser Stelle die Temperatur etwas senken, um eine zu starke Reaktion mit den gehackten Veilchenwurzeln zu vermeiden."
Es war ein Leichtes für Snape seiner Miene keine Regung ansehen zu lassen, doch innerlich machte sich Genugtuung in ihm breit. Er wusste sie konnte es und es erfüllte ihn mit Stolz. Scheinbar gab es doch jemanden, der in seinem Unterricht das Wesen des Brauens erfasst hatte. Wäre sie eine Slytherin, hätte sie an dieser Stelle schon die ersten Punkte für ihr Haus eingefahren. Allerdings war sie das nicht, wie er - nicht zum ersten Mal - bedauernd zugeben musste, und so rang er sich ein halbwegs neutrales „Akzeptabel" ab.
Durch das gute Gelingen seiner Demonstration ließ Snape sich dazu hinreißen selbst einzugreifen. Denn das eine Schülerin annähernd gut wie er, mit allen Sinnen begriff, welche Sensibilität erforderlich war, um das einfache Brauen zu einer Kunst zu machen, versetzte ihn in einen geradezu euphorischen Zustand. Was ihm äußerlich natürlich niemand ansah.
Mit zwei Schritten stand er wieder hinter Hermine und griff an ihr vorbei, um eine Zutat von der Arbeitsplatte zu nehmen. Diese wog er abschätzend in der Hand bevor er sie nahe an Hermines Gesicht führte. „Kennen Sie diesen Geruch, Miss Granger?"
Hermine versteifte sich kurz, als sie den Tränkemeister wieder hinter sich spüren konnte. Er strahlte eine Hitze aus, die sie bei diesem kühlen Charakter niemals vermutet hätte.
Sein Umhang streifte ihren unverhüllten Unterarm, als er sich nach vorne beugte und sie fühlte einen Hauch seines warmen Atems auf ihrer Wange. Sie musste sich regelrecht dazu zwingen, ihre Aufmerksamkeit fort von dem Mann und auf die vor ihr liegende Aufgabe zu richten.
Den Duft direkt vor ihrer Nase konnte sie aber nicht eindeutig zuordnen, stattdessen registrierte sie, wie Snape hinter ihr das Gewicht verlagerte. Etwas Kratziges streifte daraufhin die Innenseite ihres Unterarms. Es war nicht ganz starr sondern gab etwas nach. Stroh, dachte sie, es war das Erste was ihr in den Sinn kam. Dann erreichte es ihre Hand, doch ein anderes Empfinden kam dazu, warme Haut, weich aber auch fest. Ihre Faust wurden geöffnet und etwas Kühles in ihre Handfläche gedrückt, dabei wurde ihre Hand umschlossen, von kräftigen, langgliedrigen Fingern, die im Gegensatz zu dem Gegenstand in ihrer Handfläche warm waren. Eine Berührung, die sanft aber auch fordernd war, irgendwie tröstend und dies lenkte sie vom eigentlichen Thema ab. Wieder musste Hermine sich losreißen von dem Gedanken, dass Snape sie berührte und den Empfindungen die dieser Kontakt in ihr auslöste.
Der Gegenstand. Die Oberfläche war unregelmäßig und schien mit Sand behaftet, oder Erde. Eine Knolle. Das strohige Etwas waren die vertrockneten, dünnen Ausläufer der Wurzeln. Mit einem Fingernagel durchbohrte sie die äußere Hülle und hob das Gewächs wieder an ihre Nase. Sie war sich sicher. „Ginseng! Das ist Ginseng", flüsterte sie vor sich hin.
„Ginseng. In der der Tat, Miss Granger." Obwohl er ihren Namen nannte sprach er doch zur Klasse. „Wie Sie soeben recht eindrucksvoll demonstriert bekamen, ist es nicht zwingend nötig sich ausschließlich auf seinen visuellen Sinn zu beschränken. Im Gegenteil, auch die anderen Sinne können sehr hilfreich sein", fuhr er fort, nicht ohne eine ordentliche Portion Sarkasmus in seine Betonung zu legen.
„Das war hervorragend, Miss Granger."
Ihre Nackenhaare stellten sich auf und eine Gänsehaut überzog ihren Körper. War das gerade wirklich? Oder nur pure Einbildung, Wunschdenken vielleicht. Diese Stimme ganz nah an ihrem Ohr, so warm. Sie hatte gefühlt wie Stoff ihre Haare streifte, ganz leicht nur. Die Worte waren so leise gesprochen, dass sie kaum hörbar waren. Eher gab ihre Vibration dem Gesagten einen Sinn. Und dieser Geruch. Nach frischen Kräutern und Ölen. Einen Impuls folgend drehte sie den Kopf leicht in die Richtung aus der er gekommen war und versuchte ihn tief in sich aufzunehmen.
Sich auf ihre Aufgabe zu besinnen fiel ihr immer schwerer. Sie wartete schon fast sehnsüchtig darauf wieder etwas von ihm zu spüren. Und es passierte, immer wieder. Mit jeder zufälligen Berührung, mit jedem Hauch seines Duftes, mit seiner Wärme die sie umschmeichelte, fühlte sie, wie sich Vertrauen aufbaute und zu etwas wurde, dem sie sich nicht traute einen Namen zu geben. Sie wollte mehr davon. Mehr von der leicht rauen Haut seiner Handinnenflächen. Sie wollte ihr Gesicht an seiner Halsbeuge vergraben und seinen Duft tief in sich aufnehmen. Eng an ihn geschmiegt wollte sie sich von seiner Wärme einhüllen lassen. Ihr Körper begann darauf zu reagieren, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte und sie gab sich dem hin. Ihr Puls schlug schneller, sie fühlte wie er an ihrem Hals pochte. Ihr Brustkorb hob sich unter tiefen Atemzügen. Die Hitze, die sie in ihrem Gesicht spürte stammte sicherlich nicht von dem brodelnden Kessel vor ihr. Sie könnte sich ein wenig nach hinten lehnen, nur ein bisschen, sich anschmiegen. Doch würde ihr das reichen? Sie wollte ihn selbst mit ihren Händen erkunden, ausgiebig und intensiv. Wie er sich wohl anfühlen würde? Bei diesem Gedanken zog sich ihr Schoß erwartungsvoll zusammen und ein leises Seufzen entfloh ihren leicht geöffneten Lippen.
„Die Stunde ist beendet!"
Wie eine kalte Dusche überschwemmten sie die Worte. Stühle wurden über den Steinfußboden des Kerkers gerückt und das Rascheln von Pergament war zu hören.
Hermine ließ den Kopf nach vorn sinken, ohne in der Lage zu sein die Binde von ihren Augen zu nehmen. Tief atmete sie durch. Die Temperatur schien plötzlich um zehn Grad gefallen zu sein und sie schämte sich. Ihre innere Stimme schrie sie an. „Es haben alle gesehen, wie du vor Erregung errötet bist. Es haben alle gesehen, wie dein Puls raste." Erst jetzt realisierte sie, dass sie Zuschauer gehabt hatte. Ihre Mitschüler, sie waren ausgeblendet gewesen. Sie hatte sich in ihren eigenen Gefühlen und Empfindungen verloren. Ihr Herz raste, jetzt noch stärker als zuvor.
„Miss Granger", erklang eine dunkle Stimme emotionslos, „Sie können jetzt gehen."
Sie entfernte das Tuch und blinzelte mehrmals. Sie waren allein. Einen weiteren tiefen Atemzug später drehte sie sich zu Snape um, der mit verschränkten Armen einige Schritte von ihr entfernt stand. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, durchtränkten den schwarzen Stoff der Augenbinde mit ihrem Schweiß. Sie biss die Zähne aufeinander, um die Wut unter Kontrolle zu bekommen, die sich unaufhaltsam in ihr ausbreitete. Er hatte sie vorgeführt, hatte sie in diese äußerst peinliche Lage gebracht und das vor der versammelten Klasse. Welch eine Schmach.
„Sie sind mir etwas schuldig", sagte sie um Haltung bemüht. Sie wusste nicht woher diese Worte gekommen waren, noch woher sie den Mut dafür nahm, Severus Snape eine solche Forderung zu stellen, aber sie stand weiter unbewegt an ihrem Platz und schaute ihm trotzig ins Gesicht.
Seine Miene war ausdruckslos. Er blickte nur zurück und Hermine war verwundert, bei dem was sie in seinen Augen sah. Die Kälte war gewichen. Hatte etwas anderem Platz gemacht, dass sie nicht einordnen konnte, sie aber auf eine wundersame Art beruhigte.
Severus Snape nickte. Nach einer endlos erscheinenden Ewigkeit gab er seine Zustimmung, die kaum als solche zu erkennen war, doch sie war da. Nur ein leichtes Neigen seines Kopfes und ein kurzes Schließen der Augenlider.
Hermine ging zu ihrem Platz zurück, packte ihre Pergamente und Bücher ein und verließ den Klassenraum, ohne dass ein weiteres Wort gesprochen wurde.
Tbc…
