Mein Erstlingswerk zu diesem Fandom, ich bitte daher um Nachsicht, falls für nicht eingefleischte Fans der Serie manche Figuren austauschbar erscheinen. Wer die Serie allerdings kennt, für den dürfte es kein Problem sein.
Disclaimer: Die hier verwendeten Figuren sind das geistige Eigentum ihrer Schöpfer. Sie sind lediglich ausgeliehen und ich verdiene damit auch kein Geld.
Metamorphose
Die Dämmerung kroch langsam über die Wüste Nevadas und verkündete einen neuen Tag. Nicht, dass das für Las Vegas, die Glücksspielmetropole, einen Unterschied gemacht hätte. Doch Las Vegas war weit mehr als eine Ansammlung prunkvoller und beizeiten grotesker Hotelcasinos. Las Vegas war auch eine ganz normale Stadt – mit Wohnsiedlungen, Supermärkten, Kinderspielplätzen, Schulen und einem College. Und Kriminalität. Gerade die beiden letztgenannten waren in der zu Ende gehenden Nacht einmal mehr unschön zusammengestoßen.
Das
flackernde Blaulicht der Polizeiautos wies Catherine Willows den Weg
zu ihrem Einsatzort auf dem Campus der UNLV. Sie zückte ihre
goldene Dienstmarke und ein Officer winkte sie mit ihrem
Spurensicherungskoffer durch die Absperrung. Kurz darauf fand sie
sich vor der gläsernen Tür zu einem steril wirkenden
Labortrakt wieder, wo sie von ihrem Kollegen und Vorgesetzten Gil
Grissom in Empfang genommen wurde.
„Hier, steck dir das an",
sagte er und reichte ihr ein kleines Gerät, das ein wenig an
eine kleine Stablampe erinnerte.
„Wo sind wir hier?", fragte
Catherine neugierig und begutachtete das Gerät.
„Radiochemisches Labor der Naturwissenschaftlichen Fakultät",
erklärte Grissom ihr. „Deswegen auch das Dosimeter. Denn auch
wenn mir der Laborleiter versichert hat, dass die hier untersuchten
Proben harmlos bezüglich der Strahlung sind, Vorschrift bleibt
nun mal Vorschrift."
Nachdem Catherine sich in die ausliegende
Besucherliste eingetragen hatte, gab Grissom einem der Wachleute ein
Zeichen und die Tür zu den eigentlichen Labors wurde
freigegeben.
Bei dem Opfer handelte es sich um eine junge Weiße,
Mitte-Ende zwanzig, die offenbar durch stumpfe Gewalteinwirkung zu
Tode gekommen war. Zumindest war das die erste Diagnose des
Gerichtsmediziners, der den leblosen Körper der jungen Frau
bereits untersucht und offiziell den Tod festgestellt hatte. Als
erstes ging Catherine systematisch daran, den Tatort und die Leiche
zu fotografieren.
„Ich hasse Morde auf dem Campus", sagte
sie, während sie in die Hocke ging, um noch ein Bild der
Blutlache, welche sich unweit des Opfers befand, aus einem anderen
Blickwinkel zu machen. „Zu viele Studenten, zu viele potenzielle
Täter."
„Dieses Mal ist das Opfer aber keine Studentin,
sondern wissenschaftliche Mitarbeiterin dieses Instituts",
widersprach Grissom ihr.
„Toll!", kam es sarkastisch als
Antwort. „Dann haben wir nicht nur die Studenten als potenzielle
Täter, sondern auch noch sämtliche Angestellten der
Universität. Neben den üblichen Verdächtigen, versteht
sich." Damit wandte sie sich einer am Boden liegenden
Eppendorfpipette zu und schoss davon ein Foto.
„Du vergisst, wo
wir uns befinden." So leicht war der Teamleiter nicht aus der Ruhe
zu bringen. Schließlich hinterließ jedes Verbrechen
Spuren, die letztendlich zum Täter führten. Und ihre
Aufgabe war es, diese Spuren zu finden und daraus die richtigen
Schlussfolgerungen zu ziehen. „Dieser Labortrakt ist gesondert
gesichert, und nicht jeder bekommt mal gerade eben eine
Zutrittsberechtigung."
„Also brauchen wir nur das
Überwachungsvideo anzufordern und kennen unseren Täter,
oder zumindest den Personenkreis auf den wir uns bei den Ermittlungen
beschränken können?", fragte Catherine hoffnungsvoll und
erinnerte sich an die Kamera über dem inneren Eingang zum
Labortrakt.
„Ganz so einfach ist es nicht", meldete sich da
ein schlanker Mann von etwa fünfzig Jahren zu Wort, der sich
durch seinen weißen Laborkittel als Mitarbeiter des Instituts
zu erkennen gab. „Die Kamera am Eingang zu diesem Bereich überträgt
lediglich ein direktes Bild an den wachhabenden Pförtner, es
wird aber keine Videoaufnahme oder dergleichen gemacht. Das einzige,
was wir Ihnen anbieten können, ist ein Zugriff auf das
Computersystem des Bodycounters, den man benutzen muss, um den Trakt
zu verlassen, sowie das System wo unsere Mitarbeiter ihre digitalen
Dosimeter an- und abmelden." Er deutete auf ein kleines,
rechteckiges Kästchen, welches in der Tasche seines Laborkittels
steckte.
„Greg soll sich darum kümmern", entschied
Grissom, und der Laborleiter ging nach draußen um seinen
Systemadministrator zu benachrichtigen.
„Hey, was sind das für
Zahlen?", fragte Warrick da, der mittlerweile zu Catherine und
Grissom gestoßen war.
Aufgrund der Brisanz des Themas
Radioaktivität hatte Grissom es für richtig befunden, das
gesamte Team auf diesen Mord anzusetzen, um einer möglichen
Panikmache von Seiten der Presse vorzubeugen.
Warrick hatte den
Leichnam auf den Rücken gedreht, um ihn für den Abtransport
durch die Mitarbeiter des Gerichtsmediziners fertig zu machen, und
dabei vier blutige Zahlen auf dem weißen Ärmel des
Laborkittels des Opfers entdeckt. „5, 4, 8, 6." Er zückte
die Kamera und hielt den Anblick fotographisch fest.
„Keine
Ahnung was das für Zahlen sind, aber hier haben wir die
Mordwaffe", ließ sich da Catherine vernehmen und hielt in
ihrer behandschuhten Hand einen schweren Metallzylinder mit drei
langen Schrauben, an dessen Bodenkante deutliche Blutspuren zu
erkennen waren.
Währenddessen hatten Sarah und Nick mit
der Befragung der Pförtner und der übrigen Angestellten,
die nach und nach eintrafen, um noch vor den Seminaren und
Laborbetreuungen für die Studenten noch einen Teil ihrer
täglichen Forschungsarbeit in Angriff zu nehmen.
„Sie
haben also die Tote gefunden?", fragte Nick einen der
Pförtner.
„Susan Watkins, ja", erwiderte der beleibte
ältere Mann, der offenbar die Frühschicht an der Pforte
hatte. „Als ich das Register vom Vortag durchblätterte, fiel
mir auf, dass in Ms Watkins Spalte der Eintrag vom Vorabend, dass sie
gegangen sei, fehlte. Also habe ich hinten am Regal mit den
Monatsplaketten nachgesehen, und tatsächlich, ihre Plakette
fehlte. Woraufhin ich im Labortrakt selbst gesucht habe."
„Und
Ihnen kam es nicht ungewöhnlich vor, dass Ms Watkins sich am
Abend nicht verabschiedet hat?", wollte Sarah von dem zweiten
Pförtner, einem hageren Mann mittleren Alters, wissen, der nach
dem Leichenfund aus seinem Feierabend, oder besser Feiermorgen geholt
worden war.
„Nein", gab dieser zur Antwort. „Ms Watkins hat
oft bis weit nach zehn Uhr gearbeitet. Sie hat immer gesagt, dass ihr
Biorhythmus ihr noch mal ein Hoch zwischen 20 und 22 Uhr beschere."
„Sie sind also nur bis 22 Uhr da?"
„Eigentlich bis ein
Uhr, aber um 22 Uhr mache ich mir hinten im Aufenthaltsraum der
Angestellten immer eine Suppe heiß, und bis ich sie gegessen
habe, vergehen schon mal zwanzig Minuten. Für dringende Fälle
trage ich das Funkgerät bei mir", erklärte der Pförtner,
„und die Telefonnummer des Aufenthaltsraums ist am Eingang
ausgehängt. Na ja, und da ist es schon ein paar Mal vorgekommen,
dass Ms Watkins genau während dieser Zeit gegangen ist."
„Aber kontrollieren Sie denn nicht vor Dienstende ob auch alle
Mitarbeiter gegangen sind?", fragte Nick ein wenig ungläubig.
„Für gewöhnlich schon. Aber sehen Sie, gestern war
mein Hochzeitstag. Und ich wusste, dass meine Frau noch auf mich
warten würde."
Nick lächelte verständnisvoll.
„War denn gestern Abend irgendwas ungewöhnlich? Hatte Ms
Watkins vielleicht zu später Stunde noch einen Besucher?",
mischte sich da Sarah wieder ein.
„Ob es wirklich so
ungewöhnlich war, weiß ich nicht, aber so gegen 20 Uhr war
Richard Buchanan, ihr Freund, kurz da."
„Ihr Exfreund",
erklärte die junge Frau, die sich als Lisa Torfler vorgestellt
hatte, entschieden, als Sarah sie wenig später auf Mr. Buchanan
ansprach. „Sie haben sich vor etwa zwei Monaten getrennt." Sie
nippte nervös an ihrer Kaffeetasse. „Er ist Reporter bei einer
Internetzeitung. Sie sagte, er wäre ständig auf der Suche
nach einer heißen Story gewesen, die ihn über Nacht
berühmt machen würde, und dann würde er für eine
richtige Zeitung, eine angesehene Zeitung schreiben. Nicht nur für
eine Internetzeitung, bei der die Hälfte der Artikel von
interessierten und laienhaft fähigen Lesern stammt. Für
Susan waren das Fantastereien. Sie war Naturwissenschaftlerin. Für
sie zählten die greifbaren Fakten. Und auch wenn man
Radioaktivität nicht sehen kann, so ist sie doch sehr
real."
„Haben Sie eine Idee, warum Mr. Buchanan Ms Watkins
gestern Abend hier besucht haben könnte?"
„Gestern
Abend?", fragte Lisa überrascht. „Nein, tut mir leid. Ich
wusste ja noch nicht einmal, dass sie noch Kontakt miteinander
hatten. Denn wissen Sie, unter uns gesagt, glaube ich, dass Susan
Ricks Fantastereien nur als offiziellen Anlass genommen hat, um sich
von ihm zu trennen. Rick war nämlich ziemlich eifersüchtig
und neigte zum Jährzorn. Einmal hat sie mir erzählt, dass
er bei einem Streit dermaßen in Rage geraten ist, dass er ihre
ganzen antiken Laborgeräte, an denen sie so hing, genommen und
an die Wand geschmissen hätte. Nur eine kleine Enghalsflasche
aus honigbraunem Glas ist heil geblieben. Seitdem verwahrt sie diese
in einem Aktenschrank in ihrem Labor."
„Was hältst
du davon?", erkundigte sich Sarah bei Nick, nachdem sie die
Befragungen abgeschlossen hatten, ohne dass sich dabei noch weitere,
für den Fall nützliche Fakten ergeben hatten.
„Der
eifersüchtige Ex-Freund?", fragte ihr Kollege zurück.
Sarah nickte.
„Aber wenn sie seit zwei Monaten getrennt
waren?" Irgendwie wollte Nick nicht recht an den Ex-Freund als
Täter glauben.
„Vielleicht war die Trennung eher
einseitig", verteidigte Sarah diese Theorie. „Du weißt
schon, sie macht Schluss, er will es nicht wahr haben, und als sie
sich nach zwei Monaten bei ihm meldet, hofft er auf Versöhnung.
Seine Hoffnungen werden zerschlagen, er gerät außer sich
vor Wut und erschlägt sie."
„Du gehst also davon aus,
dass der Kontakt von dem Opfer ausging?"
„Ja", nickte sie.
„Schließlich hat sie den Pförtner ja gebeten, ihn nach
hinten in das Labor zu lassen. Das hätte sie wohl kaum gemacht,
wenn er unangemeldet aufgetaucht wäre."
„Lass uns sehen,
wo wir diesen Richard Buchanan finden", meinte Nick und zuckte mit
den Schultern. „Eine andere Spur haben wir ja zur Zeit nicht."
„Und,
hattet ihr Erfolg bei dem Ex-Freund?", fragte Grissom, als Sarah
und Nick später im CSI-Hauptquartier eintrafen.
„Nein",
erwiderte Nick kopfschüttelnd. „Die Wohnung war verlassen und
auch sein Chef bei der Internetzeitung hat seit drei Tagen nichts von
ihm gehört oder gelesen."
„Seine Nachbarin hat gesagt,
dass er seit gestern Abend nicht mehr in der Wohnung gewesen sei",
fügte Sarah hinzu. Bei besagter Nachbarin handelte es sich um
die handelsübliche Sorte – ältere, alleinstehende Dame
mit Katze, deren Lieblingsbeschäftigung es war, alles über
die übrigen Hausbewohner in Erfahrung zu bringen.
„Also
schön, bleibt aber am Ball. Denn selbst wenn es sich bei diesem
Mr. Buchanan nicht um den Täter handelt, kann er uns vielleicht
einen entscheidenden Hinweis geben", beschied der Teamleiter.
Just
in diesem Moment kam Greg aus der Labortür, in der Hand einen
Aktendeckel mit ein paar Ausdrucken.
„Was gibt es?", fragte
Grissom und wandte sich dem jüngsten Mitglied seines Teams zu.
„Ich habe herausgefunden, was die Zahlen bedeuten, die das
Opfer mit seinem eigenen Blut geschrieben hat", verkündete er
stolz.
Abwartend sahen die anderen drei ihn an.
„Die erste
Idee war gewesen, dass es sich vielleicht um eine interne
Telefonnummer handeln könnte, doch ein solcher Anschluss
existiert nicht an der UNLV. Folglich musste es was mit ihrer Arbeit
zu tun haben. Ich dachte natürlich zuerst an Gammalinien..."
Greg merkte, wie sein Chef ungeduldig wurde, also kürzte er
seine Ausführungen ab. „Es handelt sich bei den Zahlen um die
Spektrallinie von Americium-241."
„Americium-241?", fragte
Nick verständnislos.
„Ein Element der Actinidengruppe. Es
entsteht durch Betazerfall aus Plutonium und zerfällt selbst
durch Alphazerfall in Neptunium", klärte Grissom seinen
Mitarbeiter auf.
Plutonium! Der Zusammenhang mit Kernkraft, aber
auch mit Atomwaffen war sofort allen klar. Aber warum hatte das Opfer
eine Zahlenfolge aufgeschrieben, die auf Plutonium hinwies?
Bevor
Grissom seine Mitarbeiter entließ, wollte er noch von Greg
wissen, was bei der Untersuchung der am Tatort sichergestellten
Gegenstände herausgekommen war.
„Der Metallgegenstand, die
Tatwaffe, gehört zu einem Aufbau der zur Elektrodeposition
dient. Mit diesem Verfahren werden die in der Lösung
befindlichen Ionen auf ein Edelstahlplättchen gebracht. Das
Plättchen selbst wird dann spektroskopisch untersucht und
ausgewertet", erklärte Greg. „Leider konnten wir keine
Fingerabdrücke darauf finden, der Täter hat also den
Gegenstand nicht mit den bloßen Händen angefasst. Da sich
aber an keinem der im Müll gefundenen Handschuhe fremde, also
nicht dem Institut zugehörige Fingerabdrücke fanden, müssen
wir davon ausgehen, dass der Täter entweder seine Handschuhe
mitgenommen hat, oder den Gegenstand mit einem der herumliegenden
Küchenkrepptücher angefasst hat."
„Sonst
irgendwelche fremden Fingerabdrücke?"
Greg schüttelte
den Kopf. „Kein einziger."
„Was ist mit der Pipette?",
fragte Grissom.
„Enthielt ganz gewöhnliches 30iges
Wasserstoffperoxyd."
Erst mit Captain Brass's Mitteilung,
dass Richard Buchanan aufgetaucht sei, kamen die Ermittlungen weiter.
Gemeinsam mit Catherine führte er die Vernehmung im hauseigenen,
und wenig gemütlichen Verhörraum durch.
„Warum haben
Sie gestern Abend Ms Watkins im Labor der Universität besucht?",
fragte die schlanke, blonde Frau. Aufmerksam beobachtete sie ihr
Gegenüber.
„Susan hat mir vor etwa vier Tagen auf meine
Mailbox gesprochen. Ich war ziemlich überrascht, von ihr zu
hören. Sie sagte, wenn ich noch immer auf der Suche nach einer
wirklich heißen Story wäre, hätte sie vielleicht was
für mich. Also habe ich sie zurückgerufen und ein Treffen
mit ihr vereinbart."
„Und worum ging es bei dieser Story?",
hakte Captain Brass nach.
„Das werde ich Ihnen doch jetzt noch
nicht verraten. Denn nach allem, was sie mir erzählt hat,
verspricht das eine wirklich gute Story zu werden. Es könnte
mein Durchbruch als Journalist sein. Außerdem hat sie mir noch
nicht alles erzählt. Sie sagte, sie wolle noch ein paar
Ergebnisse abwarten, um ganz sicher zu sein."
„Hören Sir
mir mal zu", sagte Catherine und sah den Reporter eindringlich an.
„Ihre Freundin ist tot. Sie wurde in ihrem Labor mit einem schweren
Metallgegenstand erschlagen. Und unseren Informationen zufolge sind
Sie derjenige, der sie zuletzt lebend gesehen hat."
„Was Sie
zu unserem Hauptverdächtigen macht", schloss Captain Brass.
„Susan ist ermordet worden?" Erschüttert ließ sich
der junge Mann in seinen Stuhl zurücksinken. Dann realisierte er
die Aussage des Polizisten. „Und Sie glauben...? Sie glauben, dass
ich...? Nein!" Er schüttelte vehement den Kopf. „Ich habe
sie nicht umgebracht. Als ich gegangen bin, hat sie noch gelebt. Das
müssen Sie mir glauben!"
„Wann sind Sie denn gegangen?"
So leicht wollte Captain Brass den Journalisten nicht vom Haken
lassen.
„Das war so gegen neun Uhr. Sie können den
Pförtner fragen."
„Das stimmt", flüsterte
Catherine Brass zu, welche die Aufzeichnungen von den Befragungen mit
den Pförtnern kannte. „Allerdings hat niemand das Opfer mehr
gesehen, nachdem sie ihn hier", und sie nickte kurz in Richards
Richtung, „an der inneren Tür abgeholt hat."
Rick
Buchanan, der die leisen Worte dennoch gehört hatte, besann sich
eines Besseren. „Also gut, hören Sie, ich erzähle Ihnen
alles, was Susan mir gesagt hat."
„Na also, wieso nicht
gleich so." Zufrieden faltete Captain Brass die Hände. Weder
er noch Catherine glaubte noch ernsthaft, der junge Mann könnte
der Mörder sein, dafür war seine Reaktion auf die Nachricht
vom Tod seiner Ex-Freundin zu ehrlich gewesen. Nicht einmal ein
wirklich guter Schauspieler hätte eine solch ehrliche Reaktion
hinbekommen. Aber vielleicht hatte er Informationen, die für den
Fall wichtig waren.
„Dann erzählen Sie doch mal." Auch
Catherine war ganz Ohr.
„Susan ist für die Untersuchung
von Umweltproben auf Elemente mit Alphastrahlung zuständig.
Routineuntersuchungen für kerntechnische Anlagen oder bei der
Aufbereitung von Uranerzen. Um sicherzustellen, dass keine
Radioaktivität etwa ins Trinkwasser gelangt. Diesen Proben
werden Vergleichsproben aus unbebauten Gebieten oder Parkanlagen
gegenübergestellt. Das, worüber sie mit mir sprechen
wollte, betraf etwas, worum ihre Mitbewohnerin gebeten hatte. Aber
sie wollte mir noch nichts Genaues sagen. Sie wollte noch ein paar
Versuchsergebnisse überprüfen, doch ich glaube, sie wollte
noch ein paar Informationen abwarten, die sie auf eigene Faust
recherchiert hatte."
„Und weshalb könnte die
Mitbewohnerin Ms Watkins um die Untersuchung von bestimmten Proben
gebeten haben? Denn wir dürfen wohl davon ausgehen, dass es das
ist, worum sie die Tote gebeten hat", sagte Catherine.
„Ich
weiß es nicht", beteuerte Rick. „Ich weiß nur, dass
Christine, ihre Mitbewohnerin eine Architektin in einem der großen
Büros hier in der Stadt ist. Aber um was sie Susan gebeten hat,
weiß ich wirklich nicht. Das müssen Sie schon Christine
fragen."
„Diese Mitbewohnerin, haben wir sie schon
befragt?", fragte Grissom, als Catherine ihm von der Unterredung
mit Richard Buchanan berichtete.
„Noch nicht", mischte sich
Captain Brass ein, welcher mitgekommen war. „Sie ist zur Zeit
geschäftlich in Texas, wird aber noch heute zurückerwartet..."
Die Wohngegend war ruhig und typisch für diese Art
Besiedelung – am Reißbrett geplant, glich ein Haus dem
anderen, eine Straße der nächsten. Alles hübsche,
zweigeschossige Einfamilienhäuser mit frisch getrimmten Rasen.
Vor einem Haus mit der Nummer 3487 parkte der Wagen von Captain
Brass, der gemeinsam mit Nick Stokes hier herausgefahren war, um
Christine Bryant, die Mitbewohnerin von Susan Watkins, zu befragen.
„Susan ist tot? Ermordet worden??" Fassungslos sah Christine
Nick an, der ihr die traurige Botschaft überbrachte.
„Ja.
Es tut mir sehr leid." Mitfühlend betrachtete er die junge
Frau.
„Wissen Sie schon, wer es war?"
„Nein, bislang
leider nicht. Aber alles deutet darauf hin, dass es mit ihrer Arbeit
zu tun hatte."
„Ihre Arbeit? Oh mein Gott! Sie hat neulich so
eine komische Andeutung gemacht, die ich nicht recht verstehen
konnte. Irgendwas mit den Proben, die zu untersuchen ich sie gebeten
hatte. Oh hätte ich sie doch nur nie darum gebeten!" Die
Tränen standen ihr in den Augen und sie knotete voller
Verzweifelung ihr Papiertaschentuch, das dieser Belastung nicht lange
stand hielt.
„Ms Bryant, worum haben Sie Susan Watkins genau
gebeten? Bitte, Sie müssen es uns sagen, damit wir den Mord an
ihrer Freundin aufklären können." Eindringlich sah Nick
Christine an.
Diese atmete noch ein paar mal hektisch durch, um
sich zu fassen, dann sagte sie: „Das Architekturbüro für
das ich arbeite, Meyers und Partner, hatte von einem Siedlungsprojekt
im Westen der Stadt erfahren, das demnächst ausgeschrieben
werden soll. Und ich hatte die Idee, dass wir unsere Bewerbung ein
wenig aufpeppen könnten, wenn wir ein radiotoxikologisches
Gutachten über den Boden beilegen könnten, mit dem man dann
Werbung machen kann. ‚Wohnen Sie in Western Village, einer
strahlenfreien Umgebung mit sicheren Spielplätzen für ihre
Kinder.' So in der Art. Susan hatte mir erzählt, dass sie
demnächst wieder quartalsmäßig Vergleichsproben holen
müsse, und da habe ich sie gebeten auch ein paar Proben aus dem
Gebiet der Ausschreibung zu untersuchen. Und letzte Woche, da sagte
sie, sie sei sich nicht sicher, ob wir wirklich mit ihrem Gutachten
Werbung machen könnten..."
„Also muss das Opfer
irgendwas in den Proben gefunden haben", sagte Warrick, als Nick
wieder im CSI-Hauptquartier war.
„Nicht nur irgendwas. Die
Zahlen, die sie auf ihren Ärmel geschrieben hat, deuten auf
Americium hin, was wiederum aus Plutonium entsteht", erklärte
Nick.
„Atomwaffen?"
„Vermutlich. Was aber die Frage
aufwirft, wie das Plutonium, oder entsprechend die Atomwaffen, in das
Gebiet kommen."
„Dann sollten wir doch mal nachsehen, wem das
Gelände gehört hat, bevor die Stadt es erworben hat, oder
wer ein Nutzungsrecht hatte", sagte Warrick und steuerte auf seinen
Computer zu, um sich in die Datenbank des Grundbuchamts einzuloggen.
„Wow!" Anerkennend pfiff Warrick durch die Zähne. Er
saß jetzt bereits eine Stunde über den Recherchen, was
aber daran lag, dass im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Personen
und Firmen die Rechte an dem betreffenden Stück Land gehabt
hatten. Angefangen mit jenen armen Seelen, die gehofft hatten dort
schürftechnisch ihr Glück zu machen, sei es nun Gold, Öl
oder Uran, und die sämtlich gescheitert waren, über ein
paar Farmer, die aber bald vor der Wüste kapituliert hatten.
Doch seit den 60er Jahren bis Mitte der 90er hatte das Gebiet einer
Firma namens ‚Russel Enterprises' gehört. Dann aber hatte
Earnest Russel, der Firmengründer, sich von dem Gelände
getrennt und es der Stadt verkauft. Das war etwa zu der Zeit gewesen,
als sein Enkel in die Firma eingetreten war.
Das allein wäre
vielleicht nicht so interessant gewesen und hätte die
Ermittlungen auch nicht wirklich weitergebracht. Doch da das
Plutonium ja nun mal irgendwie in den Boden gelangt sein musste,
hatte Warrick als nächstes das Archiv der ältesten Zeitung
bemüht und die Liste der Landbesitzer mit eventuell erschienen
Artikeln abgeglichen. Und der Name ‚Russel Enterprises' hatte ein
paar Treffer ergeben.
„Hey, Warrick, wie steht's?", fragte
Nick, der den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte, als er von
draußen gesehen hatte, wie sein Kollege gebannt den Monitor
anstarrte.
„Das musst du dir ansehen", war die Antwort und
zugleich die Einladung über Warricks Schulter ebenfalls einen
Blick auf den Bildschirm zu werfen.
Es war ein Zeitungsartikel
aus den frühen 70er Jahren. „‚Russel Enterprises erhält
den Zuschlag für den Armeeauftrag. Damit hat der Earnest Russel
das geschafft, wovon so viele in diesem Land träumen – sein
Unternehmen aus dem Nichts an die Spitze der Wirtschaft zu
katapultieren.' Was war das für ein Auftrag?", wollte Nick
wissen.
Warrick scrollte im Artikel weiter nach unten. „Es ging
um die Entsorgung von Atomsprengköpfen. Denn nicht alle Bomben,
die in den 50er und 60er Jahren getestet worden waren, waren auch
wirklich explodiert. Da aber die Sprengköpfe schon mal gezündet
worden waren, konnte man sie nicht einfach wiederverwenden. Und das
Aufbereiten war damals teurer als neue zu kaufen. Also hat man die
Entsorgung ausgeschrieben."
„Und Russel hat diese Sprengköpfe
ganz fachgerecht einfach vergraben?" Ungläubig sah Nick auf
den Bildschirm.
„Scheint so", sagte Warrick und sah dabei
alles andere als glücklich aus.
„Aber es muss doch damals
schon irgendwelche Richtlinien und Bestimmungen gegeben haben."
„Vielleicht Bestechung? Durchaus möglich, dass das
billiger war, als die sachgerechte Entsorgung...", schlug Warrick
vor. „Wenn die Stadt von dem Ergebnissen dieser
radiotoxikologischen Untersuchung erfährt, steht Russel
Enterprises ziemlicher Ärger ins Haus. Ein satte Geldstrafe und
die Kosten für die Bodensanierung..."
„Das wäre ein
ziemlich starkes Motiv. Auf jeden Fall dürfte sich ein Besuch
bei Russel Enterprises lohnen", stimmte Nick zu.
Russel
Enterprises residierte in einem modernen Geschäftskomplex, mit
glänzendem grauen Marmor in der Eingangshalle, jeder Menge Stahl
und Chrom und einer energisch lächelnden Empfangsdame.
„Guten
Tag", sagte Captain Brass, als er in Begleitung von Sarah und
Warrick das Gebäude betrat. „Wir würden gerne mit Mr.
Russel sprechen. Mr. Russel Senior", fügte er hinzu.
Ohne
ihr energisches Lächeln zu verlieren, musterte die Dame am
Tresen die drei Polizisten. „Haben Sie einen Termin? Andernfalls
fürchte ich, wird Mr. Russel keine Zeit haben."
„Er wird
Zeit haben", meinte Captain Brass gelassen. „Denn sehen Sie,
das", und er zückte seine Dienstmarke, „ist unser Termin."
Die Empfangsdame wurde nur eine halbe Schattierung blasser, was
für ihre Professionalität sprach, dann griff sie zu ihrem
Telefonhörer und wählte die Nummer der Chefetage. „Siebter
Stock, man wird Sie am Fahrstuhl abholen", sagte sie dann.
Mit
einem knappen Nicken verabschiedeten sich Captain Brass und seine
Begleiter und strebten den Fahrstühlen zu.
Kurz darauf
fanden sie sich in einem nicht minder imposanten aber gediegener
gehaltenen Büro wieder.
„Mr. Russel? Freut mich, dass Sie
Zeit für uns hatten", sagte Captain Brass, obwohl allen
Anwesenden klar war, dass diese Floskel bloß der Höflichkeit
entsprang und keineswegs der Wahrheit entsprach. „Darf ich Ihnen
meine Kollegen Sarah Sidle und Warrick Brown vom CSI vorstellen?"
Der alte Herr mit dem würdevollen weißen Haar nickte
kaum merklich, dann fragte er barsch: „Um was geht es? Ich habe
heute noch einen vollen Terminkalender."
„Wir untersuchen den
Mord an Susan Watkins", klärte Warrick ihn auf.
„Susan
Wer? Wer soll das sein?" Nicht gewillt, den Beamten auch nur
irgendwie über das Mindestmaß hinaus behilflich zu sein,
verschanzte sich Russel Senior hinter seinem wuchtigen Schreibtisch.
„Sie war Mitarbeiterin an der UNLV. Sie hat radiotoxikologische
Untersuchungen gemacht. Standarduntersuchungen für
kerntechnische Anlagen überwiegend", gab Sarah ihm zur
Antwort.
„Und was hat das mit mir zu tun?"
„Nun Sir,
Ms. Watkins hat nicht nur Proben aus kerntechnischen Anlagen
untersucht, sondern auch Bodenproben aus Parks oder unbebautem
Gebiet. Als Referenzproben. Bei der letzten Probennahme hat sie auf
die Bitte einer Freundin hin auch Proben aus einen ganz bestimmten
Gebiet untersucht. Ein Gebiet, das demnächst zur Bebauung
freigegeben wurde." Gespannt beobachteten alle drei wie Earnest
Russel auf diese Erklärungen reagieren würde. Denn ihm
musste klar sein, worauf diese Gedankenkette hinauslaufen musste.
„Mr. Russel", mischte sich da Captain Brass in das Gespräch
ein, „vor etwa 30 Jahren erhielten Sie von der Armee den Auftrag
Atomsprengköpfe zu entsorgen. Doch anstatt diesen radioaktiven
Militärmüll vorschriftsmäßig zu behandeln, haben
Sie ihn einfach vergraben – auf einem Stück Land im Westen der
Stadt, dass Ihnen gehörte. Ein Stück Land, dass Sie später
an die Stadt verkauften, als Sie dachten, es sei genug Gras über
die Sache gewachsen. Genau jetzt, zu diesem Zeitpunkt, befindet sich
ein Team der Umwelt- und der Strahlenschutzbehörde vor Ort und
sucht das Gelände ab..."
Beherrscht musterte der alte Herr
die drei Polizisten. Dann sagte er: „Also schön, nehmen wir
an, Ihr Team findet wirklich da draußen auf jenem Gelände
etwas, dass sich zu mir und diesem alten Auftrag zurückverfolgen
lässt, was hat der Mordfall, wegen dem Sie ja gekommen sind, mit
mir zu tun?"
Sarah konnte nicht anders als so viel
Kaltblütigkeit zu bewundern, obgleich sie sie im selben Moment
abstieß.
„Was meinen Sie wohl, wie wir auf Sie und diesen
alten Auftrag gekommen sind? Das Opfer hat uns einen Tipp gegeben.
Nachdem Sie sie erschlagen haben, ist sie noch einmal kurz zu sich
gekommen, war aber bereits zu sehr geschwächt um noch einen
Notruf abzusetzen oder sonst wie um Hilfe zu bitten. Also hat sie mit
ihrem eigenen Blut einen Hinweis auf ihren Mörder hinterlassen.
Und glauben Sie mir, wenn wir in der Lage waren, diese Spur bis
hierher zu verfolgen, dass war Ms. Watkins es sicherlich auch,
stammte doch schließlich der Hinweis von ihr!"
Jetzt
erschien auf dem Gesicht des Firmengründers von Russel
Enterprises eine Andeutung eines Schmunzelns. „Erschlagen haben
soll ich diese Frau? Wirklich interessant. Aber sofern Jesus Christus
nicht wiederauferstanden ist und das Wunder mit den Lahmen, die er
gehend gemacht hat, an mir wiederholt hat, wird aus Ihrer schönen
Theorie nichts." Damit stieß sich Earnest Russel vom Tisch
ein wenig ab und ließ seinen Stuhl nach hinten gleiten. Erst
jetzt wurde sichtbar, dass es sich bei dabei um einen hervorragend
gearbeiteten Rollstuhl handelte.
„Seit fünf Jahren
sitzt der Mann im Rollstuhl, und niemand außerhalb der Familie
hat etwas davon gewusst?", fragte Captain Brass ungläubig, als
er mit Sarah und Warrick im Fahrstuhl wieder ins Erdgeschoss fuhr.
„Schwer vorstellbar", stimmte Warrick ihm zu.
In diesem
Moment hielt der Fahrstuhl im fünften Stock und ein junger Mann
von etwa Anfang 30 betrat die Kabine. „Guten Tag!", wandte er
sich sogleich an die drei Polizisten. „Mein Name ist Jason Russel,
ich bin der Enkel von Earnest Russel. Seine Sekretärin sagte
mir, dass sie bei meinem Großvater waren und ihn wegen eines
Mordfalles befragt haben. Sie wissen, dass er unmöglich ihr
Täter sein kann?" Wenn es um die Familie ging und einer derart
schwerwiegende Sache obendrein kannte der jüngste Spross der
Familie Russel in dieser Firma kein diplomatisches Herumscharwenzeln.
Er kam lieber gleich zur Sache.
„Wissen wir", sagte Sarah
sachlich, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie noch immer nicht
ganz die Tatsache verarbeitet hatte, dass ihr potenzieller Täter
querschnittsgelähmt war.
„Verraten Sie uns eines: Wieso
haben Sie die ganze Zeit geheimgehalten, dass Ihr Großvater im
Rollstuhl sitzt?", wollte Captain Brass wissen.
„Um die Firma
zu schützen. Sehen Sie, als mein Großvater diesen
Autounfall hatte, war ich erst wenige Jahre in der Firma. Zu wenige
um Russel Enterprises schon allein leiten zu können. Ich war zu
jung, hatte noch nicht genug von dem Geschäft gelernt, noch zu
wenige Kontakte geknüpft. Aber außer mir gab es nur noch
meinen Großvater, der die Firma leiten konnte, ohne dass sie
binnen Kürze bankrott gegangen wäre", erklärte Jason
Russel. „Mein Vater ist gestorben als ich acht Jahre alt war.
Flugzeugabsturz. Hat damals für ziemlich viele Schlagzeilen
gesorgt. Deshalb war meinem Großvater sehr daran gelegen,
seinen Autounfall aus der Presse herauszuhalten. Und später, als
feststand, dass er nie wieder würde gehen können, bestand
er auf der Geheimhaltung, weil er befürchtete, seine
Geschäftspartner, aber vor allem seine Konkurrenz würde ihn
nicht nur als körperlichen Krüppel sondern auch als
geistigen Krüppel darstellen, der nicht in der Lage ist, sich
weiter ums Geschäft zu kümmern. Verzeihen Sie dieses harte
Wort, aber genau das war der Ausdruck, den mein Großvater
benutzt hat."
Warrick und Captain Brass nickten, Sarah aber war
durch etwas abgelenkt, was genau konnte sie nicht sagen. Vielleicht
war es auch nur ihr geschultes Gespür, das ihr sagte, dass
irgendetwas an Jason Russel nicht passte.
Dann endlich erreichte
der Fahrstuhl das Erdgeschoss und die drei Polizisten verabschiedeten
sich von dem zukünftigen Chef von Russel Enterprises.
„Solange
wir keine direkte Verbindung, etwa so etwas eine Kontaktaufnahme,
zwischen dem Opfer und Russel herstellen können, fürchte
ich, werden wir an dieser Stelle nicht weiterkommen", sagte Warrick
nüchtern.
„Lass uns noch mal die Telefonliste von Susan
Watkins durchsehen. Anschluss im Institut, Festnetz zu Hause und
Mobiltelefon. Ich werde Greg bitten, ihre E-Mails zu überprüfen",
sagte Sarah, während sie in den Wagen stiegen.
„Hey
Greg, was machen die E-Mails?", fragte Sarah und sah von ihrer
Telefonliste auf. Die vom Festnetz hatte sie schon durchgesehen,
ergebnislos, jetzt überprüfte sie die Anrufe, die über
das Telefon im Labor geführt worden waren. Warrick kümmerte
sich derweil um die Liste mit den Handygesprächen.
„Nichts.
Nada. Niente. Nothing. Absolut gar nichts! Zumindest nichts in
Zusammenhang mit Russel", gab Greg zur Antwort und legte seine
Liste auf den Tisch. Er wollte sich zum Gehen wenden, als Sarah ihn
aufhielt.
„Warte mal, was hast du da?" Sie zeigte auf zwei
weiße Flecke auf seiner Hand.
„Das? Da hab ich vorhin im
Labor nicht aufgepasst. Ist bloß Wasserstoffperoxyd.
Verschwindet auch wieder", sagte er achselzuckend.
„Wasserstoffperoxyd", wiederholte Sarah langsam. „Die
Pipette, die ihr am Tatort gefunden habt enthielt doch auch
Wasserstoffperoxyd, oder?"
„Ja", nickte Greg.
„Also
können wir davon ausgehen, dass Susan Watkins gerade mit einer
mit Wasserstoffperoxyd gefüllten Pipette gearbeitet hat, als sie
erschlagen wurde."
„Ja." Wieder nickte Greg. „Damit
werden die gelösten Elemente auf die gewünschte
Oxidationszahl gebracht, so dass sie sich abscheiden lassen. Worauf
willst du hinaus?"
„Warrick?", wandte sich Sarah da an
ihren Kollegen.
„Was ist?", fragte dieser, studierte dabei
aber weiterhin die Liste.
„Als wir heute bei Russel Enterprises
waren, hast du dir da mal die Hände von Jason Russel
angesehen?"
„Wieso? War etwas Ungewöhnliches an ihnen?"
„Ja... Er hatte weiße Flecke auf der Hand. Ähnlich
wie Greg. Das ist mir aufgefallen, aber ich wusste es nicht
einzusortieren. Jetzt aber weiß ich, dass es sich um
Verätzungen durch Wasserstoffperoxyd handelt", sagte Sarah.
„Du meinst also, dass er unser Täter ist?", fragte
Warrick, halb ungläubig, halb hoffnungsvoll.
„Das müssen
wir erst noch beweisen", mischte sich Greg ein. „Wasserstoffperoxyd
ist nicht so ungewöhnlich. Man findet es in kleineren Mengen zum
Beispiel auch in Kontaktlinsenreiniger. Möglich, dass dieser
Jason Russel Kontaktlinsen trägt und etwas von der
Reinigungslösung auf die Hand gekriegt hat."
„Ja,
möglich wäre es. Aber mein Gefühl sagt mir etwas
anderes." Sarahs Blick fiel auf die Bilder, die Catherine vom
Tatort gemacht hatte und die noch immer auf einem der Bildschirme
prangten. „Schutzbrillen!", rief sie da aus. „Wenn Susan
Watkins gearbeitet hat, während sie Besuch von Jason Russel im
Labor hatte, dann müsste sie ihn laut Vorschrift dazu angehalten
haben, ebenfalls eine Schutzbrille zu tragen..."
„Und hier
haben wir den Beweis, dass Susan Watkins bei Russel Enterprises
angerufen hat", meldete da Warrick und zeigte auf die Liste mit den
Handyanrufen. „Genauer, bei Mr. Russel senior…"
Wieder
waren es Sarah und Warrick, die Captain Brass zu Russel Enterprises
begleiteten. Dieselbe Dame mit dem unverändert energischen
Lächeln begrüßte sie am Empfang.
„Guten Tag,
wir hätten gerne Mr. Russel gesprochen", sagte Captain Brass.
Wie bei ihrem letzten Besuch griff die Empfangsdame nach dem
Telefon um sie anzumelden, erfuhr jedoch von der zuständigen
Assistentin, dass Mr. Russel in seinem Büro weilte, sich zur
Zeit aber in einer Besprechung mit seinem Enkel befinde.
Captain
Brass, der das mitbekommen hatte, meinte: „Um so besser. Siebter
Stock also? Vielen Dank!" Und ohne der Dame hinter dem Tresen noch
die Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, ging er mit seinen
beiden Kollegen zu den Fahrstühlen. Das hinterher gerufene „Das
können Sie doch nicht machen, Sie können nicht einfach zu
Mr. Russel", quittierte er mit einem charmanten „Dann rufen Sie
doch die Polizei".
Sarah und Warrick grinsten nur.
Ähnliches
spielte sich auch im siebten Stock ab, denn Brass dachte nicht daran,
sich erst groß von der Sekretärin anmelden zu lassen.
„Wie können Sie es wagen?", polterte auch gleich Russel
senior, kaum, dass er erkannt hatte, wer die Eindringlinge waren.
„Wie Sie sehen, bin ich beschäftigt!"
„Es geht noch
einmal um den Mord an Susan Watkins", sagte Captain Brass gelassen,
denn er war durch seinen Berufsalltag noch so manch anderes an
herrischem Verhalten gewöhnt.
„Sie wissen sehr wohl, dass
ich nicht der Täter sein kann!", bellte der alte Herr.
„Gewiss, Sir, aber das schließt nun mal nicht die
Möglichkeit aus, dass Sie jemanden mit dem Mord beauftragt
haben. Denn auch, wenn Sie gestern Gegenteiliges behauptet haben,
wissen Sie sehr genau, wer Susan Watkins ist", erklärte Sarah.
„Oder wollen Sie leugnen, mit ihr telefonischen Kontakt gehabt zu
haben? Und erzählen Sie uns nicht, Sie hätte nicht mit ihr
gesprochen, denn Ms. Watkins dürfte sich wohl kaum 20 Minuten
mit Ihrer Sekretärin über das Wetter unterhalten haben."
Bei diesen Worten sank Earnest Russel ein wenig in sich zusammen,
hatte sich aber gleich darauf wieder gefangen. „Also schön.
Ja, Ms. Watkins hat hier angerufen und mir von ihrer Untersuchung
erzählt. Mehr noch, sie hat mir gedroht, die Ergebnisse zu
veröffentlichen!"
„Und wie haben Sie darauf reagiert?",
wollte Captain Brass wissen.
„Wie schon? Na ja, zunächst
habe ich versucht alles zu leugnen, doch als sie mir dann mit einer
Publikation der Sache in der Zeitung drohte, habe ich eingelenkt. Ein
Skandal ist das Letzte, was ich jetzt brauchen kann. Insbesondere, da
mein Enkel Jason hier demnächst heiraten wird, was auch für
die Firma ein paar kleine Vorteile haben wird."
Insgeheim
fragten sich alle drei Polizisten, wie groß diese ‚kleinen
Vorteile' wohl in Wirklichkeit waren.
„Also habe ich ihr
angeboten den Boden auf meine Kosten sanieren zu lassen, und
obendrein ein Stipendium einzurichten, das etwa der Hälfte einer
zu erwartenden Geldstrafe entspräche", fuhr Earnest Russel
fort.
„Und, ist Ms. Watkins auf diesen Vorschlag eingegangen?",
fragte Warrick.
„Sie sagte, sie wolle sich noch mal melden.
Doch das tat sie nicht, sondern stattdessen sind Sie hier aufgetaucht
und haben mich mit Ihren lächerlichen Beschuldigungen
belästigt." Damit verschanzte sich der Firmengründer
wieder hinter seinem Schreibtisch.
„Danke für diese
Auskunft, Sir. Denn sehen Sie, genaugenommen verdächtigen wir
auch nicht länger Sie den Mord begangen zu haben, sondern Ihren
Enkel Jason", sagte Brass und blickte zu dem jungen Mann hinüber.
„Jason? Unmöglich!", mischte sich der alte Herr ein. „Er
wusste doch von alldem gar nichts! Sag es Ihnen, Jason!"
Doch
Jason Russel zog es vor, zu schweigen.
„Mr. Russel", wandte
sich Sarah an Jason Russel, „können Sie uns erklären,
woher diese Flecken auf Ihrer Hand stammen?"
Atemlose Stille
herrschte in dem Büro mit den gediegenen Möbeln. Dann brach
Jason Russel zusammen.
„Also der Enkel war der Täter?",
fragte Grissom, als Sarah ihm den Abschlussbericht vorlegte.
„Ja.
Wie sich herausstellte, hatte Jason Russel das Telefonat zwischen
Susan Watkins und seinem Großvater belauscht. Doch was Russel
senior nicht wusste, war, dass die Firma gar nicht in der Lage war,
die Sanierung zu bezahlen. Jason hatte nämlich, um seine
Spielsucht finanzieren zu können, Firmengelder in großem
Stil veruntreut. Also ist er zum chemischen Institut der Universität
gefahren um mit Ms. Watkins zu sprechen und sie davon zu überzeugen,
einfach nur die Empfehlung auszusprechen, das Gelände vorerst
nicht zur Bebauung freizugeben, ohne die Gründe zu nennen. Denn
er war, genau wie sein Großvater, auch darauf bedacht, keinen
Skandal heraufzubeschwören. Darauf hat sich Ms. Watkins aber
natürlich nicht eingelassen, und da ist Russel junior in Panik
geraten und hat sie erschlagen. Wir haben ihn anhand seiner DNS, die
wir auf einer der Schutzbrillen gefunden haben, überführt."
„Womit er natürlich nicht gerechnet hat, war, dass das
Opfer noch mal zu sich kommt, und uns einen Hinweis auf ihren Mörder
hinterlässt", sagte Catherine, die gekommen war um sich für
den Feierabend zu verabschieden.
Grissom nickte. „Das ist der
Vorteil an Radioaktivität. Auch wenn sich die Elemente durch den
Zerfall in andere umwandeln, können wir doch immer ihre Spur
verfolgen. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Nur haben die Herren
Russel in diesem Fall vergessen, dass dieser Vorgang bei Plutonium
und erst recht bei seiner Tochter Americium etwas länger
dauert…"
