Die folgende Geschichte stammt aus einer Weihnachtswichtelaktion. Hier die Wünsche von Harlekin, für die ich die Geschichte geschrieben habe:
Paring: Harry/Malfoy ; Neville/Blaise (die
beiden sind süß!! ) ; Fred/George ;
Hermine/Blaise
Genre: Romanze, Humor
Rating: bis P-16
Vorgabe:
Spielt im letzten Jahr, bzw. nach der Schule. Keine "Vorgabe
sondern eher ne Bitte: kein offenes Ende
Disclaimer: Alle hier verwendeten Figuren des Harry Potter-Universums gehören nicht mir sondern sind das geistige Eigentum von JKR. Sie sind lediglich ausgeliehen und ich verdiene damit auch kein Geld. Mir gehören lediglich die Detailideen sowie die von mir erfundenen Charaktere.
Zu dumm zum Tränkebrauen?
Erster
September und es herrschte Frieden, weshalb in Hogwarts, nach drei
sehr turbulenten Jahren, endlich wieder ein reguläres Schuljahr
beginnen konnte. Doch nicht nur für Hogwarts bedeutete der erste
September ein neues Jahr, auch im St. Mungo's Hospital für
magische Erkrankungen begann an diesem Tag eine neue Klasse ihre
Ausbildung zum Heiler.
Gerade St. Mungo's hatte unter den
Folgen des letzten, des finalen Krieges gegen Voldemort zu leiden.
Nicht nur, dass es mehr Patienten zu versorgen galt, auch waren die
Reihen der Heiler durch eigene Verluste stark gelichtet und man hatte
zwei Jahre lang keine neuen Heiler ausbilden können. Aus diesem
Grund hatte man beschlossen in diesem Jahr auch Bewerber zuzulassen,
welche das Anforderungsprofil nicht ganz erfüllten.
Rubeus
Wellado, der Chefausbilder, hatte dieser Maßnahme zunächst
äußerst skeptisch gegenüber gestanden doch als er in
die eifrigen Gesichter der zwanzig neuen Auszubildenden blickte,
musste er dem Krankenhausvorstand recht geben, dass unter den
gegebenen Umständen ein halber Heiler besser war als gar keiner.
Auch wenn das vielleicht bedeutete, dass der eine oder andere
vielleicht ein Jahr länger brauchte, um seine Ausbildung
erfolgreich abzuschließen.
„Guten Morgen, meine Damen
und Herren! Ich freue mich, dass Sie sich für den Beruf des
Heilers entschieden haben. Die Damen mögen mir an dieser Stelle
nachsehen, dass ich auf die zusätzliche Anrede der HeilerIN
verzichte, und stattdessen Heiler als neutralen Titel wähle, um
meine kurze Begrüßungsrede wirklich kurz zu halten und
Ihre Geduld nicht über Gebühr zu strapazieren.
Der
Beruf des Heilers bringt eine große Verantwortung mit sich,
aber auch die Möglichkeit viel Gutes zu tun. Um so wichtiger ist
eine gründliche Ausbildung. Diese besteht für Sie aus zwei
großen Schwerpunkten: dem praktischen Umgang mit den Patienten
und der Theorie. Letztere umfasst zu gleichen Teilen:
Rückverwandlung, Gegenflüche, Kräuterkunde, Heil- und
Linderungszauber sowie Heiltränke. Die genauen Unterrichtszeiten
sowie die Stationen, in denen Sie im ersten Quartal Ihre
Praxiserfahrungen sammeln werden, entnehmen Sie bitte den Aushängen
hinter mir."
Auf die überraschten Blicke einiger
Auszubildenden hin, die verwundert waren, dass sie bereits so früh
Kontakt mit den Patienten haben sollten, erwiderte Rubeus: „Ja,
ganz recht, Sie werden von Beginn an mit unseren Patienten zu tun
haben. Auch wenn Sie zunächst vermutlich nicht viel mehr als
kleine Handreichungen machen können. Doch bedenken Sie: Selbst
wenn Sie den entsprechenden Kühlzauber noch nicht beherrschen,
können Sie einem Patienten mit Eternitätsfieber schon mit
einem feuchten Tuch Linderung verschaffen."
Aufmerksam hatte Neville Longbottom dem Ausbilder zugehört. Er war froh und dankbar für die Chance, die ihm durch die neue Aufnahmeregelung geboten worden war. Denn seit seiner Kindheit hatte er davon geträumt Heiler zu werden. Er wollte sich um seine Eltern kümmern, und vielleicht, aber diesen kühnen Gedanken verwahrte er fest verschlossen im hintersten Winkel seines Herzens, vielleicht gelang ihm das Unmögliche – seine Eltern zu heilen. Während seiner Schulzeit jedoch war dieser Traum, dank Professor Snape, in weite Ferne gerückt, da es Neville einfach nicht gelang, seine Angst vor dem hageren, stets schwarz gekleideten Zauberer zu überwinden. Somit war es ihm unmöglich, sich in Snapes Unterreicht zu konzentrieren, und Zaubertränke gestaltete sich regelmäßig als Katastrophe. Um jedoch Heiler zu werden, brauchte man einen ZAG in Zaubertränke – etwas geradezu Illusorisches für Neville. Nun aber hatte seine hervorragende Kräuterkundenote seine miserablen Zaubertrankleistungen aufwiegen können, und wer wusste schon, vielleicht wurde er ja ohne Snapes mürrisches Gesicht vor Augen doch noch ein halbwegs passabler Tränkebrauer. Er würde zumindest sein Bestes geben.
Doch sein Bestes zu geben vollbrachte noch kein
Wunder. Das musste Neville zu seinem Leidwesen schon sehr bald
erkennen. Und so bestand sein Bestes oft genug darin, zu verhindern,
dass sein Kessel in die Luft flog. Was ja immerhin auch schon etwas
war, wie er manchmal mit einem Anflug von Galgenhumor dachte. Und es
war auch nur Heiltränke, wo seine Leistungen dermaßen zu
wünschen übrig ließen.
In Kräuterkunde war
er der Beste seiner Klasse, und auch in Gegenflüche gehörte
er zu den Besten. Selbst in Rückverwandlungen war er besser als
seine ehemalige Hauslehrerin Minerva McGonagall ihm zugetraut hatte,
als er sie gebeten hatte, ihm eine Empfehlung für seine
Bewerbung zu schreiben.
Die jetzige Schulleiterin von Hogwarts
hatte zunächst gezaudert, als Neville zu ihr gekommen war, doch
als sie in das hoffnungsvolle und doch ernste Gesicht gesehen hatte,
und daran dachte, wie ungerecht doch das Leben zu dem jungen
Longbottom gewesen war, hatte sie beschlossen, dass er wenigstens
eine Chance bekommen sollte.
Dass Rückverwandlungen Neville
leichter als sein ehemaliges Schulfach Verwandlungen fiel, lag daran,
dass man bei Rückverwandlungen als erstes herausfinden musste,
an welcher Stelle ein Zauber schief gegangen war. Und was schief
gegangene Zauber betraf, so verfügte Neville über einen
reichen Erfahrungsschatz aus eigener Hand, teils selbstverschuldet,
teils dank irgendwelcher Slytherinstreiche.
Das
erste Quartal neigte sich dem Ende zu, und abgesehen von Heiltränke
hätte Neville nicht glücklicher sein können. Und er
war es auch.
Umso härter traf ihn die Mitteilung von Rubeus
Wellado.
Dieser hatte Neville, so wie auch die anderen seines
Ausbildungsjahrgangs, zu einem Einzelgespräch gebeten, um mit
ihm über seine Fortschritte zu sprechen.
„Mr. Longbottom,
ich muss gestehen, dass ich gerade was Sie betraf, so meine Zweifel
bezüglich Ihrer Zulassung hatte", begann der Ausbilder das
Gespräch.
Neville schluckte unwillkürlich.
„Umso
mehr freut es mich, Sie mich eines Besseren belehrt haben. Meine
Kollegen und ich sind wirklich hochzufrieden mit Ihnen. Allerdings
mit einer Ausnahme, und das ist, wie Sie sicher schon ahnen,
Heiltränke. Gewiss, nicht jeder Heiler muss auch ein guter
Tränkebrauer sein, aber Mr. Longbottom, nichts desto trotz
müssen Sie auch in diesem Fach bestehen. Und um ehrlich zu sein,
bei Ihren derzeitigen Leistungen in Heiltränke laufen Sie Gefahr
das Jahr wiederholen zu müssen. Und damit meine ich nicht nur
Heiltränke, sondern Sie müssten alle Fächer noch
einmal machen." Mitleidig sah Rubeus Wellado Neville an.
Der
junge Zauberer war bei diesen Worten bleich wie ein Einhorn geworden.
Doch der Ausbilder hielt nichts davon, mit der Wahrheit hinter den
Berg zu halten. Zumal es ja noch nicht zu spät war, etwas
dagegen zu unternehmen, was er Neville auch sagte: „Lassen Sie den
Kopf nicht hängen. Noch ist nicht aller Tage Abend. Vielleicht
fragen Sie einen Ihrer Mitauszubildenden um Hilfe. Ich bin mir
sicher, dass der eine oder die andere Ihnen gerne hilft."
Aufmunternd lächelte er Neville an. Dann ging er zum nächsten
Gesprächspunkt über.
„Nun zum nächsten Quartal.
Wie ich sehe, haben Sie sich als einer der Ersten freiwillig für
den Dienst an Weihnachten eingetragen. Ist das richtig?"
Neville
nickte.
„Und was ist mit Ihrer Familie? Nicht, dass wir Ihr
Engagement nicht zu würdigen wüssten, aber wollen Sie denn
Weihnachten nicht mit Ihrer Familie verbringen?" Der Ausbilder
wollte sichergehen, dass gerade die angehenden Heiler des ersten
Jahres nicht aus falschem Ehrgeiz auf ein Fest wie Weihnachten im
Kreise der Familie verzichteten.
„Die einzige Familie, Sir, die
mir noch geblieben ist, ist hier im St. Mungo's", erwiderte
Neville ruhig.
„Ach ja, ich erinnere mich, Frank und Alice
Longbottom, geschlossene Abteilung", sagte Rubeus mehr zu sich als
zu Neville. „Wissen Sie was? Ich glaube, ich habe eine Idee..."
Mit entschlossener Feder schrieb er etwas auf seinen Notizblock. „Was
hielten Sie davon, wenn ich Sie für das nächste Quartal für
Fluchschäden einteilte? Dann könnten Sie Weihnachten auf
alle Fälle mit Ihren Eltern verbringen."
Dankbar nickte
Neville. „Das wäre wunderbar, Sir." Und er nahm sich fest
vor, dem Ausbilder diese Freundlichkeit zu vergelten, indem er sich
in Heiltränke verbesserte.
Der erste Schritt
in dieser Richtung war, dass er den Rat des Ausbilders beherzigte,
und sich unter seinen Mitauszubildenden nach einer Nachhilfe umsah.
Und tatsächlich, gleich die erste, die er fragte, war bereit,
ihm bei Heiltränke zu helfen.
Yolanda Dobkins war eine
hübsche Brünette, ein Umstand, der ihr bei ihren männlichen
Kollegen eine nicht zu übersehende Beliebtheit eingebracht
hatte. Als bekannt wurde, dass Yolanda Neville Nachhilfe geben würde,
musste sich Neville einige anzügliche Kommentare anhören.
Doch er tat sie einfach achselzuckend ab, denn er hatte Yolanda nicht
wegen ihres Aussehens gefragt, sondern weil die ehemalige Ravenclaw
zu den Besten in diesem Fach gehörte. Außerdem war Neville
schwul, was aber die wenigsten seiner Mitauszubildenden wussten. Das
lag nicht etwa daran, dass er es bewusst vor seinen Kameraden
verheimlichte, sondern es ihm einfach nicht wichtig war, ob die Leute
es wussten oder nicht.
„Aber das ist doch ganz einfach.
Zuerst musst du das Serengetifeigenöl mit Wasser im Verhältnis
1:2 mischen, dann geriebenen Biberschwanz hinzufügen und mit
einer Silberkelle solange umrühren, bis sich die Mischung rosa
färbt. Anschließend Akelei hinzufügen, bis der Trank
farblos ist. Aber nicht zuviel, sonst färbt es sich gelb und ist
nutzlos", erklärte Yolanda Neville die Zubereitung eines
Rückverwandlungstrankes.
Es war ein diesiger
Sonntagnachmittag und sie hatten sich in der Bibliothek des
Lernheilerhauses getroffen.
„Und wann kommt die Alraune dazu?",
fragte Neville, der sich echt bemühte zu verstehen, was Yolanda
ihm erklärte.
„Nach dem Mondfeenstaub, aber vor dem Gelee
Royale", kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
Neville
seufzte. Seit zwei Stunden nun gingen sie die Tränke durch, die
sie während des ersten Quartals gebraut hatten. Doch während
Yolanda alle Tränke und ihre Zubereitung herunterbeten konnte,
verwechselte Neville nach wie vor Zutaten oder ihre Reihenfolge.
Daran hatte sich auch bei diesem dritten Nachhilfetreffen nichts
geändert.
„Gut, kommen wir zum nächsten Trank",
sagte Yolanda und suchte die entsprechenden Aufzeichnungen heraus.
„Ähm", unterbrach Neville sie. „Können wir das
auf das nächste Mal verschieben? Ich habe gleich Dienst." Das
stimmte zwar nicht ganz, sein Dienst begann erst in einer Stunde,
aber er hatte das Gefühl, dass er jetzt eh nicht weiterkam,
außerdem wollte er sich gerne noch mental auf den Dienst
vorbereiten, den Kopf freikriegen.
„Okay, dann bis zum
Dienstag." Yolanda nickte und begann ihre Sachen einzupacken. Dabei
warf sie Neville ein paar scheue Blicke zu, die so gar nicht zu ihrem
sonstigen Verhalten passten. Und als Neville, nachdem er die Blicke
bemerkt hatte, sie fragend ansah, wurde sie sogar ein wenig rot.
„Ist etwas, Yolanda?", fragte er schließlich
vorsichtig.
„Ich...", druckste die junge Frau ein wenig
herum, „ich habe mich gefragt, ob wir nicht vielleicht mal etwas
gemeinsam unternehmen könnten, außerhalb der Nachhilfe?
Ich find dich nämlich sehr nett, nein, mehr sogar... Du bist
irgendwie süß und ein Gentleman. Nicht so, wie die anderen
Jungs, die immer nur das eine im Sinn haben. Ich mein, nicht, dass
ich was gegen Sex hätte, aber eben erst, wenn man sich etwas
besser kennt, und auch die richtigen Gefühle im Spiel sind. Und
bei dir habe ich das Gefühl, dass das vielleicht klappen
könnte..." Dann, als ihr bewusst wurde, dass sie soeben weit
mehr gesagt hatte, als sie zu verraten bereit gewesen war, schlug sie
entsetzt die Hände vor den Mund und floh förmlich aus der
Bibliothek.
Sprachlos sah Neville ihr hinterher.
„Tja,
und jetzt weiß ich nicht recht, was ich machen soll. Ich mein,
natürlich ist mir klar, dass ich mit ihr reden muss. Sowohl über
die Sache mit dem Date, denn das ist es wohl, was sie sich erhofft,
als auch wegen der Nachhilfe." Neville seufzte und sah von seinem
Vater zu seiner Mutter hinüber. „So wie sie mir die Sachen
erklärt, hilft mir das nicht wirklich. In gewisser Weise ähnelt
sie darin Hermione. Sie hat mir auch immer nur gesagt, was ich machen
soll. Und zugegeben, damit hat sie mir oft genug aus der Patsche
geholfen, aber besser verstanden habe ich es deswegen nicht. Und
Yolanda ist wirklich nett, ich will sie nicht verletzten..."
Wie
so oft, wenn er nicht weiterwusste, war Neville zu seinen Eltern
gegangen, um ihnen alles zu erzählen. Sie mochten zwar nicht in
der Lage sein, ihm zu antworten, aber sie hörten ihm zu, das
wusste er. Und oft reichte das schon aus, um seine Gedanken zu
klären. Doch heute half es nicht richtig, vielleicht, weil er
die Lösung schon kannte, und es keine Alternative gab, so sehr
er es auch gehofft hatte. So aber beendete ein Blick auf die Uhr das
Gespräch mit seinen Eltern, jedoch nicht, ohne dass seine Mutter
ihm nicht noch ein glänzendes Bonbonpapier mitgab. Neville
lächelte ihr zu, strich ihr noch einmal über die Wange,
dann verabschiedete er sich von seinen Eltern mit den Worten, dass er
sie ab Freitag häufiger würde besuchen kommen, da er dann
für den Dienst im vierten Stock eingeteilt war.
Was Neville
zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass es sehr wohl eine
Alternativlösung für sein Yolanda-Problem gab...
„Da
sieh einer an. Der kleine Gryffindor hat eine Eroberung gemacht. Aber
nicht irgendeine, nein, Yolanda Dobkins, Schwarm aller männlichen
Auszubildenden. Doch, und das ist das Beste, unsere Tränkekatastrophe
ist nicht an ihr interessiert, denn er planscht am anderen Ufer. Na,
wenn das seine Großmutter wüsste. Da würde sie sich
bestimmt glatt noch tausendmal mehr wünschen, Potter wäre
ihr Enkel und nicht dieser Trottel."
Mit einem leisen Lachen
verließ Blaise Zabini unauffällig seinen Horchposten, und
entging dabei gerade noch Gilderoy Lockheart, der mal wieder auf der
Suche nach potenziellen Fans war, denen er ein paar Autogramme
schreiben konnte.
Blaise war sich nicht sicher, warum er
Neville gerade belauscht hatte. Für gewöhnlich vermied er
den geschlossenen Bereich dieser Abteilung, und zum Glück hatte
er dort auch noch nicht Dienst tun müssen. Heute Nachmittag
aber, als er gerade von der Cafeteria in seine Dienstabteilung
‚Magische Pestilenzen' hatte gehen wollen, hatte er den
ehemaligen Gryffindor in die Geschlossene verschwinden sehen und
einfach nicht widerstehen können.
Jetzt hatte er kurz mit
dem Gedanken gespielt, Neville abzupassen und ihn mit einem flapsigen
Spruch von wegen ‚Die Schöne und die Schwuchtel' zu
provozieren, doch ganz der Ex-Slytherin, der er war, war ihm gleich
darauf eine noch bessere Idee gekommen. Denn weitaus lustiger wäre
es, seine Entdeckung mit Yolanda zu teilen – und zu sehen, wie all
ihre Hoffnungen zerstoben und Enttäuschung wichen. Dass er damit
Neville ein unangenehmes Gespräch abnahm, nun, damit würde
er leben müssen, außerdem würde der Gryffindor
bestimmt versuchen, die Wogen ein wenig zu glätten, und dem
zuzusehen war bestimmt mehr als amüsant.
Ohne, dass Blaise sich dessen wirklich bewusst war, kreisten seine Gedanken mal wieder um Neville Longbottom. Wie so oft seit dem Ausbildungsbeginn, als er diesen unter seinen zukünftigen Kollegen entdeckt hatte. Schon damals war ihm aufgefallen, wie sehr sich Neville seit ihrer gemeinsamen Zeit in Hogwarts verändert hatte. Eigentlich waren es nur Kleinigkeiten, aber sie reichten aus, ihn interessant zu machen. Denn während Neville in der Schule ein linkischer, in den meisten Fächern eher unbegabter Junge mit Pfannkuchengesicht gewesen war, und manchmal ein Randanhängsel von Harry Potter, wirkte er jetzt, zwei Jahre nach dem Krieg, irgendwie erwachsen. Da war ein Ausdruck in seinen Augen, in dem Lächeln, das seine Mundwinkel von Zeit zu Zeit umspielte, der ihm eine Aura von innerer Ruhe verlieh, einer Ruhe, die aber irgendwie nicht zu greifen war, und deswegen so anziehend wirkte. Das war wohl auch der Grund, warum Blaise von ihm als Neville und nicht als Longbottom dachte. Dass er den Gryffindor dennoch hin und wieder ärgerte, war er seinem Ruf als Slytherin einfach schuldig. Wohl so ähnlich, wie Neville seine miserable Leistung in Heiltränke einfach seinem schlechten Ruf als Tränkebrauer schuldig war.
Noch am gleichen Nachmittag ergab sich eine Chance mit Yolanda zu reden, so dass Blaise am Abend voller Spannung in seinem Lieblingssessel im großen Kaminzimmer des Lernheilerhauses saß, und darauf wartete, dass ein Gewitter über dem nichts ahnenden Neville, der am Tisch ein Kräuterkundebuch las, losging.
Und
tatsächlich, kurz nach zehn Uhr, also Yolandas Dienstschluss,
stürmte Miss Dobkins mit wehendem Umhang und wütender
Miene, so dass sie damit sogar Snape in den Schatten gestellt hätte,
in den Aufenthaltsraum.
„Schwul!", stieß sie bitter
hervor, als sie vor Neville zum Stehen kam. „Warum hast du mir
nicht gesagt, dass du schwul bist?? Stattdessen lässt du es zu,
dass ich mich dermaßen zum Narren mache. Vermutlich hast du
dich sogar noch über mich amüsiert. Ihr Kerle seid doch
wirklich alle gleich, und du, Neville Longbottom, bist echt das
Allerletzte. Und das mit der Nachhilfe kannst du vergessen. Oh ja!
Vermutlich wärst du sogar mit mir ausgegangen, in aller
Freundschaft, und damit ich dir weiterhin helfe, weil du einfach zu
blöd bist, dir selbst den einfachsten Zaubertrank zu merken."
Tja, sollte Neville vorgehabt haben, seine sexuelle
Orientierung geheim zu halten, war es nun zu spät. Denn auch
wenn gerade nur eine Handvoll Leute im Kaminzimmer waren, würde
sich diese Neuigkeit in Windeseile herumsprechen. Zwar war
Homosexualität mittlerweile in der Zauberergemeinschaft etwas,
das im Allgemeinen ohne Vorbehalte akzeptiert wurde, aber manche
Zauberer und Hexen waren nach wie vor verbohrt, was das betraf, und
egal, wie die Umgebung es aufnahm, die erste Zeit würde Neville
sich einige blöde Bemerkungen anhören müssen.
Blaise
versteckte sein Grinsen hinter einem Buch über Flüche und
ihre Gegenzauber. Es legte doch niemand einen besseren Auftritt hin
als eine enttäuschte Frau!
Neville, der zunächst
gar nicht gewusst hatte, wie ihm geschah, war bei Yolandas letztem
Satz wütend geworden. Doch das ließ er sich nicht
anmerken, als er aufstand und Yolanda fest ansah. Eigentlich hatte er
ja vorgehabt, sie einfach reden zu lassen und nichts zu sagen, da der
Versuch mit einer aufgebrachten Frau reden zu wollen seiner Erfahrung
nach nichts brachte – wie oft hatte er in der Vergangenheit den
Zuhörer für Hermione gespielt, wenn diese sich mal wieder
über Ron aufregte und Harry und Ginny mit sich selbst
beschäftigt waren? – doch diese letzte Äußerung
wollte er nicht ohne Erwiderung so stehen lassen.
„Ja, ich bin
schwul. Das hätte ich dir auch gesagt, wenn ich dir wegen der
Verabredung eine Absage erteilt hätte. Und das hätte ich.
Denn ich bin schließlich kein Slytherin, der Menschen aus purer
Berechnung und Eigennutz manipuliert", sagte er ruhig.
Unwillkürlich duckte sich Blaise ein wenig tiefer in sein Buch, doch niemand achtete auf ihn.
„Es tut mir leid,
wenn ich dir irgendwie Anlass zur Hoffnung gegeben habe, es war nicht
meine Absicht. Denn wie du selbst gesagt hast, bin ich anders als die
Jungs, die dir ständig hinterher sabbern. So anders, dass ich
eben auf Männer stehe. Und was die Nachhilfe betrifft, so glaube
ich sowieso nicht, dass sie mir wirklich weiterhilft, da deine Art zu
erklären im Grunde nur eine Wiederholung des Lehrbuchs ist."
Damit wandte sich Neville von Yolanda ab, setzte sich wieder hin und
vertiefte sich in sein Buch über seltene Kräuter, ohne der
jungen Hexe noch einmal Beachtung zu schenken.
Diese starrte
Neville einige Sekunden lang verblüfft an, dann rauschte sie
zornig davon.
Blaise konnte gar nicht anders als Neville im
Stillen bewundernd zu applaudieren. Sicher, der sprechende Hut hatte
damals gewiss seine Gründe gehabt, den jüngsten Spross des
Hauses Longbottom nach Gryffindor zu stecken, welches für seinen
Mut bekannt war, aber einen solchen Auftritt hätte Blaise ihm
nicht zugetraut. Vielleicht war das der Grund, warum er jetzt aus
seinem Sessel aufstand und zu Neville hinüber ging.
„Wow!
Das war echt ein fieser Auftritt eben von Yolanda", sagte er und
setzte sich auf einen freien Stuhl neben Neville.
Überrascht
sah dieser seinen ehemaligen Schulkameraden an, war es doch das erste
Mal seit ihrem Ausbildungsbeginn, dass der Ex-Slytherin ihn ansprach,
ohne ihn gleich darauf ärgern zu wollen. Aber nach Yolandas
Aktion gerade, war Neville sich sicher, auch mit Blaise umgehen zu
können, falls dieser doch noch seine Meinung änderte und
ihn ärgern wollte. Und falls Blaise sein freundliches Verhalten
ernst meinte – nun, ihm sollte es recht sein, denn Neville war
nicht der Typ, der Streit suchte. So zuckte er mit den Schultern und
sagte: „Na ja, so unrecht hatte Yolanda ja nicht. Ich bin schwul
und ich bin scheinbar wirklich ein hoffnungsloser Fall, was
Heiltränke betrifft."
„Hey, immerhin bist du nicht mehr
ganz so schlimm wie während der Schulzeit, denn bislang hast du
noch keinen Kessel zum explodieren gebracht", meinte Blaise
scherzhaft.
„Gib es zu, du wartest doch jede Heiltränkestunde
gespannt nur darauf, dass ich endlich wieder für eine solche
Showeinlage mit Knalleffekt sorge", erwiderte Neville grinsend,
denn es tat gut, auf diese Weise Yolandas Auftritt zu vergessen. Dann
wurde er wieder ernst. „Das Geheimnis ist ein semipermeabler
Protego-Zauber. Den Trick haben mir die Weasley-Zwillinge verraten."
„Nicht schlecht." Anerkennend musterte Blaise den Gryffindor.
„Und vor allem gar nicht so einfach. Gerade deshalb fällt es
mir so schwer zu glauben, dass du dir wirklich keinen einzigen Trank
merken kannst."
„Ist aber so. Zum Beispiel so etwas Simples
wie ein Aufmunterungstrank. Ich weiß, dass artabrische
Sonnenblumenblütenblätter hineingehören, aber ich kann
mir nicht merken, ob auch noch Fühler vom Tag- oder
Nachtpfauenauge hineinkommen. Ich weiß nur, dass es ein
Schmetterling ist", erklärte Neville.
„Die pflanzlichen
Zutaten kannst du dir merken, aber tierische oder andere nicht?",
fragte Blaise verwirrt.
„Ja." Neville nickte. „Aber das
kommt daher, dass bei Kräutern, Wurzeln, Rinden und ähnlichem
ein entsprechender Eintrag im Abschnitt über die jeweiligen
Anwendungsmöglichkeiten in meinen Kräuterkundebüchern
stand."
„Aber du weißt nicht, warum bestimmte Pflanzen
für bestimmte Tränke verwendet werden?" Langsam begann
Blaise zu ahnen, wo Nevilles eigentliches Problem lag.
Es gab
nämlich drei Kategorien von Tränkebrauern:
Diejenigen,
die keine Ahnung davon hatten, und bei denen entsprechend alles
schief ging.
Diejenigen, die ebenfalls wenig bis keine Ahnung
hatten, aber es immerhin schafften, brauchbare Resultate zu erzielen,
indem sie sich peinlichst an die Rezeptur hielten.
Und
diejenigen, die einen Zusammenhang zwischen Ingredienzien, ihren
Wirkungen und ihrem Einsatz innerhalb der Rezeptur herstellen
konnten.
Letztere waren dann auch in der Lage, kleine Änderungen
im Ablauf, die einen leichteren Weg mit gleichem Resultat
darstellten, vorzunehmen, oder auch Fehler bei anderen zu
korrigieren.
Die meisten Tränkebücher setzten diese
Transferleistung von ihren Anwendern voraus, und Blaise war sich
bewusst, dass Professor Snape, der mehr als bloß ein
Naturtalent auf dem Gebiet der Zaubertränke war, nie auf die
Idee gekommen wäre, dass jemand nicht von alleine auf die Idee
dieses Wissenstransfers kommen würde.
Nun ja, es gab
allerdings auch Menschen, die, selbst, wenn sie um die Zusammenhänge
wussten, keinen vernünftigen Trank zustande brachten, aber
irgendwie glaubte Blaise nicht, dass auch Neville zu dieser Kategorie
der Hoffnungslosen zählte. Dafür war er in den anderen
Fächern zu gut. Nicht so, wie seinerzeit in der Schule Draco
Malfoys Handlanger Crabbe und Goyle, die, wie es bei den Muggeln so
schön hieß, zu dumm waren, einen Eimer Wasser umzutreten.
Zumindest wollte Blaise es auf einen Versuch ankommen lassen.
„Also
gut, ein Aufmunterungstrank in der Grundrezeptur... Was soll er
bewirken?", fragte er Neville.
Dieser hatte bemerkt, wie sich
die Haltung des anderen ein klein wenig geändert hatte und war
neugierig geworden, was Blaise vorhatte. Deshalb beschloss er auf
dessen Frage einzugehen. „Der Trank soll jemanden, der unter
Depressionen oder starker Trauer leidet aufheitern."
„Oder
anders ausgedrückt, der Trank soll das Gemüt des Patienten
aufhellen. Deshalb werden überwiegend helle Zutaten, sogenannte
Lichtzutaten verwendet. Wie die Blütenblätter der
artabrischen Sonnenblume."
„Also Tagpfauenauge und nicht sein
nächtlicher Namensvetter." Nevilles Gesicht hellte sich auf.
Dass es so einfach sein konnte...
Blaise lächelte. Er hatte
mit seiner Vermutung Recht gehabt. Neville war nicht zu blöd
fürs Tränkebrauen, ihm fehlte lediglich das Wissen um das
Warum der einzelnen Zutaten.
„Danke."
Damit brachte
Neville Blaise wieder zurück in die Realität. Hatte er
gerade wirklich einem ehemaligen Gryffindor geholfen? Ein Slytherin,
der einem Gryffindor half? Und doch, Blaise musste zugeben, es hatte
sich gut angefühlt, und für einen kurzen Moment hatte er
sogar mit dem Gedanken gespielt, Neville auch weiterhin zu helfen.
Doch das war ausgeschlossen. Ein Slytherin half nicht einfach einem
anderen, schon gar nicht einem Gryffindor, und erst recht nicht auf
Dauer. Punkt. Abrupt stand Blaise auf und ging, ohne ein weiteres
Wort zu sagen, wieder zu seinem Sessel hinüber.
Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er Neville am nächsten Tag in Heiltränke beobachtete, um zu sehen, ob der kleine Fingerzeig, den er ihm gegeben hatte, diesem weiterhalf.
Tatsächlich
warf Neville dieses Mal weit weniger falsche Zutaten in seinen
Kessel, als es für gewöhnlich der Fall war, sondern zog
ständig eine handgeschriebene Liste zu Rate. Anscheinend hatte
er noch die halbe Nacht damit zugebracht, Trankzutaten nach den vier
Elementen, hell und dunkeln und ähnlichen Kriterien zu
kategorisieren.
Allerdings half ihm seine Liste wenig, wenn es um
die korrekte Menge und den richtigen Einsatzzeitpunkt ging. Auch
standen nicht alle Zaubertrankzutaten auf Nevilles Liste.
Hinzu
kam noch, dass die Rezepturen im St Mungo's nur aus einer
alphabetischen Zutatenliste bestand. Und obendrein wurde erwartete,
dass die angehenden Heiler noch eigenständig eine weitere Zutat
hinzufügten, um den Trank der vorgegebenen speziellen Situation
anzupassen. Das war das Kriterium, anhand dessen die Leistungen der
einzelnen Studenten gemessen wurden:
Man konnte entweder etwas
Neutrales hinzufügen, was den Trank nicht im Geringsten
veränderte, eine Standardzutat, wie sie üblicherweise für
diese Art Trank verwendet wurde und eine Standardverbesserung damit
erzielen, oder eben eine Zutat, die auf wirkliches Verständnis
der Materie schließen ließ und den Trank auf gewünschte
Weise wirklich verbesserte.
Je länger Blaise Neville beobachtete, während er seinen eigenen Trank braute, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass aus dem Gryffindor mit der richtigen Hilfe vielleicht doch noch ein brauchbarer Tränkebrauer wurde, der zumindest seine zukünftigen Patienten nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit vergiften würde. Aber Neville helfen... Da könnte er ja gleich ihre Verlobung bekannt geben! Allein der Gedanke an eine entsprechende Anzeige im Tagespropheten war lächerlich. Allerdings wiederum schon so lächerlich, dass er Blaise zum Grinsen brachte, als er sich die ungläubigen Gesichter ein paar seiner Bekannten vorstellte – allen voran Draco Malfoy und Professor Snape.
Doch die Idee, Neville zu helfen,
ließ Blaise den ganzen Tag nicht mehr los. Vielleicht wenn er
eine Möglichkeit fand, bei der Neville nicht wusste, dass er es
war, der ihm half...?
Und dann hatte er die Lösung!
Einer
der Ex-Männer seiner Mutter – Blaise wusste jetzt nicht mehr
ob es Nummer Vier oder Nummer Fünf gewesen war, aber das war ja
auch egal – hatte ihm mal ein Muggelding namens ‚Adventskalender'
geschenkt. Für jeden Tag, vom 1. bis zum 24. Dezember, hatte
sich hinter einem der Türchen ein Stück Schokolade
verborgen. Als Kind hatte Blaise seinen Adventskalender geliebt und
seine Mutter immer solange genervt, bis sie ihm einen besorgte, auch
als der Urheber längst passé gewesen war. Erst als Blaise
nach Hogwarts gekommen war, hatte er keinen solchen Kalender mehr
haben wollen. Es passte einfach nicht nach Slytherin.
Jetzt aber
würde er das Prinzip des Adventskalenders nutzen und Neville
jeden Tag einen Tipp für Heiltränke zukommen lassen. Wäre
doch gelacht, wenn Neville nach 24 Hinweisen nicht deutlich besser im
Tränkebrauen war. Je länger Blaise über diese Idee
nachdachte, desto besser gefiel sie ihm und desto deutlicher nahm sie
Gestalt an...
Gleich am nächsten Tag ging er deswegen in
die Winkelgasse. In einem Schreibwarenladen kaufte er einen großen
Bogen Fotokarton, auf dem munter Schneeflocken durch klirrendkalte
Winterluft tanzten, und in einem kleinen Laden, der mit
Sammelobjekten handelte, erstand er 24 der günstigsten
Schokofroschkarten – 20 mal Agrippa und 4 mal Dumbledore. Na ja, er
hatte ja nicht vor, die Karten so zu lassen.
Und wo er schon
gerade dabei war, machte er noch kurz einen Abstecher nach
Muggellondon und besorgte sich selbst einen
Schokoladenadventskalender.
Als Blaise zurückkam,
wartete eine Überraschung auf ihn, von der er nicht wusste, ob
er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Die Dienstpläne
für das nächste Quartal waren ausgehängt worden, und
zu seinem Entsetzten war er für den vierten Stock –
Fluchschäden – eingeteilt. Drei Monate Gilderoy Lockheart!
Aber auch drei Monate gemeinsam Dienst mit Neville, wie er
feststellte, als er nachsah, wer noch für diese Station
eingeteilt war. Beim Anblick von Nevilles Namen und der Aussicht
direkt mit ihm zusammenzuarbeiten, tat sein Herz unwillkürlich
einen kleinen Hüpfer, den Blaise aber ignorierte. Sicher nur
eine einmalige, unbedeutende Anomalie, hervorgerufen durch etwas
erblich Bedingtes oder so, altes Familienzipperlein.
Dann fiel
sein Blick auf Yolandas Namen. Auch sie war für Fluchschäden
eingeteilt. Na, wenn das nicht lustig wurde... Blaise grinste.
Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht für das kommende
Quartal den vierten Stock erwischt zu haben.
Der erste Dezember kam und mit ihm die Adventszeit.
Es war noch nicht ganz sieben Uhr am Morgen, als ein großer, majestätischer Uhu an die Scheibe des Fensters im Lernheilerhaus klopfte, hinter dem Neville Longbottom wohnte. Verwundert öffnete dieser dem ihm fremden Vogel und nahm das Paket entgegen, das der gefiederte Postbote in seinen Krallen getragen hatte. Dann bot er ihm ein Stück seines Marmeladentoasts an, was der Uhu gnädig akzeptierte, ehe er wieder davon flatterte.
Neugierig öffnete Neville das
röhrenförmige Paket und fand darin einen zusammengerollten
Fotokarton mit den Zahlen von 1-24, jeweils umrahmt mit fünf
kleinen Schnitten. Darüber prangte in gold- und silbernfarbenen
Buchstaben das Wort ‚Adventskalender'.
Ein wenig unschlüssig
beobachtete er die herumwirbelnden Schneeflocken. Was bitte war ein
Adventskalender?
Während er noch über diese Frage
nachdachte, schwebte ein weißes Kuvert unter seiner Tür
hindurch. Als Neville den Umschlag öffnete, fand er darin eine
Karte, die im ersten Augenblick wie eine Schokofroschkarte aussah,
doch als er sie genauer betrachtete, entdeckte er, dass jemand sie
recht geschickt verändert hatte. Auf der Rückseite prangte
eine 1 und auf der Vorderseite ein kleines, unbewegtes Bild, dazu
folgender Text: „Paracelsus sagt: Alles ist Gift, es kommt auf die
Dosis an", darunter: „Elemente der gleichen Kategorie potenzieren
sich in ihrer Wirkung."
Neville verstand sofort. Jemand wollte
ihm mit dieser Karte eine Hilfestellung für Heiltränke
geben. Doch wer? Vor allem, wer wusste, dass es genau solche Hinweise
waren, die Neville brauchte, um dieses Fach besser zu verstehen?
Eigentlich fiel ihm da nur Blaise Zabini ein, doch diesen schloss
Neville gleich wieder aus. Denn obwohl ihm der Slytherin neulich mit
seinem Tipp über helle und dunkle Zutaten wirklich geholfen
hatte, war er doch gleich darauf aufgestanden und weggegangen, fast
so, als hätte er bedauert ihm geholfen zu haben.
Vielleicht
Chefausbilder Wellado? Dieser hatte möglicherweise mitbekommen,
was sich im Kaminzimmer abgespielt hatte, sowohl mit Yolanda als auch
mit Blaise, und dann beschlossen, Neville auf diese Art zu helfen?
Doch warum? Sicher, kein Ausbilder sah es gerne, wenn einer seiner
Schützlinge versagte, aber ihm auf diese Weise zu helfen?
Neville wusste es nicht. Alles, was er wusste, war, dass jemand
offensichtlich bereit war, ihm in Heiltränke zu helfen. Und da
obendrein die Karte perfekt in den Fotokarton mit der
‚Adventskalender'-Aufschrift passte, durfte Neville wohl guten
Gewissens annehmen, dass noch weitere nützliche Hinweise auf ihn
warteten. Vielleicht sogar schon morgen?
Gut gelaunt steckte Neville die Paracelsus-Karte in den Kalender, beendete sein Frühstück und begab sich dann in den vierten Stock des Krankenhauses. Heute würde bestimmt ein toller Tag!
Die Arbeit auf der Station für Fluchschäden war ganz so, wie Neville erwartet hatte – hauptsächlich war viel Geduld gefordert. Nicht nur im Umgang mit den Patienten der Geschlossenen sondern vor allem auch bei jenen Patienten, die von alleine wieder gesund würden, da ihre Schäden verschwanden, wenn der Fluch mit Hilfe der Zeit verblasste und sich auflöste. Denn diese Patienten verstanden meist nicht, dass es in ihrem Fall sogar gefährlich werden konnte, wenn man versuchte das Ganze auf magischem Weg zu beschleunigen.
Gleich am zweiten Tag bekam Neville die Chance seinem ersten Patienten zu helfen. Seinem ersten eigenen Patienten.
Er hatte eigentlich gerade Pause machen wollen, als er auf
dem Flur ein Elternpaar mit einem zuckenden, hysterisch kichernden,
etwa 8-jährigen Jungen begegnete. Neville erkannte auf den
ersten Blick, dass der Junge unter einem Kitzelfluch litt und fragte
sich, warum die Eltern den Fluch nicht einfach aufgehoben hatten,
denn sowohl der Fluch als auch der spezifische Gegenspruch waren
nicht sonderlich schwierig. Neugierig auf das Warum, aber auch weil
er dem Jungen gerne helfen wollte, trat Neville näher. Mit
ruhiger Stimme fragte er: „Kann ich helfen?"
Erleichtert sah
der Vater ihn an. „Sind Sie Heiler? Wir brauchen nämlich
dringend einen Heiler für unseren Sohn."
Neville lächelte
aufmunternd. „Ich bin zwar nur Heiler in Ausbildung, aber mit einem
Kitzelfluch werde ich schon fertig. Natürlich nur, wenn Sie es
gestatten."
Die Frau nickte eifrig. „Wenn Sie so nett wären.
Wissen Sie, mein Mann und ich sind Squibs, aber Wulf, unser Sohn
hier, hat magische Kräfte. Manchmal übt er heimlich leichte
Flüche und so, um uns beschützen zu können, falls
wieder eine Gefahr wie der, der endlich für immer besiegt ist,
aufkommt. Aber ich hab dem Jungen schon tausendmal gesagt, er soll
nicht vor dem Spiegel üben", plapperte sie aufgeregt, um ihre
Nervosität zu überspielen.
Neville nickte
verständnisvoll und wandte sich dann Wulf zu. Er bezweifelte
zwar, dass der Junge mit einem Kitzelfluch viel gegen Voldemort und
seine Todesser hätte ausrichten können, aber er fand es
sehr lobenswert, dass der Kleine seine Eltern verteidigen und
beschützen wollte. Er selbst würde wohl genauso gehandelt
haben. Und außerdem, wer wusste schon, was geschehen würde,
schließlich hatte Harry immer wieder betont, dass selbst ein
simpler Expelliarmus kampftauglich war. Mit einer fließenden
Handbewegung richtete Neville seinen Zauberstab auf Wulf und sprach
den Gegenzauber. Sofort verstummte das Gekicher und das Zucken hörte
auf.
„Danke", sagte der Junge, ehrlich erleichtert.
„Gern
geschehen", erwiderte Neville lächelnd. „Aber du solltest
dir vielleicht überlegen, ob du vorerst nicht lieber mit einer
Vogelscheuche als Übungspartner vorlieb nimmst statt deines
Spiegelbilds. Denn sonst sehen wir uns schon sehr bald wieder." Er
versuchte ein wenig streng zu blicken, ehe er sich von der Familie
verabschiedete und in den Pausenraum ging.
„Hey Neville", sagte am Abend Tommy Baxter, einer der Mitauszubildenden, zu dem ehemaligen Gryffindor. „Wie ich gehört habe, hast du heute deinen ersten eigenen Patienten gehabt."
Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit aller im Kaminzimmer Anwesenden auf Neville. Sie alle waren begierig auf ihren ersten eigenen Patienten, doch bislang hatte sich noch für keinen eine entsprechende Gelegenheit ergeben. Neville war somit der erste aus ihrem Ausbildungsjahrgang, der es geschafft hatte.
Dieser blickte
nur kurz von seinen Rückverwandlungsunterlagen auf und meinte
achselzuckend: „Ach, war nicht so wild, bloß ein
Kitzelfluch", und schrieb dann an einer Liste weiter.
Tommy
Baxter nickte verstehend und machte sich dann ebenfalls an seine
Studien.
Blaise, der, wie die anderen, die kurze Unterhaltung mitbekommen hatte, war verblüfft. Sicher, er kannte und beherrschte den Kitzelfluch, aber den Gegenspruch? Er wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen. Aber für Neville, und offenbar auch für Tommy Baxter, schien dieser Spruch etwas Selbstverständliches zu sein. Hatte er etwa im Unterricht hier irgendwann geschlafen, als sie den Spruch durchgenommen hatten? Rasch blätterte er in seinem Gegenflüchebuch, doch der Kitzelfluch wurde erst in Kapitel 17 behandelt, was im Unterricht etwa März entsprach.
Da seine Neugier ihm keine Ruhe
ließ, beschloss Blaise hinüberzugehen und Neville zu
fragen. „Kitzelfluch?" Er setzte sich neben den Gryffindor.
Neville nickte ohne aufzusehen.
„Den Gegenspruch hatten wir
doch noch gar nicht."
Jetzt sah Neville Blaise doch an und
grinste. „Stimmt, hier hatten wir ihn noch nicht, aber ich habe den
Spruch schon in Hogwarts gelernt."
In Hogwarts? Okay, Blaise
erinnerte sich daran, dass Snape bei dem einzigen Treffen des
Duellierclubs im zweiten Jahr einen Kitzelfluch hatte auflösen
müssen, nachdem Draco und Harry gegeneinander angetreten waren,
aber er bezweifelte doch irgendwie, dass Neville sich den Spruch bei
dieser Gelegenheit gemerkt hatte. Außerdem erklärte das
nicht, wieso Tom Baxter, welcher ein Hufflepuff aus dem Jahrgang
unter ihnen war, mit dem Spruch vertraut war. „Hilf mir mal auf die
Sprünge. Ich komm nicht drauf, wann wir den Spruch in Hogwarts
gehabt haben sollen."
„Offiziell gar nicht." Neville
lächelte Blaise an. „Und da du in Slytherin warst, hattest du
auch keine Gelegenheit ihn inoffiziell zu lernen."
„Was hat
denn mein Haus damit zu tun?", wollte Blaise wissen.
„Du
erinnerst dich an das fünfte Schuljahr? Damals hatten wir
Umbridge in Verteidigung gegen die dunklen Künste. Was
bedeutete, dass dieser Unterricht absolute Zeitverschwendung war. Da
aber die ZAGs anstanden, hat Hermione Dumbledores Armee ins Leben
gerufen", erzählte Neville.
„Das war doch dieser
Geheimclub von Potter, den Draco mit dieser Henriette hat hochgehen
lassen, oder?" Blaise erinnerte sich noch zu gut, wie
selbstgefällig Draco und Co. gewesen waren, als sie von Umbridge
zu ihren persönlichen Wachhunden befördert worden waren. Er
selbst hatte bei diesem Theater nicht mitgemacht. Er hatte Umbridge
nicht gemocht, wie so ziemlich alle Schüler, und diese Aktion
war ihm zu blöd gewesen. Außerdem hatte er kein so
ausgeprägtes Geltungsbedürfnis wie Draco gehabt. Was
vielleicht daran lag, dass er keinen Vater wie Lucius Malfoy hatte,
der ihn unter Druck setzte. Denn von den Lebenspartnern seiner Mutter
hatte er sich schon im Alter von fünf Jahren nichts mehr sagen
lassen.
„Ja", nickte Neville. „Aber neben
Verteidigungszaubern und Flüchen haben wir bei Harry auch ein
paar Gegenzauber für die gängigsten Schülerflüche
gelernt. Er war es nämlich leid, ständig Wabbelbein- und
Kitzelflüche lösen zu müssen, wenn wir den Protego
geübt haben."
„Ah ja. Hätte ich Potter gar nicht
zugetraut..." Das erklärte allerdings auch, warum alle
Gryffindor damals so problemlos gute Noten in VgdDK bei den ZAGs
geholt hatten. Und Tom Baxter war vermutlich ebenfalls in diesem Club
gewesen.
Zwar war jetzt Blaises Neugier bezüglich des
Kitzelfluchs gestillt, aber er ertappte sich dabei, wie er nach einem
Grund suchte, die Unterhaltung nicht enden lassen zu müssen.
Denn dann hätte er aufstehen und wieder zu seinem ursprünglichen
Platz zurückkehren müssen, und aus irgendeinem Grund wollte
er das nicht. Da ihm aber nichts einfiel, überließ Blaise
Neville wiederstrebend wieder seinem Rückverwandlungsaufsatz.
Ein paar Tage später hielt die Weihnachtszeit mit voller Macht Einzug im St. Mungo's. Jeder, der nicht unmittelbar mit der Pflege eines Patienten betraut war, wurde zum Dekorieren abkommandiert, und bald wanden sich rotgeschmückte Immergrüngirlanden um Treppengeländer und Türstürze, spielten verzauberte Goldkugeln klassische Weihnachtslieder und Fenster erhielten Bilder aus magischem, nichtschmelzendem Schnee.
Nach der Mittagspause rief Amaryll Franklin, die Chefheilerin
der Abteilung Fluchschäden, ihre Belegschaft in den Pausenraum.
Blaise schwante Übles, als er eine große Glasschüssel
mit lauter gefalteten Zetteln auf dem Tisch stehen sah.
Ein
einziges Mal hatte er sich von Pansy Parkinson während ihrer
Schulzeit dazu überreden lassen, bei einer
Weihnachtswichtelaktion mitzumachen. Es war eine Katastrophe gewesen.
Denn natürlich war Pansy, die er prompt gezogen hatte, wenig
begeistert davon gewesen, als sie in ihrem Päckchen einen
Quidditchkalender mit den Terminen von allen wichtigen Spielen fand.
Dabei hatte Blaise gedacht, jeder in der magischen Welt möge
Quidditch. Es sei denn natürlich, man hieß Pansy Parkinson
und interessierte sich nur dann für diesen Sport, wenn Draco
spielte. Somit war es ihr herzlich egal, wann die Cannons gegen die
Wespen oder die Tornados gegen die Eintracht spielten.
Und
tatsächlich, kaum dass alle versammelt waren, fing Amaryll an,
ihnen die Tradition des Weihnachtswichtelns auf dieser Station zu
erklären. „Neben den Heilern und angehenden Heilern, die
während der Weihnachtszeit in dieser Abteilung tätig sind,
nehmen auch ein paar unserer Langzeitpatienten an der Aktion teil.
Ja, für manche von ihnen ist dieses Wichtelgeschenk sogar das
einzige Geschenk, das sie zu Weihnachten bekommen. Ich bitte sie also
daher sich wirklich Mühe zu geben und nicht aus Verlegenheit
einfach ein paar Flaschen Butterbier und dazu mehrere Schachteln
Schokofrösche zu schenken." Damit hielt sie jedem, reihum, die
Schüssel mit den Namen hin.
Eher widerwillig fischte Blaise
einen Zettel aus dem Glasgefäß. Doch als er ihn entfaltete
und den Namen darauf las, wusste er ein für alle mal, dass er
Wichteln hasste. ‚Gilderoy Lockheart' stand mit verschnörkelten
Buchstaben auf dem weißen Papier. Ausgerechnet Gilderoy
Lockheart! Verstohlen blickte sich Blaise um. Vielleicht fand er ja
jemanden, mit dem er tauschen konnte. Das war zwar eigentlich nicht
erlaubt, aber wenn es in aller Slytherin-Heimlichkeit geschah...
Vielleicht mit Neville? Dieser sah nämlich auch alles andere als
glücklich mit seinem Zettel in der Hand aus. Doch vorerst sollte
er keine Gelegenheit bekommen, Neville zu fragen, denn kaum dass alle
einen Namen gezogen hatten, scheuchte Chefheilerin Franklin ihren
Stab auch schon wieder an die Arbeit.
Und so musste Blaise
bis zum Abend warten, wo Neville wie üblich im Kaminzimmer über
seinen Heiltränkeunterlagen saß. Blaise musste leicht
grinsen, als er daran dachte, wonach Neville heute die Zutatenlisten
durchsehen würde: „Einhörner sind mächtige, aber
delikate Wesen. Ihre Magie ist ebenso beschaffen – schon in
geringen Dosen wirksam, aber sehr flüchtig." Sprich:
Einhornzutaten nur in geringen Maßen und sehr spät
hinzugeben.
„Hey, Nev", sagte Blaise und ließ sich,
wieder mal, auf den Stuhl neben Neville fallen. „Wen hast du heute
Mittag gezogen?"
„Wieso willst du das wissen?", fragte
Neville erstaunt.
„Dachte, du hättest vielleicht Interesse
daran, mit mir zu tauschen."
„Und was, wenn ich dich gezogen
hätte?"
Blaise grinste. „Na, dann würde ich mir das
tollste Geschenk machen und könnte sicher sein, dass es mir auf
jeden Fall gefällt."
Bei dieser Erklärung lachte
Neville herzhaft. „Wen hast du denn gezogen, dass du so gerne
tauschen möchtest?", fragte er dann.
„Lockheart",
grummelte Blaise und zeigte Neville den Zettel.
„Sorry, aber
ich tausche nicht. Auch wenn es verlockend klingt. Es wäre gegen
die Regeln dieses Spiels. Aber, wenn du willst, kann ich dir helfen
ein passendes Geschenk zu finden."
Ein wenig skeptisch sah
Blaise Neville an.
„Ich bin echt gut in so was", versicherte
dieser ihm. „In Sprouts Gewächshaus 7-Club hatten wir jedes
Jahr so eine Aktion, und nie hat sich jemand nicht über das
gefreut, was ich geschenkt habe."
„Gewächshaus 7-Club?
Was ist das? Eine geheime Kampftruppe mit Spezialausbildung im
Kakteenstachelnschießen?", wollte Blaise wissen.
„Nein",
erwiderte Neville grinsend. „Nichts Geheimes. Zumindest nicht so
wie Dumbledores Armee. Eher exklusiv. Ist dir während unserer
Schulzeit nicht aufgefallen, dass wir kein einziges Mal in
Gewächshaus 7 Unterricht hatten?"
Blaise schüttelte
den Kopf.
„Dort hat Professor Sprout ihre Sammlung seltener
Pflanzen untergebracht. Dementsprechend lässt sie da auch nicht
jeden hinein. Bei dem Club handelt es sich um Schüler, die ein
großes Interesse an Kräuterkunde haben, aber auch Talent,
Liebe zu Pflanzen und gute Noten in diesem Fach. Und wenn Professor
Sprout dann das Gefühl hat, dass man in diesen Club passen
könnte, lädt sie einen ein", erklärte Neville.
„Und
was habt ihr da gemacht? Die ganze Zeit Pflanzen gehätschelt und
über Kräuter diskutiert?" Noch immer konnte Blaise den
leicht ätzenden Tonfall in seiner Stimme nicht ganz
unterdrücken, der für Slytherins im Umgang mit den anderen
Häusern üblich war, auch wenn er heute wusste, wie
lächerlich im Grunde dieses Verhalten war. Nicht, dass es Blaise
nicht doch hier und da Spaß machte, den Slytherin heraus zu
kehren, aber bei Neville passte es irgendwie nicht so recht. Nicht
mehr...
Doch der ehemalige Gryffindor überhörte den Ton
einfach, und genoss es stattdessen sich einmal ganz normal mit Blaise
zu unterhalten. Und das nicht nur für zwei Minuten oder so.
„So
ungefähr", antwortete Neville lächelnd. „Es kam zum
Beispiel durchaus vor, dass bei uns im Unterricht eine Kleinigkeit
erwähnt wurde, die bei den Ravenclaws anders erklärt worden
war, und zusammengefügt die Dinge in einem ganz anderen Licht
erscheinen ließ. Oder, dass die Älteren im Club einem
Hinweise geben konnten, weil sie in einem der Fortgeschrittenenbücher
zusätzliche Informationen gefunden hatten. Aber es gab auch
gemeinsames Teetrinken, oder vor den Prüfungen gegenseitige
Nachhilfe und eben zu Weihnachten eine Wichtelaktion."
„Also
schön", meinte Blaise, „falls dir etwas für Lockheart
einfällt, hätte ich nichts dagegen, wenn du es mir
verrätst." Er grinste ein wenig schief. „Was aber nach wie
vor nichts daran ändert, dass ich lieber jemand anderen gezogen
hätte."
„Sag das nicht", widersprach Neville ihm.
„Lockheart ist noch harmlos im Vergleich zu der Person, die ich
gezogen habe."
Es sollte jemanden geben, der noch schlimmer als
der Autogrammplagegeist Gilderoy Lockheart war? „Wer ist es
denn?"
„Yolanda Dobkins", kam es matt von Neville.
Jetzt
war es an Blaise zu lachen. Wenn das kein herrlicher Zufall war...
„Wie wäre es mit einem Hetero-Klon von dir?", schlug er
breit grinsend vor.
Verdutzt sah Neville Blaise einen Moment an,
doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „Danke! Das ist die Idee!"
„Was?", fragte Blaise irritiert. „Du willst dich klonen?"
„So ungefähr. Yolanda will ja nicht unbedingt mich, sie
will einfach jemanden, der halbwegs normal ist und aussieht,
Höflichkeit und Respekt nicht nur aus dem Wörterbuch kennt
und sie nicht sofort nach ihrem Äußeren beurteilt."
„Na, viel Spaß beim Suchen", erwiderte Blaise trocken.
„Muss ich gar nicht", kam es vergnügt von Neville, der
sich daran machte, seine Heilkundeunterlagen zusammenzupacken. „Ich
kenne nämlich schon so jemanden. Weshalb ich jetzt auch dringend
einen Brief schreiben muss. Bis morgen also. Und danke noch mal. Ich
hoffe, mir fällt im Gegenzug auch etwas für dich ein, das
du Lockheart schenken kannst." Damit stand Neville auf und verließ
das Kaminzimmer.
Verdutzt sah Blaise ihm hinterher, schüttelte
kurz den Kopf, und begann dann schon mal das nächste Kapitel in
seinem Buch über Flüche und ihre Gegenzauber zu lesen.
Es war knapp eine Woche vor Weihnachten, als Neville endlich mal wieder Zeit fand, seine Eltern zu besuchen.
„Heute ist es mir das
erste Mal gelungen, in Heiltränke alles richtig zu machen. Na
ja, zumindest so weit, wie ich gekommen bin. Denn leider bin ich
nicht fertig geworden. Die Zeit war einfach zu knapp. Aber immerhin
hatte ich den blassgrünen Dampf, der eine erwünschte
Zwischenstufe darstellt", erzählte er. „Wer auch immer mir
diesen Adventskalender schenkt, ich bin ihm dankbar.
Ich hab
übrigens mal Hermione gefragt, und sie hat mir gesagt, dass es
sich bei diesem Kalender um ein Muggelding handelt, das ursprünglich
aus dem Deutschen kommt, eigentlich mit Süßigkeiten
gefüllt ist und den Kindern die Wartezeit bis Weihnachten
verkürzen soll. Hm, da sind mir aber meine Heiltränkekarten
allemal lieber als Süßigkeiten.
Wenn ich doch bloß
das mit dem Zeitproblem in den Griff kriegen könnte. Entweder
ist der Trank zu schnell an dem Punkt angelangt, wo ich die nächsten
Zutaten hinzufügen soll, aber ich bin mit der entsprechenden
Vorbereitung noch nicht so weit, oder ich bereite erst alles soweit
vor, aber dann reicht die Zeit zum Brauen nicht mehr." Neville
seufzte leise. Aber er wollte sich nicht beklagen, immerhin lief es
in diesem Fach schon deutlich besser, und mit etwas Glück
reichte sein neugewonnenes Verständnis der Theorie am Ende, um
das Jahr doch nicht wiederholen zu müssen.
„Doch genug von
Heiltränken. Habe ich euch schon erzählt, dass Ivo mir
eulenwendend geantwortet hat? Ihm gefällt die Idee sehr gut,
jetzt müssen wir nur noch die Details klären. Und ich muss
noch mit Heilerin Franklin wegen des Dienstes reden. Am besten ich
mache das jetzt gleich, solange hier nichts los ist und die Luft rein
ist." Damit verabschiedete sich Neville von seinen Eltern, steckte
lächelnd das grünglänzende Bonbonpapier ein und begab
sich dann in das Büro von Amaryll Franklin.
Zur gleichen
Zeit, da Neville seinen Eltern von dem Problem mit dem Timing
erzählte, saß Blaise in seinem Zimmer und dachte eben
darüber nach. Sollte er oder sollte er nicht?
Ursprünglich
hatte er vorgehabt auf das letzte Kärtchen als kleinen Scherz
ein Rezept für einen Weihnachtspunsch zu schreiben, aber jetzt
war ihm eine andere Idee gekommen. Er kannte nämlich einen Weg,
wie Neville das Zeitproblem ganz leicht in den Griff bekommen konnte.
Dieser Weg jedoch war ein wohlgehütetes Slytheringeheimnis, das
jeweils vom Hauslehrer an seine Schüler weitergegeben wurde.
Ließ er Neville an diesem Geheimnis teilhaben, beging er damit
dann nicht so etwas wie Verrat an seinem Haus? Doch dann sagte Blaise
sich, dass spätestens, wenn Professor Snape auf Nevilles
Heilkünste angewiesen war, ihm dieser verzieh, wenn er Neville
einweihte.
Entschlossen nahm Blaise die Karte mit der 24 und
zückte den Zauberstab. Kurz darauf prangte zu seiner
Zufriedenheit folgender Spruch auf dem Pappfünfeck: „Tempus
tardare", darunter: „Ein begrenzter Zeitverzögerungszauber
kann wahre Wunder bewirken. Funktioniert aber nur bei Flüssigkeiten.
Und da Zeitzauber nur mit Genehmigung des Ministeriums verwandt
werden dürfen, dieser Spruch aber nicht registriert ist, bitte
geheim halten."
Dann sah er noch einmal die übrigen Karten
auf eventuelle Fehler durch.
Kaum hatte er die Sachen
weggepackt, als es an seiner Zimmertür klopfte. Verwundert rief
Blaise „Herein!", kam es doch äußerst selten vor, dass
ihn jemand in seinem Zimmer aufsuchte.
Es war Neville. „Hi! Ich
wollte fragen, ob du schon ein Geschenk für Lockheart hast. Mir
ist nämlich gerade etwas eingefallen."
„So? Dann schieß
mal los, ich hab nämlich noch kein Geschenk", sagte Blaise und
winkte Neville ins Zimmer.
„Du könntest ihm ein Buch samt
Übungsheft über Kalligraphie schenken."
„Wieso das
denn? Damit er mir noch mehr Autogramme schreibt?" Blaise war
keineswegs begeistert von dieser Idee.
„Ich weiß, es
klingt jetzt eher als würdest du mit diesem Geschenk Öl ins
heiße Feuer gießen, aber es steckt eine Menge Potenzial
in dieser Idee." Neville ließ sich nicht so leicht beirren.
„Fakt ist nun mal, dass Lockheart für sein Leben gerne
schreibt. Zugegeben am liebsten und zur Zeit fast ausschließlich
seinen eigenen Namen. Doch das kann auch daran liegen, dass ihm
nichts Besseres einfällt. Jetzt überleg dir mal, wie es
wäre, wenn Lockheart neben Druck- und Schreibschrift auch
Antiqua, Unziale und Textura kann. Und wenn du ihn dann bittest dir
zum Beispiel eine Geburtstagskarte für deine Mutter zu
kalligraphieren, oder so."
„Du meinst, auf diese Weise könnte
ich mir seine Schreibsucht zu Nutze machen?" Auf Blaises Gesicht
erschien ein Grinsen. „Hätte nicht gedacht, dass soviel eines
Slytherin in dir steckt."
„Na ja, solange es Lockheart Spaß
macht", meinte Neville achselzuckend, „spricht doch nichts
dagegen, die Eigenheiten von Menschen in nützlichere Bahnen zu
lenken." So wie etwa die Kunstwerke, die er selbst aus den
Bonbonpapieren seiner Mutter fertigte – kleine Drachen, Thestrale
und andere magische Wesen. Als Kind hatte er die glänzenden
Papierchen immer nur in ein Album geklebt, später aber hatte er
seiner Kreativität freien Lauf gelassen. Vielleicht hatte er
diese Gabe ja von seiner Mutter geerbt, und deswegen hatte sie ihm
immer die Bonbonverpackungen gegeben? Doch egal wie, Neville sorgte
stets dafür, dass im Nachttisch seiner Eltern eine wohlgefüllte
Tüte Bonbons lag. Und heute, als er sein neustes Papierchen der
halbfertigen Miniaturskulptur eines Nifflers hatte hinzufügen
wollen, war ihm die Kalligraphieidee für Lockheart gekommen.
„Also dann, ein Kalligraphiebuch..." Und Blaise beschloss
gleich am nächsten Tag eines zu besorgen.
Neville grinste
leicht und verabschiedete sich dann. Ihm war nämlich etwas in
Blaises Zimmer aufgefallen, über das er in Ruhe nachdenken
wollte. Denn über dem Bett hatte ein Adventskalender gehangen.
Ein Schokoladenadventskalender. Sollte Blaise vielleicht doch
derjenige sein, der ihm die Heiltränketipps zukommen ließ?
Denn wie viele Zauberer wussten schon, was ein Adventskalender war?
Der 24. Dezember war für viele in St. Mungo's der letzte Arbeitstag, da sie die Feiertage mit ihren Familien verbringen wollten. Sollte das Hospital doch noch zusätzliche Heiler benötigen, konnten jene, die Bereitschaftsdienst hatten, ja jederzeit in das Krankenhaus apparieren.
Dementsprechend
fröhlich war die Stimmung, als Chefheilerin Amaryll Franklin die
Belegschaft der Abteilung sowie einige der Patienten am späten
Nachmittag in den festlich dekorierten Pausenraum bat, damit die
Wichtelaktion zu ihrem päckchenreichen Abschluss kommen konnte.
Jeder von ihnen war im Laufe des Tages in den Raum geschlichen und
hatte heimlich sein Päckchen mit dem Namen des zu Beschenkenden
unter den Weihnachtsbaum gelegt. Und nun, da es an das Verteilen der
Geschenke ging, wurde deutlich, dass so mancher schon im Vorfeld das
für ihn bestimmte Präsent betastet hatte, um
herauszufinden, was sich darin befand.
Unter großem
Gelächter wurden lang gesuchte Schokofroschkarten, die neuste
Kollektion Quidditch-Fanschals und Bücher von beliebten Autoren
ausgepackt, darunter auch ‚101 Gutenachtgeschichten von Gilderoy
Lockheart'. Der Autor selbst wollte es sich natürlich nicht
nehmen lassen, das Buch zu signieren, als er erkannte, wer der
Verfasser war. Und wo er schon gerade dabei war, signierte er auch
gleich noch stellvertretend die Bücher der anderen Autoren.
Als Yolanda an der Reihe war, trat Neville ein wenig nervös in den Hintergrund. Denn auch wenn er die Idee nach wie vor gut fand, konnte sie doch auch ganz leicht nach hinten losgehen, wenn Yolanda den Inhalt der Karte falsch auffasste. Er hatte lange über den Wortlaut nachgedacht und konnte nun nur noch hoffen. Dennoch tat es gut zu sehen, wie Blaise ihm aufmunternd von der anderen Seite des Raumes aus zulächelte.
„Gutschein für ein
Candlelightdinner inklusive Begleitung eines Traumprinzen.
Na ja,
fast, denn leider hatte die Traumprinz GmbH nur noch Frösche auf
Lager. Doch falls du auch mit einem 25jährigen, höflichen
Gentleman, der wieder hässlich noch dumm ist, dich garantiert
nicht nach dem Äußeren beurteilt sondern mit Respekt
behandelt und obendrein hetero ist, Vorlieb nimmst, so erwartet er
dich heute Abend um 20 Uhr am Flohkamin des ‚Dragon tropical' in
St. Helier auf Jersey."
Fassungslos sah Yolanda in die
Runde. Erlaubte sich hier jemand einen Scherz mit ihr?
Als hätte
Heilerin Franklin, die ja eingeweiht war, geahnt, was in der jungen
Frau vor sich ging, trat sich nun zu ihr und sagte: „Also Miss
Dobkins, falls Sie das Geschenk anzunehmen gedenken, mit Ihrem Dienst
hier ist bereits alles geregelt. Und ich kann Ihnen versichern, dass
Ihr Begleiter keiner der hier Anwesenden ist, ja, er gehört noch
nicht einmal zum St. Mungo's." Aufmunternd lächelte sie
Yolanda zu, dann hob sie das nächste Päckchen auf und
überreichte es seinem neuen Besitzer.
Am Abend fand im großen Kaminzimmer des Lernheilerhauses die traditionelle Weihnachtsfeier für die gesamte Krankenhausbelegschaft statt. Es war eine sehr ausgelassene Feier. Ständig kamen und gingen Leute, und diejenigen, die schon Dienstschluss hatten, taten sich an der großen Schüssel mit Weihnachtspunsch gütlich. Hier und da wurden Päckchen getauscht und stets fanden sich einer oder mehrere, die ein Weihnachtslied anstimmten. Doch nach und nach lichteten sich die Reihen. Immer wieder flackerte das Feuer im Hauptkamin grünlich auf, wenn wieder jemand den Heimweg zu seiner Familie per Flohpulver angetreten hatte. Irgendwann kurz vor acht war bereits eine sichtlich nervöse aber dennoch vorfreudig lächelnde Yolanda durch den Kamin ihrem Weihnachtsgeschenk entgegengetreten.
Jetzt aber, um kurz vor Mitternacht, waren nur noch drei Menschen im Kaminzimmer, wovon jedoch einer friedlich schnarchend in einer Ecke seinen Rausch, hervorgerufen durch allzu viel zusätzlichen Feuerwhiskey im Punsch, ausschlief. Die anderen beiden waren Neville Longbottom und Blaise Zabini.
Letzterer stand noch für einen Moment
unschlüssig an der Wand, an der er den größten Teil
des Abends verbracht hatte, dann stieß er sich ab und ging zu
Neville hinüber. Dieser saß in dem Sessel, den Blaise für
gewöhnlich bevorzugte und starrte nachdenklich ins Feuer.
„Na,
denkst du darüber nach, ob mit Yolanda und diesem
Ersatz-Traumprinzen alles glatt gegangen ist?", fragte Blaise und
ließ sich in den nächstgelegenen freien Sessel fallen.
Neville schreckte aus seinen Gedanken hoch, doch als er sah, wer
ihn angesprochen hatte, lächelte er. „Nein, eigentlich nicht."
Er zuckte mit den Schultern, dann lehnte er sich entspannt zurück.
„Ich mein, weder ist Yolanda wutentbrannt aus dem Kamin gestürzt,
noch habe ich eine Eule mit einem Heuler oder ähnlichem
bekommen."
„Mit wem hast du denn eigentlich die holde Miss
Dobkins verkuppelt?" Blaise konnte nicht umhin zu bemerken, wie
faszinierend Nevilles Gesicht in dem rötlich gelb flackernden
Licht aussah. Besonders sein Mund...
Schon den ganzen Abend
hatte er mit sich gerungen, na ja, eigentlich schon die letzten Tage,
aber bislang hatte ihm der Mut gefehlt. Er war eben kein
Gryffindor... Denn irgendwann in den vergangenen Tagen hatte er sich
eingestehen müssen, dass er sich zu Neville hingezogen fühlte.
Immer, wenn sie ein paar Worte wechselten oder sich ihre Blicke
zufällig trafen, tat sein Herz einen kleinen Sprung und ihm war
ganz kribbelig zumute. In gewisser Weise hatte er ja sogar Recht
gehabt mit seiner ersten Diagnose eines alten Familienzipperleins.
Denn die Zabinis waren eine Familie, die stets auf der Suche nach der
Liebe waren, sich auf dem Weg dorthin häufig genug verliebten
und nicht selten das ein oder andere gebrochene Herz zurückließen,
wenn sie erkannten, dass sich hinter einer einfachen Schwärmerei
nicht immer ein so großes Gefühl wie Liebe verbarg. Seine
Mutter war wohl das beste Beispiel dafür. Soweit Blaise wusste,
war der einzige Mann, für den sie je echte Liebe empfunden
hatte, sein Vater gewesen. Doch dieser war kurz nach Blaises Geburt
von einem heimtückischen Fluch, mit dem eine alte, chinesische
Schriftrolle präpariert gewesen war, umgebracht worden.
Was
nun Neville betraf, so würde Blaise jetzt nicht so weit gehen
und von Liebe oder auch nur Verliebt sein zu sprechen. Interessiert,
ja, definitiv. Hingezogen, ja. Und auch spürte er eine gewisse
Sehnsucht danach, den Gryffindor zu küssen. Aber verliebt? Er
wusste ja noch nicht einmal ob das Interesse auf Gegenseitigkeit
beruhte. Und doch hatte er so eine Ahnung, dass das, was er für
Neville empfand anders war als alles, was er je für einen seiner
Exfreunde, sofern man überhaupt davon sprechen konnte, empfunden
hatte.
Für diesen Abend aber wollte er sich darauf
beschränken, Neville wenigstens wissen zu lassen, dass er an ihm
interessiert war, ehe dieser für die Feiertage zu seiner
Großmutter verschwand. Und vielleicht ergab sich ja jetzt im
Gespräch eine Gelegenheit, die ein oder andere Information in
dieser Richtung einfließen zu lassen...
Auf
Blaises Frage hin, lachte Neville leise. „Mit meinem Cousin Ivo",
gab er zur Antwort.
„Deinem Cousin?", wiederholte Blaise
ungläubig. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Neville
einen Cousin in Hogwarts gehabt hatte.
„Ivo ist mein Cousin
dritten Grades und lebt drüben in den Staaten. Bis vor zwei
Jahren kannte ich ihn kaum, so wie die meisten meiner Verwandten auf
jener Seite des Atlantiks. Doch als ich sie besuchte, haben Ivo und
ich uns sofort verstanden. Und bei ihm konnte ich mir auch sicher
sein, dass er Yolanda nicht nach ihrem Äußeren beurteilt,
denn er ist von Geburt an blind. Ihn muss sie also mit ihrer
Persönlichkeit beeindrucken."
„Das ist echt genial",
lachte Blaise kopfschüttelnd. „Auf so eine Idee muss man erst
mal kommen. Ein blinder Traumprinz."
Neville grinste. „Wenn
es mit den beiden klappt, freut es mich, und wenn nicht, war es auf
jeden Fall eine gute Erfahrung für Yolanda."
„Und wie
steht es mit dir? Ich mein, nachdem du Yolanda jetzt aus dem Nacken
hast, mit wem wirst du dich selbst verkuppeln? Oder bist du gar schon
in festen Händen und hast uns allen bislang deinen Traumprinzen
vorenthalten?" Auch wenn die Worte neckend aus seinem Mund kamen,
konnte Blaise eine gewisse innere Anspannung nicht verhindern. Was,
wenn Neville tatsächlich schon vergeben war?
„Ich bin
nicht in festen Händen. Aber du hast Recht, vielleicht sollte
ich mal wieder auf die Suche gehen", antwortete Neville da.
Blaise
war erleichtert, und so nahm er seinen ganzen Slytherinmut zusammen
und fragte: „Wenn das so ist, vielleicht hättest du dann Lust,
mal was mit mir zu unternehmen?"
Überrascht sah Neville
Blaise an. „Ist das eine Einladung zu einem Date?"
„Na ja,
nicht ganz", druckste dieser herum. „Denn meine Dates lege ich
für gewöhnlich flach und verschwende am nächsten Tag
keinen Gedanken mehr an sie. Und abgesehen davon, dass dann das
Zusammenarbeiten hier ziemlich unangenehm werden könnte, will
ich das irgendwie mit dir nicht."
Wortlos sah Neville seinen
ehemaligen Schulkameraden an und verstand. All die Unsicherheit, die
hinter diesen Worten verborgen lag, Unsicherheit in Bezug auf die
eigenen Gefühle, aber auch in Bezug auf die Frage, wie eine
richtige Beziehung mit ihm sich wohl gestalten würde.
„Einverstanden", sagte er schließlich. „Wir können
gerne mal was zusammen unternehmen." Und er lächelte Blaise
aufmunternd an. „Doch jetzt wird es Zeit, dass ich ins Bett gehe,
schließlich habe ich morgen Dienst."
„Du feierst nicht
mit deiner Großmutter?", fragte Blaise überrascht. Dann
hätte er Neville heute Abend ja gar nicht sein Interesse an ihm
zeigen müssen! Doch im gleichen Augenblick schalt er sich einen
Idioten. Wenn er sich heute Abend nicht getraut hätte Neville zu
fragen, ob dieser vielleicht mal mit ihm weggehen wollte, wer wusste
schon, wann sich dann eine solche Gelegenheit ergeben hätte. Und
außerdem hatte Neville ja seine Einladung angenommen.
„Nein,
meine Großmutter ist tot. Sie starb gleich im Sommer nach
unserem siebten Jahr. Todesserangriff."
„Das tut mir leid."
Blaise blickte Neville betroffen an. „Das wusste ich nicht. Meine
Mutter hat es vorgezogen, dem Krieg hier aus dem Weg zu gehen, und
war auf unserer geheimen Privatinsel im tyrrhenischen Meer. Sobald
die Schule vorbei war, bin ich ihr dorthin gefolgt."
„Schon
okay", sagte Neville. „Seit Voldemorts Auferstehung waren wir
darauf vorbereitet, dass so etwas geschehen könnte. Und sie
hatte ein langes Leben, etwas, das man nicht von jedem sagen kann.
Obwohl es am Anfang schon sehr weh getan hat, dass sie nicht mehr da
war. Da kam mir damals die Einladung von Ivo und seiner Familie sehr
gelegen um etwas Abstand zu gewinnen. Ich wünschte nur, sie
hätte erleben können, dass tatsächlich so etwas
Verantwortungsvolles wie ein Heiler aus mir wird."
„Dafür
sind deine Eltern bestimmt umso stolzer." Blaise lächelte.
„Meine Mutter ist auch stolz auf den Weg, den ich eingeschlagen
habe, obwohl sie nie damit gerechnet hätte, dass ich mich für
den Beruf des Heilers entscheiden würde. Aber du hast Recht, es
ist spät, und du bist nicht der einzige, der morgen Dienst hat."
„Du feierst Weihnachten auch nicht zu Hause?"
Blaise
zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Lust Ehemann Nummer 17
kennen zu lernen und mit ihm einen auf heile Familie zu machen. Habe
ich einfach schon zu oft erlebt. Und wenn ich sage, dass ich Dienst
habe, kann meine Mutter mir nicht böse sein, denn so ist der Job
eines Heilers nun mal. Wir sehen uns also morgen, oder besser heute,
wenn man es genau nimmt. Soll ich dich abholen?", fragte er und
zwinkerte Neville zu.
Dieser schmunzelte. „Danke für das
Angebot, aber ich werde morgen schon früher auf die Station
gehen. Ich will mit meinen Eltern noch ein wenig Weihnachten
feiern."
„Du besuchst deine Eltern ziemlich oft für
jemanden, der, zumindest früher, nicht gerade den Eindruck
machte, als ob er gerne seine Eltern besuchte", stellte Blaise
fest.
„Wie kommst du darauf?", fragte Neville.
„Ginny
hat mir mal so was erzählt."
„Ginny Weasley?"
Blaise
nickte.
„Warum sollte Ginny mit dir über mich reden?"
„Na
ja, weißt du, während unseres letzten Schuljahrs sind
Ginny und ich eine Zeit lang zum Schein miteinander gegangen. Potter
hatte das mit Ginny wohl mehr als gründlich verkorkst, auf jeden
Fall war sie so sauer, dass sie ihn damit verletzen wollte, dass sie
mit der schlimmstmöglichen Alternative ging", erklärte
Blaise. „Da Draco nicht greifbar war, und sie sich den Rest von
Slytherin nicht wirklich antun wollte, fiel ihre Wahl auf mich. Ich
fand die Idee ganz amüsant, also habe ich mitgemacht. Die meiste
Zeit haben wir nur geredet, manchmal aber auch einfach nur im Raum
der Wünsche Hausaufgaben gemacht, während wir den Rest der
Welt in dem Glauben ließen, wir würden wer weiß was
machen."
„Ich erinnere mich", sagte Neville. „Vor allem
aber erinnere ich mich an den Heuler, den Ron dir geschickt hat, als
er davon erfahren hat."
Ja, er erinnerte sich noch genau an diese Zeit. Es hatte ganz schön wehgetan, die beiden zusammen zu sehen, hatte es doch bedeutet, dass Blaise, für den er heimlich geschwärmt hatte, unerreichbar, da heterosexuell war. Gut, Blaise hatte nach dem Ende dieser Beziehung deutlich gemacht, dass er sehr wohl auf das eigene Geschlecht stand, indem er jede Woche einen anderen Freund gehabt hatte, wenn man der Gerüchteküche von Hogwarts Glauben schenken durfte, was damals die Sache für Neville aber nicht unbedingt einfacher gemacht hatte. Dennoch tat es gut jetzt zu hören, dass die Sache mit Ginny bloß Show gewesen war.
„Ach ja, der Heuler. Weasley konnte sich schon
immer herrlich aufregen." Blaise grinste. „Jedenfalls hat Ginny
mir irgendwann auch erzählt, wie sie dich zufällig in dem
einen Jahr in den Weihnachtsferien hier im St. Mungo's getroffen
hat. Sie sagte, du hättest gewirkt, als sei dir dieser ganze
Besuch ziemlich peinlich, und dass du wohl nur deiner Großmutter
zuliebe mitgekommen seiest."
„Besuche bei meinen Eltern mit
Granny waren ja auch immer ziemlich peinlich", gestand Neville
lächelnd. „Ständig ist sie wie ein aufgescheuchtes Huhn
umhergeflattert und hat dabei ununterbrochen geredet. Wenn ich aber
alleine zu meinen Eltern gegangen bin, war es ganz anders. Aber von
diesen Besuchen wusste Granny nichts."
„Wieso hast du es vor
deiner Großmutter geheimgehalten?"
„Du kanntest meine
Granny nicht. Sie war in vielerlei Hinsicht die beste Großmutter,
die man sich wünschen konnte, aber es gab einfach Dinge, über
die man mit ihr nicht reden konnte", meinte Neville.
„Lass
mich raten: Eines der Dinge war, dass du schwul bist, oder?"
Neville nickte. Dieses Thema war der Auslöser für seine
eigenständigen Besuche gewesen. Aber mit wem sonst hätte er
darüber reden sollen, als er auf dem Julball im vierten
Schuljahr erkannt hatte, dass er sich in Blaise verliebt hatte? Ein
Gefühl, an dem sich übrigens bis heute nichts geändert
hatte. Aber das würde er Blaise noch nicht erzählen, soweit
waren sie noch nicht. Noch nicht...
Mittlerweile waren sie beide
aus ihren Sesseln aufgestanden und strebten dem Ausgang zu. Als
Blaise die Tür erreicht hatte, sagte Neville: „Warte mal
kurz."
„Was ist?", fragte Blaise.
„Das ist...",
meinte Neville, deutete auf den Mistelzweig über der Tür
und zog dann Blaise zu einem hungrig zärtlichen Kuss an sich.
Als sich ihre Lippen trafen, ahnte Blaise, dass er vielleicht
doch nicht in die Fußstapfen seiner Mutter treten würde,
sondern dass seine Suche hier ein Ende hatte...
ENDE
