Nachdem Preston ihr einen Colt mit .357er Magnum Kugeln und eine kleine 10 mm Pistole mit Schalldämpfer überlassen hatte, weil sie sich mit der Bedienung der Lasermuskete extrem schwertat, hatte sie das erste Mal ernsthaft das Gefühl gehabt, dass es irgendwie doch bald sehr böse mit ihr enden wird. Der General der Minutemen hatte ihr jedoch mit Hilfe seiner Engelsgeduld beibringen können, wie man den Colt und die Pistole pflegt und verwendet. Nach einigen Wochen, die sie in Sanctuary verbracht hatte – geschlafen hatte Sie in dem zweckmäßig zur Werkstatt umfunktionierten Haus gegenüber von ihrem ehemaligen Elternhaus. – fühlten sich die beiden Waffen sehr gut in ihren Händen an und zum ersten Mal war sie bereit gewesen sich mit der neuen Realität anzufreunden. Dieses zarte Pflänzchen der Freundschaft war in den letzten 89 Tagen langsam verreckt unter Schweiß, Tränen und Todesangst.
Die Combat Zone war eine Art Fight Club für Raider und anderes Gesocks. Hier war willkommen, wer genug Kronkorken oder genug Muskeln zu bieten hatte. Ein großer Teil der Kämpfer waren verrückte Raider, denen der Alltag im Commonwealth nicht genügend Blutbäder zu bieten hatte, Glücksritter und Abenteurer oder Verzweifelte, die dringend Geld brauchten. Ein kleinerer, aber nicht unwesentlicher Teil der Kämpfer waren jedoch Leibeigene, die wie Gladiatoren gehalten und trainiert wurden und ihr Leben beinahe täglich im Ring aufs Spiel setzten um die Taschen ihrer Besitzer zu füllen. Einer dieser Besitzer war Tommy Lonegan, der Inhaber der Combat Zone. Er stellte nicht nur die Location und richtete die Kämpfe aus. Er hatte eine Vorliebe für junge Frauen, die allein auf der Welt waren mit sich und ihren Problemen. Er hielt sich etwa 20 Frauen. Sie selbst war die Jüngste mit ihren biologischen 16 Jahren. Diese 20 Frauen, mal mehr mal weniger, denn sehr alt wurde dort meist keine, hatten die Wahl zwischen zwei Jobs: Der eine Job beinhaltete den Kampf, notfalls bis zum Tode, im Käfig und der andere war von etwas delikaterer Art. Sie war sich nicht sicher, ob sie es als Vorteil betrachten sollte, dass man sich immerhin jeden Tag aufs Neue zwischen diesen zwei Jobs entscheiden konnte. Stur wie sechzehnjährige Teenager nun einmal sind, hat sich sie die ersten 30 Tage immer für den Kampf entschieden, der eigentlich zunächst immer nur aus Training und Übungskämpfen bestand. Als sie am 31sten Tag ihre Premiere gegen Cait im Übungskampf bestehen musste, dachte Sie zum ersten Mal daran, ob sie es nicht mit Option 2 versuchen sollte. Die drogensüchtige Raiderin hatte sie windelweich geprügelt, ihr einen Eckzahn herausgeschlagen, ihr drei Rippen geprellt und die Nase gebrochen.
Am Tag danach wurde sie unsanft geweckt. Tommy persönlich teilte dem Mädchen mit, dass sie Zugunsten ihrer Gesundheit, zumindest vorübergehend über einen Berufswechsel nachdenken sollte. Dabei hatte er sie mit diesem widerlichen schleimigen Grinsen angestrahlt und ihren Unterarm gestreichelt. Er würde sogar warten bis es ihr besserginge. Aus reiner Gewohnheit hatte sie abgelehnt. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass sie nur dann Zeit zur Regeneration bekommen hätte, wenn sie auf Tommys Angebot eingegangen wäre. So hatte sie sich wenige Minuten später, von einem wutschnaubenden Tommy höchst selbst eskortiert, auf wackligen Beinen im Hof hinter der Combat Zone wiedergefunden. Ralph, ebenfalls ein Käfigkämpfer und der einzig männliche Kämpfer in Tommys Diensten war auch sogleich mit der Stahlrute auf sie losgegangen um sie zum morgendlichen Laufen anzutreiben. Ihre Rippen hatten überwältigend geschmerzt und das Blut war ihr erneut aus der lädierten Nase geschossen. Später an diesem Tag hatte sie aber feststellen müssen, dass ihre Entscheidung gar nicht so blöd gewesen war. Tara, ein bisschen älter als sie selbst, vielleicht 19, war bisher ausschließlich als Tommys Konkubine in Erscheinung getreten. Offenbar hatte er aber das Interesse an ihr verloren. Das war nämlich der Haken an Job Nummer 2: Wenn Tommy und seine Jungs einen über hatten kehrte man zwangsläufig zu Job Nummer 1 zurück. Und wenn man wie Tara die ganze Zeit nichts Anderes gemacht hatte als Drinks servieren und Schwänze zu lutschen sah man im Ring schnell alt aus. Besonders wenn man eine abgelegte Frau vom Boss war. Für die gab es nämlich keine zweite Chance die vergleichsweise harmloseren ersten Trainingstage nachzuholen. Wer also den bequemen Weg ging lief schnell Gefahr nicht vorbereitet zu sein auf das, was irgendwann ja doch zwangsläufig folgte oder aus der Übung zu kommen, falls man zunächst für den Kampf entschieden hatte und erst später in Job 2 eine Pause gesucht hat. Jedenfalls die gute Tara hatte von Anfang an vorgezogen Tommy und seiner Crew zu Diensten zu sein. Gerüchten unter den Kämpferinnen zufolge war sie auch schon stolze 14 Monate an Tommys Seite. An diesem Morgen traf sie auf Cait. Das war Taras erster und letzter Tag im Ring. Und das obwohl die Frauen angehalten waren, sich möglichst während des Trainings nicht gegenseitig umzubringen. So hatte das Mädchen, dass schmerzlich das tröstende Blau ihres Vaultanzuges vermisste, beschlossen, dass es das Beste wäre einfach besser zu werden und zuzusehen am Leben zu bleiben. Im Käfig.
Das war jetzt auch schon wieder 58 Tage her und sie hatte seit dem nicht mehr gegen Cait kämpfen müssen. Ihre Nase war halbwegs ordentlich verheilt und der Schmerz in ihren Rippen stammte nicht mehr von jenem Kampf, sondern von dem Übungskampf gestern. Dem letzten Übungskampf. Sie hatte dazu gelernt. Schneller als den Umgang mit den Pistolen, die Preston ihr gegeben hatte. Ihr war aber auch nichts Anderes übriggeblieben. Damit ihre Nase heilen konnte musste sie geschützt werden. Die Angst gleich die nächste auf die Zwölf zu bekommen hatte sie dazu veranlasst noch konzentrierter zu sein und sich voll und ganz auf das Training einzulassen. Und siehe da: 58 Tage kein Gesichtstreffer mehr. Ok ein blaues Auge. Vielleicht auch drei. Aber das war jetzt ihre kleinste Sorge.
Sie hatte den ganzen Tag mit 6 anderen Frauen in einem Verschlag neben dem Käfig gesessen. Der Laden war brechend voll. Es war heiß, stank bestialisch nach Zigaretten, Schnaps und den Ausdünstungen von knapp 200 johlenden Raidern und Ghulen. Der Lärm war unerträglich. Am Leib trug sie ein paar alte Jeansshorts und ein Lederkorsett, ähnlich wie das was Cait trug. Tommy war der Ansicht, dass es durchaus legitim sei, wenn eine Frau sexy starb. Während ein paar von seinen Männern die Überreste eines blassen Raiderjungen aus dem Käfig zogen, fragte Georgia sich allerdings, ob es überhaupt möglich sei sexy zu sterben.
Um Mitternacht. Tag 90.
Jetzt konnte es jeden Moment soweit sein. Die Neuen aus Tommys Stall mussten ran. Sie hatte keine Ahnung gegen wen sie kämpfen würde. Nachdem sie viele Kämpfe gesehen hatte und das was am Ende aus dem Käfig entfernt werden musste, war ihr aber klar, dass sie diese Nacht vermutlich nicht überleben würde. Obwohl sie inzwischen von sich selbst behaupten würde einiges mehr drauf zu haben als noch vor drei Monaten war sie realistisch betrachtet absolut chancenlos. Ihre erworbenen Fähigkeiten würden hier nur einen Dreck wert sein. Ebenso wie die Tatsache, dass sie inzwischen ihren Trizeps und ihren Bizeps optisch erahnen konnte. Erschwerend hinzu kam der seit Stunden widerwärtig hohe Adrenalinspiegel gepaart mit dem dringenden Bedürfnis die Toilette aufzusuchen. Mit panikartigem Tunnelblick und rumpelndem Magendarmtrakt fragte sie sich welches arme Mädchen gegen den Einsneunzig-Muskelklops im Käfig antreten musste als der Name der ‚Glücklichen' aufgerufen wurde: Georgia.
~~~
Die Menge tobte. Wetten wurden platziert. In den Gesichtern des Publikums konnte Georgia Blutlust erkennen. Es waren überwiegend Männer, die sie dort sah. Männer die wussten, dass sie jetzt sterben würde und trotzdem unverhohlen ihren Arsch in den Shorts taxierten. Männer, die sich darauf freuten zu sehen, wie ihr, von dem blauen Auge abgesehen, hübsches Gesicht zu Brei geschlagen werden würde. Sie wollte nicht wissen, wie viele von den Kerlen ihren Halbsteifen auch dann noch behalten würden, wenn etwas von ihrer Gehirnmasse durch das Gitter in den Zuschauerraum spritzen würde. Georgia spürte ihre Beine nicht. Lediglich ihre Knie waren ihr bewusst. In Form von Pudding. Ihre Hände und Arme kribbelten unangenehm als würden tausend Ameisen direkt durch sie hindurch marschieren. Und diese Ameisen trugen Fußballschuhe mit Spikes. Der Tunnelblick verschlimmerte sich zusehends. Bald würde sie nur noch einen leuchtenden Punkt in der Mitte ihres Gesichtsfeldes erkennen. Es bereitete ihr zusätzliche Panik, da sie diese körperliche Reaktion nur von ihren seltenen, aber vernichtenden Migräneanfallen kannte.
Der Typ vor ihr, seinen Namen hatte sie bereits vergessen, trug nicht vielmehr als sie selbst. Einen widerlich engen Lederslip und ein Feinripphemd. Dazu Knie- und Ellenbogenschoner, die er mit Sicherheit vergnüglich in ihrem Gesicht platzieren würde. Er brachte gut und gerne 150 Kilo auf die Waage. Der überwiegende Teil Muskeln. Einzig der Schmerbauch bestand aus Fett. Er war am ganzen Körper mit hässlichen Tribaltattoos übersäht und hatte fettige lange Haare. Sein irres Grinsen entblößte seine eingeschlagenen, braunen Zahnruinen. Die Pupillen in den kleinen Schweinsäuglein sagen aus wie Untertassen. Das lag am Jet. Georgia hatte das schon oft genug bei Cait gesehen, so dass sie es sofort erkannte.
Die Glocke ertönte. Und schon näherte sich der schwitzende Berg ekligen Mannes um Mus aus ihr zu machen. Den ersten Schwingern wich Georgia noch aus, aber als die ersten Tropfen seines Schweißes in ihrem Gesicht landeten war es um ihren letzten Funken Beherrschung geschehen und die Panikattacke bahnte sich ihren Weg nach außen. Der Tunnelblick, der sie gequält hatte erweiterte sich ganz plötzlich. Sie konnte wieder ihr gesamtes Umfeld wahrnehmen. Allerdings tiefrot gefärbt. Ihr Verstand setzte völlig aus. Ihr bisher konstant hoher Adrenalinspiegel schoss nun bis unter die Decke. In diesem Moment verpasste der Gegner ihr einen heftigen Schlag direkt auf ihre frisch verheilte Nase. Ihr schien als blieb die Zeit stehen. Sie registrierte den scharfen Schmerz der durch ihr Gesicht bis in ihr Hirn vor, sie roch den sauren Schweiß der Menge und den widerlichen Dunst aus dem offenen Mund ihres Gegners und es war als könne sie einzelne Stimmen aus der Menge plötzlich voneinander unterscheiden. Die Welt wollte sich umkehren doch Georgia fing sich und anstatt zu fallen stand sie nun aufrechter als zuvor. Die Menge verstummte als ihre Zunge hervorkam, und langsam durch den Blutstrom, der aus ihrer Nase über ihren Mund lief, fuhr. Der Kupfergeschmack schien irgendwas in ihr zu wecken und das letzte was sie wahrnahm, war das befremdliche Knurren aus der Tiefe ihrer Brust, bevor die Welt finster wurde.
Georgia wusste nicht wie und warum, aber als sie die Augen öffnete spürte sie nur das Pochen ihrer erneut gebrochenen Nase und einen brennenden Schmerz auf ihren Fingerknöcheln, der bis zu ihren Ellenbogen jagte. Sie saß auf einem alten Sessel nicht weit entfernt von Tommy in seiner Privatlounge. Der Raum war erfüllt von Gemurmel und Rumoren. Die Männer, die eben noch die Leiche des jungen Raiders aus dem Ring getragen hatten, machen sich gerade daran die Überreste des Mannes wegzuschaffen, der sie eigentlich hätte töten müssen. Von seinem Gesicht war nichts mehr übrig. Und bei diesem Kampf ist mehr als nur ein wenig Hirnmasse ins Publikum geflogen. Allerdings dürften einige Erektionen ganz schnell in sich zusammengefallen sein.
„Ich schätze du schuldest mir was Puppe." Tommys Stimme schwankte zwischen Amüsement und Wut. „Die Kundschaft ist reichlich ungehalten. Einige Leute haben unnötig viel Geld verloren. Die Eröffnungskämpfe mit den Neuen sind ja mehr zum Aufwärmen. Aber wie du siehst leert sich der Laden bereits." Georgia konnte nicht sprechen. Ihr Gesicht tat einfach zu weh und ihr Kopf summte wie ein Bienenstock. Tommy fuhr fort: „Tja ich hoffe du kannst das wiederholen. Und schaffst es nochmal dich solange nicht auf der Nase treffen zu lassen wie es braucht damit sie heilen kann. Bis morgen Abend wird sich dein Massaker herumgesprochen haben. Da werden die Wetten anders platziert und die Erwartungen sehr hoch sein. Ich darf dich beglückwünschen: Du wurdest in die erste Liga befördert Puppe." Nachdem Tommy geendet hatte wurde sie auch sogleich unsanft aus dem Sessel gehoben und nach hinten in die Zellen geschafft. Ab jetzt würde es noch anstrengender werden.
