Vorwort:
Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit. - (Thomas Hobbes)
"Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch, wenn er nicht weiß, welcher Art sein Gegenüber ist." oder besser freier übersetzt: "Der Mensch verhält sich gegenüber seinen Mitmenschen unmenschlich."
Ich habe mich schon immer gefragt, was einen Menschen dazu gebracht haben könnte, aktiv einem grausamen Herrn zu folgen. Eine Beantwortung der Frage nach dem gut-böse-Schema schien mir etwas zu simpel. Ist es eigene Grausamkeit, Verblendung, Dummheit, Gleichgültigkeit, Zwang ... ?
Inhalt:
Kaiko ist ein Slytherin mit all deren typischen Charakterzügen - Für eine Mord wird er von der Zauberergesellschaft verurteilt.
Voldemort gibt ihm die Gelegenheit seiner Strafe zu entgehen.
Dumbledore gibt ihm die Gelegenheit Voldemorts Herrschaft zu entgehen.
Ein großes Dankeschön geht an Joeli, die die Geschichte beta-gelesen hat!
Die Kammer des Schreckens ist also wieder geschlossen.
Nachzügler kommen die Treppe hinab und diskutieren über das Thema. Genau wie die anderen, die sich bereits im Gemeinschaftsraum aufhalten - wie wohl die gesamte Schule, auch wenn man außerhalb Slytherins wohl noch weniger von den Hintergründen der Geschehnisse weiß als hier.
Aber es ist auch nicht so, dass wir die Wahrheit kennen würden...
Was Fakten betrifft, hat Dippet sich bei seiner abendlichen Ansprache bravourös zurückgehalten, und umso wilder wuchern natürlich die Gerüchte.
Ich sitze in einer der steinernen Nischen und beobachte die Gruppe, die sich um den Kamin eingefunden hat.
Riddle hält Hof.
Anders kann man es nicht nennen.
Die hochlehnigen, reich beschnitzten und mit schwarzem Leder bezogenen Stühle sehen aus wie aus der Ratskammer eines ehrwürdigen, längst verstorbenen Adeligen, aber sie sind alles andere als bequem.
Ich stemme meine Füße gegen die gegenüberliegende Bank und verschiebe das Fell in meinem Nacken ein Stück, um selbst eine bequemere Position zu finden, während ich Riddles Gefolge, Avery, Rookwood, Blackmoor, Nott und die anderen, weiter beobachte.
Einige von ihnen rutschen von einer Seite auf die andere, als sei ihnen der Hintern eingeschlafen: Riddle ist der einzige, der es schafft, nach einer halben Stunde immer noch so zu wirken, als sei das Möbelstück allein dazu geschaffen, seinem Erscheinungsbild einen angemessenen Rahmen zu verleihen. Die Beine an den Knöcheln übereinander geschlagen, die Ellenbogen locker auf die Armlehnen gestützt, bietet er ein Bild souveräner Eleganz.
Auch sein Grüppchen unterhält sich über die beendete Episode der Kammer des Schreckens.
Natürlich. Jeder in Slytherin weiß, dass Riddle irgendwie in die Angelegenheit involviert war. Aber nur der engste Kreis um ihn scheint Einzelheiten zu kennen. Und auch die sind wohl auf Andeutungen allein angewiesen. Ich bin sicher, dass die Lehrer Riddle zum Schweigen verpflichtet haben, sollte er wirklich irgendwie mit der Sache zu tun gehabt haben.
Unter den jüngeren Schülern am anderen Ende des Raumes bricht plötzlich ein hitziger Streit aus, ein fehlgeleiteter Fluch trifft eine der Deckenlampen, lässt sie heftig an ihrer Kette hin und her schwingen. Das flackernde grüne Licht verleiht den Schnitzereien an Möbeln und Kamineinfassung Leben; das überall als geschnitztes oder gemaltes Motiv vertretende Wappentier Slytherins scheint über Holz, Stein und Metall zu kriechen.
Riddle beugt sich vor, ein lautes, bedrohlich klingendes Zischen kommt aus seinem Mund. Beeindrucktes und verängstigtes Schweigen breitet sich aus. Der Streit der Jüngeren scheint, wenn schon nicht beigelegt, so doch aus Riddles Umfeld verbannt.
Ich habe den Eindruck, es ist weniger seine Stellung als Vertrauensschüler, die ihn zum Einschreiten veranlasste, als der Umstand, dass der Streit die Aufmerksamkeit seine Hörer von ihm ablenkt. Riddle nimmt das Thema jedoch nicht wieder auf, als Ruhe einkehrt. Er streckt seine Beine von sich und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.
„Ich bin der Ansicht, wir sollten eine kleine Feier abhalten. Sozusagen als Vorwegnahme - oder Ersatz – für das Abschlussfest, welches sicherlich eher in eine Trauerfeier für das tote Schlammblut ausarten wird", bemerkt er laut.
Der vollen Aufmerksamkeit der anderen wieder sicher, zieht er seinen Zauberstab. Ein eleganter kleiner Schlenker lässt ein halbes Dutzend Flaschen Feuerwhiskey und mehrere Pokale vor ihnen auf dem Tisch erscheinen.
Beifälliges, bewunderndes Murmeln macht sich in der Runde breit.
Riddle entkorkt die erste Flasche, und kleine Flammen züngeln aus dem Flaschenhals. Tom beginnt einzuschenken und flüssiges Feuer flackert in den silbernen Trinkgefäßen. Sein Blick schweift prüfend durch den Kerker, bleibt schließlich an mir hängen.
„Luoma?", fragt er mit hochgezogener Augenbraue.
Ich zögere, aber nun gut - warum nicht?
Mit einer leichten Verneigung bedanke ich mich.
„Accio, Kelch."
Eines der bereits gefüllten Gefäße, das ich ins Auge gefasst habe, schwebt in meine Hand.
Tom hebt seinen Pokal und alle tun es ihm gleich.
„Auf Salazar Slytherin!"
„Salazar Slytherin!", echot es.
Ich nutze den Trinkspruch, um einen ganz eigenen, anderen Spruch über meinem Gefäß zu murmeln und unauffällig eine Rune über der Flüssigkeit zu zeichnen. Nichts geschieht, weder ist eine Spur Zaubertrank im Whiskey, noch ist er mit irgendeinem Zauber belegt.
Gut, in diesem Fall: Aber scheinbar selbstlose Geschenke von Seiten eines Slytherins – besonders eines Tom Riddle – sind mit Vorsicht zu genießen.
Ich trinke Feuerwhiskey nicht zum ersten Mal, es schmeckt wie erwartet nach nichts, der erste Schluck brennt in Hals und Magen, ruft eine seltsam angenehme Art von Schmerz hervor.
Nur ein einziger der Runde am Kanin spuckte den Mundvoll, den er genommen hat, keuchend und japsend aus. Toms Blick schweift mit einem kalten, amüsierten Lächeln über die Gesichter, von denen mehr als nur eines rot angelaufen ist unter dem Reflex, ein Husten zu unterdrücken. Andere blinzeln verstohlen die Tränen fort, die ihnen in den Augen stehen.
Ich stütze den Fuß des silbernen Kelches auf meinem Knie ab. Aus dem Metall starrt mir verzerrt und durch das Licht des Gemeinschaftsraums grünlich gefärbt mein eigenes Gesicht entgegen. Bleich, schmal, knochig. Umgeben von dichtem schwarzem Haar, struppig wie eine Pferdemähne. Hässlicher als ein Hauself, wie mein Stiefvater zu sagen pflegt.
Weitere Trinksprüche werden ausgebracht. Auf Riddle, den edlen Spender des Feuerwhiskeys, auf das Geheimnis, auf die Reinheit des Blutes. Natürlich, das kam von Blackmoor – von wem sonst? Das einzige, worauf er sich etwas einbilden kann, ist die 'Reinheit' seiner degenerierten Familie.
Das Gespräch beginnt sich um Hagrid zu drehen. Um das Gerücht, demnach Dumbledore es wohl geschafft habe, die Anschuldigungen gegen den Halbriesen irgendwie zu entkräften. Hagrid solle sogar als Assistent des Wildhüters nach Hogwarts zurückkehren dürfen.
„Mein Vater war bei der Verhandlung", bemerkt Rookwood grinsend, „er hat mir geschrieben, dass Hagrid zu flennen begonnen hätte, als sie seinen Zauberstab zerbrochen haben."
Hämisches, teilweise schon leicht betrunken klingendes Gelächter brandet in der Runde auf. Als Nott sich erhebt und allen nachfüllt, lasse ich den zu dreiviertel ungetrunkenen Inhalt der ersten Runde verschwinden, bevor Nott bei mir ankommt, um nachzuschenken.
Die anderen kommen entweder nicht auf die Idee, oder sind zu dämlich, den Zauber auszuführen.
Der Alkohol beginnt Wirkung zu zeigen, die Reden werden immer ausgelassener und die Sprache undeutlicher, irgendjemand schlägt vor, auf den Astronomieturm zu gehen, um von da die schäbige Hütte des Wildhüters zu begutachten, die in Zukunft Hagrids Heim sein wird. Und um vielleicht einige brennende Dinge auf sie fliegen zu lassen, um sie zu verschönern.
Mit lautem Stühlerücken kommen alle mehr oder weniger sicher auf die Füße. Avery wird bleich, kaum dass er aufrecht steht, auf seiner Stirn erscheinen Schweißtropfen und seine Augen starren glasig ins Nichts. Dann rennt er taumelnd Richtung Waschräume.
Gelächter und Ausrufe des Ekels übertönen zwar jedes Würgegeräusch, verraten jedoch, dass er es nicht rechtzeitig geschafft hat.
Allein die Vorstellung reicht wohl, dass sich drei andere ihm anschließen.
Erstaunlich. Ich hätte keinem der Betroffenen so viel Vorstellungsvermögen zugetraut.
Nur zu fünft machen wir uns schließlich auf.
Die Lehrer und der Hausmeister sind die letzten Wochen pausenlos durch das gesamte Schloss patrouilliert - jetzt wo sicher ist, dass die Bedrohung vorbei ist, werden sie gewiss das Ende dieser zusätzlichen Pflicht anders nutzen, als freiwillig weiter Wache zu schieben. So ist die Gefahr, erwischt zu werden, äußerst gering.
Der Himmel ist wolkenlos, aber es ist kühl. Windig, kalte Böen fahren über die Zinnen des Turmes. Außer dem erleuchteten Fenster der Wildhüterhütte und einem leichten feurigen Aufflackern, wenn jemand aus unserer Runde seinen Kelch bewegt, sind die Sterne die einzige Lichtquelle.
Ich setze mich auf den Boden, mit dem Rücken gegen die Brüstung gelehnt. Es ist weit nach Mitternacht und alle anderen im Schloss schlafen sicherlich schon längst.
Die Kälte hat die trunkene Ausgelassenheit etwas gedämpft. Dass die Hütte des Wildhüters der Anlass war, hierher zu kommen, scheinen sie vergessen zu haben.
Die Wirkung des Feuerwhiskeys ist dem Muggelalkohol ähnlich und doch ganz anders. Man kann schlecht aufhören, denn nach jedem Schluck hat man einen trockenen Mund, der einen dazu animiert, einen weiteren Schluck zu nehmen.
Der Whiskey brennt in der Kehle, im Magen, dann ist es, als ob Hitze einem aus Kopf und Körper entströmt, von innen heraus einhüllt. Wenn man die Augen schließt, meint man von rotgoldenen Flammen eingehüllt zu sein.
Keiner bricht das Schweigen, alle scheinen in der angenehmen, berauschten Benommenheit versunken, als plötzlich ein lautes Schnarchen ertönt.
Seine Nachbarn stoßen Nott an, ziehen ihn schließlich unter Spott und gedämpftem Gelächter auf die Füße, um ihn zurück in den Schlafsaal zu bringen.
Ich bin sicher, sie sind froh, einen Vorwand zu haben, selbst verschwinden zu können.
Tom und ich bleiben als einzige zurück.
Ich trinke den letzten Schluck aus meinem Pokal, stelle ihn mit einem leisen Klirren auf den Boden – und greife alarmiert nach meinem eigenen Zauberstab, als Riddle mit seinem in meine Richtung deutet.
„Perportatio!", murmelt er.
Ein Aufleuchten von Flammen, und das Gefäß vor mir ist wieder bis oben gefüllt.
Ich nicke, lasse meinen Zauberstab los und trinke, ohne Riddle aus den Augen zu lassen.
„Was willst du, Luoma?", fragt er plötzlich.
Es ist so dunkel, dass ich sein Gesicht nur als hellen Fleck erkennen und seine Miene nicht deuten kann.
„Was soll ich wollen?", frage ich misstrauisch zurück.
„Du stehst immer am Rand - bist ein Außenseiter. Und zwar nicht, weil dich keiner dabei haben wollte, sondern weil du es selbst willst. Warum?"
„Weil die meisten es nicht wert sind, dass man sich mit ihnen abgibt", antworte ich gegen meine sonstige Angewohnheit ehrlich. Verdammt, ich bin betrunkener als ich dachte.
Riddle lacht.
„Oh ja, wie wahr...", murmelt er. „Aber man kann ihre Gegenwart ertragen, wenn man sich den Nutzen vor Augen hält."
Ah. Deutliche Worte. Er ist auch nicht mehr allzu nüchtern...
„Was willst du?", frage ich zurück.
„Macht!", ertönt die prompte Antwort aus dem Dunklen.
„Macht? Wozu? Worüber?"
„Wozu?", echot Riddle höhnisch. Er legt seinen Kopf in den Nacken, starrt zum Himmel. „Ich habe dich für phantasievoller gehalten, Luoma. Worüber? Über alles. Ich will grenzenlose Macht!", flüstert er heiser. „Selbst über den Tod…!" höre ich ihn nach einigen Sekunden murmelnd hinzufügen.
Der Rausch macht mich leichtsinnig, aber ich bin noch genügend bei Sinnen, um Riddle nicht ins Gesicht zu sagen, dass sein Gerede mich langweilt. Nur ein Narr macht ihn sich absichtlich zum Feind.
Macht über den Tod, ewiges Leben? Was für eine Idiotie! Riddle scheint in Geschichte der Zauberei nicht aufgepasst zu haben. Jeder, dem das irgendwie annähernd gelungen war, bereute es früher oder später.
Weil die, die er liebte, starben, und das verging, was ihm am Herzen lag.
Aus Überdruss über ein Leben, das nichts Neues mehr zu bieten hat.
Oder einfach, weil er bei seinem Zauber katastrophale Fehler gemacht hat: Unsterblichkeit, aber mit fortschreitendem Alterungsprozess, ein endloses Leben in einem verrottenden Körper...
Da Riddle auch nach minutenlangem Schweigen nicht weiter spricht, stehe ich auf, steige zwischen die Zinnen, klettere dann auf die rechts neben mir. Riddle, immer noch in seinen Gedanken versunken, beachtet mich nicht.
Ich lege meinen Kopf in den Nacken, ziehe meinen Zauberstab und hebe ihn wie zum Salut, bis seine Spitze auf den Nordstern deutet, breite die Arme aus, um dem Wind noch mehr Widerstand zu bieten und mache einen Schritt zurück.
Was wäre das Leben ohne die Aussicht auf den Tod?
Ich falle.
Angst jagt kalt und scharf durch meine Adern, vertreibt die Wirkung des Alkohols mit einem Schlag.
Mein Kopf ist ganz klar, ich drehe mich im Fall, mein Zauber greift, die Erdanziehungskraft scheint aufgehoben. Der Sturz wird zu einem Gleiten, als der Wind sich in meinen Schwungfedern fängt. Knapp einen Meter über dem Boden ziehe ich nach oben, und der triumphierende Schrei aus meiner Falkenkehle lässt einige schlafende Vögel aus den Büschen unter mir aufschrecken.
In dieser Gestalt sehe ich noch weniger im Dunklen als ein Mensch, aber das ist es wert.
Kaum ein anderes Wesen in der Luft ist so wendig und schnell wie ein Falke. Der Flug auf einem Besen ist nichts, absolut nichts im Vergleich dazu.
Ich lasse mich von einem der Aufwinde in einem Halbkreis aufwärts treiben, als mich plötzlich etwas schwer in den Rücken trifft und ich Mühe habe, mich in der Luft zu halten. Eine Eule!? Nein, kann nicht sein, die sehen im Dunklen weit besser als ich und würden mir ausweichen.
Ich muss heftig mit den Flügeln schlagen, um mich zu fangen, als ich erneut getroffen werde. Ich versuche an Geschwindigkeit zu gewinnen, aber mein Verfolger ist schneller, die Spannweite seiner Flügel übertrifft meine um mehr als das Doppelte.
Zum Wald - zwischen den Baumkronen, da kann ich besser manövrieren als mein größerer Angreifer.
Aber er ist trotz seiner Größe nicht weniger wendig. Er zwingt mich nach unten wie ein Hütehund, der ein ausgerissenes Schaf zurück zur Herde drängt, mit Schnabel- und Krallenhieben, die nur drohen, nicht verletzten.
Das dies ebenso wenig ein Vogel ist wie ich selbst, ist mir klar.
Ich lande direkt im Garten des Wildhüters auf der frisch umgegrabenen, nach Kompost riechenden Erde. Ich kann ein aufbegehrendes Kreischen nicht zurückhalten, komme mir gedemütigt vor, zudem so hilflos wie ein Fisch, den man aufs Trockene geworfen hat.
Aus dem Fester der Hütte fällt eine breite goldene Lichtbahn direkt auf den großen rötlich-braunen Adler, der auf dem Zaun über mir thront.
Er stößt sich vom Pfosten ab, und innerhalb eines Lidschlags steht an seiner Stelle der Lehrer für Verwandlungen.
Ich verbleibe stur in meiner Gestalt.
„Beleidigen Sie nicht unser beider Intelligenz, Mr. Luoma", bemerkt er ruhig und mustert mich über den Rand seiner Brillengläser hinweg.
Ich wappne mich, nehme menschliche Form an. Er nickt knapp.
„Kommen Sie."
Ohne sich zu versichern, ob ich ihm wirklich folge, geht er zum Schloss zurück.
Nun gut. Ein Punkteabzug für mein Haus, dieses lächerliche System der Selbstkontrolle schert mich nicht. Und Strafarbeiten... Nun, es gibt nützliche, bei denen man sogar noch etwas lernen kann. Es gibt lästige, stupide Tätigkeiten, aber selbst die kann man nutzen, wenn man geschickt ist. Was habe ich schon zu befürchten? Das schlimmste wäre ein Schulverweis. Aber so dumm, den zu riskieren, bin ich nicht einmal in betrunkenem Zustand. Ich habe außer mir selbst niemanden in Gefahr gebracht, und so wäre diese Strafe wohl reichlich übertrieben.
In Dumbledores Büro angekommen, flammen die Lampen und Kerzendochte auf, ohne dass ich auch nur gesehen hätte, wie er seinen Zauberstab dazu bewegt hätte.
Dumbledore nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz.
„Setzten Sie sich", fordert er mich auf.
Ich tue wie mir befohlen, starre mit regloser Miene und unfokussiertem Blick in seine Richtung.
„Was soll ich nur mit Ihnen machen, Mr. Luoma? Ein Punkteabzug halte ich in Ihrem Falle für pädagogisch äußerst sinnlos. Ebenso, die Verantwortung einer disziplinären Maßnahme Ihrem Hauslehrer zu überlassen: Ich fürchte, Professor Slughorn wird Ihnen allenfalls für diese zugegebenermaßen bravouröse Veranschaulichung Ihrer Verwandlungsfähigkeit ein großes Lob aussprechen. Wie kommt es bloß, dass Ihre Leistungen in meinem Unterricht lediglich annehmbar sind?"
Die Stille zeigt, dass er eine Antwort verlangt und die Frage nicht bloß rhetorischer Natur war.
„Ich weiß es nicht, Sir", entgegne ich.
„Tatsächlich nicht?"
Ich kann seinen Tonfall nicht deuten und sehe ihn an. Als sich unsere Blicke treffen, durchzucken mich die gleichen widersprüchlichen Gefühle wie vorhin, als ich mich vom Turm gestürzt habe. Ich sehe rasch wieder fort.
„Damit Sie sich in Zukunft nicht wieder so leichtsinnig in Gefahr begeben, denke ich, werde ich außerhalb des Unterrichts Ihren Zauberstab konfiszieren lassen", bemerkt Dumbledore.
Mir ist, als würde ich in Eiswasser getaucht.
„Ab sofort", fügt er hinzu.
Ich balle meine Hände so fest zu Fäusten, dass meine Fingernägel in die Handballen schneiden. Nicht aufsehen. Nicht anmerken lassen, dass er den einzig möglichen Treffer gelandet hat. Ich atme tief ein. Dumbledore wartet schweigend. Nicht einmal denken, denn ich weiß, er ist gut in Legilimentik.
Ich ziehe meinen Zauberstab, lege ihn langsam auf seinen Schreibtisch. Schlucke die Frage herunter, wie lange diese Bestrafung andauern soll.
„Kann ich jetzt gehen,... Sir?", frage ich ihn kalt.
Dumbledore nickt knapp.
„Ja, Sie dürfen gehen, Mr. Luoma", sagt er sanft, „Gute Nacht."
Ich verlasse sein Büro, ohne zu antworten.
