Kapitel 1 Abschied
"Bitte geh nicht, bleib bei mir. Ich habe ein schlechtes Gefühl." Verzweifelt sah sie in die blauen Augen des jungen Elbs der vor ihr stand. Sie wollte ihn festhalten, wollte ihn hier halten, ihn nicht gehen lassen. "Celebnîn, ich muss gehen. Ich habe dir das doch erklärt, ich werde gebraucht. Es geht um Sauron, ich muss dorthin." "Aber, ich habe Angst, dass dir etwas passiert." Er lächelte und nahm sie in die Arme. "Nîn, ich bin unter den besten Kämpfern des Düsterwaldes, mir passiert nichts. Ich muss nach Minas Tirith." Sie wusste ja, dass sie keine Chance hatte, er würde sich nicht mehr von ihr umstimmen lassen, trotzdem musste sie es weiter versuchen. "Ich verstehe dich ja, aber du musst mich auch verstehen." Sie seufzte und blickte zu Boden. Es war vorbei, er hatte sich in den letzten zwei Wochen nicht umstimmen lassen, dann würde er es jetzt auch nicht mehr tun. "Pass auf dich auf." Er lächelte. "Das werde ich." Er küsste sie. "Ich liebe dich, Nîn." "Ich liebe dich auch, Valandil, bitte komm heil wieder." Er lächelte noch einmal und nickte, dann ging er, in seiner Elbenrüstung. Mit von ihren Tränen verschleierten Blick sah sie ihm noch lange nach. Ihre Gefühle hatten sie nur selten getäuscht, was wenn ihm etwas zustoßen würde? Was wenn er nicht wieder kommen würde? Sie wäre ganz alleine. Celebnîn wollte daran nicht mehr denken. Sie drehte sich um und ging.
Der Düsterwald lag zu der Zeit der Abwesenheit der Männer in einer gespenstischen Stille. Ging man auf den Markt so traf man kaum Leute, ging man in den Wald so kam es einem so vor als würden die Vögel alle verstummt sein. Die Gasthäuser waren leer und unterhielten sich Leute miteinander so taten sie dies im Flüsterton. Niemand wollte laut reden, niemand wollte feiern oder fröhlich sein. Alle hatten Angst um die Ehemänner, Väter, Brüder, Söhne oder Freunde. Alle wollten Nachricht von den Geschehnissen in Minas Tirith.
Celebnîn saß vor ihrem Fenster und blickte in den Nebel. Sie wartete und sie würde jeden Tag hier sitzen, bis Valandil wieder kam oder sie wenigstens eine Nachricht von ihm erhielt.
Der Wald kam ihr auf einmal so trostlos vor, dabei liebte sie ihn. Sie ging jeden Tag hinaus und erkundete ihn aufs neue, aber diese Tage wollte sie nicht hinaus. Sie wollte nur warten.
Zwei Wochen später kam ein Bote. Nicht viele Elben waren in den Krieg gezogen aber aus dem Düsterwald gingen doch viele, schließlich war ihr Prinz auch in Minas Tirith. Der Bote hatte nun die traurige Aufgabe die Namen der Toten vor zulesen. Die Nachricht des Sieges hatte sie schon vor einer Woche erreicht und es war ausgiebig gefeiert worden. Celebnîn hatte nicht mit gefeiert, sie hatte sich zu große Sorgen um Valandil gemacht, schließlich hatten sie vor gehabt in ein paar Monaten zu heiraten. Ihre Besorgnis war mit jedem Tag nur noch größer geworden. Und immer wenn die Leute über den Krieg oder die Rückkehr geredet hatten musste sie an Valandil denken. Auch die anderen Frauen waren besorgt um ihre Männer, aber sie redeten sich ständig ein, dass sie alle wieder heil nach Hause kommen würden. Celebnîn konnte nicht so sehr darauf vertrauen.
Sie und viele andere Frauen standen nun am Hauptplatz, vor dem Schloss. Einige Männer waren schon zurückgekehrt, aber die meisten feierten noch in Minas Tirith. Die Namen wurden nach dem Alphabet aufgerufen. Celebnîn sah wie einige der Frauen in Tränen ausbrachen und von Verwandten gestützt wurden. Sie selbst war alleine. Ihre Eltern waren schon vor drei Jahren zurück nach Bruchtal gegangen und die Eltern von Valandil waren schon nach Valinor gegangen. Sie und Valandil lebten im Haus von Valandils Eltern. Celebnîn hoffte, dass Valandils Name nicht aufgerufen wurde, ihr ganzes Herz hing daran. Sie hoffte so sehr, dass sie nicht zu den Frauen gehörte die von der Feier fern blieben und zu Hause weinten und trauerten. Die Namen die mit N begannen wurden verlesen. Celebnîns Puls begann schneller zu werden. Es schien so als wäre alles um sie herum verschwommen. Der Bote kam zu den Namen mit U am Anfang. Wenn nun gleich Valandils Name aufgerufen wurde? Wenn er nun doch unter den Toten war? Hätte er ihr nicht längst geschrieben, ginge es ihm gut? ´Reiß dich zusammen, er hat doch überhaupt keine Zeit gehabt zu schreiben. Vielleicht ist er schon längst auf den Weg hierher Die Stimme in ihrem Inneren hatte Recht. Er hatte keine Zeit zu schreiben, er musste helfen und die Verletzten betreuen, Elben waren als Heiler sehr gefragt und Valandil kannte sich mit den Heilkünsten aus. Es würde alles gut werden. Da kam der Bote zu den Namen mit dem Anfangsbuchstaben V. Celebnîn hielt den Atem an. "Denálor Vabelon, Enérol Vaéthor, Valandil Vanélor." Celebnîn stand da und konnte es nicht fassen. Sie konnte sich nicht bewegen. All ihre Kraft verließ sie und sie brach zu Boden.
Eine Woche später wurden einige Särge gebracht. Natürlich war das nicht üblich, aber Thranduil hatte das veranlasst um den Trauernden ihre Toten zurück zu bringen. Mit den Särgen kamen auch einige der Überlebenden zurück. Celebnîn stand mit vielen anderen vor dem Palast. Viele waren hier um die Toten zu empfangen und viele um die Lebenden zu begrüßen. Celebnîn trug ein langes, schwarzes Trauerkleid, das ihren Körper fast vollständig umhüllte und einen Schleier um ihre Tränen ein wenig zu verstecken. Sie hatte doch gewusst, dass etwas passieren würde, sie hatte Valandil doch gebeten nicht zu gehen, ohne ihn war sie alleine. Sie liebte ihn so sehr und jetzt war er fort, er würde nie mehr wieder kehren. Sie schluchzte leise und noch mehr Tränen liefen ihr über die Wangen. Nicht ein einziges Mal war sie seit der Nachricht seines Todes aus dem Haus gegangen. Nicht einmal hatte sie mit jemanden gesprochen, auch nicht mit dem Arzt der sie betreute. Sie konnte nicht sprechen, immer wenn sie den Mund öffnete war ihre Stimme fort, sie hatte nur ein leises Flüstern herausgebracht und auch das nur wenn niemand in der Nähe war.
Zuerst kamen die Heimkehrenden. Sie wurden freudig begrüßt und gingen mit ihren Verwandten und Freunden in den Palast um sich zu stärken und zu erzählen. Wie gerne hätte sie Valandil jetzt in die Arme genommen und wäre mit ihm zu den anderen Feiernden in den Palast gegangen. Aber sie blieb zurück mit den anderen die auf die Verstorbenen warteten. Auf 15 großen Wägen, gezogen von Pferden kamen die weißen Särge bei den Trauernden an.
Zwei Elben führten Celebnîn zu Valandils Sarg. Sie strich sanft über das glatte Holz. "Selbst einer der besten Kämpfer kehrt nun tot Heim." Auch diesmal war es nur Geflüster. Die zwei Elben nahmen den Sarg vom Wagen und trugen ihn hinter den Palast, wo die Gräber bereits ausgehoben waren. Sie ließen ihn in das Grab hinab und mit zitternden Händen nahm Celebnîn die Schaufel und warf die erste Erde auf den weißen Sarg. Sie warf ihm noch eine weiße Rose hinab und verschwand dann mit schnellen Schritten um nicht weinend zusammen zu brechen.
Legolas war der letzte Reiter. Er hatte sich Zeit gelassen um noch etwas nach zu denken. Als er vor dem Palast ankam wurde der letzte Sarg gerade fort getragen. Vor der Treppe zum Eingang stand eine Elbin, verhüllt in Schwarz, und sah zum Palast hinauf. Sie fiel ihm sofort auf, sie hatte etwas an sich, dass ihn dazu brachte seine Augen nicht mehr von ihr zu nehmen. Soetwas passierte ihm nicht oft. Legolas sprang von seinem Pferd und ging zu einem Elben, der gerade die Pferde von einem Wagen abspannte. "Sagt mir bitte, wisst Ihr wer dieses Mädchen ist?" Der Elb sah zu ihr hinüber. "Natürlich, mein Prinz, das ist Celebnîn. Sie musste gerade ihren Verlobten, Valadil zu Grabe tragen. Die Arme ist jetzt völlig alleine. Ich habe gehört, dass sie in den letzten Tagen nicht mehr außer Haus gegangen sei. Sie ist außerdem sehr dünn geworden, ich glaube sie isst nicht." "Danke." Legolas betrachtete sie eine Weile. Sie stand so hilflos und alleine auf der Treppe. Ihr Körper schien leicht zu zittern und es sah so aus als würde sie sich kaum noch auf den Beinen halten können. Sie brauchte wohl Zeit um wieder Kraft für den Heimweg zu gewinnen. Dann ging Celebnîn in Richtung Wald. Es begann leicht zu nieseln und als er hoch zum Himmel sah, sah er wie schwarze Gewitterwolken aufzogen. Er folgte ihr.
Celebnîn - Silberträne
