Titel: Selbst in dunkelster Nacht

Autor: Roeschen

Zusammenfassung: Während Lily gezwungen ist mit anzusehen, wie ihr Sohn unter der Obhut Voldemorts heranwächst, weichen Verzweiflung und Angst nie von ihr, doch die Liebe einer Mutter ist stark und Lily weiß, dass sie für ihr Kind alles tun würde…

Diese Geschichte ist eine Vorgeschichte zu „In der Dunkelheit" und eine Fortsetzung zu „Licht in der Dunkelheit". Diese Geschichten sollten zuerst gelesen werden, sonst könnten manche Dinge keinen Sinn machen.

Disclaimer: Harry Potter gehört mir zwar nicht, aber dafür meine Geschichte!


Kapitel 1

Behutsam halte ich das kleine Bündel in meinen Armen. Ich schaue auf das winzige Gesicht, streiche leicht wie eine Feder über seine rosige Wange, lausche seinen gleichmäßigen Atemzügen. Nichts hätte mich auf die überwältigende Liebe vorbereiten können, die ich für dieses hilflose, kleine Geschöpf empfinde. Seine Augenlider flattern, doch er schlägt seine Augen nicht auf.

Die Kälte, die mich die letzten Monate so unbarmherzig in ihrem Griff gehalten hat, schwindet langsam. Selbst die heißen Sommertage konnten das eisige Gefühl in mir nicht vertreiben. Doch jetzt kehrt die Wärme zu mir zurück, umgibt mich wie eine schützende Decke.

Seine Nase zuckt leicht und ich lächle, als ich ihn an mich drücke; ein Wunder, das ich immer noch nicht recht begreifen kann. Ich beuge mich langsam vor und streife seine Stirn mit einem Kuss. Solch ein Glück hat er mir bereits geschenkt und doch…

Ich reiße mich los von seinem Anblick und schaue hinüber zum Fenster. Auch wenn dort keine Eisengitter angebracht sind, kann ich nicht vergessen, wo ich bin, wo wir sind. Bevor Verzweiflung mich packen kann, wende ich mich wieder zu meinem Kind.

„Harry.", flüstere ich.

„Und ich werde dich Harry nennen."

Als die Erinnerungen mich bedrängen, bin ich hilflos. Mit einem Schauder versuche ich sie zu unterdrücken, aber es gelingt mir nicht. Seine kalte Stimme klingt mir immer noch im Ohr.

„Harry? Das ist kein Name für meinen Erben."

Und nach einer kurzen Weile des Überlegens, fügte er hinzu:

„Nein, sein Name wird Henry sein."

Zuerst hat er mein Kind nicht berührt, noch auf den Arm genommen. Stattdessen hat er Harry betrachtet, wie jemand eine Ware begutachten würde, um festzustellen, ob die Qualität gut genug ist um sie zu kaufen. Anscheinend war er mit dem Ergebnis zufrieden, denke ich zynisch und erinnere mich an sein kurzes Nicken.

Aber am nächsten Tag war er wiederkommen. Abermals durchlebe ich den Moment, in dem ich das Messer in seiner Hand erblickte. Geschwächt von der Geburt, war ich nicht fähig mich zu erheben, musste hilflos mit ansehen, wie er sich über die Wiege beugte. Und während mich Entsetzen lähmte, schnitt er mit der silbernen Klinge in einen kleinen Finger, sammelte die Blutstropfen in einer Phiole. Harrys Weinen ließ mich meine Angst vergessen.

„Was macht Ihr mit ihm?", schrie ich ihn an.

Er streifte mich mit einem Blick.

„Er ist mein Sohn. Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich ihm je ein Leid zufügen werde. Er ist mein Erbe und so werde ich dafür sorgen, dass er die Loyalität derjenigen besitzt, die ich auswähle ihm zu dienen", sagte er.

Und als er mein Baby betrachtete, schlich sich tiefe Zufriedenheit in seine Augen, ein leiser Triumpf.

Tränen wollen in meine Augen steigen, als ich mir für einen flüchtigen Moment ausmale, wie es hätte sein sollen. Und Voldemorts Gesicht wandelt sich zu James'. James hätte meine Hand gehalten, hätte mir Mut zugesprochen. Um wie Vieles leichter hätte ich die Geburt ertragen, mit ihm an meiner Seite? Zusammen hätten wir uns über unser Kind gefreut. James wäre überglücklich gewesen.

Er hätte Harry an sich gepresst, hätte meinen kleinen Schatz mit all der Liebe überschüttet, derer er fähig gewesen wäre. Seine dunkelbraunen Augen hätten gestrahlt und mir wortlos erzählt, wie sehr er uns liebt.

Die Sehnsucht meine Gedanken wären wahr und nicht ein verzweifelter Traum, ist so übermächtig, dass es mich beinahe auseinanderreißt. Tränen brennen in meinen Augen. Ein Schluchzen will sich mir entringen. Doch ich bleibe still. Ich will mein Baby nicht aufwecken. Und ich werde es auch nicht. Aber die Tränen fließen nun ungehindert über mein Gesicht. James, schreie ich lautlos. Oh, was würde ich nicht alles darum geben, wenn er jetzt hier bei uns wäre. Wenn ich seine starken Arme um mich spüren würde, wenn wir Zuhause wären.

Erschöpft sinke ich tiefer in die Kissen und schwöre mir, dass ich mir niemals mehr wünschen werde, dass die Dinge anders wären, niemals werde ich darüber nachdenken, wie es hätte sein sollen. Es hat keinen Sinn, ich weiß es.

Es würde mich zerstören. Mit einer Hand wische ich rigoros die Tränen fort. Blinzelnd starre ich in das Halbdunkel. Die Sonne ist bereits untergegangen. Bald wird die Nacht anbrechen und ich bete mit aller Macht, dass er diese Nacht nicht kommen wird. Gezwungen zu sein ihn in der Nähe von Harry zu dulden…

Ich umfasse Harrys winzige Faust, halte sie in meiner Hand. Und das Wissen, dass Voldemort in Harry seinen Sohn sieht, lässt mich bis ins Innerste frösteln und die eisige Kälte, die ich so hasse, droht mich abermals zu umfangen. Wieder denke ich an seine mysteriösen Worte. Ich wage nicht darüber nachzudenken, was er meinte und für welchen Zweck er Harrys Blut brauchte.

Ich küsse Harrys Nasenspitze, seine feinen schwarzen Haare. Ich weiß, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist. Und doch bleibt ein Zweifel zurück. Auch wenn es dafür längst zu spät ist. In jener Nacht, als mich die Verzweiflung überwältigte, hätte ich mich vielleicht töten können und so auch Harry, aber was auch immer die Zukunft bringen mag, ich weiß, dass nichts mich je dazu bewegen könnte meinem Sohn etwas anzutun, nicht nachdem ich mein Kind gesehen habe, es in meinen Armen gehalten habe.

Ich schaue in sein kleines Gesicht, fühle seinen Atem an meiner Wange, als ich ihm einen Kuss auf seine Stirn hauche.

Ich werde dich vor ihm beschützen; niemals werde ich zulassen, dass er dir schadet. Für dich werde ich alles ertragen.

Ich muss. Mir bleibt keine andere Wahl und ich weiß, dass keine Macht der Welt mich dazu bringen wird meinen stummen Schwur zu brechen. Wie ich auch die vergangenen Monate um Harrys Willen überstanden habe, werde ich auch die kommenden überstehen. Mich in Erinnerungen zu verlieren, wird weder mir noch Harry helfen.

Ich muss endlich begreifen, dass ich dieses Schloss nie wieder verlassen werde. Aber ungeachtet wie häufig ich es mir bereits gesagt habe, ein Teil von mir kämpft immer noch dagegen an es zu akzeptieren, klammert sich immer noch so verzweifelt an die Hoffnung, dass irgendwie ein Wunder geschehen wird und Harry und ich gerettet werden. Dass uns irgendjemand von dem Schloss des Todes fortbringen wird, fort von Voldemort.

Doch solch ein Denken ist sinnlos. Während ich mit Harry im Arm in die Dunkelheit starre, wird es mir zur Gewissheit.

Niemand wird uns retten. Noch gibt es einen Weg zu entkommen...