Ich habe diese Geschichte vor mehr als 8 Jahren begonnen und immer wieder versprochen, sie auch zu beenden. Das habe ich nun tatsächlich. Die ersten, bereits veröffentlichten Kapitel habe ich etwas überarbeitet, die Handlung ist dadurch aber nicht verändert worden. Ich habe nun vor, an jedem Mittwoch ein weiteres Kapitel zu veröffentlichen. Letztlich habe ich sie nur beendet, weil ich mir selbst etwas beweisen wollte. Die Geschichte ist deutlich länger geworden als ursprünglich beabsichtigt. Ich wünsche nun viel Spaß beim Lesen.


Kapitel 1

Der Schmerz war verschwunden.
Er war nicht abgeebbt, oder einfach nur vergessen, verdrängt - er war nicht mehr existent.
Severus Snape öffnete die Augen und blickte sich um. Es erschien ihm wie ein Traum und war gleichzeitig doch so real.
Die Sonne stand hoch am Himmel, das Gras war grün und saftig gewachsen, auf der großen Wiese von Hogwarts.
Ein leichter Wind fuhr durch seinen Umhang, ließ sein Haar um sein Gesicht wehen.
Unweit von ihm, auf einer Bank im Schatten einer Eiche, saß sie.
So schön, so jung wie sie es damals gewesen war. So wie er sie über all die Jahre in Erinnerung behalten, wie sie ihn in seinen Träumen heimgesucht hatte.
Zwei Stimmen stritten in seinem Inneren.
Sollte er zu ihr gehen oder sollte er besser davon laufen?
Er fühlte sich ihr nicht gewachsen, jegliche Existenz schien ihm unmöglich, wenn sie ihn mit Nichtbeachtung oder gar vernichtenden Worten strafen sollte.
So würde wohl seine ganz persönliche Hölle aussehen, ein Dasein gestraft und gemieden von seiner einzigen Liebe. Bis in alle Ewigkeit.
Er hatte sich so viele Jahre nach dem Tod gesehnt und jetzt, da er glaubte ihn erreicht zu haben, sah er sich noch immer den gleichen Problemen gegenüber.
Er würde ihnen nicht ausweichen können.
In diesen Minuten würde sich wohl entscheiden, wie das Urteil des höchsten Gerichts ausgefallen war, ob er Strafe oder Vergebung verdiente.
Es gab keine Flucht. Er würde sich seinem Schicksal stellen. Man konnte ihm vieles vorwerfen, doch ein Feigling war er nie gewesen.
Das Herz, das in der realen Welt schon längst seinen Dienst eingestellt hatte, schien unbarmherzig in seiner Brust zu schlagen, erinnerte ihn in jeder Sekunde an seine Furcht, an die Aufregung, die Erregung sich ihr gegenüber sehen zu müssen. Es zu können.
Je näher er ihr kam, umso mehr Details nahm er wahr.
Ihr Gesicht war die Jugend. Strahlend schön war sie, wie an dem Tag an dem er sie verloren hatte. Wie in all den Jahren, in denen er sie gekannt hatte.
Und er hatte sie von sich gestoßen, mit einem Wort, das sich nicht zurücknehmen ließ. Später hatte er sie verraten. Nicht beabsichtigt und doch war ihr Tod zu großen Teilen seine Schuld.
Ihre grünen Augen schauten auf zu ihm auf.
Er schien in ihnen zu versinken.

„Lily"

Ein Hauch, nicht mehr.
Doch sie hatte es verstanden.
Ein zartes, vergebendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Wie hatte er sich nach diesem Moment gesehnt, all die Jahre. Nach einem Lächeln, einer Geste, die ihm verriet, dass er nicht verdammt war, nicht gehasst von ihr.

„Lily."

Lauter nun, mit bebender Stimme.
Ihr Lächeln wurde breiter, strahlender.

„Ich habe dich erwartet, Severus."

Diese Stimme, in wie vielen Nächten hatte sie ihn verfolgt?
Beschimpft. Getröstet. Liebkost.
Als er sie erreicht hatte, sank er auf die Knie.
Tränen standen in seinen Augen um sich so gleich sich ihren Weg über sein Gesicht zu bahnen.
Ein Gesicht, was so viel älter war als das ihre.

„Verzeih mir."

Sie legte ihren Kopf ein wenig zur Seite, musterte ihn.
Ihre rechte Hand streckte sich ihm entgegen, berührte sanft sein Gesicht.

„Ach, Severus. Ich habe dir doch längst verziehen.
17 Jahre sind eine lange Zeit. Ich habe sie nicht annähernd gebraucht..."

Seine Arme umschlossen ihren zarten Körper.
Er bettete seinen Kopf auf ihrem Schoß, weinte unzählige Tränen, die er über Jahre immer wieder zurückgehalten hatte. Sie strich ihn mit den Händen sanft und beruhigend über den Rücken.
Es gab nur sie und ihn.
Irgendwann, er wusste nicht wieviel Zeit vergangen war, drangen ihre Worte schmerzhaft in sein Bewusstsein.

„Du musst nun wieder gehen, Severus."

Er hob seinen Kopf, schaute entsetzt in ihre Augen.

„Gehen? Wohin?"

„Zurück, deine Zeit ist noch nicht gekommen..."

Er schüttelte den Kopf.

„Nein... Ich habe meine Aufgabe erfüllt. Für mich gibt es nichts mehr. Mein Platz ist hier, bei dir..."

Ihr Kopfschütteln genügte, um ihn zu unterbrechen. Sie brauchte ihm nicht ins Wort zu fallen.

„Du irrst dich. Es gibt noch so viel für dich zu tun.
Nutze die Zeit, die dir auf Erden bleibt, um zu leben und deinen wirklichen Platz zu finden.
Du ahnst nicht, was du sonst verpassen würdest."

Er wich vor ihr zurück.

„Was, wenn ich mich weigere?"

„Es steht dir frei, das zu tun. Doch du würdest es bereuen.
Du hast dich nach Vergebung gesehnt. Nur allzu gern habe ich sie dir zuteilwerden lassen..."

Er unterbrach sie.

„Ich habe mich nach dir gesehnt. Ich liebe dich. Habe es immer getan."

Es war das erste Mal, dass er es ihr tatsächlich sagte.
Sie erhob sich.

„Das weiß ich. Und gerade deshalb solltest du zurückkehren.
James und ich sind verbunden in alle Ewigkeit. Du wirst mir immer nah sein, als ein Freund. Als der Mann, der meinen Sohn gerettet hat..."

Tiefe Trauer zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

„Ob ich heute mit dir gehe oder in 60 Jahren. Es wird immer das gleiche sein."

Sie nun unterbrach ihn.

„Urteile nicht vorschnell. Dein Platz ist nicht der an meiner Seite, er ist es nie gewesen.
Es gibt Menschen, die dich brauchen. Ich bitte dich."

Er sah sie zweifelnd an.

„Was soll ich tun?"

„Finde das Erbe Voldemorts und vernichte es. Alles Weitere wird sich finden."

Worte, die mehr Fragen als Antworten aufwarfen.
Doch sie ließ ihn nicht erneut sprechen. Die Sonne war untergegangen, die Dämmerung setzte ein. Lily schaute in den Himmel.

„Es ist so weit, entscheide dich."

Ihre Stimme war drängend. Severus betrachtete sie ehrfürchtig. Schweigend.
Sie senkte ihren Blick, schaute in seine Augen.

„Ich werde immer auf dich warten, Severus.
Ich werde hier sein, wenn du zurückkehrst."

Sagte sie beruhigend.
Wieder liefen ihm Tränen über das Gesicht.

„Wie soll ich ohne dich Leben können? Immer weiter? Du warst und bist die Einzige für mich."

Sie umarmte ihn sanft.

„Lebe, Severus.
Lebe wirklich und existiere nicht nur. Dann wird es dir sehr leicht fallen."

Verneinen konnte er nur noch, in dem er den Kopf schüttelte.
Lily seufzte.

„Doch.
Verzeih mir, Severus, ich muss es tun. Für dich und so viele andere Menschen."

Kaum waren diese Worte ausgesprochen, war sie verschwunden.
Seine Arme umfingen nichts als Leere.
Sie hatte ihm keine Möglichkeit gegeben sich von ihr zu verabschieden.
Unzählige Male rief er ihren Namen in die immer schwärzer werdende Nacht.
Irgendwann sank er auf den kalten Boden.
Irgendwann schlief er unter Tränen ein.