Draco saß in einer Ecke der Großen Halle, zusammen mit seiner Mutter, die immer noch leise weinte, aus Schock darüber, ihren einzigen Sohn fast verloren zu haben, während sein Vater einfach nur da saß und sich nicht bewegte.

Bitter dachte Draco, dass es seiner Mutter auch früh auffiel, dass Todesser sein kein Hobby war. Er wollte keiner sein, hatte es nie gewollt. Aber er hatte den Ansprüchen seines Vaters genügen wollen, hatte gehofft, auf diese Weise ein wenig Anerkennung zu ernten. Stattdessen hatte er jetzt jeden noch vorhandenen Rest Respekt vor seinem Vater verloren.

Während er seinen Blick über die Große Halle schweifen ließ, mit all den Verletzten, Verwundeten und den anderen Menschen, die entweder vor Trauer zusammenbrachen oder sich erleichtert umarmten, froh, den anderen lebendig zu sehen, dachte er an seine Kindheit und Jugend.

Als einziger Sohn und Erbe der Malfoys hatte sein Vater versucht, ihm seine Ideale einzutrichtern. Schon als kleines Kind hatte Draco gelernt, wie wichtig es war, keine Gefühle zu zeigen, immer korrekt, überlegt und kühl zu handeln und vor allem: immer auf Schlammblüter herabschauen. Schlammblüter waren wertlos, eine Gefahr für die Gesellschaft, hatte ihm Lucius Malfoy immer und immer wieder eingehämmert. Und Draco, der den Vater als Vorbild nahm, hielt sich daran.

Auch die ersten Schuljahre in Hogwarts konnten daran nichts ändern. Zur großen Freude der Eltern war er nach Slytherin gekommen, wo er sich bald zum Anführer aufschwang. Er meinte, dass dies an ihm selber liege; erst in seinem 2. Jahr, das so gut anfing, kamen ihm Zweifel.

Am Anfang des Jahres hatte sein Vater dafür gesorgt, dass er Sucher werden konnte. Das war ein Traum Dracos gewesen, vor lauter Glück achtete er nicht darauf, dass er nicht wegen seinem Können Sucher geworden war. Doch am Ende des Jahres, als er von den Abenteuern Potters, Grangers und der beiden Weasleys in der Kammer des Schreckens erfuhr, veränderte sich etwas. Er wusste, dass Potter versucht hatte die Schwester seines besten Freundes zu retten. Für seine beiden besten Freunde, Granger und Weasley schien es keine Frage gewesen zu sein, dass sie ihn da nicht alleine runtergehen ließen.

Und Draco begann sich zu fragen, ob das einer seiner angeblichen Freunde für ihn tun würde. Seine erschreckende Erkenntnis war: Nein. Nein, keiner von denen würde das für ihn tun.

Er, der geglaubt hatte, beliebt und geachtet zu sein, stand in Wirklichkeit alleine da. Nur die Furcht vor seinem Vater und auch die Angst vor seinen eigenen Wutausbrüchen hatte die anderen dazu gebracht, auf ihn zu hören und ihm eine solche Stellung einzuräumen.

Mit dieser Erkenntnis ging Draco in die Sommerferien. Er hatte sich fest vorgenommen, Quidditch zu üben, damit er wenigstens nicht mehr nur wegen dem Geld seines Vaters in der Mannschaft wäre, sondern weil er etwas konnte.

Doch Lucius hatte andere Pläne. Am ersten Tag der Ferien rief er Draco zu sich und erklärte ihm, dass er in diesen Ferien ein paar Zweige der Dunklen Künste kennen lernen würde, da er nun alt genug sei. Lucius erklärte dem verängstigten Jungen, dass dies eine Ehre sei. Er würde nun die Macht kennen lernen, die der Dunkle Lord persönlich so hoch geschätzt hatte.

Draco versuchte, ihm von seinen Trainingsplänen zu erzählen, doch Lucius rastete völlig aus. Er schrie zwar nicht, das war eines Malfoy nicht würdig, aber er verbot Draco ausdrücklich, sich etwas anderem zu widmen als dem Übungsplan, den er, sein Vater, für ihn ausgearbeitet hatte.

Es war das erste Mal, dass Draco zu widersprechen wagte. Es war auch das erste Mal, dass Lucius den Cruciatus-Fluch auf seinen Sohn anwandte.

Als Draco am Abend heulend auf seinem Bett lag, kam seine Mutter herein. Doch anstatt ihn in den Arm zu nehmen und zu trösten, erklärte sie ihm, wie traurig er Lucius durch seine Ablehnung gemacht habe. Lucius wolle doch nur das Beste für ihn, wolle ihm beibringen, wie er in einer Welt voller Gefahren überleben und vielleicht sogar die Welt ein wenig verbessern konnte.

Doch in Draco war etwas zerbrochen. Er beugte sich dem elterlichen Entschluss und verschloss seine Pläne und Zweifel tief in seinem Herzen.

Lucius brachte ihm vieles bei in den Ferien. Auch mit Okklumentik wurde begonnen, genauso wie Draco die ersten Unverzeihlichen Flüche an den Hauselfen ausprobieren musste.

Als Draco wieder nach Hogwarts zurückkehrte, hatte er sich verändert, doch nicht so, wie er sich das erhofft hatte. Seine Hauskameraden spürten die Veränderung und hielten sich von ihm fern; nur einer, der spürte, dass Draco ganz tief innen drin unendlich verletzt war, versuchte sich ihm zu nähern.

Sein Name war Blaise Zabini.

Blaise Zabini schaffte etwas, das bisher niemand auch nur gewollt hatte. Draco bekam Vertrauen zu ihm, freundete sich sogar mit ihm an. Weil Blaise ihm zuredete, nahm er seine Trainingspläne für die Quidditchmannschaft wieder auf. Weil Blaise ihn unterstützte, trauten sich auch die anderen aus seinem Jahrgang wieder in Dracos Nähe.

Langsam, aber sicher wurde Draco beliebt – nicht wegen seinem Vater, sondern wegen sich selber. Immer noch glaubte er an das, was ihm Lucius von Kindesbeinen an eingehämmert hatte. Schlammblüter waren eine Gefahr für die Zaubererwelt, Muggel waren wertlos und dumm.

Aber er hatte etwas erkannt, das ihm sein Vater nicht beigebracht hatte: dass ihm Freunde wichtig waren.

Über die Ferien musste Draco von nun an jedes Mal nach Hause, um weiterzulernen. Er lernte brav, gehorsam, auch wenn er ganz tief in sich drin immer noch zweifelte, ob sein Vater das Richtige tat. Aber er war sein Vater, das einzige Vorbild, das er sein Leben lang gekannt hatte und er brauchte so dringend etwas, das beständig blieb in dieser Welt, etwas, an dem er sich festklammern konnte.

Nur noch zweimal traute er sich zu wiedersprechen.

Einmal, als sein Vater ihn zwingen wollte, einen älteren Muggel zu foltern und dann zu töten, zu Übungszwecken.

Das andere Mal, als Lucius ihm erklärte, dass der Dunkle Lord wieder auferstanden sei und ihn sehen wolle.

Beide Male wurde er daraufhin bestraft. Beide Male konnte sein Vater sich durchsetzen und Draco zog sich immer mehr in sich zurück.

Beim ersten Mal schaffte Blaise es noch einmal, Zugang zu ihm zu finden. Schon lange wusste er über Lucius' Erziehungsmethoden und Ideale Bescheid.

Doch beim zweiten Mal war Draco zu stark verletzt.

Das Treffen mit dem Dunklen Lord war aus Lucius' Sicht vielversprechend verlaufen; aus Dracos Sicht einfach nur schrecklich.

Der Dunkle Lord machte seinem Ruf alle Ehre. Erst durchwühlte er unsanft Dracos Gedanken, fand jedoch nur die, die ihm gefielen. Die Zweifel und Ängste die Draco seit den Sommerferien von vor zwei Jahren so tief in sich verschlossen hatte, waren für ihn unerreichbar.

Doch obwohl der Dunkle Lord zufrieden mit dem Ergebnis war, wandte er den Cruciatus-Fluch auf Draco an. Um ihn zu lehren, was es hieß, dem Dunklen Lord zu dienen.

Als Draco endlich entlassen wurde, war er den Tränen nahe, trotz der strengen Erziehung seines Vaters. Er schaffte es gerade noch, nach Malfoy Manor zu apparieren, dann brach er zusammen.

Seine Eltern fanden ihn nicht, suchten ihn vermutlich auch nicht, waren damit beschäftigt, sich über das so erfolgreiche Treffen zu freuen. Der Dunkle Lord hatte, während er Lucius einen sehr wichtigen Auftrag erteilte, durchblicken lassen, dass Draco einen vielversprechenden Todesser abgeben würde, wenn er alt genug sei. Lucius hätte sich bei der Erziehung richtig verhalten.

So ging es dann weiter. Draco zog sich nur noch in sich zurück, trug eine Maske, die er so gut wie nie ablegte. Nur wenn er mit Blaise alleine war, konnte es manchmal vorkommen, dass er sich traute, die Maske für einen Moment fallen zu lassen und über seine wahren Gefühle und Ängste zu reden.

Doch solche Momente waren selten. Selbst Blaise, der als einziger wusste, wie er mit Draco umgehen musste, drang kaum noch zu ihm durch.

Dann ging in Dracos 5. Schuljahr der Auftrag von Lucius durch dessen Schuld schief und er kam nach Azkaban. Der Dunkle Lord zürnte. In seiner Wut befahl er Draco zu sich, er sollte den Platz des Vaters einnehmen. Draco verzweifelte, war zerrissen zwischen dem Wunsch, zu Dumbledore zu gehen, ihm alles zu gestehen und ihn um Hilfe zu bitten, und dem Traum, der Vater fände vielleicht doch noch ein bisschen Anerkennung für ihn, wenn er diesen Auftrag erfüllen könnte.

Also versuchte er es, verzweifelte im Lauf des Jahres immer mehr, war unglücklich und hilflos. Noch nicht einmal Blaise konnte ihm jetzt helfen.

Am Ende seines 6. Schuljahres schaffte er es, holte die Todesser nach Hogwarts, entwaffnete Dumbledore und floh mit den Todessern von der Schule.

Er hatte nichts mehr von Blaise gehört und machte sich furchtbare Sorgen um den Freund. Nur anmerken lassen durfte er sich nichts, war er doch jetzt die gesamte Zeit von Todessern umgeben.

Nur schwer ertrug er die Grausamkeit, die ihn täglich umgab. Er wollte das nicht, hatte es tief in sich drin schon immer gewusst und nie auszusprechen, noch nicht einmal zu denken gewagt. Und jetzt, da es ihm bewusst wurde, war es zu spät.

Als Potter und seine Freunde gefangen genommen wurden, verzweifelte er endgültig. Waren sie doch seine letzte Chance, hier je wieder lebend rauszukommen. Er log, behauptete er erkenne sie nicht.

Und freute sich, als sie fliehen konnten. Es tat ihm jedoch weh, dass er Granger nicht helfen konnte. Dass sie ein Schlammblut war, störte ihn nicht mehr. Er hatte sie lange genug beobachten können, um zu wissen, dass sie eine brillante Hexe und eine treue Freundin war. Er konnte sie nicht mehr verachten, aber beschützen konnte er sie auch nicht.

Er stumpfte immer weiter ab, gehorchte blind und ohne nachzufragen, führte jeden Befehl aus, egal wie grausam er war.

Er wachte erst in Hogwarts wieder auf, im Raum der Wünsche. Dass Potter ihn rettete, rüttelte etwas in ihm wach. Um Crabbe trauert er nicht, war er doch nie ein Freund, sondern immer nur eine Art Leibwächter gewesen.

Und jetzt saß er in der Großen Halle in Hogwarts und konnte immer noch nicht fassen, dass der Dunkle Lord tot war, dass er frei war. Er wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte, aber er war zum ersten Mal in seinem Leben richtig glücklich.

Doch in ihm drin fragte eine leise Stimme nach Blaise und ganz automatisch suchten seine Augen die Große Halle nach dem Freund ab.