Autor's Note: Ein altes Thema, noch einmal aufgegriffen. Ich denke, die Geschichte ist vor allem etwas für d'Artagnan Fans, alle anderen könnten sie für etwas rührselig und sehr subjektiv halten (was sie zugegeben auch ist). Trotzdem hoffe ich natürlich, dass sie jedem Leser gefällt! Das erste Kapitel ist einer älteren Kurzgeschichte von mir nicht unähnlich. Aber danach geht es in eine ganz neue Richtung weiter. Viel Spaß beim Lesen – und ein kleines Review? (Lieb guck)
Eine wunderbare Feindschaft
Der schlimmste Abschied ist einer, der nie zustande kam
(Ernst Ramhofer)
Gegen 6 Uhr am Abend eines gewöhnlichen Mittwochs im Oktober breitete sich im Hauptquartier der Musketiere allmählich Feierabendstimmung aus. Die letzten Soldaten des Nachmittagdienstes kehrten zur Berichterstattung zurück, verabschiedeten sich auf den nächsten Morgen von ihren Kameraden und gingen nach Hause. So klang der übliche Trubel im Hôtel de Tréville nach und nach ab, bis schließlich nur noch die letzten diensthabenden Musketiere anzutreffen waren, die sich ihre Befehle für die nächste Wache holten und dann ebenfalls gingen. Nach einem anstrengendem Tag waren alle froh, es bald geschafft zu haben und dann die Beine hochlegen zu können.
Ähnlich empfand wohl auch der Hauptmann der Kompanie, der jetzt den letzten Bericht im Arbeitszimmer von seinem Leutnant überreicht bekam. Ungelesen legte Tréville das Papier zu den übrigen auf dem Schreibtisch und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück. „Es werden nicht weniger", schüttelte er mit einem Blick auf den Stapel leicht den Kopf und schien für einen Moment ernsthaft zu überlegen, ob es auffallen würde, wenn er trotz des lauen Abends das Feuer im Kamin entfachte. Genug Zündmaterial wäre immerhin vorhanden...
„Sehen wir es als gutes Zeichen", erwiderte sein Leutnant mit eindeutig gespieltem Enthusiasmus. „Alle wachhabenden Musketiere gehen ihren Pflichten gewissenhaft nach und dokumentieren das auch... erschöpfend."
„Ein gutes Zeichen, ja. Nun, dann werden wir wohl ihrem Beispiel folgen müssen und ebenfalls gewissenhaft alles durcharbeiten, d'Artagnan." gab Tréville mit nur wenig Humor in der Stimme zurück.
„Ja, mon capitaine", nickte d'Artagnan und zog sich ohne weitere Aufforderung einen Stuhl heran. Geteilter Stapel war halber Stapel und einander am Schreibtisch gegenübersitzend gingen die beiden Offiziere konzentriert ans Werk. Es war genug Platz an dem wuchtigen Tisch, dass man auf diese Weise zu zweit an ihm arbeiten und sich zur Not auch gegenseitig zum Weitermachen motivieren konnte, ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen.
Nach einigen Minuten hob Tréville den Blick und musste feststellen, dass sein Leutnant schon fertig mit seinem Teil der Berichte war, während er selbst nach dem vierten oder fünften Blatt schon gerne wieder den Federkiel beiseite gelegt hätte. „Ihr kommt heute gut zurecht mit diesen lästigen Papieren", stellte er fest und d'Artagnan blickte fast schuldbewusst drein.
„Ich werde noch den Dienstplan überarbeiten", murmelte der Leutnant im entschuldigenden Tonfall und griff nach der entsprechenden Liste. Tréville wunderte sich nicht wenig über diesen plötzlichen Eifer bei der Schreibarbeit. Normalerweise war es d'Artagnan, der einfach nicht fertig werden wollte sobald es an das Durchsehen der Berichte ging. Dass es dem Leutnant heute so rasch von der Hand ging, hieß nicht unbedingt, dass es ihm leichter als sonst gefallen wäre. Es bedeutete eher, dass es etwas geben musste womit sich der junge Mann noch viel weniger beschäftigen wollte. Er schien seine Gedanken ganz auf die Arbeit zu lenken, damit sie nicht abschweiften und eigene Wege gingen.
Tréville ließ es zunächst dabei bewenden und wandte sich wieder dem eigenen Stapel zu. Er würde noch einige Minuten benötigen, bis er auch das letzte Blatt mit seiner Unterschrift versehen hatte. Nur einmal warf er einen unauffälligen Blick auf die Papiere, die d'Artagnan eben gelesen und unterschrieben hatte. Die Schrift des Leutnants war nicht nur leserlich, sie war beinahe wie gemalt, als ob d'Artagnan seine ganze Konzentration auf die sorgfältig gezeichnete Buchstaben gelenkt hätte.
Es ging den Hauptmann im Grunde nichts an, von was sich sein Untergebener so sehr ablenken wollte, dass er sich richtig Mühe beim Schreiben gab. Aber zugegeben, ungewöhnlich war dieses Verhalten schon. Auch, dass d'Artagnan sich zunächst auf den Dienstplan stürzte und nun doch davor saß, als könne er die Namen nicht mehr lesen oder wisse nicht, was die Einteilung zu bedeuten habe. Denn genau so starrte der Leutnant auf das vor ihm liegende Papier. Eigentlich war es die Wachliste, die immer die wenigsten Probleme bereitete, denn sie musste nur verändert werden, wenn ein Musketier ausfiel.
„Also?" räusperte sich Tréville vernehmlich und legte den Federkiel nun doch beiseite, um sich statt um die Berichte um seinen Leutnant zu kümmern.
Mit einem beinahe ertappten Gesichtsausdruck schreckte d'Artagnan hoch. Seine Gedanken hatten ihn wohl doch eingeholt. „Hm?"
„Was beschäftigt Euch?"
„Oh... nichts." wich der Leutnant der Frage aus und sah demonstrativ wieder auf die Liste. D'Artagnan war an diesem Abend gegenüber seinem Hauptmann wohl nicht sehr gesprächig. Auch wieder so eine kleine Merkwürdigkeit, die Tréville allerdings erst jetzt auffiel. Denn wenn er an die letzten Wochen zurückdachte, war heute eigentlich nichts anders als schon seit einiger Zeit. Nun, es gab auch nicht viel über das es sich hätte plaudern lassen. In der Stadt und am Hof ging alles seinen gewohnten Gang und die Intrigen geschahen jetzt weiter hinter den Kulissen.
„Nichts, so, so..." wiederholte Tréville und wechselte dann unvermittelt das Thema: „Seid Ihr fertig mit der Wachliste?"
„Ich denke schon, aber-" brach d'Artagnan ab und hob nur die Schultern, als würde das alles erklären.
„Gibt es ein Problem?"
„Kein beunruhigendes, es gibt nur einen kleinen Engpass im Mittagswechsel. Es fehlt ein Mann, sodass sich die Zeiten für die übrigen Musketiere jetzt um eine halbe Stunde verlängern."
Tréville runzelte bei dieser Erklärung ein wenig die Stirn. „Das dürfte nicht sein. Habt Ihr niemanden aus der Abendwache abgezogen?"
„Das hielt ich nicht für nötig. Die Einteilung funktioniert an sich reibungslos und wird die Zeiten wieder ausgleichen, sobald der fehlende Musketier ersetzt ist." wehrte d'Artagnan diese Frage rasch ab. Etwas zu rasch, fand der Hauptmann. Er schwieg einen Moment und allmählich ahnte er, was seinen Leutnant seit Wochen beschäftigte. Genau genommen seit dem Moment, als ein formeller Brief mit einem Abschiedsgesuch das Hauptquartier erreicht hatte. „Welcher Posten ist unbesetzt?"
„...Athos'."
Tatsächlich, wie Tréville es sich gedacht hatte. Sie waren alle sehr überrascht gewesen, dass Athos - ohne weitere Begründung - seinen Dienst quittiert hatte und von seiner letzten Mission nicht wiederkehrt war. „Nun, Athos hat tatsächlich eine Lücke hinterlassen."
„Sie lässt sich ausgleichen, mon capitaine" beharrte d'Artagnan entschlossen, ohne auf den freundlichen Tonfall seines Gegenübers weiter einzugehen.
„Ja, es scheint so." erwiderte jetzt auch Tréville merklich kühler. Es gab dazu nichts mehr zu sagen. „Hängt die Liste aus und macht dann Dienstschluss, Leutnant."
D'Artagnan nickte und erhob sich.
„Und, d'Artagnan," hielt der Hauptmann seinen Untergebenen an der Tür noch einmal auf, „teilt ab morgen jemanden aus der Spätwache für den unbesetzten Posten ein."
