Kapitel 1

Der erste Tag von dem Rest des Lebens

Der Morgen war klar und kalt. Trotz des Feuers im Kamin war es auch im Zimmer kalt, hauptsächlich deswegen, weil ich gestern Abend das Fenster nicht geschlossen hatte, als ich mich viel zu spät ins Haus schlich. Ich musste zwar aufstehen, doch ich verkroch mich unter die Decke und genoss die letzten Reste meines Traumes. Dieser Traum war wirklich schön! Ich träumte davon, dass ich die Schule als Klassenbester abgeschlossen hatte und dass Zimona Rotshield mit mir zum Abschlussball gehen würde.

„Aufwachen, Master James", die Stimme des alten Butlers vertrieb den schönen Traum endgültig. Ich stöhnte leise auf.

„Haben Sie vor sich zu erkälten?", erkündigte sich Karl neugierig. „Hier ist ja kälter als draußen."

Geblendet vor dem hellen Morgenlicht verzog ich das Gesicht, als ich unter der Decke auftauchte. Es war tatsächlich sehr kalt. Karl, war bereits dabei meine Kleidung aus einem großen Kleiderschrank herauszusuchen, das Fenster zu schließen wagte er nicht.

„Bei Merlins Bart, Karl", murmelte ich und tastete verschlafen nach dem Zauberstab, „Sie können doch nicht meinen ich habe es mit Absicht gemacht?!" Ohne hinzusehen schloss ich das Fenster und entfachte das Feuer in dem Kamin, die Wärme breitete sich schnell in dem großen Zimmer aus.

„Sagen Sie meinen Eltern bloß nichts, sie werden sich wieder maßlos aufregen, weil ich gestern wieder so lange unterwegs war." Der alte Butler lächelte verschwörerisch.

„Würde mir nicht im Traum einfallen, Master!", versicherte er.

Als ich einige Minuten später aus dem Badezimmer kam, war das Bett bereits gemacht und die Kleidung lag ordentlich gefaltet am Fußende. Wie so oft wunderte ich mich, wie gut Karl meine Wunschkleidung erraten konnte, ohne dass ich irgendwelche Wünsche äußerte oder Anweisungen gab.

„Sagen Sie mal Karl, sind Sie sich ganz sicher keine Hellseher in ihrer Familie zuhaben?", fragte ich scherzhaft.

„Ja, Master James, ich bin dessen sehr sicher", antwortete der alte Mann. „Wäre es anders, dann wäre ich nicht hier, um…", er verstummte und James bereute die Frage sofort. Einige Augenblicke herrschte zwischen uns betretenes Schweigen.

„Tut mir leid, Karl, ich wollte Sie nicht kränken."

Ich muss mich entschuldigen", bestand der alte Mann, er stellte sich neben mir, während ich verlegen an meiner Kleidung zupfte.

„Ich weiß, dass wir es hier sehr gut haben, Master. Ich lebe lange genug, um zu wissen, dass Sie und Ihre Eltern, Gott möge euch beschützen, uns Muggel sehr gut behandelt. Ich bin unendlich glücklich hier zu sein und in diesem Haus leben zu dürfen, aber manchmal regt sich etwas in mir…" Ich berührte die Hand meines Butlers. Dieser Mann begleitete mich schon mein ganzes Leben lang. Er war seit der Stunde meiner Geburt an meiner Seite. Ich vergaß all zu oft, dass wir im Grunde zwei völlig unterschiedlichen Welten angehörten.

„Ist schon gut… ich weis, was Sie meinen", murmelte ich leise. „Und glauben Sie mir, ich bin auch sehr froh, dass Sie hier sind." Mit einem milden Lächeln richtet Karl die letzten Kleinigkeiten an meiner Kleidung, während ich mich selbst im Spiegel betrachtete.

„Wie geling es ihnen immer das Richtige herauszusuchen?", fragte ich. „Genau das wollte ich heute anziehen, woher haben Sie es gewusst?"

„Ich kenne Sie seit siebzehn Jahren, Master James", erwiderte der Butler. „Ich kenne Sie, vielleicht noch besser als Ihr Euch selber kennt." Ich seufzte. Dem war vermutlich tatsächlich so.

„Also! Ich denke ich bin soweit. Heute ist der erste Tag von dem Rest meines Lebens!"

Als ich im Salon ankam, war meine Familie bereits voll versammelt. Vater hob den Kopf von dem Propheten und lächelte mich an.

„Na? Gut geschlafen?" Etwas in seiner Stimme verriet mir, dass er ganz genau wusste, dass meine Nacht kurz und kalt war.

„Morgen, alle zusammen", grüßte ich, um einer Antwort zu entgehen.

Holly, meine ältere Schwester murmelte etwas vor sich hin und winkte mir zu, während sie konzentriert die Feder anstarrte, die etwas sehr schnell notierte. Mutter tauchte neben mir auf und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

„Guten Morgen, mein Sonnenschein", flüsterte sie kaum hörbar und ich wurde sofort rot, auch wenn er sich sicher war, dass weder Holly, noch sein Vater etwas gehört haben.

„Mom, bitte…." Schließlich war ich keine sechs mehr.

„Ja, ja, ich weis schon, keine Kosenamen." Sie schubste mich zum dem runden Holztisch.

„Los, du muss frühstücken! Du wirst während der Prüfungen kaum Zeit haben richtig zu essen."

„Dauern sie wirklich so lange?", fragte ich zaghaft. Holly hob den Kopf und nickte lebhaft.

„Meine Prüfungen liefen sechs Stunden am Stück und dass nur deswegen, weil ich Alte Runen und Arithmetik vorher abgelegt habe." Am liebsten hätte ich aufgeheult. Ich war nicht einmal halb so gut, wie Holly, also gab es für mich keine Möglichkeit wenigsten ein Fach vorzeitig anzulegen. Ich brauchte alle Zeit, die ich kriegen konnte. Deswegen war ich die halbe Nacht in der Luft und habe das Fliegen geübt.

„Das werde ich nie im Leben schaffen", maulte ich. „Wie bitte schön soll ich all das hinkriegen?" Allein die Vorstellung all der Aufgaben, die auf mich kommen würden, war erschlagend.

„Das wirst du, mein Junge", ermunterte mich Vater, der die Zeitung weggelegt hatte. Er erhob sich und ging ebenfalls zum Tisch herüber, während mein Blick an der Zeitung hängen blieb. Auf der Titelseite war das Bild des Großen Lords angebracht und darunter die Unterschrift:
„Neue Richtlinien in Umgang mit nicht magischen und halb menschlichen Geschöpfen in Planung." Und etwas weiter drunter war eine bunte Anzeige des Ministeriums:

„Eine einzigartige Chance für Absolventen der Magieoberschulen! Eine Aufgabe an den Grenzen fordert Ihr Können!" Ich fragte mich, was es für Aufgaben sind, für die das Können junger, halb ausgebildeter Magier gebraucht wird.

„Ja, das schaffst du schon", meinte auch Holly. „Du bist sehr gut, mach dir keine Sorgen."

Auch wenn ich keinen besonderen Appetit hatte, aß ich fleißig alles auf, was meine Mutter mir auftischte. Frühstück machte meine Mutter für gewöhnlich selbst, ohne Köchin oder andere Bedienstete. Als ich beinah fertig war, klingelte es an der Tür und einen Augenblick später tauchte in der Küche ein weißblonder Junge auf. Er lief zu mir herüber und klopfte mir auf die Schulter.

„Hey, Kumpel, wie geht es dir?"

„Elend!", gestand ich. Der elende Verräter lachte.

„So soll es auch sein, sagt mein Vater zumindest. Damit du wirklich alles geben musst, um zu bestehen." Evan war so übertrieben fröhlich, dass ich ihm am liebsten erwürgt hätte. Doch dann würde ich keinen besten Freund mehr habe und das war eine betrübliche Aussicht.

„Hey du!", rief er grob als Jun, ein Dienstmädchen an uns vorbeiging. „Schaff mir sofort etwas zu trinken her!", befahl er barsch. Wie immer, wenn er mit Muggeln sprach, wurde der sonst so nette und zuvorkommende Evan gehässig und grob. Diese Wechsel irritierte mich noch immer, auch wenn ich Evan McBlur schon über acht Jahren kannte. Das arme Mädchen zuckte unter dem kalten Blick zusammen und huschte aus dem Zimmer, um nur einen Augenblick später mit einem vollen glas Butterbier zurück zu kommen.

Wortlos reichte sie Evan das Getränk, der es annahm ohne das Mädchen auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich erhaschte plötzlich ein Blick auf Holly, die mit brennendem Blick Evans Rücken anstarrte. Sie hasste es, wenn jemand in ihrer Nähe solche Umgangsformen an den Tag legte.

„Warum ihr die frei laufen lässt ist mir immer noch ein Rätsel", meinte Evan, als er zusah, wie Jun das leere Tablett weg trug. „Was für ein Zauber verwendet ihr, dass die euch nicht davonlaufen?", fragte er und ich war sich sicher, dass Holly gleich in die Luft gehen würde, doch stattdessen sprang sie auf und wedelte vor Evans Nase mit einem Stapel Blätter.

„Familiengeheimnis", verkündete sie und in Evans Augen flammte Raffgier auf, als sein Blick den Blättern folgte. „Alles eigens von mir ausgearbeitet!", prahlte sie. Dass Holly eine begnadete Spruchschreiberin war, wusste jeder. Ihre Sprüche waren buchstäblich pures Gold wert und seit sie die Prüfungen abgelegt hatte, waren ihre Auftragsbücher voll. Unwillkürlich versuchte Evan nach dem Blättern zu greifen, was Holly und mich zum lachen brachte.

„Hast du genug Gold um meine Arbeit zu bezahlen?", fragte sie belustigt. „Und überhaupt, solltet ihr zwei Nasen nicht lägst unterwegs sein?"

Das mussten wir allerdings. Wenn wir noch mehr trödelten, würden wir keine Zeit mehr haben uns umzuziehen. Ich schnappte mir meine Jacke und die Dose mit dem Flohpulver und wir eilten zum Kamin. Evans Laune besserte sich schnell wieder und wir beide vergaßen Holly und ihre Angeberei. Ich wusste nicht warum meine Schwester dieses Theater veranstaltete, denn zufällig wusste ich, dass keiner unserer Diener mit irgendwelchen Zaubern belegt war, aber ich hatte nicht vor Evan vom Gegenteil zu überzeugen.

In wenigen Augenblicken kamen wir in der Großen Halle der Slytherin Magieoberschule heraus. Vor dem Kamin wartete ein ganz junges Mädchen auf uns. Sie trug ein schlichtes grüngraues Kleid und einfache Lederschuhe. Wie alle Muggelbediensteten in der Schule, trug sie ihr Haar ganz kurz und wagte es nicht uns auch nur anzusehen. Sie reichte uns jeweils ein zusammengefaltetes Blatt Papier, auf dem einige kurze Anweisungen standen. Während wir die Zettel studierten, begann das Mädchen den Schmutz und den Russ neben dem Kamin aufzuräumen.

„Ich muss zuerst zur praktischen Magie", beschwerte sich Evan. „Ich kann diese Warengton nicht leiden, sie ist zu alt und zu dämlich! Warum darf sie eigentlich noch unterrichten?"
Ich antwortete nicht, denn Evan beschwerte sich eigentlich über alle Lehrer. Keiner von ihnen konnte sich damit rühmen, Evans Lieblingslehrer zu sein.

„Ich habe zuerst Sport", ich seufzte erleichtert auf. Ich konnte diese Prüfung ablegen, bevor ich müde und womöglich verletzt wurde.

„Du Glückspilz!", meinte Evan sehnsüchtig.

„Jep! Das bin ich", grinste ich und lief sofort zu dem anderen Ende des Raumes. Von dort aus winkte ich Evan noch mal zu und verschwand hinter der großen Holztür. Der Hof war voller Schüler, die meisten gehörten, wie Evan und ich zu der Abschlussklasse und nutzten jede freie Minute, um zu üben. Ich lief quer durch den Hof, winkte einigen Freunden zu und wir wünschten uns lautstark alles Gute. Fünf weitere Schüler, waren zusammen mit mir zu der Sportprüfung angetreten, so, dass ich nicht lange nach meinem Namen auf der Umkleideräumen suchen musste. Aus dem gegebenen Anlass, bekam jeder von uns eine kleine Kabine, auf diese Weise konnten wir uns in aller Ruhe umziehen und etwas aufwärmen. In der Umkleide erwartete mich ein weiterer Diener, ein älterer Junge, der mir die Wechselkleidung aushändigte. Mit vollendeter Höflichkeit, ohne mich jedoch anzusehen, fragte er, ob ich eine Erfrischung wünschte. Ich schüttelte den Kopf und begann mich umzuziehen. Der Junge, der kaum älter war, als ich half mir dabei, die Verschlüsse an Schultern und Rücken anzupassen. Mir war wie immer unwohl, bei dem Anblick der Schuldiener, die allesamt waren sie Muggel. Natürlich gab es die Muggeldiener fast überall, doch hier in der Schule wirkten sie irgendwie… gebrochen. Niemand schien Notiz von ihnen zu nehmen. Die meisten Lehrer und besonders die Schüler achteten auf sie nicht viel mehr als auf Möbelstücke. Die Dienerschaft gehörte für sie zu der Einrichtung. Ich konnte es nicht ertragen von einem Möbelstück angezogen zu werden.

„Weist du wer die Prüfungen abnimmt?", fragte ich den Jungen und der sah sich um. Offenbar ist es ihm nicht in den Sinn gekommen, dass ich meine Frag an ihn richten konnte.

„Na, ich meine dich", sagte ich bestimmt. „Weist du wer die Prüfungen abnimmt?"
Der Junge wurde blass, noch nie wurde von einem der Schüler angesprochen und er wusste nicht Recht was er machen sollte. Zwar war es verboten mit den Schülern zu reden, aber auf direkte Fragen musste man doch antworten?

„Du heißt Oliver, richtig?" Der Junge nickte.

„Du bist doch seit Jahren hier, oder? Seit wir in der ersten waren." Wieder nickte der Junge.

„Sie.. sie s-s-sind James Weasley", stotterte der er.

„Richtig. Und weist du nun, wer da sitzt?"

„Mr. Douglas, Mr. Lowhead und Mrs. Kolly", sagte der Junge kaum hörbar. Solch ein Prüfungskollegium war genau die dunkle Wolke, die auf meinem Horizont gefehlt hatte.

„Na Prima! Das heißt ich dar Runden fliegen, bis ich siebzig werde", stöhnte ich. Der Junge überspielte das kichern gekonnt mit einem Hüsteln. Ich war mittlerweile in der Sportuniform und Oliver legte meine anderen Sachen zusammen. Suchend sah ich mich um. Etwas ganz entscheidendes fehlte. Ein Besen.

„Die Besen finden Sie in dem Schrank", sagte Oliver freundlich. Ichs nickte öffnete den Schrank. Es waren die üblichen Schulbesen, denn in Sinne der Chancengleichheit durften die Schüler nicht auf eignen Besen fliegen. Ich musterte die Auswahl einige Augenblicke und entschied mich für den klassischen Feuerblitz. Es war viel älter, als mein eigenes Model, aber es gehörte zu den alten robusten Modellen, die lange hielten und so Einiges über sich ergehen ließen. Entschlossen trat ich aus der Umkleide in den Schulstadion.

„Fangen wir gleich an, Mr. Weasley", sprach eine kleine, krank wirkende Frau in einem giftig gelben Umhang. Beiläufig zuckte sie ihren Zauberstab und eine Reihe bunter Ringe leuchte über dem Platz auf. Eine verschlungene gelbe Linie zeigte den Kurs an. Es war dieselbe Strecke, die ich in den letzten drei Tagen geübt hatte. Erleichtert trat ich an die Startlinie.

„Sie haben drei Minuten für diese Aufgabe", informierte sie mich mit kalter Förmlichkeit. „Die Zeit läuft ab dem Augenblick, ab dem Sie Ihren Besen bestiegen haben."

Weit über unseren Köpfen leuchteten eine riesige drei und zwei Nullen auf. Ich klammerte sich an dem Besenstiel und stieg auf. Wie beim Sprung ins kalte Wasser, stieß ich mich heftig von Boden ab und steuerte die erste Markierung an. Die gut eingeübten Bewegungen halfen ihm nicht über den Kurs nachzudenken, ich hatte genug Zeit zum Üben gehabt. Insgesamt waren fünf Strecken vorgegeben, welche mal letztendlich fliegen musste entschied Zufall. Die Strecke, die mir zugefallen war, war nicht sonderlich schwer, aber die einzige, die mit einer Zeitvorgabe versehen war. Mit einer viel zu knappen Zeitvorgabe. Vor mit leuchteten auf und erloschen bunte Kreise, unter mir flog die gelbe Kurslinie daher. Als ich landete erstarrte eine überdimensionale sieben über meinem Kopf. Damit hätte ich meine persönliche Bestzeit um sechs Sekunden überboten. Die beiden Männer nickten anerkennend, die Hexe hingegen war sichtlich enttäuscht über das Ergebnis, trotzdem zauberte sie ein O in die Luft.

„Gehen Sie, Mr. Weasley", sagte sie trocken und beinahe schon persönlich verletzt. „Sie haben bestanden. Als nächste haben die Trankkunde, sie haben zwanzig Minuten, um sich bei Professor Towfort zu melden."

Am Ende des Tages sank ich kraftlos neben einem der Tische im Speiseraum. Meine noch heute Morgen tadellos saubere Kleidung, war zerrissen, angesengt und schmutzig. Mein Haar war verklebt und mit feinem weißem Pulver überzogen. Dennoch war ich glücklich. Ich habe alle meine Prüfungen bestanden! Vier mit einem Ohnegleichen, fünf mit Erwartungen übertroffen und einem Annehmbar in der Kräuterkunde. Das war mehr als ich erhofft hatte, wenn man bedenkt, dass ich beinah den Kessel zum schmelzen brachte und den halben Inhalt auf dem Boden des Klassenzimmers verschüttet hatte. Zwei Bedienstete waren bereits dabei den Tisch zu decken, als Evan auftauchte. Sein rechter Arm war verbunden und hing in einer Schlinge. Er sah sauer aus, aber da hier war, hatte er auch er seine Prüfungen offenbar bestanden.

„Was hat dich denn schon wieder gebissen?", fragte ich und griff nach einem Krug Butterbier, das soeben auf den Tisch gestellt wurde. Ich goss zwei Becher ein.

„Mach dich ruhig über mich lustig", jammerte mein bester Freund. „Du musstest auch nicht einen Hypergreifen füttern." Ich musste lachen. Jede bisherige Begegnung zwischen Evan und einem Hypergreifen führte unweigerlich dazu, dass Evan Verletzungen davontrug.

„Nein, ich sollte einem Thestral einen Sattel anlegen. Verdammt schwer, wenn du mich fragst, denn die Viecher sind unsichtbar." Ich brauchte fast eine ganze Stunde, um das Vieh zu finden, ihn anzubinden, den Sattel zu holen und das Tier erneut zu finden, um ihm den Sattel endlich anzulegen.

Evan berichtete mir von seinen Ergebnissen, wobei er mich unentwegt versicherte, dass alle Lehrer es auf ihn abgesehen hätten. Seine Noten waren um einiges schlechter als meine Ergebnisse, obwohl er im Grunde kein schlechter Schüler war. Ihm fehlte es an Fleiß und das, was mein Vater „Sitzfleisch" nannte.

„Das macht nichts", verkündete Evan mit gekränktem Stolz. „Ich gehe sowieso zu den Jägern! Da muss man nicht außer reinem Blut vorweisen und das wird bei mir wohl kein Problem sein." Nein, das wird ganz sicher kein Problem darstellen.

„Du willst zu den Jägern? Bist du dir sicher?", fragte ich und dabei musste ich an die Anzeige des Ministeriums denken.

„Natürlich! Das habe ich schon seit Jahren vor!", erzählte er weiter. „Stell dir vor, für jeden Muggel bekommst du fünf tausend Galeonen, sechs, wenn es `ne Frau ist und sieben für jedes Kind unter fünf Jahren. Da kann man ganz schnell großes Geld machen." Ich sagte nichts, denn allein bei dem Gedanken jemanden wie Vieh zu jagen wurde mir schlecht.

„Ich fange vielleicht bei meinem Vater an", sagte ich aus irgendeinem Grund, während Evan in seinen Träumen schwelgte. „Er meinte, dass er mir eine Stelle in Vertreib besorgen kann." Wieder leuchteten in Evans blauen Augen Geldgier und Neid auf. Eigentlich hatte ich nicht vor zu prallen. Eigentlich wollte ich Evan ebenfalls anbieten mit meinem Vater wegen einer Einstellung zu sprechen. Doch Evans Bemerkung über die Muggel zwang mich beinah dazu.

„Ich bekomme 15 Prozent Provision für jeden verkauften Drachen", erklärte ich vertrauensvoll. Wobei ich es schamlos übertrieb. „Das sind so 12 bis 15 Tausend Galeonen und die neuen Züchtungen sind noch teurer." Ich konnte mich einfach nicht stoppen. „Ich meine, sehe dir selbst die Jäger an, sie alle fliegen mit Vaters Drachen und dann noch die Nationalmannschaften." Evan sah mich neidvoll an. Nicht weil es ihm an Geld fehlte, sondern, weil ich ihn daran erinnerte, dass er nicht alles haben konnte.

Da ich mich immer noch nicht stoppen konnte, zog ich eine silberne Plakette unter dem Unhang hervor. Es war eine kleine Zugabe zu den Ergebnissen heutigen Tages.

„Hab heute von einem der Prüfer bekommen", erklärte ich und reichte die Plakette an meinen Freund weiter. „Er meinte, dass er vor einigen Monaten zugesehen hatte, wie ich spiele. Ich meine es ist zwar Quidditch und nicht Dragofort, aber…",

„Wow, die Irische Nationalmannschaft... die sind die besten in Quidditch."

Dass er eigentlich nur auf Dragofort stand, vergaß Evan, denn einen Freund bei der irischen Nationalmannschaft für Quidditch zu haben war bedeutend cooler als unbekannten Typen bei Dragofort zu zujubeln. Evan freute sich aufrichtig für mich und das versetzte mir einen kleinen Stich. Evan war mein Freund und ich sollte ihn akzeptieren, so wie er ist. Mag sein, dass seine Pläne mir nicht zusagen, aber er blieb mein Freund.

Zuhause erwartete mich eine echte Überraschungsparty. Die Eingangshalle und das Esszimmer waren festlich geschmückt und zusammen mit meinen Eltern warteten meine Cousins und Cousinen auf mich, so wie meine Freunde. Evan lächelte mich verlegen an, offenbar wurde er erst im letzten Augenblick eingeweiht, denn ich wusste ganz sicher, dass er niemals in der Lage gewesen währe das Geheimnis für sich zu behalten. An der Wand hingen bereits die Ergebnisse meiner Prüfungen aus. An der Stelle, mit der Annehmbar stand passende Weise eine wuchernde Zimmerpflanze, die das Ergebnis wunderbar verdeckte. Meine Mutter umarmte mich als erste, Vater klopfte mir anerkennend auf die Schulter und Holly umarmte mich kurz und überreichte mir feierlich ein rundes Kästchen.

„Ein paar Sprüche", kommentierte meine Schwester etwas verlegen. „Habe sie extra für dich geschrieben, ich hoffe du findest sie nützlich. Es ist auch eine Anleitung dabei." Ich grinste glücklich.

„Danke, Holly", wir umarmten uns wieder. „Wirklich, vielen Dank! Ich bin mir sicher, dass die Sprüche toll sind", flüsterte ich, weil meine Stimme zu versagen drohte. Holly und ich waren immer die besten Freunde gewesen. Klar hatten auch wir ab und zu Streit, aber das dauerte nie länger, als ein paar Stunden.

„Nun komm endlich", drängte meine Mutter. „Wir alle haben Hunger und ohne dich wollten wir nicht essen."

Nach vier weiteren Stunden war ich kaum in der Lage klar zu denken. Das Haus war voller Gäste, die mit mir feierten. In dem Esszimmer spielte eine Band und während die Gäste sich amüsierten, flüchtete ich von dem Lärm und der Menschenmenge in den Keller. Ich wollte für einen Augenblick allein sein, den Tag in mich aufsaugen. Unten im Keller war es still und kühl. Ich lehnte sich gegen die Wand und genoss die Kühle. Nach einer Weile hörte ich, dass nach mir bereits gesucht wurde und da ich noch nicht vorhatte mich wieder meiner Familie und meinen Gästen anzuschließen, arbeitete ich mich durch die Berge alter Sachen immer weiter nach hinten, wo ich schließlich eine Nische in der Wand fand, in der ich mich hervorragend verstecken konnte.

Ich war glücklich, wie nie zuvor. Heute wurde ich zu einem echten Zauberer! Die Schule war aus und vor mir lag ein sorgenfreies Leben. Ich war so reinblutig, wie es nur ging, meine Noten waren überdurchschnittlich, meine Familie war reich und absolut großartig. Ich hatte Freunde, die mit mir feierten und ich hatte wunderbare Jobaussichten. Besser könnte es kaum laufen. Trunken von zu viel Butterbier und Glück lehnte ich mich zurück und schloss die Augen. Als ich sie öffnete fiel mir eine Reihe Schriftzeichen ins Auge. Ich blinzelte ein paar Mal und sah noch mal hin. Ja, ganz eindeutig standen da vier Reihen feiner Schriftzeichen, die mit etwas Scharfem in den Stein eingeritzt wurden.

Es dauerte eine Weile bis ich begriff, dass es eine der alten Muggelsprachen war. Karl hat mir irgendwann erzählt, dass es vor langer, langer Zeit ganz viele Muggelsprachen gab. Er brachte mir sogar eine davon bei. Englisch hieß sie. Ich versuchte sich mühsam an die Unterrichtsstunden zu erinnern. Eigentlich war es verboten Muggelsprachen zu benutzen und nicht mal meine Eltern wussten etwas davon. Würde es bekannt werden, dann würde man Karl auf der Stelle hinrichten und seine gesamte Familie würde in große Schwierigkeiten geraten.

Entschieden schüttelte ich den Kopf, um die Reste der Trunkenheit abzuwerfen und sah mir die Zeichen noch mal genauer an. Silbe für Silbe las ich die Zeilen. Ich verhaspelte mich ständig musste daher drei Mal von vorne anfangen. Als ich endlich das letzte Wort über die Lippen brachte verschwand die Wand, an die ich mich gelehnt hatte und ich fiel kopfüber in die Dunkelheit.