Er musste hier raus. Das war sein einziger Gedanke in diesem Moment. Jahrelang war dies sein Zuhause gewesen. Tief in den Eingeweiden der Erde hatte er sich sicher und beschützt gefühlt. Sicher vor dem Schmerz anders zu sein, sicher davor, von anderen verletzt zu werden. Hier war er der Starke gewesen, er hatte alles nach seinem Willen lenken können. Er war der, der verletzte. Aber dieses Leben war nun vorbei. Diese Nacht hatte alles geändert, sein ganzes Leben war in einem kurzen Augenblick wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Nun stand er vor den Trümmern seiner Überzeugungen und verstand, dass er Unrecht gehabt hatte. So lange Jahre war er fest von seinem Weg überzeugt gewesen, er hatte sich unverletzbar und überlegen gefühlt, aber dann war SIE gekommen und hatte seinen Panzer gesprengt. Er war wieder verletzt worden, aber diese Wunden waren von einer bitteren Süße, die kein Hass der Welt heilen konnte. Er war mit etwas konfrontiert worden, dessen Wesen er nicht begreifen und kontrollieren konnte. Gegen die Liebe war er machtlos und diese Ohnmacht schnürte ihm die Brust ein und ließ ihn kaum atmen.
Er musste den Weg nach draußen finden, dahin, wo er nicht eingeengt war, wo man atmen konnte. Weg von der Stätte seiner Niederlage. Doch obwohl er die unterirdischen Gänge seiner Oper so genau kannte, wie niemand sonst, gelang es ihm nicht ins Freie zu kommen. Er stolperte hilflos von einem Tunnel in den nächsten und doch schaffte er es nicht in dem aderartigen Geflecht den richtigen Weg zu finden. Sein Herz raste und das Blut schoss nur so durch seine Adern, dass er es in seinen Ohren rauschen hören konnte.
Er lief immer schneller. Sein Zuhause hatte sich in ein Gefängnis verwandelt. Eigentlich war es immer schon genau das gewesen, ein Gefängnis gleich dem in sich selbst, aber er hatte es vor dieser Nacht noch nie als das gesehen, was es war.
Plötzlich fiel er. Er war in eine seiner eigenen Fallen geraten. Der Aufschlag auf dem kalten Stein war hart und schmerzhaft. Dem Schmerz und dem Winkel nach zu urteilen in dem es abstand, hatte er sich sein linkes Handgelenk gebrochen. Trotzdem erlaubte er sich keine Pause. Der Schmerz gefiel ihm fast, denn der physische Schmerz lenkte ihn von dem ab, der seine Seele quälte. Etwas langsamer jetzt, aber mit der gleichen Dringlichkeit setzte er seinen Weg fort und endlich nahm er eine Veränderung in der Luft wahr. Er folgte dieser Ahnung kalter klarer Luft und fand endlich mit letzter Kraft einen Weg nach draußen. Vor dem Opernhaus ließ er sich auf das bloße Pflaster fallen. Seine Lungen brannten vor Anstrengung und der Schmerz in seinem linken Arm pochte bis in die Schulter. Froh, sich darauf konzentrieren zu können, schloss er die Augen und überließ sich diesen körperlichen Gefühlen.
