Er war froh, dass er den Buggy genommen hatte. Es ist doch heute sehr kalt geworden und die Sonne hatte sich auch noch nicht blicken lassen. Aber er musste doch zu ihr. Egal wie kalt es war und wie sehr seine Knochen ihm wehtaten. Es war doch ihr Geburtstag heute und er hatte noch nie ihren Geburtstag verpasst. Er stieg aus dem Buggy und lief zu ihrem Grab.

„Hallo Koko. Ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag. Ich hoffe, du hast jemanden gefunden, der mit dir feiert? Ich habe dir ein kleines Geschenk mitgebracht."

Er legte eine Adlerfeder auf das Grab. Auch sie hatte ihm damals eine Feder zu seinem Geburtstag geschenkt und ihm erklärt, dass die Indianer die Feder eines Adlers als heilig an-sehen, und dass die heilige Feder das Symbol der Wahrheitsliebe und der Treue ist.

Da er nicht mehr so lange knien konnte, stand er auf und setzte sich auf einen Stein. Nun war sie schon seit drei Monaten nur noch in seinem Herzen. Er lächelte. So wie er sie kannte, hatte sie sicher mit dem Einschlafen gewartet, bis er über den Tod seiner Frau hinweggekommen war. Koko war es schon immer wichtig gewesen, dass es ihm gut ging. Erst danach dachte sie an sich.

Er hätte es gerne gesehen, dass die zwei wichtigsten Frauen in seinem Leben nebeneinander ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten. Aber Kokos Mann hatte sich diesen Platz hier ausgesucht und er hätte es nie gewagt ihm seinen Wunsch mitzuteilen. Der Wind nahm zu und er stellte den Kragen seiner Jacke auf, um sich etwas vor der Kälte zu schützen. Wenn seine Kinder wüssten, dass er bei diesem Wetter an ihrem Grab sitzt, würden sie ihm wieder etwas erzählen. Aber er wollte nicht, dass ihn jemand begleitet, wenn er sie besucht. Er wollte mit ihr alleine sein. Der Wind wurde immer stärker und er sah nach oben. Es würde sicher heute noch schneien. Er musste wieder lächeln.

„Weißt du noch Koko? Damals fiel auch der erste Schnee des Jahres."

In Gedanken ging er in die Zeit zurück, als sie sich kennengelernt hatten.

X

Es würde sicher heute noch Schnee geben.

Vielleicht fängt es ja gleich an, dann könnte er die Schneeflocken zählen, das war sicher interessanter, als hier zu sitzen und die Aufgabe zu erledigen. Zum fünften Mal schon.

Nun war er seit drei Wochen in der Schule und er hasste sie schon. Dabei hatte er sich so gefreut, dass er nun endlich die Schule besuchen durfte und dann wusste er bereits nach zwei Stunden, dass er hier wahrscheinlich nie Spaß haben würde.

Er musste einen Test schreiben, damit Mr. Flechter beurteilen konnte, in welche Klasse er kommen würde. Es war ein sehr einfacher Test und er konnte die ihm gestellten Aufgaben innerhalb einer Stunde lösen, und er war sich sicher, dass er keinen einzigen Fehler gemacht hatte. Mr. Fletcher hatte sich den Test sehr lange angesehen, dann kam er an seinen Tisch und beugte sich zu ihm hinunter und sprach sehr leise mit ihm. „Mein Junge, ich habe keine Ahnung wie du schummeln konntest, aber wenn du jetzt meinst, ich setze dich zu den Viertklässlern, hast du dich getäuscht. Ich werde dich im Auge behalten."

Keine Woche später stand er zum ersten Mal in der Ecke, und das nur, weil er Mr. Flechter darauf hingewiesen hatte, dass er einen Fehler bei der Lösung einer Matheaufgabe gemacht hatte.

Am Anfang hatte er die Aufgaben hintereinander weg bearbeitet und war immer einer der Ersten, die fertig waren. Mr. Flechter war natürlich darüber auch nicht erfreut und erklärte ihm, dass er alle Aufgaben solange wiederholen muss, bis auch der letzte sie ebenfalls beendet hätte. Nun ließ er sich immer Zeit und schaute aus dem Fenster und träumte vor sich hin.

„ADAM"

Er fuhr zusammen. Wie oft hatte Mr. Flechter ihn schon wieder gerufen, ohne dass er es mitbekommen hätte. „Ja?"

Mr. Flechter stand mit hochrotem Kopf vor ihm. „Adam Cartwright, wie oft muss ich dir das noch sagen. Wenn ich dich anspreche, hast du aufzustehen und dann heißt es, „ja Sir" und nicht einfach nur ja. Muss ich erst wieder einen Brief an deinen Vater schreiben, damit er dir erklärt, wie man sich gegenüber Erwachsenen verhält?"

Adam stand auf und sah an Mr. Flechter vorbei. „Nein Sir."

„Zur Strafe, weil du wieder nur aus dem Fenster geschaut hast und nicht dem Unterricht gefolgt bist, machst du jetzt die Tafel sauber und danach bleibst du bis zum Schulschluss in der Ecke stehen."

Zuerst wollte Adam Mr. Flechter als passende Antwort geben, dass er seine blöde Tafel selber saubermachen könne, er überlegte es sich dann aber lieber anders. Er wollte nicht schon wieder ein ernstes Gespräch mit seinem Vater im Stall haben. Deswegen machte er das, was Mr. Flechter ihm aufgetragen hatte und stand dann drei Stunden in der Ecke, weil er natürlich nicht mit den anderen in die Pause gehen durfte.

Zum Schulschluss bekam Adam wieder einen Brief von Mr. Flechter, den sein Vater unterschreiben sollte. Mit hängendem Kopf lief er zu seinem Pferd. „Hey Cartwright, wovon träumst du denn schon wieder? Von Lisas großen Brüsten?"

War ja klar, dass Mitch mit seinen Freunden auf ihn gewartet hatte. Er lief weiter zu seinem Pferd und versuchte nicht auf Mitch und die anderen Jungs zu achten. „Was ist los Cartwright? Bleib doch mal stehen oder hast du Angst?"

Warum können sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen. Plötzlich stolperte Mitch nach vorne und konnte gerade noch verhindern, dass er zu Boden fiel. „Was soll…." Er drehte sich um und wurde noch wütender. „Halbblut suchst du Probleme?"

„Ich nicht, aber du und deine Freunde. Lasst Adam in Ruhe."

„Oh, Oh Cartwright hat eine Freundin und dazu noch ein Halbblut"

Mitch hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da kniete er schon im Schnee und hielt sich das Auge. „Ich würde sagen, du nimmst jetzt deine Freunde und verschwindest."

Mitch suchte seine Schulbücher zusammen und stand auf. „Das wirst du mir büßen, Halbblut."

Er nickte seinen Freunden zu und verschwand hinter dem nächsten Gebäude. „Danke Jessica, aber das hättest du nicht zu tun brauchen. Ich wäre schon klargekommen."

Adam half ihr, ihre Bücher aufzusammeln. „Warum wehrst du dich nicht Adam? Warum schlägst du nicht einfach mal zu?"

Er zuckte mit den Schultern. „Das geht nicht. Ich bin doch erst seit drei Wochen hier und habe schon fünf Briefe mit nach Hause bekommen. Wenn ich mich jetzt noch schlage, dann kann ich wahrscheinlich eine Woche nicht zur Schule kommen, weil ich nicht mehr sitzen kann."

„Dann geht es dir ja wie mir. Nur, dass ich keinen Ärger zu Hause bekomme. Meine Eltern wissen, dass Mr. Fletcher mich nicht leiden kann, weil mein Vater ein Indianer ist."

Er packte seine Bücher in die Satteltasche. „Du weißt wenigstens, warum er dich nicht mag. Ich habe keine Ahnung, warum er mich von Anfang an nicht leiden konnte."

„Du bist zu schlau Adam. Damit kann er nicht umgehen. Kinder müssen in seinen Augen dumm sein, besonders wir hier. Er ist der Meinung, dass wir alle aus den Städten geflüchtet sind, weil unsere Eltern zu blöd waren, dort Arbeit zu finden."

„Die Frage ist, wer hier dumm ist."

Jessica musste lachen. „Wenn er das hört, kannst du dir schon mal ein extra dickes Kissen besorgen."

„Ist doch wahr Jessica. Ich habe gar keine Lust auf die Schule. Ich würde mir wünschen, wir würden woanders hinziehen."

Er lehnte sich mit dem Gesicht an sein Pferd. Sie sollte nicht sehen, wie traurig er war. Jessica kam an seine Seite und boxte ihn leicht gegen den Arm. „Mensch Adam. Du bist doch erst seit kurzem hier. Glaube mir, es ist ein schönes Land und wir beide werden viel Spaß hier haben."

Adam drehte seinen Kopf zu ihr. „Wir?"

„Na wir sind doch jetzt Freunde oder nicht?"

Na toll! Sein erster Freund hier in Nevada war ein Mädchen und sie war auch erst sieben Jahre alt. „Das sind wir Jessica."

Sie stieg auf ihr Pferd. „Adam, bitte nenne mich nicht Jessica. Mein indianischer Name ist Koko."

Auch er saß jetzt im Sattel. „Wo wohnst du Koko? Vielleicht haben wir denselben Weg?"

„Den haben wir. Ich sehe dich ja jeden Morgen, wenn du zur Schule reitest. Unser Haus liegt nicht weit von eurem entfernt. Ich muss am Biberbach nach rechts."

Beide machten sich auf den Weg nach Hause. Am Biberbach verabredeten sie sich für den nächsten Morgen.

X

Adam versuchte, so langsam wie möglich den letzten Teil des Weges zurückzulegen. Er wusste, dass sein Vater wieder sauer sein würde, wenn er ihm den Brief von Mr. Flechter gäbe. Dass sein Vater mit ihm sauer ist, ist ja nicht das schlimmste für ihn, sondern das er von Adam enttäuscht ist. Aber was sollte Adam ihm sagen? Das was Mr. Fletcher in den Briefen schrieb, war ja wahr. Er träumt in der Schule, gab patzige Antworten und hatte sich am Anfang mit den anderen Jungen geschlagen. Wie sollte er seinem Vater denn erklären, dass es nur daran lag, dass Mr. Flechter ihn nicht mochte. Adam wusste genau, was er zu hören bekommen würde.

Mein Sohn, man kann nicht jeden Menschen leiden, aber er ist dein Lehrer, also sei höflich zu ihm, mache deine Aufgaben und du wirst keinen Ärger bekommen.

Wenn das so nur so einfach wäre. Er hatte sein Pferd versorgt und öffnete die Tür zum Haus. Sofort kam sein kleiner Bruder auf ihn zu gerannt und wollte auf den Arm. Adam legte seine Sachen auf den Tisch und hob ihn hoch. „Hallo Hoss. Hast du viel Spaß mit Hop Sing gehabt?"

„Kekse gebacken."

„ Hast du mir auch einen übriggelassen?"

Hoss lachte, weil ihn Adam immer damit ärgerte. „Ja, auch für Pa."

Adam ließ Hoss wieder hinunter und wollte seine Sachen auf sein Zimmer bringen. „Sohn Nummel eins ist ganz schön spät. Essen ist fast kalt. Ml. Caltwhlight hat schon geschimpft."

Sein Vater war schon zu Hause? Sonst kommt er doch immer erst zum Abendbrot wieder, weil draußen so viel zu tun war. „Ich bringe nur meine Sachen ins Zimmer, dann komme ich."

Keine fünf Minuten später saß er am Tisch und versuchte, seinen Vater nicht anzusehen. „Wie war es heute in der Schule Adam?"

Ohne den Blick vom Teller abzuwenden, antwortete er seinem Vater. „Die ersten Stunden waren ganz in Ordnung."

Ben legte das Besteck zur Seite. „Die ersten Stunden?"

„Ich habe wieder einen Brief von Mr. Fletcher für dich."

Auch wenn sein Blick immer noch nach unten gerichtet war, wusste er genau, wie sein Vater ihn gerade ansah. „Adam würdest du mich bitte ansehen, wenn ich mit dir spreche."

Er hob seinen Kopf. „Ja Sir."

„Kannst du mir bitte erklären, warum du dich nicht mehr benehmen kannst? Ich muss mich um so viel hier kümmern, damit wir gut über den Winter kommen und du hast nichts anderes zu tun, als mir noch zusätzliche Probleme zu machen?"

„Es wir nicht wieder vorkommen Pa."

Bens Nerven waren durch die viele Arbeit auf der Ranch eh schon strapaziert und nun tanzte sein Sohn noch aus der Reihe. Seine Wut und seine Enttäuschung über ihn spiegelten sich in seiner Stimme wider. „Das hast du beim letzten Mal auch schon gesagt. Hat dir unsere Unterhaltung im Stall nicht ausgereicht?"

Am liebsten hätte Adam wieder den Kopf gesenkt, um nicht weiter in die enttäuschten Augen seines Vaters sehen zu müssen. „Es war ausreichend Sir."

„Was ist heute vorgefallen? Hast du dich geprügelt? Oder etwa wieder die Schule geschwänzt?"

„Nein Sir. Ich habe wieder geträumt."

Ben schüttelte den Kopf und war zuerst einmal sprachlos. „Adam. Ich verstehe das nicht? Du hast dich doch so auf die Schule gefreut und jetzt gibt es nur Ärger.

Adam nahm seinen ganzen Mut zusammen. „Mr. Fletcher mag mich nicht und die Aufgaben, die ich bekomme sind so leicht."

Ben stöhnte auf. Da war wieder das alte Problem seines Sohnes. Diese Ungeduld, alles sofort wissen zu wollen, und wenn man ihm es nicht schnell genug erklären konnte, war sein Gegenüber schuld. „Adam, du bist neu in der Schule. Mr. Fletcher wird dir sicher bald andere Aufgaben geben. Du musst aufhören zu denken, dass dich keiner leiden kann. Ich erwarte von dir, dass du dich ab sofort in der Schule benimmst. Ich möchte keine weiteren Briefe mehr bekommen. Hast du mich verstanden Adam?"

„Ja Sir."

Ben nahm wieder sein Besteck. „Zur Strafe wirst du nicht nur den Stall noch eine weitere Woche alleine ausmisten, du wirst auch Hop Sing in der Küche helfen und ich möchte nicht, dass du darüber auch noch deinen kleinen Bruder vergisst."

„Ja Sir"

Was würde Adam dafür geben, wenn sie diesen Ort nie gefunden hätten.