Es war ein langer Tag gewesen. Das Team des NCIS um Jethro Gibbs hatte heute endlich einen langen Mordfall geklärt und Gibbs wollte die Abschlussberichte noch heute auf seinem Schreibtisch liegen haben.
Durch lange, harte Arbeit waren sie einem Serienkiller
auf die Schliche gekommen, der weibliche Marines bestialisch
ermordete. Schlussendlich hatte Tony den entscheidenden Hinweis
gefunden, der zu der Ergreifung des Täters geführt
hatte.
Gibbs würde ein hartes Stück Arbeit vor sich
haben, bevor Tony wieder auf dem Boden der Tatsachen stehen, und sich
nicht mehr wie der Retter der Welt vorkommen würde.
Natürlich
war Gibbs stolz auf seinen Agenten, denn der junge Agent hatte in
wichtigen Situationen schon des Öfteren bewiesen, dass er einen
großartigen Instinkt besaß.
Leider versteckte er ihn
regelmäßig und trieb den grauhaarigen Chefermittler in den
Wahnsinn, wenn seine alberne Seite zum Vorschein kam und er begann
Kate mit kleinen Papierkügelchen zu bewerfen und darauf eine
allen vertraute Kabbelei begann.
Gibbs einzige weibliche Agentin
ließ sich von Tony nichts gefallen und schaffte es, das Tony
auch hin und wieder den Kürzeren zog.
Dem Teamleader gefiel,
dass die brünette Agentin ein solches Durchsetzungsvermögen
hatte. Er bewunderte sie dafür, dass sie auch ihm die Meinung
sagte. Die Profilerin hatte Biss, wenn sie der Auffassung war, das
sie mit ihrer Vermutung Recht hatte, und war auch bereit diese vor
ihm zu verteidigen - und sie konnte diese oft auch durchzusetzen.
Er
war es nicht gewohnt, das ihm jemand widersprach; schon gar nicht
jemand der ihm unterstellt war. Aber aus einem Grund, den der Senior
Agent selbst nicht verstand, ließ er Kate gewähren.
Wenn
DiNozzo oder McGee es wagten ihm zu widersprechen – was selten
genug vorkam – fingen sich beide in der Regel eine Kopfnuss
ein.
Kate würde er nie eine Kopfnuss geben - etwas in ihm
widerstrebte sich dagegen.
Im Allgemeinen aber war der grauhaarige Agent sehr mit sich Zufrieden. Das Team das er ausgewählt hatte, harmonierte und hielt zusammen wie Pech und Schwefel – der eine war für den anderen da. Keiner seiner Agents hatte auch nur Ansatzweise seine Erwartungen enttäuscht.
Er ließ den Blick in die Runde schweifen und sah, wie alle konzentriert an ihren Schreibtischen saßen, damit der heutige Tag endlich ein Ende finden würde. Das lang ersehnte Wochenende stand endlich vor der Tür.
Besonders Kate hatte es heute eilig zu
gehen, denn ihr war schon den ganzen Tag nicht wohl gewesen. Immer
wieder hatte sie unkontrollierte Schweißausbrüche bekommen
und musste gegen Schwindelgefühle ankämpfen. Zugegeben
hätte sie dies natürlich niemals.
Mehrfach hatte die
Agentin in sich selbst hineingehört, um zu verstehen, wieso es
ihr schlecht ging und hatte versucht dies vor ihren Kollegen zu
überspielen.
Doch das war leichter gesagt als getan.
Sie
hatte bemerkt, wie Gibbs sie mehrfach aus den Augenwinkeln
beobachtete, wenn sie sich erschöpft abstützte.
Wieder
fühlte sie einen aufkommenden Schwindel und versuchte diesen
durch ein heftiges Kopfschütteln zu unterdrücken.
Der
Schwindel verschwand und Kate versuchte sich auf ihre Aufgabe zu
konzentrieren, damit sie endlich nach Hause fahren und schlafen
konnte.
Eine Grippe war das letzte was sie momentan gebrauchen
konnte.
Gibbs bemerkte die aufkeimende Unruhe in Kate. Er
hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt, wenn etwas mit
einem seiner Leute nicht stimmte. Kate war heute den ganzen Tag schon
nicht konzentriert bei der Sache.
Er hatte gesehen wie sie
mehrfach blass wurde und sich nur mühevoll auf den Beinen halten
konnte.
Wie gerne wäre er zu ihr gegangen, hätte sie in
den Arm genommen und nach Hause ins Bett gebracht.
Doch jedes Mal
hatten er die Gedanken an die junge Frau zur Seite geschoben und sich
selbst getadelt. Schließlich hatten sie eine Ermittlung zu
führen, bei der solche Überlegungen fehl am Platze
waren.
Dazu hatten sich aber kleine Unaufmerksamkeiten bei der
sonst so hochkonzentrierten und fast pedantischen Ermittlerin
eingeschlichen.
Sie hatte die Akte des Verdächtigen verlegt,
was Gibbs auf die Palme brachte, war in ihren Joggingschuhen zur
Arbeit gekommen, was ihn schmunzeln ließ; aber als sie ihren
PDA nach dem Mittagessen fast hatte liegen lassen, runzelte der
Silberhaarige die Stirn und musterte seine Agentin. Sie würde
alles vergessen, aber niemals ihren PDA.
Wieder tadelte sich
der Senior Agent. Viel zu häufig waren seine Gedanken in letzter
Zeit bei der wunderschönen Frau.
Also zwang auch er sich
weiter an seinem Bericht zu schreiben; denn auch wenn es keiner zu
glauben wagte, auch Gibbs sehnte sich den heutigen Feierabend
herbei.
Doch seine Konzentration ließ schon wieder nach. Was
war los mit ihm? Er schaute wieder auf den Platz rechts neben ihn, an
dem Kate mühsam versuchte den Bericht fertig zu stellen.
Leicht
erschrocken zog er seine Augenbraue hoch. Sogar im schummerigen Licht
der Schreibtischlampen konnte er erkennen wie blass seine Agentin
war.
Natürlich sorgte er sich um seine Agenten. Tony war
wie ein Sohn für ihn, auch wenn er es ihm nie sagen würde.
Ebenso McGee, der heute als erster seine Aufgabe erledigt hatte und
sich bereits auf dem Heimweg befand. Dazu Abby und Ducky, mit denen
Gibbs eine enge Freundschaft verband. Das Team war seine Familie und
für jeden seiner Leute würde er sofort sein Leben geben. Er
wusste, dass sie es auch für ihn tun würden.
Aber Kate
war ihm ein Rätsel. Er hatte Gefühle für sie, ja, aber
er verstand nicht welcher Art sie waren. Ein enges Band war zwischen
ihnen beiden entstanden, seit sie sich in der Air Force One das erste
Mal gesehen hatten.
Wenn sie neben ihm stand war er jedes Mal ein
kleines bisschen größer, fühlte sich stärker und
doch schwächer.
Gibbs war verwundert über sich selbst.
Er genoss es, in Kates Nähe zu sein, ihr Parfum zu riechen oder
sie einfach nur lachen zu sehen.
Ihre bloße Anwesenheit
wirkte auf ihn wie drei Tassen seines stärksten und besten
Kaffees. Lange hatte er gebraucht um ansatzweise zu verstehen was da
in ihm vorging. Aber Kate hatte geschafft, was bisher keiner seine
drei Exfrauen vor ihr geschafft hatte. Er mochte alles an ihr: wie
sie lachte, wie sie gestikulierte, wenn sie aufgeregt war oder wie
ihre Augen funkelten, wenn sie wütend war.
Aber noch war er nicht bereit gewesen sich einzugestehen, dass neben ihm am Schreibtisch die Frau seines Lebens saß.
„Fertig!!"
schallte es durch den Raum. Tony war aufgesprungen und stürmte
mit dem Bericht in der Hand auf Gibbs zu.
Mit stolz geschwellter
Brust warf der junge Agent seinem Chef die Mappe auf den
Tisch.
Dieser hob den Kopf und sagte mit barscher Stimme: „ Dann
sieh zu das du Land gewinnst, bevor ich ihn gelesen hab und du alles
noch mal schreiben musst!"
Ehe er sich versah hatte DiNozzo
seinen Computer ausgeschaltet, seinen Rucksack umgeworfen und war auf
dem Weg zum Fahrstuhl.
„Tony!"
„Ja, Boss?" der
Angesprochene stoppte abrupt und drehte sich um.
„Wenn du Montag
auch nur eine Minute zu spät bist, brauchst du gar nicht mehr zu
kommen!" der Unterton der in Gibbs Stimme mitschwang machte klar
das er zu Wochenbeginn keinerlei Ausreden dulden würde.
„Ist
klar Boss!"
Und schon war Tony im Fahrstuhl verschwunden.
Gibbs
schmunzelte und wand sich wieder seinem Bericht zu.
Kate hatte die ganze Zeit über krampfhaft versucht ihren Bericht weiter zu schreiben. Als Tony fröhlich in den Feierabend verschwand hatte sie sich bemüht ihren Kopf nicht zu heben, sie wollte sich vor keinem der beiden eine Schwäche eingestehen.
Andererseits
war sie schon mehrfach morgens aufgewacht und erinnerte sich an immer
den gleichen, wiederkehrenden Traum. Sie verbrachte einen
wunderschönen Tag mit Gibbs, sie alberten herum wie Verliebte
und zum Schluss lag sie in seinen Armen, sein Gesicht kam näher
um sie zu küssen.. Jedes mal endete der Traum an genau dieser
Stelle.
Langsam wurde sie wütend auf sich selbst. Sie wollte
endlich nach Hause und von alleine schrieb sich der Bericht sicher
nicht. Gibbs würde sie auch bestimmt nicht gehen lassen, bevor
sie mit ihrer Arbeit fertig war.
Doch wieder hing die Agentin
ihren Gedanken nach.
Ihr Vorgesetzter hatte es ihr sehr angetan,
wie sie sich eingestehen musste. Seine blauen Augen, die wild vor Wut
funkeln, aber auch besorgt schauen konnten, wenn er es zuließ.
Heute hatte sie sich das eine oder andere Mal gewünscht, das er
sie in den Arm nehmen würde, ihr über den Kopf streichelte
und ihr sagte, das er sich um sie kümmern würde, wenn sie
krank würde.
Aber da dies nicht im Geringsten wahrscheinlich
war, wie Kate befand, wollte sie einfach nur schnell in das
Wochenende starten, um die aufkommende Krankheit im Keim zu
ersticken.
Jede Minute die sie konnte, verbrachte sie im NCIS Hauptquartier, um wenigstens in der Nähe von Gibbs zu sein, wenn er sich schon nicht für sie interessierte, wie sie sich für ihn.
Häufig hatte sie schon abgewogen ob sie eine Chance
bei ihrem Chef haben könnte. Sie war immer zu dem gleichen
Ergebnis gelangt: Er stand auf rothaarige, reife Frauen, nicht auf
sie, eine durchaus attraktive, aber nun mal brünette Frau, die
so viele Jahre jünger war als ihr Angebeteter.
Traurig senkte
sie den Kopf um sich wieder ihren Papieren zu widmen, doch wieder kam
Schwindel in ihr auf. Erneut schüttelte sie den Kopf, in der
Hoffnung, ein weiteres Mal so Herr über das Gefühl zu
werden. Als es nicht half, schloss sie kurz die Augen und fuhr sich
mit der Hand über ihr Gesicht. Sie merkte wie ihr langsam der
kalte Schweiß auf der Stirn stand und ermahnte sich umso mehr,
endlich wieder Gewalt über ihren Körper zu
gewinnen.
Langsam begann sie sich zu sorgen, denn tagsüber
waren die Schwindelattacken in großen Abständen
aufgetreten, jetzt aber war sie froh wenn sie für ein paar
Minuten schwindelfrei war.
Sie entsann sich das sie eine Packung
Pralinen in ihrem Schreibtisch liegen hatte. Den ganzen Tag hatte sie
voller Freude eine Praline nach der anderen gegessen, Tony keine
abgegeben und ihn damit geneckt.
Sie liebte diese kleinen
Spielchen mit Tony.
Die Pralinen waren ihr heute am Mittag mit
einem wunderschönen Blumestrauß zugestellt worden. Von wem
die Präsente waren, wusste sie nicht – auf der Karte stand
lediglich : „Von einem Verehrer".
Die Blumen hatte sie
entsorgt, sie wollte nicht das Gibbs dachte, das sie einen neuen
Freund hätte. Ihr war klar, dass dies eigentlich unsinnig war.
Es war ihr Chef, den sie in schwachen Momenten mit anderen Augen
betrachtete. Er war es auch der die Regel 12 aufstellte, er war es,
der ihr Vorgesetzter war und der keinerlei Gefühle an sich heran
ließ.
Gegen den immer stärker werdenden Schwindel
ankämpfend griff sie in die Schreibtischschublade und nahm eine
Praline heraus. Den aufkeimenden Brechreiz unterdrückte Kate und
schluckte die Schokolade im Ganzen runter.
Sie hoffte, dass der
Zucker ihren Kreislauf wieder in Schwung bringen würde.
Aber
erst einmal lehnte sie sich im Schreibtischstuhl zurück und
schloss die Augen.
