Disclaimer: Der Herr der Ringe mit seinen Charakteren gehört J.R.R. Tolkien und seinen Erben. Diese Geschichte gehört Scribe und wird mit ihrer freundlichen Genehmigung aus dem Englischen übersetzt.

Das Original befindet sich hier: fanfiction:net - Scribe - The Patient


Der Patient

Prolog - Eine sich verändernde Welt

Die Welt ist im Wandel.

Jene, die man einst Abendstern nannte, hatte dies im Laufe ihres Lebens oft gesagt, und es war ihr Bezeugen dafür, wie sehr sich ihre eigene Existenz, ganz besonders nach ihrer Entscheidung für ein sterbliches Leben, gewandelt hatte. Die, die sich Ihrer noch persönlich erinnerten, dachten voller Liebe an sie, und im Gedächtnis der Unsterblichen schien sie noch immer eine der Ihren zu sein. Jeder hielt sie in liebevollem Gedenken, und auch wenn das Abbild ihres Antlitzes unvermeidlich verblasste, ihre Worte sollten die Zeit überdauern. Doch so wie sie, so war auch der Rest ihrer Welt in jenem Meer hinterm Horizont, das sie einst überquert hatten, versunken. Vor ewiger Zeit geschehene Taten waren nun bereits Mythen.

Aber selbst Mythen sind sterblich, auch wenn es sehr langer Zeit dazu bedarf. Und so geschah es, dass die Lande von Mittelerde im Laufe vieler Jahrhunderte im Nebel des Vergessens versanken und nur eine schwache Spur von seltsamen Eindrücken, entlang der Orte die einmal gewesen, zurückließen. Die Welt nahm in den Händen ihrer Erben eine neue Gestalt an. Die überlebenden Geschlechter, die sich aus den Veränderungen Hildóriens erhoben, existierten jedoch zu kurz, um das, was gewesen, nachhaltig als Geschichte zu verewigen. Sie waren Flammen gleich, die nur einmal hell aufloderten und dann jäh erloschen. Ihre Städte wurden erbaut und stürzten ein, sie siegten und sie wurden besiegt. Ihr Same aber wurde weit bis an die Enden des Globus getragen, und obwohl die Menschen ahnten, dass nicht alles die Zeiten überdauert hatte, sie wussten nicht, was es war. Selbst jener Hauch von Magie, der ihnen noch immer zu eigen war und der ein sonderbares Funkeln in ihre Augen zauberte, sobald sie sich zu erinnern versuchten, blieb ihnen verborgen.

Das Goldene Zeitalter kam und ging, ohne dass sich jemand daran erinnerte. Große Könige schwanden ebenso wie ihre Reiche, versanken in einer Welt von erbitterten Kämpfen - ohne Wunder, ohne Magie. Die Generationen, die folgten, waren von anderem Geblüt als die, die sich einst aus Hildórien erhoben hatten: Ehrgeizig, davon getrieben ihren Herrschaftsbereich so weit wie möglich auszudehnen. Wenn es Land zu erobern galt, dann taten sie das. Wilde Bestien wurden gezähmt, und Feinde mit einer Ungestümheit besiegt, die selbst den schrecklichsten Orks noch Angst eingejagt hätte.

Und ironischerweise waren es oft die blutigsten Zeiten, die zu ihren erfolgreichsten wurden.

Die Sehnsucht nach der Schönheit früherer Zeitalter, als sie jung und unschuldig waren, aber blieb, auch wenn es greifbare Erinnerungen daran längst nicht mehr gab. In ihren Herzen jedoch spürten die Menschen, dass etwas fehlte, und nicht selten fragten sie sich, wann das strahlende Funkeln ihres Daseins erloschen war. Also versuchten sie es wiederzubeleben, doch ihre Bemühungen gipfelten entweder in unmöglich zu erreichenden Zielen, im Fehlen jeglicher Ehrfurcht diesen verlorenen Zeiten gegenüber oder im Erschaffen eigener Mythen, die meist so schlecht erdacht waren, dass ihre Ausführung mehr Zerstörung als alles andere bewirkte. Im Endeffekt kamen sie zu der Überzeugung, dass es so etwas wie Wunder und Magie nicht mehr gab, dass alles nur eine fantastische Illusion gewesen war und ihre Suche danach von Anfang an vergeblich.

Und wenn auch nur ein kleiner Rest von Unschuld im Volk der Menschen verblieben war, so starb er in jenem Moment, als sie aufhörten, an Wunder zu glauben.

In der wachsenden Verwüstung setzten die Welt und die Menschen, die in ihr lebten, ihr Dasein in einem Ergötzen der Veränderung unbeirrbar fort. Ein stetig wachsendes Bedürfnis danach, Grenzen zu überschreiten und fremde Reiche zu erobern erhob sich, und als diese Möglichkeiten erschöpft waren, da begann die Schlange sich selbst aufzufressen - der Anfang vom Ende. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand dieses Chaos zunutze machen und ihre ganze Existenz in eine Spirale, hin zu ihrem eigenen endgültigen Untergang, führen würde. Und ironischerweise war es gerade die Suche nach dem Besonderen, dass die Menschen in sich vermissten, die es zuließ, dass diese Katastrophe auch in der neuen Welt Einzug halten konnte.

Sie sollte all ihre Fragen beantworten und die Leere in ihrem Inneren füllen, stattdessen zerstörte es sie.


Hinter dem Schleier, der die eine Welt vor der anderen verbarg, lebten die Unsterblichen in einer seltsamen Art des Stillstands. Sie genossen die Anmut, die Beschaulichkeit und den Frieden in einem Reich, das über Tausende von Jahren hinweg unverändert bestehen geblieben war. Der Großteil von ihnen war zufrieden damit, doch einige wenige, die wissen wollten, was in ihrer Abwesenheit mit Mittelerde geschehen war, unterlagen ihrer brennenden Neugier und gaben die bezaubernde Welt für eine Fahrt dorthin auf. Die meisten von ihnen kehrten bald schon zurück, nur wenige blieben fort, und die Geschichten, die von dort mitgebracht wurden, waren oft genug dazu nutze, die, welche auch die Absicht hegten eine Reise zum anderen Ende des Schleiers zu wagen, daran zu hindern. Und bald kamen die Unsterblichen zu der Ansicht, dass die Welt vom Geschlecht der Menschen verdorben worden war, und dass es sie nichts mehr anging, was dort geschah.

Und so kam eine Zeit, in der alle Fahrten ihr Ende nahmen. Die Unsterblichen auf ihren bezaubernden Inseln hatten genug von der Welt jenseits der Ihren und verspürten keinen Wunsch mehr, in Zeiten, die lange vergangen waren und deren Gegenwart nichts mehr für sie bot, zu verweilen. Von nun an widmeten sie sich den schönen Dingen des Lebens, und entfernten sich dabei mehr von der Realität als jemals zuvor. Die dunklen Tage der früheren Zeitalter schmolzen zu fernen Erinnerungen dahin und bald schon fiel es ihnen schwer, sich daran zu entsinnen, dass sie einstmals Geschöpfe wie Melkor, dessen Diener Sauron und deren Dämonen besiegt hatten. Und während sich die Valar mit den vergehenden Zeitaltern als immer unzugänglicher erwiesen, so waren es die Erstgeborenen, die sich Valinor mit ihnen teilten, die etwas mehr auf dem Boden der Tatsachen geblieben waren.

Sie erinnerten sich wohlgesinnt an die einstige Welt und betrauerten deren Veränderung, die mit ihrem Fortgang ihren Anfang genommen hatte. Und auch die Menschen hielten sie in liebevoller Erinnerung, wohl wissend, wie ungerecht es war, ein Volk mit begrenzter Lebenszeit dafür zu verurteilen, dass es den Luxus der Ewigkeit nicht kannte. Sterbliche waren nicht böse, sie waren einfach nur jung, und das Wesen ihrer Existenz gewährleistete es, dass ihre Zeit niemals ausreichen würde, all das Wissen der unsterblichen Elben zu erlangen. Selbst damals, als die Eldar noch in Mittelerde lebten, hatten sie die Sterblichen stets als Kinder gesehen - als Nachkommen, die ihrer Führung bedurften. Und auch in Valinor, abgesondert seit fast hunderttausend Jahren, hatte sich diese Wahrnehmung keineswegs geändert.

Und vielleicht geschah es ja, weil sie sich so sehr von aller Gefahr und allem Bösen fernhielten, dass es sie so sehr überraschte, als eine erste Erschütterung des Chaos sie traf. So heftig, dass nicht einmal die Barriere, die zum Schutze Valinors vor dem Rest der Welt errichtet worden war, es aufhalten konnte. Ein plötzliches Verschwinden der Sonne hinter Wolken. Die Wärme schwand, ein Zwischenspiel eisiger Kälte setzte ein. Der Frost wurde von jedem gespürt, selbst von den Valar, und auch wenn sie nicht ergründen konnten, was dies verursacht hatte, so wussten sie doch, dass etwas Dunkles und Schreckliches in der äußeren Welt Fuß zu fassen begann.

Was folgte war Rhetorik, ausgehend vom Ilmarin, dem Palast von Manwe, dem höchsten der Valar, auf dem Gipfel des Taniquetil. Und während die Hüter von Arda darüber stritten, was zu tun sei, hielten die Eldar gespannt ihren Atem an. Denn während niemand den Grund der Erschütterung kannte, die Dringlichkeit der Valar, wie am besten damit umzugehen sei, konnte nicht bestritten werden. Zum ersten Mal in so vielen Zeitaltern waren die Valar gezwungen sich aus ihrer Selbstgefälligkeit zu lösen und zu handeln, doch selbst die Eldar vermochten nicht zu ergründen, was sie dazu trieb.

Eine Entscheidung wurde getroffen, und wie vor langer Zeit schon einmal, so wählte Manwe auch diesmal einen seiner Diener, der die Zeitlosen Hallen verlassen und in die Welt jenseits von Valinor reisen sollte, um sich dort einer Gefahr zu stellen, die, falls man sie ignorierte, beide Welten zerstören würde. Er teilte diese Aufgabe Olórin zu, einem Maia, der sich in den Augen aller schon früher hervorgetan hatte, ganz besonders im Zweiten und Dritten Zeitalter, als er am Untergang von Melkors dunklem Diener Sauron beteiligt gewesen war. Darüber hinaus war er gemeinsam mit Legolas Grünblatt, einem Waldelben, einer der letzten beiden verbliebenen Mitglieder der Gemeinschaft des Rings. Olórin, der - nachdem seine Arbeit in Mittelerde getan - in die Zeitlosen Hallen zurückgekehrt war und dort in der Gesellschaft von Nienna der Tränenreichen verweilte, akzeptierte den an ihn gestellten Auftrag, ohne zu zögern und bereitete sich auf seine neuerliche Fahrt übers Scheidemeer vor.

Legolas bot Olórin an ihn auf dessen Mission zu begleiten, doch der Maia lehnte mit der Begründung, dass die Welt dort draußen nicht viel für Elben übrig hätte und Legolas sicher nicht wohlgesonnen sei, ab. Des Weiteren fürchtete er, dass seine Präsenz eine ohnehin schon komplizierte Aufgabe noch zusätzlich erschweren könne. Und so stach er ganz allein in See.

Er kehrte nicht zurück.

Eine ganze Weile konnten die Valar ihren Agenten in der anderen Welt noch spüren, fühlten seine Sinne und Gedanken, als er sich in ihrem Auftrag vorwärts bewegte. Dann aber riss die Verbindung ab und Olórin wurde für die in Valinor Verbliebenen zu einem ebenso großen Mysterium wie das Böse, das ihn zu dieser Fahrt getrieben hatte. Man glaubte, dass er den Tod gefunden hätte, doch selbst wenn dem so gewesen wäre, dann wäre zumindest seine Seele nach Mandos heimgekehrt.

Ganz gleich wohin Olórin auch verschwunden war, für die nächsten vierhundert Jahre blieb er verloren.