Disclaimer: Ich habe diese Geschichte mit Figuren geschrieben, die ich aus dem "Herrn der Ringe" entliehen habe. Ich weise darauf hin, dass ich "Der Herr der Ringe" sowie die darin vorkommenden Figuren nicht als mein geistiges Eigentum ansehe. Ich bereichere mich nicht an dieser Amateur-Fiction. Die Handlung in dieser Geschichte ist von mir frei erfunden und hat nichts mit dem Ablauf in der Geschichte "Der Herr der Ringe" zu tun. Der Herr der Ringe" ist und bleibt das geistige Eigentum
von J. R. R. Tolkien

1. Trauer um Finduilas

Denethor beugte sich mit tränenüberströmten Haupt über seine geliebte Frau. Finduilas war soeben gestorben. Ihr hüftlanges rotblondes Haar war wie ein Mantel um sie ausgebreitet. Wunderschön wie eine Elbin ruhte sie auf dem Lager. Aber sie war nun tot – tot für alle Zeiten!

Tröstend legte Gandalf seine Hand auf die Schulter des noch jungen Truchseß.

„Laßt mich, Mithrandir!", sagte Denethor mit brüchiger Stimme. „Ich möchte alleine sein mit meiner Frau".

Gandalf nickte und verließ das Schlafgemach. Draußen in der Halle sahen ihn die beiden kleinen Söhne Denethors mit großen Augen an.

„Wie geht es Mutter?", fragte der 11-jährige Boromir leise.

Gandalf taten die beiden Jungen fürchterlich leid. Er legte seine Arme um Boromir und Faramir, und zog sie an sich.

„Euere Mutter ist soeben von uns gegangen. Sie ist bereits auf dem Weg in die Hallen euerer Ahnen".

Boromir brach in lautes Schluchzen aus, während Faramir erstaunlicherweise gefasst blieb.

„Mithrandir, ich habe heute nacht geträumt, dass Mutter auf ein Schiff steigt und eine weite Reise unternimmt. Der Ort nannte sich Valinor oder so ähnlich".

Gandalf sah erstaunt auf den Fünfjährigen herab. Er hatte schon seit längerem bemerkt, dass der jüngere der beiden Truchseß-Söhne erstaunliche Begabungen an den Tag legte: er war nicht nur ungeheuer sensibel und feinfühlig, sondern schien auch in die Herzen der Menschen sehen zu können. Diese Gabe besaß auch sein Vater, doch Dieser konnte nicht richtig damit umgehen.

„Dürfen wir Mutter noch einmal sehen?", fragte Faramir jetzt.

Gandalf lächelte und strich Faramir über die rotblonden Locken.

„Nur Geduld, kleiner Mann: warte, bis sich euer Vater von Finduilas verabschiedet hat. Dann dürft ihr sie sicher sehen".

„Ich verstehe nicht, warum Mutter sterben musste", klagte Boromir und sah Gandalf mit tränenverhangenen Augen an.

„Es war eben der Wille der Valar, dass sie heimkehrte", erwiderte Gandalf ruhig.

„Aber sie war doch noch nicht alt", begehrte Boromir trotzig auf.

„Viele, die sterben, verdienen das Leben – und viele, die leben, den Tod", sagte der Zauberer geheimnisvoll. „Kannst du das ändern, Boromir?"

„Ja vielleicht kann ich das eines Tages", rief Boromir aufbrausend.

Gandalf blieb bei den beiden Söhnen, bis Denethor endlich aus Finduilas' Gemach herauskam. Er schien um Jahre gealtert zu sein und in seinem bisher dunkelbraun gelockten Haar befanden sich einige graue Strähnen.

Faramir trat vor. „Dürfen wir nun hinein, Vater?"

Denethor sah Faramir irritiert an, der ihn mit seinen seeblauen Augen so sehr an Finduilas erinnerte. Er packte den kleinen Jungen grob an den Schultern und stieß ihn zur Seite. Faramir landete unsanft an der Mauer und fing an zu weinen.

„Denethor, warum vergeht Ihr Euch an Faramir? Er hat Euch nichts getan", fuhr Gandalf ihn entsetzt an.

Boromir nahm seinen schluchzenden Bruder schnell an der Hand und führte in das Gemach, wo Finduilas aufgebahrt lag.

Denethor sah den Zauberer mit blitzenden Augen an:

„Faramirs Anblick bereitet mir unglaubliche Qualen", sagte er schließlich mit rauer Stimme. „Er erinnert mich so sehr an meine Frau, dass es kaum auszuhalten ist".

„Ihr dürft Faramir nicht schlechter behandeln als Eueren Erstgeborenen", warnte Gandalf erschrocken. „Faramir besitzt ungeheuere Gaben. Vielleicht wäre er sogar ein besserer Nachfolger für Euch als Boromir".

Der Truchseß lachte bitter auf.

„Faramir als Truchseß? Das wäre der Untergang Gondors. Schon jetzt scheint es so, dass er immer schwächer als Boromir im Schwertkampf und Reiten sein wird. Er ist unnütz für Gondor. Sollte jemals einer meiner Söhne im Kampf gegen Mordor fallen, dann wird es Faramir sein und nicht Boromir!"

Gandalf konnte nur mühsam seinen aufkeimenden Zorn auf Denethor unterdrücken. Langsam wurde ihm klar, welch freudlose Kindheit und Jugend auf Faramir zukommen würde. Und der Zauberer war sich ziemlich sicher, dass Faramir zugrundegehen würde, wenn er in Minas Tirith blieb.

„Gebt mir Faramir!", bat der Zauberer plötzlich den Truchseß.

„Was?", entgegnete Denethor erstaunt.

„Ich werde den Jungen nach Bruchtal bringen", fuhr Gandalf entschlossen fort.

„Mach mit ihm, was du willst – hauptsache, ich muß seinen Anblick nicht länger ertragen", winkte Denethor müde ab.

Gandalf war entsetzt über Denethors Reaktion, doch er beschloß zu schweigen.

Einige Tage später wurde Finduilas in der Gruft der Truchsessen beigesetzt. Denethor wollte nicht von ihrem weißen Sarkophag weichen.

„Ihr müsst Euch endlich um Euere Söhne kümmern", mahnte Gandalf schließlich eindringlich. „Sie brauchen Euch jetzt mehr denn je".

„Und wer kümmert sich um mich?", stieß Denethor mühsam hervor.

Gandalf verließ kopfschüttelnd die Gruft. Dem Truchseß war wirklich nicht zu helfen.

„Ach Mithrandir, wolltet Ihr nicht mit Faramir nach Bruchtal reisen?", rief Denethor dem Zauberer plötzlich hinterher.

Gandalf drehte sich um. Seine Augen funkelten vor Zorn.

„Ihr wollt also tatsächlich Eueren Sohn loswerden, Herr Denethor. Bis zuletzt hoffte ich, Ihr würdet Euere Meinung noch ändern. Aber nun gut: dann werde ich mit Faramir sofort aufbrechen".

„Dann geht doch endlich!", krächzte Denethor mit heiserer Stimme.

Er legte seinen Kopf wieder auf die kühle Marmorplatte des Sarkophags und begann leise zu schluchzen.

Faramir und Boromir befanden sich in dem geräumigen Schlafgemach, das sie sich teilten.

„Komm, Faramir, ich werde jetzt deine Sachen zusammenpacken", erklärte Gandalf und begann eine der Truhen zu öffnen.

„Du nimmst mich mit auf eine Reise?", fragte der kleine Junge neugierig.

„Ja, du wirst mit mir nach Bruchtal gehen in das Haus von Elrond", erzählte der Zauberer freundlich. „Und dort wirst du auch bleiben – jedenfalls für die nächsten Jahre".

„Mithrandir, Ihr könnt mir doch nicht einfach meinen Bruder wegnehmen", rief Boromir entrüstet.

„Ich glaube, das verstehst du noch nicht richtig, Boromir", meinte Gandalf nachdenklich. „Oder vielleicht doch: du hast ja neulich gesehen, wie dein Vater mit Faramir umspringt. Er ist nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, was Recht und Unrecht ist".

„Dann will ich auch nicht hierbleiben, sondern mitgehen", sagte Boromir verängstigt.

Gandalf lächelte und fuhr durch Boromirs blonde Haare.

„Du hast hier nichts zu befürchten. Du bist der Liebling deines Vaters. Er würde dir nie etwas zuleide tun. Aber Faramir ist ihm ein Dorn im Auge. Du musst deinem Vater eine Stütze sein und ihn wieder auf den rechten Weg bringen".

Boromir schluckte: es war viel von ihm verlangt. Schließlich war er auch noch ein Kind.

Noch am selben Abend musste er Abschied von seinem kleinen Bruder nehmen.

„Soll ich nicht Vater auch Lebewohl sagen?", fragte Faramir schüchtern, nachdem Gandalf ihn zu sich aufs Pferd gehoben hatte.

„Lieber nicht", murmelte Gandalf bedrückt.

Boromir liefen die Tränen hinunter, als er die Beiden davonreiten sah. Schon bald hatten sie den obersten Festungsring von Minas Tirith hinter sich gelassen.

Plötzlich kam Denethor angelaufen.

„Faramir!", stieß er traurig hervor.

„Er ist schon weg, Vater", meinte Boromir und sah seinen Vater mit verweinten Augen an. Denethor legte seinen Arm um ihn und beide sahen von der Zitadelle aus zu, wie Gandalf mit Faramir über die Pelennor-Ebene ritt. Für einen kurzen Moment hatte der Truchseß seine Entscheidung bereut. Aber je weiter sich der Zauberer mit dem Jungen von Minas Tirith entfernte, desto mehr erstarben seine letzten, väterlichen Gefühle für Faramir in seinen Herzen.