Sterne
Mir ist schlecht.
Ich weiß, du wirst mich ein weiteres Mal anklagend zur Seite nehmen, mich mitleidsvoll ansehen und halb besorgt, halb verärgert fragen. Fragen, warum ich schon wieder nicht geschlafen habe. Fragen, warum ich mich schon wieder weigere, zu essen. Fragen, warum ich schon wieder eine ganze Nacht damit verbracht habe, frierend am Fensterbrett zu sitzen und mit leerem Blick in den dunklen, sternenübersäten Himmel zu starren. Wie so oft.
Und ich werde dir keine Antwort geben können. Wie so oft.
Du verstehst es einfach nicht, und du wirst es nie verstehen. Du wirst nie diese Übelkeit fühlen, nie diese Leere spüren. Und du kannst froh darum sein. Jeder von uns wünscht sich nichts sehnlicher.
Ein Zittern läuft durch meinen Körper.
Es gibt so viele Erinnerungen. Kennst du das, wenn du jemanden verlierst, der dir wichtig ist, und dich alles an ihn denken lässt? Ich habe viele Leute verloren, wir haben viele Leute verloren, so unendlich viele, und das an einem Tag. Die Erinnerungen sind überall. Wir haben gelernt, damit zu leben. Wir haben gelernt, das Grauen nicht mehr bei jedem Schritt zu fühlen. Wir haben gelernt, in die Zukunft zu sehen. Aber für jeden von uns gibt es etwas, das uns jeden Halt nimmt und uns in die Vergangenheit stürzen lässt wie in ein tiefes, bodenloses Loch. Und wir können nichts dagegen tun.
Wir haben Muggle- wie Zaubererpsychologen engagiert und unzählige Therapiestunden über uns ergehen lassen, aber Ärzte können Wunden nur oberflächlich heilen. Die Narben werden immer bleiben.
Ich weiß, dass Harry immer noch hysterisch zu weinen beginnt, sobald er eine Wiege sieht. Und ich erlebe nur zu oft Rons grauenvolle Magieausbrüche, wenn ein Glas zu Bruch geht. Es hat alle schwer getroffen. Jeder, der in der letzten Schlacht gekämpft hat, wird nie vergessen, wie grausam sie war. Aber es trifft keinen so schwer wie uns drei. Wir waren immer in der Mitte des Geschehens. Und wir wollten es so.
Damals, als der Krieg noch drohend und angsteinflößend gewirkt hat und uns der Gedanke an die Gefahr, in der unsere Familien geschwebt sind, den Schlaf geraubt haben. Damals, als wir noch mutig und kampbereit und voller Tatendrang und so schrecklich gryffindor waren und uns eingebildet haben, die Welt retten zu können.
Nun, wir haben sie gerettet. Und obwohl uns die Kinder, die in Frieden aufwachsen können, täglich daran erinnern, das Richtige getan zu haben, kommt keiner von uns umhin, sich zu wünschen, wir wären damals egoistisch genug gewesen um zu sterben. Wir wären egoistisch genug gewesen, den einfachen Weg zu nehmen. Die Gesellschaft hätte uns vielleicht nie verziehen, aber uns hätte das nicht gekümmert. Wir würden tot sein.
Ich schließe die Augen und sehe sie wieder vor mir. All die Auroren. All die Mitglieder des Phoenixordens. All die Kinder. Die Kinder.
Sie sind das Grauen, das uns in unseren schwächsten und stärksten Momenten heimsucht, uns den Schlaf raubt und uns den Atem nimmt. Sie sind der Preis, den diese Welt für begrenzten Frieden bezahlt hat.
Ob sie es wert waren?
Wer könnte das sagen?
