Author's Notes
Das ist er also, der Beginn des dritten Teils der "Opium"-Trilogie. Das ich ihn überhaupt zu schreiben beginne kommt mir wie ein Wunder vor - wir werden sehen, ob ich ihn zu Ende bringen kann..
Dabei sind die Spielregeln etwas anders als die der beiden ersten Teile. Während sich dort eine Geschichte in einer gerade Plotline entfaltete, wird "Honig" ein Sammelsurium aus Einzelszenen werden. Erzählt wird, wie es mit Severus und Remus weitergeht, von dem Moment auf dem Turm an - also dem letzten Kapitel von "Earl Gray", das hier nur wenige Woche zurückliegt - bis, ja.. bis zum Ende. Dabei wird hin- und hergesprungen, es gibt Rückblenden und ich möchte verschiedene kleinere Ideen verarbeiten, so dass im Prinzip lose zusammenhängende Kurzgeschichten entstehen - manche haben mehrere Kapitel, das wird dann gekennzeichnet - über deren Verlauf hinweg dennoch eine zusammenhängende Plotline entstehen soll. Die meisten Szenen habe ich schon im Kopf. Mal sehen, wohin die Reise uns führen wird..
Damit ist auch schon gesagt, dass es sich hier eben um den dritten Teil einer Triologie handelt. Wer "Opium" und "Earl Gray" noch nicht gelesen hat dürfte einige Lücken haben und damit möglicherweise Schwierigkeiten, die Geschichte ganz zu verstehen. Im Prinzip kann jeder aber auch hier einsteigen, und bei Lust und Laune evtl. die anderen beiden Geschichten nachholen. Einiges werde ich auch doppelt erklären - auch für mich liegt "Earl Gray" jetzt fast ein Jahr zurück, so dass ich selbst erstmal einiges wieder auffrischen musste.
Disclaimer: Nein, mir gehört nichts. JKR all the way. Außer natürlich den kleinen Charakteren, die ihr schon aus "Earl Gray" kennt. Die gehören tatsächlich mir..
Rating: Finde ich irrelevant.
Warnings: Ich ignoriere gut und gerne alles nach Band 5. Jedenfalls das meiste. Also: OoC warning.
Reviews: hätte ich gerne. Viele. Aber das wisst ihr ja schon.
Ordinary Life
Alltag mit Severus war eine komplizierte Angelegenheit. Remus hätte es ahnen können, und Severus hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt. Aber tatsächlich hatte Remus schlicht und ergreifend unterschätzt wie komplex ein ganz normaler Tag sein konnte, auf was für ein seltsames Spiel aus unmittelbarer Nähe und völliger Distanz er sich da tatsächlich eingelassen hatte.
Die Diskretion, um die Severus gebeten hatte, hatte Remus ihm gewährt. Kaum jemand wusste etwas, und den wenigsten der Eingeweihten hatten sie tatsächlich etwas gesagt. Sirius, natürlich, und Albus, der ja sowieso immer alles wusste. Beide hatten es irgendwie verstanden und genickt, Albus etwas freudiger als Sirius. Minerva hatte es schnell gemerkt, und auch einige andere waren bald im Bilde. Die meisten aber, und da stellte der innerste Kreis des Ordens keine Ausnahme dar, ahnten nichts.
Das lag vor allem daran, dass Severus ein ausgezeichneter Schauspieler war, und Remus ihm fleißig in die Fußstapfen folgte. Aber es fiel ihm nicht immer leicht. Er war anhänglich und wollte Nähe. Er bekam einen seltsamen Zauber, der ihm Zutritt zu Severus' privaten Räumen verschafften, und gelegentlich überraschende Nähe, wo er sie nicht erwartet hätte. Und er bekam Lektionen in Unnahbarkeit, Illusion, Selbstbeherrschung. Er lernte sich abseits zu setzen, Severus' Blicke nicht zu suchen, keine spontanen Berührungen zu erwarten, und seine Stimmlage genauestens zu kontrollieren.
Er lernte aber auch lange, einsame Nächte kennen, banges Warten und Hoffen, stundenlanges Sitzen in den privaten Zimmer des Krankenflügels. Er lernte Severus' Schatten im dunklen Schlafzimmer kennen, dessen lautlose Schritte auf dem Teppich, das Geräusch von schwerem schwarzen Stoff, den er sich überwarf. Das Klappen der Tür. Und die Rückkehr, Stunden später, meist dämmerte schon der Morgen. Wieder das Geräusch der Tür, Schritte auf schwerem Teppich, diesmal müde und schleppend. Die Kälte der Nacht, die in Severus' Händen und Haaren hing, und die seltsamen Gerüche der Death Eater Treffen, die er mitbrachte. Remus' feine Werwolfnase lernte, Blut sofort zu erkennen und auch bald zu spüren, wessen Blut es war. Er lernte kleinere Wunden zu behandeln und zu verbinden. Er lernte, dass Severus manchmal Distanz brauchte und immer Ruhe. Er lernte den Umgang mit seinem zerbrechlichen und geschundenen Körper, und Severus' körperliche Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Er lernte wegzuschauen, wenn wieder eine Phiole mit Schmerzmitteln zuviel plötzlich leer war. Das manchmal Whisky morgens um vier die einzige Möglichkeit war, noch bis zum Morgengrauen zu überleben. Er lernte das Severus nicht weinte, aber auf andere Art um jeden trauerte, den er hatte sterben sehen. Remus sah die Toten der Nacht in seinen schwarzen Augen, und er lernte damit umzugehen.
Nein, Alltag mit Severus war nicht leicht. Aber manchmal wurde er es dann doch, ganz überraschend und plötzlich. Meist ohne Vorwarnung. Oft waren es nur Kleinigkeiten. Sanftes Aufwachen am Morgen, wenn Severus ausnahmsweise noch nicht aus dem Bett in seinen schwarzen Panzer aus Stoff geflüchtet war. Tee in seinen Räumen statt in der großen Halle. Offiziell anmutende Post beim Abendessen, in verschlüsselter und für jeden anderen völlig unlesbarer Schrift, die sich als alles andere als unlesbar herausstellte und Remus Übung in stoischer Haltung verschaffte. Geschenke, immer versteckt, nie offensichtlich.
Was ihnen fehlte war Zeit. Beide lebten auf einem engen Zeitplan aus Unterricht, organisatorischen Verpflichtungen und den Aufgaben des Ordens. Aber Severus arbeitete beinahe ein doppeltes Pensum, stellte Tränke für den Krankenflügel her, hörte sich immer wieder für den Orden in dubiosen Kreisen um, folgte Nachts den Rufen Voldemorts und Tags den Bitten von Albus'. Dazu versuchte er soviel wie möglich zu lesen, führte eine weitläufige Korrespondenz, und schlief wenig. Es war Remus ein völliges Rätsel wie er überlebte, und wahrscheinlich wusste Severus es selbst nicht. Sein Leben war eine Konstruktion, geprägt von plötzlichen Umschwüngen und Belastungsproben für ein sorgsam konstruiertes Lügengeflecht.
Sein zunehmender körperlicher Verfall trug nicht dazu bei die Situation zu erleichtern. Poppy und Albus hatten gemeinsam ein ausgeklügeltes System entwickelt, das dabei helfen sollte, Severus noch länger am Leben zu erhalten als die vier Monate, die er sich selbst zynisch noch zugestanden hatte. Anfänglich hatte Severus sich zu wehren versucht, wollte nicht Versuchskaninchen sein und lieber seine Routine aus Schmerzmitteln und eiserner Selbstdisziplin wieder aufnehmen, von seinen Aussehensveränderungszaubern ganz zu schweigen. Aber Albus hatte ihm energisch ins Gewissen geredet und Remus hatte sich der Tirade angeschlossen, so dass Severus sich am Ende zähneknirschend unterworfen hatte und nun von Poppy regelmäßig mit stärkenden Tränken und Vitaminen versorgt wurde. Ein wirklicher Erfolg war diesen Maßnahmen kaum beschieden, aber Remus hatte das Gefühl, dass es seit ihrem Plan im ständig Auf und Ab von Severus körperlicher Verfassung mehr Hochphasen als Tiefpunkte gab. Dennoch hatte Severus schon unmittelbar nachdem er den Krankenflügel am Ende des Sommers endgültig verlassen dürfte seine Aussehensveränderungszauber wieder in Kraft gesetzt. Ihm waren die ständigen entsetzten Blicke zuviel gewesen, und er hasste Mitleid. So hatten nur wenige tatsächlich gesehen, was zwei Jahre als Doppelagent und ein Leben in ständiger Furcht vor dem Ende aus ihm gemacht hatten. Die anderen sahen wieder nur das Bild des lediglich etwas zu dürren und stets schlecht gelauntem Tränkemeisters. Allerdings hatte Albus durchsetzen können, dass Severus auf seinen komplizierten Legilimens-Zauber verzichtete und statt dessen einen ganz gewöhnlichen Veränderungszauber nutzte, der wesentlich weniger Energie benötigte und dabei aber zumindest ansatzweise ähnlich wirkte. Zähneknirschend hatte Severus klein beigegeben. Für ihn hatte diese Lösung vor allem den Nachteil, das Albus ihn gelegentlich mit einem einfachen Finite Incantatem belegen und so überprüfen konnte, ob ihre Rosskur Fortschritte machte oder nicht. In der Regel flüchtete Severus nach solchen Gesprächen schimpfend aus Albus' Büro und war anschließend den ganzen Abend gereizt, was Remus gleich ersparte nach dem Ausgang ihres Gesprächs zu fragen.
Es war ein solcher Abend im frühen Herbst als Remus schon aus der Bibliothek hörte wie Severus die Tür zu seinen privaten Räumen etwas zu heftig ins Schloss warf und dann leise vor sich hin fluchend das Wohnzimmer durchquerte. Draußen vor den Fenstern war es nass und grau, und Remus hatte es sich auf einem Sessel in der Bibliothek gemütlich gemacht. Eben dieser Sessel war zu seinem privaten Stammplatz in Severus' Räumen geworden. Kurz nachdem Severus ihm vollständigen Zutritt zu seiner Wohnung gewährt hatte, hatte Remus diesen Sessel einfach aus dem Wohnzimmer in die Bibliothek transportiert und zu seinem Eigentum erklärt. Dann hatte er sich daran gemacht den Vorsatz in die Tat umzusetzen, den er im Sommer gefasst hatte: Sich einmal quer durch Severus' enorme Büchersammlung zu lesen. Fast jeden Abend an dem er nicht selbst seinen Lehrverpflichtungen nachkommen musste, saß er so im Licht einer kleinen Stehlampe, die irgendwann einfach neben dem Sessel aufgetaucht war, und las in einem willkürlich gewählten Buch. Wenn Severus selbst nicht unterwegs war oder durch die Gänge patrouillieren musste saß er dann Remus gegenüber an seinem Schreibtisch, schrieb ausführliche Briefe in alle Welt, oder arbeitete. Als Hauslehrer hatte er mehr Verpflichtungen als Remus, und kümmerte sich auch um erheblich mehr Verwaltungsaufgaben, so dass er öfter in Konferenzen eingebunden war oder noch irgendwelche Papierschlachten zu erledigen hatte. War das alles geschafft arbeitete Severus weiter an seinen diversen Projekten, oder rätselte an Fragestellungen herum, die ihm von befreundeten Tränkemeistern mit der Bitte um Hilfe übersandt worden waren. Voldemorts Rufe ereilten ihn selten vor Mitternacht, und es waren diese Stunden des Abends, die Remus am meisten schätzten.
An diesem fraglichen Herbstabend sah Remus halb belustigt von seinem Buch auf, als er Severus im Wohnzimmer poltern hörte. Für den sich normalerweise beinahe geräuschlos bewegenden Tränkemeister war es mehr als ungewöhnlich soviel Lärm zu machen. Auch wenn Severus durch seine körperliche Schwäche viel von seiner üblichen Eleganz eingebüßt hatte, deutete diese Geräuschkulisse doch dringend auf einen größeren Streit mit Albus hin.
Ohne Begrüßung rauschte Severus schließlich in seine Bibliothek, warf mit kaum verborgener Wut ein dickes Notizbuch auf seinen Schreibtisch und ließ sich in den Stuhl dahinter fallen. Geräuschvoll zog er sich ein Pergament aus dem Stapel der Klassenarbeiten vor ihm und starrte darauf. Remus blickte über den oberen Rand seines Buches. "Er hat es nur gut gemeint?" Severus sah auf und knurrte. "Ihr würdet noch über meiner Leiche stehen und sagen Ihr hättet es nur gut gemeint." Remus musste lächeln. "Siehs positiv, immerhin würden dann wir über deiner Leiche stehen und nicht Voldemort." Severus starrte das Pergament an, als würde er es am liebsten hochwerfen und mit einem kräftigen Spruch zur Explosion bringen. "Merlin, hören die eigentlich nie zu? Und nein, manchmal denke ich, dass Ihr auch nicht viel erträglicher seid als Voldemort. Weniger wahnsinnig, vielleicht. Hast Du mein rotes Tintenfass gesehen?" Mit einem Blick nach links fand Severus es aber schon selbst, rief es mit einem Wink zu sich und tauchte die Feder energisch ein. Remus beschloss, sich für den armen Schüler zu opfern und Severus abzulenken. "Dann sitzt Du ja quasi zwischen Scylla und Charybdis." Mit bereits angesetzter Feder sah Severus auf. "Du liest die Bücher, die ich Dir gebe, ja tatsächlich. Eigentlich sitze ich mehr zwischen einem verknallten Werwolf, einem wahnsinnigen dunklen Lord und dem mächtigsten Zauberer der Welt, der mich gerne in eine wahrscheinlich tödliche Umarmung zwingen würde oder mir Zitronenbonbons an den Kopf wirft." Kurz fragte Remus sich, ob Albus tatsächlich je mit Zitronenbonbons nach Severus geworfen hatte, legte diese amüsante Überlegung dann für später zur Seite, und strahlte Severus einfach an. "Na, dann ist ja alles wunderbar. Außer Voldemort, auf den könnten wir gut verzichten. Und natürlich lese ich deine Bücher, irgendwas muss ich ja tun, während Du dich in irgendwelchen dunklen Ecken rumtreibst."
Remus' Plan zur Rettung des Schülers funktionierte. Severus nickte, legte die Feder beiseite und ließ sich sichtbar erschöpft gegen die Lehne des Stuhls sinken. "Dunkle Ecken sind das allerdings. Aber das Du die ganze Odyssee in so kurzer Zeit liest hätte ich nicht gedacht. War ich so viel weg?" Auch Remus klappte das Buch in seinen Händen zu, nicht ohne vorher ein Lesezeichen hineingelegt zu haben. "Ja, Du warst viel weg in letzter Zeit, wirklich." Müde fuhr Severus sich über das Gesicht. Hatte er in den Ferien den Veränderungszauber noch gelegentlich abgelegt trug er ihn jetzt die ganze Zeit über, und Remus war sich nie ganz sicher gewesen, ob es nicht auch etwas mit ihm zu tun hatte. Er verbrachte beinahe jede Nacht außerhalb des Vollmonds in Severus' Räumen und war dort ganz heimisch geworden, was aber auch gleichzeitig bedeutete, dass Severus für seine Verhältnisse sehr wenig Ruhe und Zeit für sich selbst fand. Und weil Remus sich eine beängstigende Form der Ehrlichkeit gegenüber Severus angewöhnt hatte, sprach er seine Überlegungen auch gleich aus. "Sag, trägst Du diesen Veränderungszauber eigentlich wegen mir auch abends, wenn wir allein sind? Denn das musst Du wirklich nicht." Severus sah überrascht aus. "Wie kommst Du jetzt darauf?" Remus zuckte die Schultern. "Es fiel mir gerade ein, als Du dein Gesicht berührt hast. Es ist seltsam, Dich so anzusehen und zu wissen, dass Du eigentlich anders aussiehst." Und zwar erheblich anders. Der Aussehensveränderungszauber zeigte Severus nach wie vor in der Gestalt, wie er vor über einem halben Jahr gewesen war. Darunter lag jetzt etwas anderes, das Remus nur zu gut in Erinnerung hatte und wahrscheinlich nie vergessen würde - und fühlte, denn obwohl der Veränderungszauber natürlich die äußere Gestalt eines Menschen modifizierte, veränderte er nicht die haptische Erfahrung, wenn man ihn berührte. So fühlte Remus nachts auf Severus' Haut die Narben, die er nicht sah, die spitzen Knochen, die tagsüber unter der Illusion des Zaubers verborgen lagen.
Es dauerte einige Minuten, bis Severus antwortete. "Nein, und Ja. Wahrscheinlich ist es teils einfach Gewohnheit, vielleicht spielt das, was Du erwähnst eine Rolle. Vermutlich trage ich ihn auch aus purem Eigennutz." Das verstand Remus nicht ganz, und neugierig lehnte er sich etwas vor. "Wie, aus Eigennutz? Weil Du kein Mitleid magst?" Aber Severus schüttelte den Kopf. "Natürlich auch deswegen, aber das meinte ich nicht. Nein, ich - wie soll ich es erklären?" Er überlegte ein Moment, und Remus wurde wieder daran erinnert, wie sehr er Severus' Ehrlichkeit schätzte. Es hatte eine Weile gedauert, aber dann hatte der sonst so verschlossene Mann sich tatsächlich daran gewöhnt, Remus gegenüber mit schonungsloser Ehrlichkeit auch Schwächen zuzugeben. Schließlich fand Severus die Worte, die er suchte. "Vielleicht ist es eine Form der psychologischen Kriegsführung. Wenn ich selbst im Spiegel nicht das ganze Ausmaß meines Verfalls sehen muss, kann ich ihn vielleicht hinauszögern. Oder einfach ignorieren." Das letztere erschien Remus am wahrscheinlichsten. Es passte am besten zu der Art und Weise wie Severus über Monate hinweg im Verborgenen gelitten hatte, und sich mithilfe von eines komplizierten Systems verschiedenster Tränke aufrecht erhalten hatte.
Wie groß das Ausmaß dieser seltsamen Maßnahmen tatsächlich gewesen war, hatte Remus erst in der ersten Zeit ihres Zusammenlebens begriffen. Es war ein fein abgestimmtes System aus Tränken verschiedenster Art, das Severus nutzte um sich am Leben zu erhalten. Im Gegensatz zu den Mitteln, die Poppy ihm nun verabreichte, waren sie aber fast alle beinahe schon im Bereich der Drogen anzusiedeln. Severus nutzte verschiedenste Betäubungsmittel, Schmerzstiller, aber auch amphetaminähnliche Stoffe, um sich aufrecht zu erhalten. Das er die Opiumhöhle nicht nur aus Gründen der Kontaktaufnahme mit seinen Informanten besuchte hatte Remus auch schnell begriffen, und nur schwer akzeptiert. Aber der Cruiciatus hatte erbarmungslos das feine Nervensystem in Severus' Körper angegriffen und gründlich ruiniert, und die Schmerzen waren häufig nur durch Opium einzudämpfen. Noch weigerte Severus sich, auch Morphium zu verwenden - aber er hatte Remus gegenüber schon lange zugegeben, im Notfall auch darauf zurückgreifen zu wollen. Wie gut dieses komplizierte Geflecht zu seiner Ausbildung als Tränkemeister und seiner Spezialisierung auf die Spagyrik, die Tränkekunde als Heilmittel einsetzte, passte! Manchmal dachte Remus daran, dass Severus sonst wahrscheinlich schon längst aufgegeben hätte. So kam ihm der Zufall zur Hilfe, und seine Fähigkeiten und Kenntnisse waren ihm zunutze geworden.
"Aber es hilft ja nichts, es zu ignorieren. Auch wenn ich natürlich völlig nachvollziehen kann, dass Du nicht alle Welt informieren willst. Aber meinst Du nicht, man hätte Dir vielleicht besser helfen können, wenn Du früher etwas gesagt hättest?" Jetzt endgültig vom Lesen abgebracht legte Remus das Buch auf den Boden neben sich. Severus sah ihn nur an, die Ellbogen auf den Seitenlehnen des Stuhls abgestützt, die Fingerspitzen aneinandergelegt. "Euch ist bewusst, dass Ihr mir nicht helfen könnt." Remus sah auf seine Hände. Tatsächlich hatte Severus Recht. Alle ihre Bemühungen hatten bisher wenig Erfolg gezeigt, und kaum Besserung bewirkt. Poppys Heilkunst konnte viel, aber es gelang ihr kaum Verbesserungen in Severus' Zustand zu erreichen. Nur den Status quo zu erhalten, das war ihr möglich gewesen. Auch wenn das schon ein Fortschritt war: Sie gaben es nicht gerne zu.
Als Remus wieder aufsah hatte Severus den Veränderungszauber fallen gelassen. Es war nicht viel von ihm zu sehen, aber selbst in seinen vollen Roben, die wie immer bis zu den Handgelenken reichten und mit ihrem hohen Kragen sogar den Hals bedeckten, war der Verfall sichtbar. Viel zu groß schienen ihm die schwarzen Stoffmassen auf einmal zu sein, seine Hände schmal, die Finger dürr wie Äste. Am eindrucksvollsten fand Remus aber immer sein Gesicht, das mit den tiefliegenden Augenhöhlen, den schwarzen Augenringen und der spitz hervorstechenden Nase beinahe gespenstisch wirkte. Die scharfen Linien seiner hervorstehenden Wangenknochen trugen ihr übrigens zu diesem Gesamteindruck bei. Über all das hätte Remus hinwegsehen können, wäre da nicht die tiefe Müdigkeit gewesen, die in Severus Gesichtsausdruck lag, und sich in den tiefliegenden schwarzen Augen widerspiegelte.
Ohne zu Überlegen stand Remus auf, durchquerte den Raum, und setzte sich unmittelbar vor Severus auf den Schreibtisch, nachdem er den Pergamentstapel einfach zur Seite geschoben hatte. Severus betrachtete ihn nur stumm, und als Remus die Hand ausstreckte und an Severus' Wange legte, schloss er die Augen, lehnte sich nur ein wenig in die Berührung und ließ es geschehen. "Wenn ich meinen eigenen Anblick kaum ertrage, wie kannst Du es dann?" Severus hatte sehr leise gesprochen, als wäre er kurz davor einzuschlafen. Es brach Remus fast das Herz. Ihm fielen tausend Antworten ein, aber keine schien ihm geeignet zu sein, auf diese Frage allumfassend einzugehen. Also lehnte er sich nur vor, und küsste Severus vorsichtig und sanft. Dann erst sagte er etwas. "Ich ertrage Dich ganz hervorragend. Auch wenn Du für meinen Geschmack gerade etwas zuviel Stoff anhast." Wie unfreiwillig lächelte Severus, die Augen immer noch geschlossen und den Kopf zu Remus' Berührung geneigt.
"Es ist noch nicht spät, aber wir sollten schlafen gehen." Aber Severus deutete ein Kopfschütteln an. "Ich habe noch Arbeit. Und er wird rufen." Sofort war Remus wieder in Realität angelangt. "Heute Nacht? Bist Du Dir sicher?" Mit sichtbarer Mühe öffnete Severus die Augen und richtete sich wieder auf. "Ja, er hatte es angekündigt. Außerdem hat er irgendetwas vor." Alarmiert sah Remus ihn an, aber Severus beruhigte ihn sofort. "Schau nicht so, es wird schon nichts dramatisches sein. Für den Fall der Fälle ist Albus informiert." Verhalten gähnte er und fuhr sich wieder mit seinen Händen über das Gesicht. Dann sah er auf seine Fingerspitzen hinab, die wie immer ohne den Tarnzauber leicht zitterten. Remus folgte seinem Blick, und ergriff dann beide Hände mit seinen eigenen. Selbst in seinem Griff spürte er das leichte Zittern, das in seinen Augen grausamste Merkmal des Cruciatus: die Zerstörung der Nervenbahnen zeigte sich dort am stärksten. "Ich bin immer wieder fasziniert, dass Du überhaupt noch arbeiten kannst." Severus sah auf Remus Hände hinab. "Es wird nicht mehr lange möglich sein, Du weißt es. Wir haben bereits darüber gesprochen. Und ohne deine Hilfe wäre es bereits jetzt nicht mehr möglich."
Darüber gesprochen hatten sie, und sie waren zu einem praktischen Kompromiss gelangt: Remus, der mittlerweile einen nicht geringen Umfang an Schneidetechniken beherrschte, stellte sich Severus zur Verfügung und übernahm die Vorbereitungsarbeiten. Severus selbst braute dann nur noch, und in erstaunlich kurzer Zeit waren sie ein gut eingespieltes Duo geworden. So gut, dass Severus in letzter Zeit aufgehört hatte Remus' Arbeit zu kontrollieren, und sich ganz auf seine Sorgfalt verließ. Das erfüllte Remus mit großem Stolz, und Albus hatte ihm versprochen, ihn offiziell als Gesellen in die Tränkemeisterzunft aufzunehmen, wenn erstmal das Schuljahr überstanden war. Wenn alles vorbei war, hatte er wohl eigentlich gemeint, aber nicht gesagt. Es war unrealistisch von Remus anzunehmen, dass dieser Umstand je eintreffen würde, aber er war trotzdem stolz gewesen und hatte sich über diese indirekte Anerkennung gefreut. Dazu mochte er die ruhigen Stunden im Labor, die konzentrierte Arbeit und die Ergebnisse, die stets daraus erwuchsen. Sie erinnerten ihn an den letzten Sommer, in dem er so oft mit Severus im Labor gestanden hatte. Dazu war es eine befriedigende Arbeit für den Krankenflügel zu brauen, und auch der Wolfsbann gelang jedes Mal wieder. Andere komplizierte Tränke braute Severus kaum noch, um seine Energie nicht übermäßig anzugreifen. Der Wolfsbann war bereits anstrengend genug, und die Erholungsphasen, die Severus nach jedem Brauvorgang brauchte, wurden immer länger. Dennoch arbeitete er mit nicht nachlassender Präzision und Hingabe, und der Trank gelang jedes Mal perfekt.
"Natürlich, und wir arbeiten ja jetzt schon ganz gut zusammen. Weißt Du eigentlich, dass Albus mir versprochen hat, mich irgendwann in die Tränkemeisterzunft einzuführen?" Unfreiwillig musste Severus grinsen. "Das gefällt Dir, ich kann es mir denken. Und Albus, er liebt die etwas schwülstigen Zeremonien der Zunft. Ja, wenn alles vorbei ist, dann wird er das sicherlich tun. Schade, dass ich dann nicht damit angeben kann, Dich ausgebildet zu haben." Er klang resigniert, und Remus beantwortete diese Aussage mit einem leichten Klaps auf seine Schulter, wohl wissend, dass er damit einen blauen Fleck hinterlassen würde - Severus' Haut war dünn, und er war von schwarzen Flecken und Blutergüssen geradezu übersät. "Sei nicht so negativ, verflixt. Kannst Du nicht mal optimistisch sein?" Mit übertrieben schmerzverzerrtem Gesicht rieb Severus sich die Schulter. "Wenn ich damit deiner Aggression entgehen kann. Also: Ich werde Dich selbstverständlich mit größtem Stolz der Tränkemeisterzunft als mein Geselle präsentieren, und danach hole ich mir für den Wolfsbann den Flamel-Preis ab. Anschließend gehen wir tanzen, und ich trage ein rotes Kleid. Einverstanden?" Ungewollt musste Remus lachen. Er wusste nicht, was absurder war: Severus' zutiefst zynischer und knochentrockener Tonfall oder die Vorstellung, den großgewachsenen Tränkemeister in einem roten Kleid zu sehen. "Tanzt Du dann auch Tango mit mir?" Severus verdrehte die Augen. "Tango Argentino, selbstverständlich."
Noch während Remus lachte gähnte Severus hinter vorgehaltener Hand. Remus glitt von der Schreibtischplatte. "Das dachte ich mir. Du arbeitest heute nicht mehr. Wir legen uns etwas hin, ich erzähle Dir die Neuigkeiten von der letzten Ordenssitzung, die Du ja verpasst hast. Das heißt, eigentlich erzähle ich Dir den Klatsch, den Rest hat Dir Albus ja schon berichtet." Wieder verdrehte Severus die Augen, ließ sich aber von Remus aus seinem Stuhl ziehen und folgte ihm ergeben ins Wohnzimmer, wo sie auf der großen Couch Platz fanden. Gehüllt in die leichte Decke ließ Severus sich dazu herab sich an Remus zu lehnen und hörte zu, was es bei der letzte Sitzung des Ordens neues an unwichtigen Informationen gegeben hatte. Aber spätestens bei der genauen Beschreibung des Hochzeitskleids der zukünftigen Frau von Minervas Bruder war er dann eingedöst. Remus bemerkte erst viele Sätze später, dass ihm sein Publikum abhanden gekommen war, und ließ sich einfach in eine wohlige Ruhe versinken. Im großen Kamin knisterte schon das erste Feuer, und an die Fensterscheiben klopften einige Tropfen.
Ihre Ruhe wurde je unterbrochen als Severus plötzlich hochschreckte. "Habe ich geschlafen? Ich muss gehen." Remus roch sofort das versengte Fleisch, ein für seine Werwolfsnase kaum erträglicher Geruch, den er hasste. Er hatte Severus nie danach gefragt wie groß die Schmerzen waren, die mit jedem Ruf einhergingen. Dabei waren sie nur ein Vorgeschmack auf das, was Severus am Ende erwartete. Warum konnte Voldemort nicht wenigstens seine Rufe für seine Diener angenehmer gestalten? Der dunkle Magier musste eine ausgesprochen sadistische Freude an solchen Dingen haben.
Mit noch etwas steifen Schritten war Severus derweil im Schlafzimmer verschwunden, noch im Gehen wieder hinter dem Veränderungszauber verschwindend. Remus folgte ihm nicht, denn er wusste, dass Severus in diesen Momenten Ruhe wollte. Minuten später erschien er wieder im Türrahmen, diesmal in die schwarzen Roben der Death Eater gehüllt, den weiten Mantel bereits über den Schultern. Nur Handschuhe und Maske trug er noch nicht. Während er aber die Handschuhe lose in der rechten Hand hielt, war die Maske für Remus unsichtbar irgendwo in seinem weiten Mantel verborgen. Niemand im Orden wusste, wie genau sie aussah. Nur Albus kannte ihr spezifisches Aussehen. Alle anderen Mitglieder des Orden und auch Remus hatten keine Vorstellung davon, wie genau Severus' Maske gekennzeichnet war. Sie wussten nur, dass sie sich von den einfachen silbernen Masken der gewöhnlichen Death Eater unterschied und ihn so als Mitglied des engsten Kreises um Voldemort kennzeichnete. Was genau aber in das Silber der Maske gezeichnet war konnte keiner erahnen.
Kommentarlos durchquerte Severus das Wohnzimmer, ging zum Kamin und warf etwas Flohpulver hinein. Sekunden später erschien der Kopf von Albus Dumbledore in den Flammen. "Du gehst?" Severus nickte. "Ja, er hat gerufen. Es liegt nichts vor, dass ich jetzt schon wüsste oder erahnen könnte. Alltag, wohl. Allerdings scheint er irgendetwas zu planen, ich weiß nur noch nicht, was genau es ist. Sobald ich zurück bin informiere ich Dich." Albus sah nicht besonders begeistert aus. "Gut. Sei vorsichtig." Severus zuckte die Schultern, und das Bild in den Flammen verschwand. Dann wand der sich an Remus. "Geh schlafen. Es wird spät werden, zu wachen lohnt sich nicht." Remus zog die Knie an und lehnte sich tief ins Sofa zurück. "Ach was, Du weißt genau, dass ich nicht schlafe solange Du fort bist. Und Albus ebenfalls nicht. Komm bald wieder, und bitte in einem Stück." Wieder zuckte Severus die Schultern und beschäftigte sich damit die Handschuhe anzuziehen. "Das liegt nicht in meiner Macht." Remus betrachtete ihn kurz. Severus war schon in seinen gewöhnlichen Roben eine eindrucksvolle Erscheinung. Die Kleidung der Death Eater verlieh ihm aber nun vollständig den Anschein der Unberührbarkeit. Fasziniert hatte Remus beobachtet, wie sich mit dem Wechsel der Kleidung auch stets sein Habitus veränderte, als müsste er ein anderes Selbst anlegen, um seine Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Er wirkte angespannter als gewöhnlich, sein Gesicht wie in Stein gemeißelt, die Augen völlig emotionslos. Remus hatte die Death Eater Roben noch nie berührt, Severus ließ es nicht zu. Selbst wenn er verletzt war kleidete er sich stets um, bevor er wieder mit jemandem sprach, jedenfalls solange er es noch konnte. Nur seine Berichte an Albus lieferte er in vollem Ornat ab, und dorthin führte ihn sein Weg von dem Apparationspunkt im Verbotenen Wald auch stets als erstes. Egal wie sehr Remus ihn hatte überzeugen wollen, an dieser Routine war nichts zu ändern. Das lag nicht zuletzt daran, dass Severus häufig zeitsensitive Informationen mit sich trug: Wissen, das sofort ans Ministerium oder die betroffenen Familien weitergegeben werden musste, um nützlich sein zu können. Erst danach ließ er zu, dass jemand sich um ihn selbst kümmerte.
Auch die Abschiede waren kurz. Wie immer stand Severus auch diesmal nur Sekunden vor Remus, und war dann schon auf dem Weg zur Tür. Remus' Abschiedsgruß, das übliche "Bitte sei sehr vorsichtig" registrierte er noch, antwortete aber wie stets nicht mehr. In Gedanken war er schon weit fort von Hogwarts, sortierte die Informationen des letzten Treffens, die Strategie des Ordens und Albus' Anweisungen. Und nicht zuletzt brauchte er den Weg vom Schloss zum Verbotenen Wald um seinen Geist zu reinigen und zu verschließen, um Voldemorts Okkulmentik abweisen und zu seinen eigenen Gunsten einsetzen zu können. Dieser Vorgang benötigte Konzentration, umso mehr, je erschöpfter Severus war.
Währendessen blieb Remus allein in den warmen und behaglichen Räumen des Tränkemeisteres zurück. Zweimal schnippte er gedankenverloren mit den Fingern und betrachtete die kleine grüne Flamme, die über seinem Daumen züngelte. Dann gähnte er, streckte sich auf dem bequemen Sofa, und holte wieder sein Buch aus dem Arbeitszimmer. Es würde eine lange Nacht werden. Draußen vor dem Fenster regnete es stärker.
(c) Fayet - 4. Juli 2012
