Disclaimer: Alle Orte, der Großteil der Charaktere und der grobe Umriss des Plots gehören JK Rowling. Wenige Personen und der Plot sind von mir.
Ehrliche, konstruktive Kritik ist sehr willkommen. Ich würde mich freuen, wenn ihr sie lest :)
Die Marauder
Kapitel 1: Hogwarts
Am Rande des King's Cross hüpfte, unbemerkt von den vorbeieilenden Passanten, ein kleiner Spatz zwischen weggeworfenen Zeitungen umher und pickte nach eingebildeten Körnern.
Es war ein kühler, grauer Morgen, dieser 1. September des Jahres 1965, und der kleine Vogel hatte erst wenig Futter in den Abfällen und Regenrinnen gefunden.
Als ihm endlich eine Gestalt einen Brotkrumen zuwarf, zerrte er ihn hektisch beiseite, um seine Beute ungestört verspeisen zu können.
„Hör auf diese Ungeziefer zu füttern!" fuhr Mrs. Black ihren Sohn in einer gewohnt schrillen Stimme an. „Von diesen unnützen Tieren gibt es sowieso schon genug! Sie sind zu klein und zu schwach, um Briefe zu überbringen, machen nur Lärm und Krach. In unserer Straße gab es früher auch welche von diesen Parasiten, bis dein Vater sie ein für allemal beseitigt hat."
Sie verzog die rotgeschminkten Lippen, wahrscheinlich in der erfreulichen Erinnerung daran.
Ihre braunen Augen beobachteten falkengleich die Menschen die vorbeihasteten und den Blacks einen verwunderten Blick zuwarfen, sodass diese ihre Augen schnell wieder senkten. Ihre Verwunderung war zu verstehen, nicht nur, da sich im Gepäckwagen ein großer Käfig mit einer tiefschwarzen Eule befand, die ihre Umwelt fast überhebliche musterte, sondern auch wegen dem Erscheinungsbild der Familie.
Mrs. Black hatte ihre strähnigen, schwarzen Haare unter einer gleichfarbenen Haube versteckt, die von einer wertvollen Brosche zusammengehalten wurde. Um ihren kurzen Hals hingen mehrere Ketten mit rubinroten oder schwarzen Anhängern, und auch ihre langen Finger hatte sie mit protzigen Ringen geschmückt.
Ebenso wie seine Frau hatte Mr. Black, ein hochgewachsener, dürrer Mann mit einer bleichen Hautfarbe nicht auf seinen Umhang verzichten wollen, seine Meinung über die „Anpassung an die Muggel" war eindeutig: von einer solchen Unterschicht wollte, ja hatte eine Familie mit dem Status und dem Ruf der Blacks sich abzuheben! Wieso sollte er sich anpassen, an eine Bevölkerungsklasse, die versuchte, ein Fehlen der Magie durch lächerliche technische Apparaturen wettzumachen?
Verächtlich ließ der Zauberer seinen Blick über die Massen schweifen. „Ich finde es unerhört, dass wir eine dieser Muggelerfindungen nutzen müssen, um unseren Sohn nach Hogwarts zu bringen!" sagte er laut, es war ihm sichtlich egal, ob einer dieser „Muggel" ihn hörte. „Es ist ja nicht so, als gäbe es kein Flohpulver oder Portschlüssel! Und überhaupt, fähige Eltern können apparieren!"
Mr. Black beschimpfte und verhöhnte die Welt der Muggel weiterhin, während sie den Gang hinabschritten, und Mrs. Black unterstütze ihn mit giftigen Blicken, die sie den Entgegenkommenden zuwarf.
Schließlich kamen sie an der Absperrung zwischen Gleis neun und zehn an. .
Mr. Black verharrte eine Sekunde lang mit bedeutungsschwerem Blick, doch sein Sohn Sirius wusste einen Augenblick lang nicht, was von ihm erwartet wurde und rührte sich nicht.
„Wenn Sirius nicht will, geh ich!" quengelte Regulus, sein kleiner Bruder, und versuchte sich an ihm vorbeizudrängeln.
Mit einer einzigen Handbewegung brachte sein Vater ihn zum Schweigen und wandte sich seinem ältesten Sohn zu, der seinen Eltern bisher schweigend gefolgt war. „Also, Sirius Black. Stell dich nicht an wie ein Schlammblut, du weißt schließlich, was Magie ist. Geh!" Er machte eine auffordernde Geste mit dem Arm.
Sirius presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Natürlich, sein Vater hatte diese magische Absperrung erwähnt. Als ob er Angst gehabt hätte!
Er strich sich eine schwarze Strähne aus dem schon jetzt scharf gezeichneten Gesicht und steckte die Reste seines Brotes ein. Dann packte er die Stange seines Gepäckwagens mit beiden Händen, lief ohne zu zögern auf die Mauer zu und glitt hindurch, als würde sie nicht existieren. Wahrscheinlich existierte sie wirklich nicht, sicher war sie nur ein sehr ausgefeilter Illusionszauber, verbunden mit einer Art Portal, die nichtmagische Wesen abhielt – er zuckte mit den Schultern. Es war ihm eigentlich egal, er würde in nächster Zeit mit genug magischen Zusammenhängen zugestopft werden, da musste er sich über diesen keine Gedanken mehr machen.
Er drehte sich um und sah, dass der Durchgang auf dieser Seite aus einem großen, schmiedeisernen Tor bestand, über dessen Bogen in silbernen Buchstaben „Gleis 9 ¾" stand.
Sein Vater tauchte jetzt aus dem Tor aus, und Sirius drehte sich wieder um und betrachtete zum ersten Mal den Bahnsteig.
Überall standen Menschen in Muggelkleidung, doch fast allen von ihnen sah man an, dass sie Zauberer waren: auf den Gepäckwagen standen Käfige mit Eulen, besorgte Eltern drückten ihren Kindern magische Amulette oder Glaskugeln in die Hand, und viele hatten vergessen, dass ein Hut, der dem Träger Luft zufächelte oder eine sprechende Handtasche nicht unbedingt zu den normalen Besitztümern eines Muggels gehörten.
Einige der Anwesenden trugen jedoch, ebenso wie die Blacks, ihre normalen Zauberumhänge.
„Sieh doch, Arches Malfoy und seine Frau, dort drüben!" Mrs. Black war ebenfalls durch die Wand getreten und schleifte Regulus an der Hand hinterher. Sie eilte zu den Malfoys hinüber, die gelassen das Geschehen auf dem Bahnsteig betrachteten.
Mr. Black folgte ihr, und Sirius blieb unschlüssig stehen.
Er hatte keine Lust, neben seinen Eltern zu warten und den Lobeshymnen der Malfoys auf ihren Sohn Lucius zu lauschen. Aber tatenlos herumstehen wollte er auch nicht.
Langsam ging er, den Gepäckwagen vor sich herschiebend, den Bahnsteig hinab, und betrachtete den Zug, der ihn zu seiner Schule bringen sollte. Seine Gefühle über sein neues „Zuhause" waren zwiespältig – einerseits war er dankbar, Abstand von seinem Elternhaus zu bekommen, wo ihm seine Meinung vorgeschrieben wurde und er ständig unter Druck gesetzt wurde.
Andererseits wusste er nicht, was ihn in Hogwarts erwartete. Aber egal, was es war – er würde jede Menge Spaß haben. So sah jedenfalls sein Plan aus.
Er warf einen Blick zu seinen Eltern. Sie waren in ein Gespräch mit den Malfoys vertieft und einen Moment lang spielte Sirius mit dem Gedanken, einfach in den Zug zu steigen.
Auf eine oberflächliche Verabschiedungsszene hatte er nun wirklich keine Lust. Aber im Nachhinein würde er nur Ärger kriegen, wenn er sich jetzt einfach so aus dem Staub machte, also schlenderte er möglichst lässig wieder zu ihnen zurück.
„Sirius! Da bist du ja!" rief Mrs. Black, legte ihren Arm um ihn und schob ihn so nach vorne. „Arches und Terice kennst du ja schon, und das ist ihr Sohn Lucius! Sie haben dir ja schon von ihm erzählt."
Sirius schluckte seine Entgegnung herunter und gab den dreien die Hand. Und ob sie das getan hatten! Wenn sie bei den Abendessen, die Sirius immer als Zwang ansah, nicht über die Muggel, Schlammblüter oder den Minister schimpften listeten sie die Erfolge und Ruhmtaten ihres Sohnes auf.
Kennen gelernt hatte er Lucius bisher nicht, er war immer in Hogwarts gewesen, wenn eines dieser Pflichtabendessen bevorstand.
Der Dreizehnjährige hatte mittellanges, blondes Haar, das strikt zurückgekämmt war. Einige Strähnen fielen ihm jedoch ins Gesicht. Die scharfkantige Nase hatte er ganz offensichtlich vom Vater geerbt, die klaren, blauen Augen von der Mutter.
„Lucius kann dir sicher ein wenig das Schloss zeigen und dich in die Gesellschaft einführen!" Dieser schien von der Idee jedoch genauso begeistert zu sein wie Sirius, was man seinem Gesichtsausdruck deutlich ablesen konnte.
„Gerne…" sagte er gedehnt und räusperte sich dann.
„Mum, Dad, wir sollten jetzt gehen, die Abteile sind sonst alle besetzt. „Mr. und Mrs. Black."
Er deutete eine Verbeugung an.
"Natürlich." sagte Arches, und wandte sich zu seinen Eltern, um sich zu verabschieden.
„Viel Glück, Sirius!" sagte seine Mutter und umarmte ihn. „Mach uns alle Ehre!"
„Moment!" unterbrach sein Vater sie und legte Sirius eine Hand auf die Schulter. „Ich möchte noch ein paar Wörter mit ihm wechseln."
Er zog ihn zur Seite, bis sie außer Hörweite waren.
„Die Familie der Blacks ist ruhmreich und edel. Ich erwarte von dir, dass du unsere Tradition nicht brichst. Ich möchte, dass du unseren Ruf in deinem Haus in Hogwarts aufrechterhältst. Ich denke nicht, dass du es schwer haben wirst - bei den Slytherins sind viele Töchter und Söhne unserer Freunde und Bekannten - trotzdem sollst du dich anstrengen. Hast du verstanden?"
Sirius fühlte eine kalte Wut in sich aufsteigen. Vorschreibungen, Erwartungen, Druck. Was hatte er erwartet? Aufmunternde Worte etwa?
„Verstanden…Vater." sagte er leise.
„Gut." er legte ihm den Arm um die Schultern. „Ich weiß, du wirst uns stolz machen."
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, gingen Lucius und Sirius zum Zug. Sie waren wirklich unter den Letzten, die meisten Schüler hatten ihr Gepäck schon verstaut und wechselten durch die geöffneten Abteilfenster kurze Worte mit ihren Eltern.
Sirius hievte seinen Koffer und den Käfig mit seiner Eule, die den Namen Astrum trug, die zwei engen Stufen hoch, und stieß dabei ein paar Mal gegen die Wand, woraufhin sie nervös zu flattern begann.
Zwar hatten seine Eltern die Eule für ihn ausgesucht, doch er hatte sie gleich gemocht. Sie war nicht nur eine echte Schönheit, sondern hatte auch einen außergewöhnlichen Charakter, dem man auf den ersten Blick als Überheblichkeit erkennen mochte.
Doch das ansehnliche Tier war einfach nur ausgesprochen eitel und verbrachte die meiste Zeit damit, ihre schwarzen Federn zu säubern. Aber nachdem Sirius einige Zeit mit Astrum verbracht hatte und ihr stets Leckerein zuschob, schien sie Vertrauen gefasst zu haben und ließ in ihrer unendlichen Gnädigkeit sogar zu, dass Sirius sie ab und zu am Kopf kraulte.
Auf dem engen Gang standen Schüler und unterhielten sich über ihre Erlebnisse während der Sommerferien.
„… und wir waren in einer von diesen Muggelstädten, zum Totlachen, sag ich dir, es ist richtig niedlich, was die sich alles ausgedacht haben, um ohne Magie klar zu kommen! Hast du schon mal was von Glühbirnen gehört? Ich weiß auch nicht, was die mit ihren Früchten machen, aber…"
„…Naja, wir haben in Schottland ja die ganzen alten Schlösser besucht, und wie viele Poltergeister da rumgammeln – ich soll dem Kopflosen Nick eine Nachricht von einer gewissen Gisela der Gehängten überbringen…"
Sie drängten sich vorbei, bis sie in der Mitte des Zuges an einer offenen Abteiltür stehen blieben.
„Hey Leute!" rief Lucius hinein, und wurde von mehren Stimmen begrüßt. „Darf ich euch Sirius Black vorstellen?" fuhr er fort.
Sirius trat ein Stück vor und warf einen Blick in das Abteil, in dem mehrer Jungen und Mädchen saßen.
„Das ist Micida Macnair" er nickte einem großen, grobschlächtigen Jungen mit zerzausten Haaren zu, der ihnen am nächsten stand. „Dritte Klasse."
„Und Abaeus Nott, zweite Klasse." Er deute auf einen kleinen Jungen, der neben Macnair stand und Sirius misstrauisch musterte, als er ihm die Hand gab.
„Odius Cruc, vierte Klasse, und Nexem Creper, fünfte." Beide waren sehr groß und hatten einen kräftigen Händedruck.
„Und deine beiden Cousinen kennst du ja. Bella, zweite, und Narcissa, sie wird auch heute eingeschult."
„Sirius!" flötete Bellatrix und reichte Sirius graziös die Hand, während Narcissa großäugig und still daneben saß. „Bellatrix!" antwortete Sirius in einer genauso falschen Tonlage und schüttelte die kleine Hand.
Bellatrix! Ausgerechnet sie? Die, wo immer sie auch war, Intrigen spann und stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht war – egal, ob auf einer Weihnachtsfeier oder einem Festbankett.
Nein, er mochte Bellatrix nicht, wirklich nicht, und sie wusste es ganz genau. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie ihn bei allen möglichen Gelegenheiten auflaufen ließ.
Lucius stellte ihm noch ein paar andere Leute im nächsten Abteil vor, deren Namen er jedoch wieder vergaß. Er fühlte sich von Minute zu Minute unwohler, und als der Zug schließlich anfuhr, setzte er sich an einen Fensterplatz, von wo aus er dem Bahnhof hinterher sah, der immer schneller in die Ferne rückte.
Während die Gespräche der anderen dahinplätscherten und einige der älteren Schüler über Lehrer und die anderen Häuser lästerten, sah er draußen die Landschaft vorbeiziehen.
So sah also seine Zukunft aus? Mit Bellatrix, Lucius und dem ganzen Rest? Er hatte gedacht, mit der neuen Schule würde er Abstand zu seiner Familie schaffen, dafür würde er nun wohl die meiste Zeit mit seinen Verwandten verbringen.
Die bittere Enttäuschung und Ärger über sich selbst, dass er es nicht hatte kommen sehen, schlugen wie eine Welle über ihm zusammen.
Er musste raus aus dem Abteil.
Während er in Richtung Ausgang eilte murmelte er irgendeine lahme Entschuldigung, dann schlug er die Tür hinter sich zu.
Die Gänge waren jetzt leer, und ohne zu wissen, wo er hinsollte, ging er weiter.
Sein Magen fühlte sich an, als hätte ihn jemand verknotet, und er spürte, wie ihm langsam heiß wurde, als –
„Hey, kannst du nicht aufpassen!" schnauzte ihn der Junge an, den er angerempelt hatte.
„'Tschuldigung…" sagte Sirius.
„Was machst du eigentlich hier draußen? Suchst du auch den alten, sabbernden Kerl mit dem Süßigkeitenwagen? Dieser faltige Idiot hat doch glatt unser Abteil ausgelassen, und ich weiß genau, dass er jetzt vorbeikommen müsste!"
Er fuhr sich durch das schwarze, zerzauste Haar, rückte seine Brille zurecht und blickte sich um.
„Ich werd ihn mal suchen… ist sicher eingepennt… ich hab ihn beim Einsteigen gesehen, der macht's bestimmt nicht mehr lange. Kommst du mit?"
„Klar!" sagte Sirius, der sich immer noch unwohl fühlte, aber so wenigstens etwas zu tun hatte.
„Okay! Ich würde sagen, wir folgen einfach mal dem Gestank, dann werden wir ihn schon finden…übrigens, ich bin James Potter."
Sirius schüttelte die dargebotene Hand, und es war das erste Händeschütteln heute, dass er ernst meinte. „Sirius Black." antworte er.
Sie gingen gemeinsam den Gang hinab. „Potter, hm? Dann bist du also auch aus einer reinblütigen Familie."
James warf ihm einen schnellen Blick zu. „Ja, das bin ich. Ist doch nicht wichtig, oder?"
„Nein! Naja, also, es ist nicht wichtig, aber… es hat ja schon Auswirkungen."
„Auswirkungen? Wie meinst du das?" Sirius hörte deutlich die Schärfe in James' Stimme.
„Naja, also, auf die Zauberkräfte, oder? Ich meine –"
„Wie war dein Name noch gleich? Black? Ich hätte es mir denken können, natürlich, ein Black! Schlammblüter sind der Feind, nicht wahr?" unterbrach ihn James. „Was sollte das für einen Unterschied machen? Großartige Zauberer und Hexen sind sogenannte Schlammblüter! Ist es nicht etwas viel Außergewöhnlicheres, wenn die Magie sich auf Wegen, denen wir nicht folgen können eine Seele aussucht, weil sie diese für besonders passend oder begabt hält, als wenn du einfach nur ein Zauberer bist, weil deine Eltern auch welche waren?"
Sirius blieb stehen. So hatte er die ganze Sache noch nicht betrachtet. Bisher hatten ihm seine Eltern immer erklärt, dass reinblütige Magie besser, ja sogar kraftvoller war als die von Muggelgeborenen.
„Ich bin nicht so wie der Rest meiner Familie!" verteidigte Sirius sich. „Eigentlich bin ich eben sogar aus einem Abteil voller Slytherins und meiner lieben Cousine Bellatrix geflüchtet!"
„Wirklich?" James grinste. „Vielleicht bist du doch nicht so übel. Das mit dem Seelen finden und so war übrigens von meinem Vater. Nicht das du denkst, ich rede immer so geschwollen. Er hat mal ein Buch drüber geschrieben, vielleicht willst du es ja mal lesen. Obwohl, lass es lieber, eigentlich ist es ziemlich öde, auch wenn er Recht hat, finde ich. Da ist er ja!"
Er rannte zu einem alten Mann, der gegen die Wand gelehnt stand und offensichtlich – schlief.
„Buh!" machte James und verzog sein Gesicht zu einer albernen Grimasse, doch der alte Mann schnarchte friedlich weiter.
„Buh! Bäh! Wah!" rief er in einem schrillen Tonfall, doch der Schlafende rührte sich immer noch nicht.
„Er ist doch nicht tot?" fragte Sirius belustigt.
„Nee, der atmet noch. Seinem Geruch nach zu schließen hat er ordentlich Feuerwhiskey getrunken. Na toll, wie komm ich jetzt an mein Essen?" Er ließ den Blick über das kleine Wägelchen schweifen, der unter dem Gewicht der ganzen Süßigkeiten, die darauf angehäuft waren, beinahe zusammenbrach.
„Wir könnten ihn wachrütteln!" schlug Sirius vor, „Aber eigentlich möchte ich ihn nicht so gerne anfassen…"
„Ich auch nicht. Wir können uns ja einfach was nehmen und ihm das Geld in die Kasse legen. Dann müssten wir ihn weder anfassen, noch mit ihm reden!"
Von dieser Idee begeistert stopften sie sich die Taschen voll mit Derry's diabolischen Drops, Feuerwhiskey-Pralinen, Schokomonstern, Spirallutschern und Seifenblasen-Kaugummis, und da sie nicht wussten, wie viel all das nun kostet, legten sie ihm zwanzig Silbersickel in das kleine Kästchen, dass der Mann als Kasse nutzte.
„Da du ja vor deiner bisherigen Begleitung geflüchtet bist, möchtest du vielleicht zu mir ins Abteil kommen? Ich bin da ganz alleine mit so einem psychotischen Kerl, der die ganze Zeit nur in seinem Buch liest, ein spannender Höhepunkt war, als er hustete…also?"
„Ja, warum nicht!" entgegnete Sirius, und sie gingen zu James' Abteil.
Der schmale Junge, von dem James erzählt hatte, war tatsächlich in ein Buch vertieft und sah bei Sirius Ankunft nur kurz auf, dann wendete er sich wieder seiner Lektüre zu.
Sie nahmen ihm gegenüber Platz und verteilten ihre Beute auf der Sitzbank.
„Oh Mann, diabolische Drops – als ich das letzte Mal welche probiert hab, ist mir die Zunge richtig angeschwollen, Mum hat ziemlich geschimpft… ach, egal!" James steckte sich eine der feuerroten Süßigkeiten in den Mund, nur um kurz danach erbärmlich zu husten. „Zum Geier, die haben sie schärfer gemacht!"
„Willst du nicht auch etwas?" bot Sirius dem Jungen an.
„Was? Nein, danke, ich hab heute schon gefrühstückt."
James jubelte lautstark, als sein Spirallutscher sirrend anfing sich zu drehen.
„Ja, aber das ist unser Mittagessen…"
Der fremde Junge schüttelte nur den Kopf.
„Wie heißt du überhaupt?" hakte Sirius nach.
Der Junge räusperte sich. „Remus Lupin."
„Remus, du sprichst, herzlichen Glückwunsch! Ich bin James Potter und der Typ neben mir, der dir das Sprechen lehrte ist Sirius Black. Ist doch richtig, Sirius Black?"
Sirius nickte.
„Außerdem finden wir, du solltest jetzt diese Schokomonster probieren. Sie bewegen sich und so, ziemlich lustig."
Remus sagte immer noch nicht viel, aber zumindest nahm er dann und wann ein Schokomonster.
Sie verbrachten den Rest der Fahrt damit, sich den Bauch voll zu schlagen und über Quidditch zu diskutieren.
„Ich sag dir was, James." Sirius machte eine große, schillernde Kaugummiblase, die langsam zur Decke trudelte und dort zerplatzte. „Seit Evan Heron bei den Dover Demons spielt, sind sie doppelt so gut. Die steigen diese Saison noch auf, du wirst es schon sehen!"
„Evan Heron! Jimmy Fry schlägt diesen komischen Halbaffen um Längen! Oder muss ich dich etwa an das Spiel am 7. August erinnern? Oh ja, ich weiß, du würdest das am liebsten verdrängen," sagte James, als Sirius grunzte und abwinkte, „aber die Bristol Bees haben die Demons, und vor allem Heron wortwörtlich in den Boden gestampft. Er sah etwas matschig aus nach diesem misslungenen Wronski-Bluff…"
Sie redeten noch eine Weile weiter, dann zogen James und Remus sich ihre Schulumhänge an. Sirius trug seinen schon, so hatten es seine Eltern beschlossen, und er war froh, dass James ihn bisher nicht darauf angesprochen hatte.
Als der Zug schließlich hielt, war es schon dämmrig. Eine Stimme, die durch die Abteile hallte, erklärte dass das Gepäck später für sie zu Schule gebracht werde, und Sirius war dankbar, dass er nicht wieder in das andere Abteil zurückkehren musste.
Er verspürte wieder ein unangenehmes Ziehen im Magen, als sie dicht gedrängt auf einem kleinen Bahnsteig standen. Doch er ließ sich nichts anmerken und versuchte ein möglichst ungerührtes Gesicht zu machen, während er sich umsah.
James stand ganz in der Nähe, und auch er schien sich nicht ganz wohl zu fühlen.
„Erstklässler hier rüber!" schnarrte eine unangenehme Stimme. „Hier rüber, ein bisschen schneller, die letzten packe ich mir und stecke sie mit dem Kopf voran in den See, und der ist schlammig und kalt."
Sirius starrte den Mann an, der finster die Schüler beobachtete. „Es ist nicht so schwer, oder?" schimpfte dieser weiter. „Ihr seid neu, dumm, wisst nicht wo ihr hinsollt? Aber holla, hier ist Onkel Ignis, allzeit bereit um sich euer dämliches Gequatsche anzuhören, wie groß und toll Hogwarts doch ist und in welches Haus ihr wohl kommt…"
Sirius war sich nicht sicher, ob er wirklich zu dieser langhaarigen Gestalt, die gerade ein paar Zweitklässler anblaffte, gehen sollte, aber die meisten der Jüngeren bewegten sich zögernd auf den Mann zu.
„Alle da? Na wunderbar, dann können wir jetzt ja diesen glitschigen Pfad hinunterlaufen, auf dem ich mir mal wieder meine Drachenhautstiefel verdrecke, aber was solls!"
Sie folgten dem grummelnden Mann auf einem engen, kurvigen Weg, der in die Tiefe führte. Es war mittlerweile so dunkel geworden, dass Sirius den Boden kaum noch sehen konnte, und mehr als einmal wäre er beinahe gestürzt.
„So, und gleich werdet ihr die Schule sehen, in der ihr die nächsten 7 Jahre mit Hausaufgaben gequält und von Lehrern terrorisiert werdet."
Sie traten um eine Biegung, und da lag Hogwarts.
Alle Fenster des Schlosses waren hell erleuchtet, und im Widerschein des Lichts konnte man die gewaltigen Umrisse des Gebäudes, mit seinen verwinkelten Türmchen und der manchmal recht eigenwilligen Architektur ausmachen.
Viele Kinder bleiben vor Verzückung stehen, und einige stießen Laute der Bewunderung aus.
Der Mann, der anscheinend Ignis hieß, beendete den Moment abrupt. „Ohhh, aaah, ich hab es euch ja gesagt. Ihr werdet bald in diesem Schloss wohnen, also stellt euch mal nicht so an. Ich habe es nicht so gut, ich muss mit einem schwachsinnigen Idioten in einer Hütte leben, und der Kerl ist so riesig, er rennt mir regelmäßig die Tür ein. Und jetzt sucht euch ein Boot aus, nicht mehr als vier in einem, es sei denn, ihr wollt untergehen, und heult nicht rum, wenn ihr keins mit euren Freunden erwischt, die müsst ihr auch die nächsten sieben Jahre ertragen, ihr bekommt also schon genug von ihnen zu sehen."
Während Sirius in eines der Boote stieg, wunderte er sich, wie Ignis so viele Beschimpfungen so schnell und in einem Satz verarbeiten konnte.
In seinem Boot saßen außer ihm noch James, Remus, und ein anderer Junge, den er nicht kannte.
„VORWÄRTS!" brüllte Ignis, kaum dass der letzte Platz genommen hatte, und die Boote begannen über den schwarzen See zu gleiten, der im Licht des Schlosses glitzerte.
Hogwarts übte eine Faszination auf Sirius aus, die nicht zu beschreiben war. Er hatte Bellatrix und Lucius beinahe schon vergessen – dieses magische Gebäude barg ungekannte Möglichkeiten! Was mochte es für Geheimgänge geben, Fallen, Verstecke, Abendteuer, Schätze? Was gab es dort zu entdecken? Er brannte vor Neugier.
Vielleicht, dachte er, würde es ja gar nicht mal so übel werden.
